I. Biermannn: Von Differenz zu Gleichheit

Titel
Von Differenz zu Gleichheit. Frauenbewegung und Inklusionspolitiken im 19. und 20. Jahrhundert


Autor(en)
Biermann, Ingrid
Reihe
Gender Studies
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 25,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Wolff, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel

Die Soziologin Ingrid Biermann wendet sich in ihrem neuem Buch den politischen Kämpfen sowohl der ‚alten‘ als auch der ‚neuen‘ Frauenbewegung zu. Unter der Fragestellung, wie es bis heute zu einem Gleichheitsverständnis gekommen ist, welches die Idee der Geschlechterdifferenz außen vor lässt und gleichzeitig an sozialer Gerechtigkeit interessiert ist, die sich an einem gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlicher Macht orientiert, schildert sie die Entwicklung der Gleichheitsvorstellungen als Mobilisierungs- und Legitimationsstrategie der Frauenbewegung(en) als soziale Bewegung. Dabei (be)wertet sie die Begriffe Differenz und Gleichheit nicht, sondern versteht diese als unterschiedliche Gleichheitskonzepte. „Differenz als Mobilisierungs- und Legitimationsstrategie betrachtet die Geschlechter als verschieden. Dabei wird auf biologisch-anthropologische, mentale und/oder soziokulturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen rekurriert. Die Mobilisierungs- und Legitimationsstrategie der Gleichheit geht hingegen von Geschlechterstereotypisierungen bzw. von Weiblichkeit als sozialer Konstruktion aus. Sie betrachtet Frauen und Männer als individuell gleich.“ (S. 13)

Die in den 1980er- und 1990er-Jahren noch sehr heftig umstrittenen Begriffe, die für eine politische Standortbestimmung (vor allem der ‚alten‘) Frauenbewegung genutzt wurden1, sollen in dieser Arbeit in den historischen Kontext und damit in eine Entwicklungslinie einbezogen werden. “Die Entwicklung des Gleichheitsanspruchs im 19. und 20. Jahrhundert ist in der Frauen- und Geschlechterforschung selten als eine Entwicklung von Differenz zu Gleichheit zur Kenntnis genommen worden.“ (S. 13, Hervorhebung im Original) Die Begründung dieser These leuchtet ein. Es gehe darum – so Biermann – den Strategien der sozialen Bewegung auf die Schliche zu kommen. Schließlich mussten beide Bewegungen (bzw. besser beide Wellen) der Geschlechterdifferenz soviel gesellschaftliche Aufmerksamkeit erarbeiten, dass daraus Ansprüche an gesellschaftlicher Teilhabe abgeleitet werden konnten.

Da sich die Durchsetzung von Beteiligungsforderungen in unterschiedlichen staatlichen Ordnungen abspielte, fragt Biermann auch danach, “welche Bedeutung verschiedene Funktionssysteme für Veränderungen der Fraueninklusion gehabt haben“ (S. 16). Aus diesem Zusammenspiel entstanden – so eine der Thesen des Buches – verschiedene Muster der Inklusion von Frauen. Für die ‚alte‘ Frauenbewegung konstatiert Biermann eine Gleichheitsvorstellung, die sich an der Geschlechterdifferenz orientierte. Die politische Handlungsanweisung basiere auf der Vorstellung einer ‚geistigen Mütterlichkeit‘, mit der sich die Mobilisierung und die Organisation von Frauen für „die Schaffung weiblicher Aufgabenbereiche und Berufe“ begründen ließ (S. 92/93). Die ‚neue‘ Frauenbewegung wird dagegen von Biermann als soziale Bewegung charakterisiert, die sich von der Vorstellung der Differenz der Geschlechter verabschiedete.

In ihrer Zusammenfassung verschränkt Biermann die Inhalte und Abläufe der beiden Frauenbewegungen mit den Ausbau- und Umbauprozessen des Staates. Für das 19. Jahrhundert identifiziert sie zwei verbundene Institutionalisierungsprozesse: denjenigen des Nationalstaates und den der modernen Kleinfamilie. Zwar waren Frauen in diese Strukturen inkludiert (als Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen), doch konnte die bürgerliche Familienkonzeption nicht darüber hinweg täuschen, dass es vor allem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts massive gesellschaftliche Probleme mit Frauenarmut gab und zunehmend auch (bürgerliche) Frauen auf den Arbeitsmarkt drängten. Die Frauenbewegung nahm sich dieses „Brotkampfes“ an, allerdings wurde der Geschlechterkonflikt durch schichtenspezifische Konflikte ‚überwölbt‘, die eine Massenausdehnung der Proteste verhinderten. Im Kampf um Bildung sieht Ingrid Biermann dann eine Brückenfunktion für die Ausweitung von Inklusion, denn durch den Ausbau der Bildungsmöglichkeiten für Frauen (erkämpft durch die bürgerliche Frauenbewegung!) erschloss sich für diese ein neues Feld der gesellschaftlichen Teilhabe. Dieser positiven Entwicklung stehen die stark diskriminierenden Regelungen des BGB und das langsame Verdrängen der Frauenfrage aus der Politik entgegen. Gerade Letzteres erklärt Biermann damit, dass der Gleichheitsperspektive entscheidende gesellschaftliche Anschlussstellen, in die Parteien hinein, fehlten.

