A. Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit

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Titel
Medien in der Frühen Neuzeit.


Autor(en)
Würgler, Andreas
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 85
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XII, 174 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Flemming Schock, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Technische Universität Darmstadt

Andreas Würgler, Privatdozent für Neuere und Schweizer Geschichte an der Universität Bern, stemmt sich mit der vorliegenden Überblicksdarstellung gegen einen Monolith der (deutschen) Medienhistoriographie: Johannes Gutenberg und die Erfindung der typographischen Textproduktion dominieren weiter die Narrative der Frühen Neuzeit als Epoche der Druckmedien. So überwiegt im Gros der bisherigen Darstellungen zwar kein monomedialer Blick, der sich allein den Buchwelten der Epoche zuwenden würde; doch sind die Perspektiven weiterhin vor allem textzentriert. Stereotyp wird die Wende vom skriptographischen zum typographischen Zeitalter hochgehalten, und das, obwohl die stark visuelle Prägung frühneuzeitlicher Denk- und Wissenswelten seit langem als unbestritten gilt und das 15. Jahrhundert nicht nur die neue Medientechnik des Buchdrucks brachte – denn schon einige Dekaden vor Gutenberg revolutionierte sich die technische Grundlage des Bildtransfers und der Bildreproduktion durch die Entwicklung des Holzschnitts und des Metallstichs. Mit dieser Akzentuierung verlässt der Band 85 aus der „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ die ausgetretenen Pfade bisheriger Mediengeschichten, von denen sich Würgler durch eine Öffnung hin zu frühneuzeitlichen Bildmedien nachdrücklich abgrenzt: „Entgegen der landläufigen Meinung begann das Zeitalter der Printmedien nicht mit Gutenberg und der Bibel, sondern mit Bilddrucken.“ (S. 7) Konsequenterweise setzt Würgler an die Stelle der einen Medienrevolution durch Gutenberg Medienrevolutionen im Plural.

Die in jeder gedrängten Überblicksdarstellung gebotene pragmatische Eingrenzung erfolgt hier erstens durch die alleinige Konzentration auf Druckmedien (und den entsprechenden Datenträger Papier). Neben Büchern, den sich ausdifferenzierenden typographischen Medien der Frühen Neuzeit und Bilddrucken bezieht Würgler jedoch selbst Kartendrucke in das Quellenkorpus mit ein. Zeitlich erfolgt die Eingrenzung zweitens durch die plausibel gesetzte epochale Zäsur um 1800, da erst zu diesem Zeitpunkt Innovationsleistungen wie die Lithographie, die Schnellpresse oder die Telegraphie das Mediensystem der Frühen Neuzeit in technischer Hinsicht sprengten. Und drittens steht gemäß dem Reihenkonzept allein der deutschsprachige Raum im Vordergrund. Es sind auch diese arbeitsökonomischen Beschränkungen, die Würgler zu Recht dazu bringen, am Ende der Einleitung die eigentlich notwendige europäische Dimension einer jeden Mediengeschichte der Frühen Neuzeit in Erinnerung zu rufen – so wurde die Druckerpresse zwar in Deutschland erfunden, der erste Höhepunkt des Buchdrucks sei jedoch in Italien erreicht worden (S. 6).

Der erste Teil des Bandes bietet den reihentypisch konzentrierten „enzyklopädischen Überblick“, hier lediglich auf vierundsechzig Seiten. Würgler folgt dem bewährten Prinzip eines chronologischen Durchlaufs durch die Jahrhunderte entlang der jeweiligen Leitmedien. Durchaus wohltuend erweist sich hier das Abweichen von den üblichen Narrativen, da der Autor eben die Genese des Holzschnitts an den Anfang des Zeitalters setzt. Dass Würgler zudem trotz der Konzentration auf den deutschsprachigen Raum nicht dem Konzept einer eurozentrischen Mediengeschichte nachhängt, zeigt sich schon darin, dass er offen lässt, ob die Technik des Holzschnitts (ähnlich des Buchdrucks) eine genuin europäische Erfindung war oder lediglich das Ergebnis eines komplizierten Kultur- und Wissenstransfers aus Asien darstellte. Konzise skizziert das Kapitel, wie mit den neuen Reproduktionstechniken „die Invasion der Bilder ins tägliche Leben der breiten Bevölkerung“ (S. 9) einsetzte. Erst dann schließt die Station des Buchdrucks mit beweglichen Lettern an. Hier folgt Würgler dem üblichen Erzählmuster, rekurriert dabei aber auch auf erste gedruckte Karten (als Teil der Schedelschen „Weltchronik“). Diesen Aspekt greift die Darstellung auch im zweiten Kapitel über die Evolution der Druckmedien im 16. Jahrhundert wieder auf, die der Autor entscheidend auch durch die „grundlegende Entwicklung der gedruckten Land-, See- und Himmelskarten sowie die ausgreifende Rolle der Bildpublizistik“ (S. 16) geprägt sieht. So zeigt der eigene Abschnitt über Karten und Druckgraphik, wie die neuen Vervielfältigungstechniken auch in der Kartographie zu einer weitreichenden Beschleunigung der Wissenskommunikation führten – eindrücklich nachzuvollziehen in den ersten Atlanten, die ehemals verstreutes kartographisches Wissen kondensierten und systematisch kompilierten. Noch weitere, der Kartographie verwandte Genres nimmt der Autor hinzu: Entlang des Aufstiegs der topographischen Städtebilder plausibilisiert Würgler, dass sich die Bilderwelten des 16. Jahrhunderts von ihrer gegenüber dem Text medial nachgeordneten Rolle deutlich emanzipierten. Über die extensive Betonung der Rolle der Druckgraphik für den Wissensaustausch allgemein gerät auch das ureigenste Personal der Kunstgeschichte (Albrecht Dürer) auf originelle Weise in die Darstellung.

