S. Schültzke: Propaganda für Kleinbürger

Cover
Titel
Propaganda für Kleinbürger. Heitere Dramatik im DDR-Fernsehen


Autor(en)
Schültzke, Steffi
Reihe
Materialien - Analysen - Zusammenhänge (MAZ) 35
Erschienen
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Franziska Kuschel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Unterhaltung in der DDR stand immer im Spannungsverhältnis von verordnetem Frohsinn und dem Eigensinn des Publikums. Sie wurde gewünscht und gefordert, zugleich wurde sie aber auch für politische Ziele in den Dienst genommen. Von den Produzenten oftmals als „trivial“ abgelehnt, war Unterhaltung in einem repressiven System wie der DDR mehr als „bloße Unterhaltung“ und damit nie unpolitisch. Sie hatte stets bestimmte Funktionen zu erfüllen, sei es, um für die aktuellen politischen Ziele zu werben oder bewusste Ablenkung bereit zu stellen. Steffi Schültzke wendet sich in ihrer Dissertation (angenommen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Department für Medien und Kommunikation) genau diesem Spannungsverhältnis zu, wenn sie den Bereich der fiktionalen Unterhaltung, genauer gesagt ein bestimmtes Genre, zu ihrem Untersuchungsgegenstand macht: die heitere Dramatik im DDR-Fernsehen. Ihr Ziel ist es, eine erste Programmgeschichte dieses Genres zu schreiben. Zur heiteren Dramatik zählt Schültzke die zeitgenössische Fernsehdramatik in Form von Fernsehschwänken, heiteren Fernsehspielen und Fernsehfilmen, wobei ihr Fokus auf Einzelsendungen und Mehrteilern, nicht aber auf Serien liegt. Schültzke leistet eine Kompletterschließung sämtlicher Produktionen zwischen 1952 und 1990. Sie hat dabei 407 Sendungen des DDR-Fernsehens diesem Genre zugeordnet und listet diese mit den wichtigsten Informationen (Titel, Erstsendedatum, Programm, Uhrzeit, Kurzcharakterisierung) im Anhang auf.

Der Begriff „heiter“ ist nicht gleichzusetzen damit, dass die Sendungen dieses Genres vom Publikum zwangsläufig als lustig oder heiter wahrgenommen wurden, sondern deutet auf eine Zuschreibung vonseiten der Produzenten hin. In diesen Sendungen, in denen Schauspieler wie Helga Hahnemann oder Agnes Kraus Erfolge feierten, wurde das Bild einer konfliktarmen, biederen, aber liebenswürdigen DDR gezeichnet. Die heiter dramatischen Sendungen sollten bei den Bürgern „Frohsinn stiften, Wohlbefinden erzeugen und Wohlverhalten garantieren“ (Peter Hoff, zit. S. 13). Daher spitzt Schültzke am Anfang ihrer Arbeit die Frage dahingehend zu, ob diese Sendungen als „Propaganda für Kleinbürger“ (S. 10) zu bezeichnen seien. An dem fehlenden Fragezeichen im Titel ist unschwer zu erkennen, welche Antwort sie am Schluss gibt.

Schültzkes Arbeit besteht aus drei großen Kapiteln. Im ersten Teil – „Programmbeobachtung“ genannt – bietet sie einen Überblick über die Genreentwicklung, wobei die vollständige Programmerfassung den Ausgangspunkt bildete. Als Quellengrundlage dienen ihr dazu die Produktionsunterlagen der Abteilung Heitere Dramatik (die 1967 gegründet wurde), Programminformationen der Programmzeitschriften und die korrigierten Sendelaufpläne. Die quantitativ erfassten Daten hat Schültzke ergänzend in Statistiken aufbereitet, die ihre Beobachtungen bestätigen. Schültzke zeichnet kenntnisreich die inhaltlich-thematischen Veränderungen nach. Sie zeigt, dass man sich den vordergründig unterhaltsamen Stücken schon vor der „offiziellen Kampfansage“ (S. 49) Erich Honeckers an eine „gewisse Langeweile“ im DDR-Fernsehen aus dem Jahr 1971 zugewandt hat. Intern wurden sogar bereits Mitte der 1960er-Jahre Diskussionen um die „Schere zwischen Zuschauansprüchen und Programmgestaltung“ (S. 40) geführt. Auf dem Höhepunkt der Akzeptanz erreichten Sendungen der heiteren Dramatik Mitte und Ende der 1970er-Jahre teils über 80 Prozent Sehbeteiligung. Anschließend seien es nach Schültzke weniger politische Gründe gewesen, die den Rückgang der Zuschauerzahlen ab Mitte der 1980er-Jahre erklären, sondern die Abnutzung der ehemals so erfolgreich gelaufenen Produktionen. Die Ergebnisse dieses Teils sind im Großen und Ganzen allerdings bereits bekannt durch die Abschlusspublikation der Forschergruppe „Programmgeschichte des DDR-Fernsehens – komparativ“, bei der Steffi Schültzke redaktionell wie auch als Autorin mitgewirkt hat.1

