J. Martschukat u.a.: Geschichte der Männlichkeiten

Cover
Titel
Geschichte der Männlichkeiten.


Autor(en)
Martschukat, Jürgen; Stieglitz, Olaf
Reihe
Historische Einführungen Bd. 5
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
198 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Rieske, Berlin

Nachdem der Campus-Verlag die Reihe „Historische Einführungen“ von edition discord 2008 übernommen hat, ist zum zweiten Mal die Geschichte der Männlichkeiten von Jürgen Marschukat und Olaf Stieglitz in überarbeiteter Fassung erschienen. Das Buch ist als Einstiegshilfe in ein wachsendes Forschungsfeld konzipiert und hat drei Bestandteile: Neben einer Rekonstruktion der Entstehung historischer Männlichkeitsforschung präsentieren die Autoren eine konzeptionelle Programmatik und eine Zusammenfassung der deutschsprachigen und angloamerikanischen Forschung zu Männlichkeit(en) in der Neuzeit. Ergänzt wird der Band durch im Internet angebotene historische Quellen, welche die Grundtendenz des Buches, Lust auf Denken und Forschen zu machen, unterstützen.

Als erste von zwei Wurzeln historischer Männlichkeitsforschung wird die Frauen- und Geschlechtergeschichte vorgestellt. Als deren Verdienste würdigen Martschukat/Stieglitz die Historisierung weiblicher Lebensrealitäten und die Korrektur bestehender historischer Theorien sowie den Entwurf von Geschlecht als zentrale Analysedimension für historische Forschung. Den immer wieder als sprachdeterministisch und körperfern kritisierten diskurstheoretischen Zugang zu Geschlecht erläutern die Autoren nachvollziehbar und überzeugend hinsichtlich seiner Relevanz für die Historiographie. Die Beteiligung von Männern an Geschlechtergeschichte wie auch die Thematisierung von Männlichkeitsentwürfen war lange Zeit ein Desiderat der Frauenforschung. Anders war dies in den Men‘s Studies, die in den 1970ern entstanden sind und als der zweite prägende Einfluss für die Männlichkeitsgeschichte vorgestellt werden. Martschukat/Stieglitz diskutieren die verwendeten Konzepte und Probleme, zu denen insbesondere die Gefahr zu zählen ist, Dominanzverhältnisse lediglich zu reproduzieren und am Ende doch nur wieder über „tote weiße Männer“ zu forschen.

In beiden Abschnitten zum Entstehungskontext historischer Männlichkeitsforschung wird die geringe Institutionalisierung der Forschung zu Geschlechterverhältnissen und Männlichkeiten im deutschen Sprachraum im Vergleich zum angloamerikanischen Raum benannt. Demgegenüber weisen die Autoren an verschiedenen Stellen auf die allgemeintheoretische Bedeutung von Erzeugnissen der Frauen- und Geschlechterforschung hin. Hinsichtlich theoretischer Entwicklungen greifen die Autoren insbesondere die Bewegung hin zu einer Erforschung der kulturell-historischen Gewordenheit von Geschlechterverhältnissen und die Anerkennung der Vielfalt und Prozesshaftigkeit von Geschlechtsentwürfen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit von anderen sozialen Kategorien auf.
Die Programmatik von Stieglitz und Martschukat ist dementsprechend von der Idee der Heterogenität gekennzeichnet (S. 30) und begreift Geschichtsschreibung über Männlichkeiten als Teil einer mehrfach relationalen Geschlechtergeschichte über historisch-kulturell variable Geschlechtsentwürfe, “die in ihren Ausprägungen (mit-)bestimmen, wer wie handelt und welchen Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen hat” (S. 10). Im vierten Kapitel stellen die Autoren theoretische Leitlinien dafür vor: (1) die ungleichheitskritische, antiessenzialistische Untersuchung von Identität(en) und Differenz(en), (2) ein relationales Verständnis von Geschlecht, sowie (3) eine reflexive Verschränkung von Diskurs und Erfahrung. In diesem Zusammenhang lehnen die Autoren die Verwendung des Begriffs ‚Krise‘ zur Beschreibung der Situation von Männern ab, weil damit die Möglichkeit einer kohärenten und krisenfreien Männlichkeit postuliert werde, die als Mittel zur Stärkung männlicher Hegemonie fungiere. Stattdessen schlagen die Autoren eine produktive Wendung des Krisenbegriffs als heuristisches Instrument vor, um zu untersuchen, “inwieweit bestimmte historische Verschiebungen Effekte mit sich brachten, die mit Blick auf Männlichkeitsentwürfe als krisenhaft artikuliert bzw. empfunden wurden” (S. 69).