Das Kapitel über die periodische Presse des 17. Jahrhunderts arbeitet sich kompakt über eine Charakteristik der Vorformen periodischer Medien (Messrelationen etc.) zum Schwerpunkt der Zeitungen vor; ihre Typologie fasst Würgler auf konventionelle Weise mit den etwas angestaubten publizistischen „Wesensmerkmalen“ der Zeitung nach Otto Groth. Als trotz ihrer Verkürzung besonders griffig erweist sich die Einschätzung über den Entwicklungsverlauf der Medienlandschaft im 18. Jahrhundert. So sei dieses weniger durch auch vorhandene „Produktinnovationen“ (S. 43) als durch Vernetzung und kommunikative Verdichtung innerhalb eines sich stark ausdifferenzierenden Medienangebots geprägt gewesen. In der Entstehungsskizze der Zeitschriftengattung machen sich allerdings einige Ungenauigkeiten bemerkbar, da Würgler ein bereits zum Teil altbackenes und nichtsdestotrotz hartnäckiges Gattungsnarrativ reproduziert. So sieht er entgegen bereits älteren Kenntnissen der Presseforschung etwa den Typus der moralischen Wochenschriften noch immer in England beginnen. Zudem wird ignoriert, dass es bereits in den 1680er-Jahren erste erfolgreiche populärwissenschaftliche und wissenspopularisierende Wochenblätter in Deutschland gab. Das erstaunt besonders, da sich die einschlägigen Forschungspublikationen zu diesem Komplex durchaus in der Bibliographie des Bandes wiederfinden. Den Endpunkt des diachronen Aufrisses bilden die Enzyklopädien als paradigmatische Wissensmedien der Aufklärung, bevor Würgler in einem letzten Abschnitt noch einmal verstärkt sozial- und distributionsgeschichtliche Aspekte des Medienmarktes fokussiert und hier auch auf die regen Vertriebszentren der Landkartenproduktion im 18. Jahrhundert zu sprechen kommt.

Der quantitativ etwa gleich starke zweite Teil über „Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“ geht von einer nochmaligen Diskussion des Medienbegriffs aus. Hier zeigt sich Würgler jenseits der im enzyklopädischen Teil des vorliegenden Bandes praktizierten Beschränkung auf technische Printmedien durchaus als Anhänger des erweiterten und nicht unumstrittenen „Menschmedien“-Konzepts nach Werner Faulstich. Aufschlussreich ist der Versuch, die aktuellen Mediengeschichten ihrer disziplinären Provenienz nach zu ordnen und nach Mustern zu beschreiben. Zwar lobt Würgler die Bilanz publizistikwissenschaftlicher Überblicksdarstellungen – auf die er sich ja zu großen Teilen selbst auch stützt –, er bilanziert jedoch mit gutem Grund: „Mediengeschichten von Fachhistorikern sind noch Mangelware.“ (S. 69) Hier spart der Autor sogar eine indirekte Kritik am Reihenkonzept der „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ nicht aus, da komplementäre medienhistorische Bände zum Mittelalter und der Neuzeit nicht angedacht seien.

Von kleineren Fehlern ist der Rest des instruktiven Forschungsüberblicks nicht gänzlich frei – so stimmt die Einschätzung, quasi die gesamte periodische Presse des 17. Jahrhunderts habe „in scharfem Gegensatz zu den sensationsorientierten Neuen Zeitungen des 16. Jahrhunderts“ (S. 104) gestanden, zumindest mit Blick auf Periodika jenseits der Zeitung in dieser Absolutheit sicher nicht. Im Übrigen gelingt es Würgler aber, das hohe und klar strukturierte Niveau des enzyklopädischen Überblicks zu halten und vielfältige Aspekte der aktuellen Forschungsdebatte bündig zu synthetisieren. Einmal mehr zeigt sich hier der Mehrwert des Reihenkonzepts.

Ungeachtet marginaler Detailschwächen lässt sich festhalten: Andreas Würglers Handbuch ist für die „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ ein großer Gewinn. Es löst ein längst überfälliges Projekt ein, und das nicht nur deswegen, weil die letzten Überblicksdarstellungen zum Thema bereits älteren Datums sind. Besonders wertvoll ist vielmehr die entscheidende wie erfrischende Erweiterung des Gegenstandsbereichs, die mehr ist als lediglich eine Verdichtung vorheriger Entwürfe. Denn Würgler beschreibt die Druckmedien der Frühen Neuzeit als konstitutiv nicht nur für deren Textkultur, sondern ebenso für eine gleichberechtigte Bildkultur der Epoche. Der Band löst so einen zeitgemäßen, da interdisziplinären Zugriff auf das komplexe Thema gelungen ein und bereitet das Ganze profund informiert und gut lesbar auf. Als Einführung in die Medienepoche empfiehlt sich der Titel als Standardlektüre.