Die zweite Frauenbewegungswelle ab den 1960er-Jahren hat eine ganz andere gesellschaftliche und politische Ausgangsbasis. Formal und rechtlich hatten Frauen seit den 1960er-Jahren Zugang zu wichtigen Funktionssystemen des Staates. Vor allem die Bildungsinitiative in den 1970er-Jahren ermöglichte eine immer weitere Partizipation größerer Bevölkerungsteile – und gerade Frauen konnten davon profitieren. Hier waren es der gesamtgesellschaftliche Prozess der Aufweichung der Kernfamilie und der Aufbau des Wohlfahrtsstaates, die den Hintergrund der zweiten Mobilisierungswelle bildeten. Entscheidend war dabei auch die Herausbildung von Volksparteien, die die Gleichheit „zu einem zentralen Steuerungsmedium politischer Kommunikation“ machten (S. 158). (Hier sei bemerkt, dass dieser Schritt von den Volksparteien sicher nicht ganz freiwillig gegangen wurde!) Es sei diese Ausweitung von Partizipation gewesen, die dann von der Frauenbewegung fruchtbar gemacht werden konnte.

Aus den geschilderten verschiedenen Ausgangslagen, die die beiden Wellen der Frauenbewegungen in Deutschland zwischen 1860 und 1990 vorfanden, schließt Biermann dann auch, dass die „Mobilisierungs- und Legitimationsstrategien der Frauenbewegungen [...] offenkundig in einer engeren Verbindung zu Anschlussmöglichkeiten an Differenzierungsprozesse in gesellschaftlichen Teilbereichen und zu deren Verflochtenheit (stehen), als es in ihren Diskussionen zum Ausdruck kommt" (S. 163).

Wie dieses letzte Zitat zeigt, ist das Buch von Biermann nicht einfach zu lesen, was vor allem an dem Sprachstil liegt. Trotz einer interessanten und nachdenkenswerten Argumentation krankt das Buch aber vor allem an einer zu allgemeinen Sicht auf Geschichte. Wenn Ingrid Biermann auf sage und schreibe fünf Seiten die Geschlechterdifferenz und Fraueninklusion in der vormodernen ständischen Gesellschaft beschreibt (1300 bis 1800!), so kann dies nicht nur Expertinnen und Experten der Frühen Neuzeit unbefriedigt zurücklassen. Auch in anderen Kapiteln wird die historische Situation, in der Frauen (und wenige Männer) den Aufbau einer Bewegung wagten, zu wenig beachtet. So wird zum Beispiel die Gründung der Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, des BDF, bei Biermann zu einem Ausdruck des Emanzipationskonzeptes der Bürgerlichen, welches auf „soziale Anerkennung und berufliche Institutionalisierung von eigens von Frauen ausgeübten Aufgaben“ beruhe (S. 66). Kein Wort davon, dass die Gründung des BDF darauf abzielte, Mitglied im ICW (International Council of Women) zu werden und sich damit international zu verknüpfen. Längst überholt ist sicher auch die Sichtweise, dass als alleiniger Hinweis auf die politische Ausrichtung einer Bewegung die Haltung zum Wahlrecht entscheidend ist. Zweifel sind auch angebracht, wenn es darum geht, die Erfolge bzw. Misserfolge der ‚alten‘ Frauenbewegung in Bezug auf die Rechtsentwicklung zu beschreiben. Dass die bürgerliche Frauenbewegung dank des von ihr initiierten „Frauenlandsturms“ einen enormen Zuwachs zu verzeichnen hatte, wird ebenso wenig beachtet wie die Tatsache, dass es genau dieser Kampf war, der Frauen als Frauen – als unter Sonderrechten stehende Gruppe – vereinte.

Solche fehlenden historischen Anbindungen lassen sich im Text häufig finden, allerdings bedeutet dies nicht, dass die Analyse insgesamt mangelhaft ist. In der Gesamtaussage ist Biermann auf jeden Fall Recht zu geben; allerdings ist fraglich, ob die Erkenntnis, dass eine (soziale) Bewegung mit zeitgenössischen Argumenten versuchen muss, Anschluss an die Diskurse der Zeit zu ermöglichen – will sie erfolgreich sein – tatsächlich neu ist. Ulla Wischermann und Susanne Kinnebrock haben überzeugend nachgewiesen, dass eine (politische) Kommunikation (die die Grundlage für das Funktionieren einer sozialen Bewegung ist) immer in zwei Richtungen funktionieren muss, nach innen in die Bewegung hinein und nach außen in die Gesamtgesellschaft hinaus.2

Dem Buch von Ingrid Biermann liegt eine interessante Denkfigur zugrunde: Die Idee, dass sowohl die im 19. Jahrhundert gebräuchliche Geschlechterdifferenz wie die im 20. Jahrhundert präferierte Geschlechtergleichheit als Mobilisierungsstrategien zu bewerten sind und nicht als Grundüberzeugungen der Bewegung. Trotz diesem zuzustimmenden Ansatz kann das Buch die Erwartungen allerdings nicht ganz erfüllen. Die Argumentation ist zu unhistorisch und zu wenig in die Verästelungen der Bewegung gehend. Da auch wichtige (geschichtswissenschaftliche) Neuerscheinungen zu diesem Thema fehlen, ist diese Arbeit eine soziologische Überblicksdarstellung, die leider nicht ganz überzeugt.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel: Theresa Wobbe, Gleichheit und Differenz. Politische Strategien von Frauenrechtlerinnen um die Jahrhundertwende, Frankfurt am Main 1989.
2 Vgl. hierzu: Ulla Wischermann, Frauenbewegung und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke, Gegenöffentlichkeiten, Protestinszenierungen, Königstein im Taunus. 2003; Susanne Kinnebrock, „Wahrhaft international?“, in: Eva Schöck-Quinteros u.a., Politische Netzwerkerinnen. Internationale Zusammenarbeit von Frauen 1830-1960, Berlin 2007, S. 27-56.

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