Nach der Funktion und dem Stellenwert der heiteren Dramatik im zeitlichen Ablauf fragt Schültzke im zweiten Teil ihrer Arbeit. Sie folgt einem diskursanalytischen Ansatz. Im Zentrum stehen dabei die Aushandlungsprozesse zwischen den Ebenen der Programmvorgaben, der Programmrealisierung und der Programmbewertung. Die Ebene der Programmbewertung umfasst zum einen die Einschätzungen der Programmbeobachter, die ab Mitte der 1970er-Jahre zum hauptsächlichen Instrument der qualitativen Programmbewertung avancierten, zum anderen die Zuschauerforschung, deren Daten sie mit in die Analyse einbezieht. Damit wird auch ein genauerer Blick auf die Mediennutzer ermöglicht. Besonders aufschlussreich ist zum einen zu verfolgen, zu welchen Zeiten Zuschauerzahlen einen erkennbaren Einfluss auf die Programmentwicklung hatten und wann explizite Forderungen laut wurden, diese Zahlen schlicht zu ignorieren. Zum anderen vervollständigt Schültzkes Arbeit das Bild über die permanente Suche nach einer anderen, explizit „sozialistischen“ Unterhaltung in der DDR. Auch die Diskurse über die Überwindung der Trennung von Kunst und Kultur in der DDR sind dabei hoch interessant.

Im dritten Teil – dem eigentlichen „Hauptkapitel“ der Arbeit, das eher drei (gelungenen) Aufsätzen gleicht – zeigt Schültzke anhand dreier Fernsehanalysen sehr anschaulich, wie die heitere Dramatik im Sinne eines Propagandainstruments funktionierte bzw. nicht funktionierte. Anhand der gewählten Stücke, die explizit nicht exemplarisch für das Genre ausgesucht wurden, sollen je verschiedene Funktionen der heiteren Dramatik untersucht werden. Die Analyse der Groteske „Skandal um Dodo“ aus dem Jahr 1959 soll zeigen, wie „Propaganda als Unterhaltung“ funktionierte. Mit einem Vergleich zweier Fernsehfilme aus den 1970er-Jahren („Unser täglich Bier“ und „Schwester Agnes“) möchte Schültzke untersuchen, wann dagegen „Unterhaltung als Propaganda“ (S. 178), also eine vordergründig unpolitische Unterhaltung, funktionierte und wann nicht. Schließlich zeigt die Analyse der Gerichtsreihe „Von Fall zu Fall“ aus den Jahren 1988 und 1989 (eine Produktion des Fernsehtheaters Moritzburg), dass der versuchte heiter-dramatische Neuanfang scheiterte, ja aufgrund der Sendungskonzeption scheitern musste. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn dieses Kapitel mit einer Synthese dieser drei Analysen abgeschlossen worden wäre.

Auch das Fazit der Arbeit ist mit zwei Seiten recht bündig ausgefallen. Ein paar Überlegungen, welche Forschungsfragen sich aus den Erkenntnissen ergeben könnten, wären hier durchaus wünschenswert gewesen. So wäre es beispielsweise spannend, im Anschluss an Schültzkes Arbeit eine deutsch-deutsche Programmgeschichte der oftmals als „anspruchslos“ gescholtenen Unterhaltung im Fernsehen in den Blick zu nehmen. Unterhaltung in der DDR muss immer auch vor dem Hintergrund der permanenten Konkurrenz bundesdeutscher elektronischer Medien gesehen werden: Schon der Beginn der heiteren Dramatik im DDR-Fernsehen kann, wie die Arbeit zeigt, als Antwort auf die wachsenden westdeutschen Erfolge gelesen werden. Aber auch der Rückgang der Zuschauerzahlen in den 1980er-Jahren müsste vor diesem Hintergrund noch einmal neu beleuchtet werden. Denn auch die Fernsehvolkstheater in der Bundesrepublik verloren zu dieser Zeit Zuschauer. Schültzkes gelungene Arbeit bietet sich also als gute Ausgangsbasis für weitergehende (nicht nur deutsch-deutsch) vergleichende Fragestellungen an.

Anmerkungen:
1 Rüdiger Steinmetz / Reinhold Viehoff (Hrsg.), Deutsches Fernsehen Ost. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, Berlin 2008; vgl. die Rezension von Christina Bartz: Rezension zu: Steinmetz, Rüdiger; Viehoff, Reinhold (Hrsg.): Deutsches Fernsehen Ost. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens. Berlin 2008, in: H-Soz-u-Kult, 17.10.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-053>.

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