Die Darstellung des Forschungsstandes ist in drei Teile gegliedert: das Spannungsfeld Familie und Arbeit, Sozialität und Staatsbürgerschaft sowie männliche Sexualitäten. Die aufgeführten Untersuchungen zum ersten Themenbereich zeigen die “Suche nach der Balance zwischen dem liebevollen Vater und dem verdienenden Versorger” (S. 102) als zentrales Motiv neuzeitlicher Männlichkeitsentwürfe auf. Der immer wiederkehrenden Klage über Vaterlosigkeit stellen die Autoren die Erkenntnis entgegen, dass die idealisierte Kernfamilie nie realisiert worden sei. Ebenso haben Forschungen die Bilder des vormodernen patriarchalen bzw. modernen räumlich und emotional abwesenden Vaters relativiert, indem sie der Differenz zwischen nahe gelegten und gelebten Geschlechts- und Familienentwürfen nachgegangen sind. Die Kosten und Probleme der Regulierung von Lebensweisen durch Männlichkeit sowie deren Überkreuzung mit anderen sozialen Kategorien verdeutlichen Martschukat und Stieglitz anhand der Vergeschlechtlichung und Rassifizierung von Vaterschaftskonzepten, Familienformen, Arbeitsfeldern und -positionen, wobei sie vor allem die Bedeutung dessen für schwarze Männer beispielhaft benennen.

Für die Thematisierung männlicher Vergemeinschaftung bevorzugen die Autoren den Begriff der 'Homosozialität' gegenüber dem des 'Männerbundes', der aufgrund seiner deskriptiven Elemente und zeitlichen Gebundenheit schwerlich als analytischer Begriff tauge. Homosoziale Gesellungsformen wie Burschenschaften, kriminelle Gruppen oder das erst ab Ende des 18. Jahrhunderts homosozial gewordene Militär werden in der Forschung vor allem als „Orte männlicher Selbstvergewisserung sowie als räumliche wie symbolische Strukturen zur (Re-)Produktion gesellschaftlicher Hegemonialität” (S. 115) untersucht. Offen bleibt allerdings, inwiefern und welche Formen männlicher Homosozialität auch gegen-hegemoniale Effekte haben können.

Im Abschnitt zu männlichen Sexualitäten präsentieren die Autoren die Geschichtsschreibung über Homosexualität und die Arbeiten Michel Foucaults als grundlegend für die (historische) Männlichkeitsforschung. Sie trugen zur Annahme bei, dass Sexualität zentral für das Verständnis des Sozialen sei und ermöglichten ein Verständnis von Sexualität als “Summe kultureller Konventionen, Handlungsformen und Bedeutungszuweisungen” (S. 141), die über Normalisierungen und Pathologisierungen Lebensweisen regulieren und (un-)verstehbar machen. Leider wird nur angedeutet, dass Foucaults Thesen kontrovers diskutiert worden sind, ohne näher auf die Argumente der Kontroversen einzugehen. Anhand der Forschungen in diesem Feld beispielsweise zur Kriminalisierung interethnischer Beziehungen und der Thematisierung von Onanie verdeutlichen Martschukat und Stieglitz, “wie sehr Sexualitätsgeschichte die Geschichte der politischen und soziokulturellen Ordnung ist” (S. 149).

Das einzige Bild des Bandes – ein Foto von Christine Jorgensen, deren operative und hormonelle Geschlechtsangleichung im Jahr 1952 zur ersten breiten Thematisierung von Transsexualität in den US-Medien wurde – symbolisiert das Bestreben der Autoren, eine machtkritische Untersuchung von Geschlechterverhältnissen zu unternehmen und weiße, heterosexuelle Männer der Mittelklassen weniger in den Mittelpunkt zu rücken. Es wäre jedoch zu klären, welche Rolle transsexuelle Weiblichkeit dabei spielen kann, wenn die Leitfrage lautet, “was es denn jeweils historisch spezifisch bedeutete, ‘männlich’ zu sein” (S. 163). Wenn das Interesse an Transsexualität wie bei Martschukat und Stieglitz auf die „Irritationen“ (S. 157) beschränkt bleibt, die durch die Entkoppelung von anatomischem und gelebtem Geschlecht ausgelöst werden, besteht die Gefahr einer Negierung transsexueller Lebenswirklichkeiten. Diese sind eben auch (insbesondere in den USA der 1950er-Jahre) von patriarchaler Gewalt, zweigeschlechtlichen Selbstverständlichkeiten und der Missachtung von Selbstdefinitionen geprägt.1 Eine produktive Weiterentwicklung bestünde vielleicht darin zu fragen, was (weiße, homosexuelle, komplizenhafte, institutionalisierte etc.) Männlichkeit jeweils historisch spezifisch gemacht (und nicht: bedeutet) hat, das heißt auf welche Weisen damit wessen Leben produziert, reguliert, hierarchisiert und vernichtet wurde – und wann und auf welche Weise dies auch scheiterte.

Die „Geschichte der Männlichkeiten“ bietet eine zugängliche und sehr gut informierte Orientierung, benennt auch Lücken und Probleme der besprochenen Themen und regt zur Weiterarbeit in diesem gesellschaftlich und wissenschaftlich relevanten Feld an. Die anspruchsvolle Programmatik der Autoren ist darüber hinaus auch etablierten Forscher_innen zu empfehlen, da sie eine spannende Synthese aktueller Impulse kritischer Wissenschaft darstellt. Die angeführte Kritik ist daher kein Hinweis für einen Mangel, sondern für das Verdienst der Autoren, ein ohnehin heikles Feld mit riskanten Ideen bereichert zu haben, deren Realisierung weiterer Arbeit und Auseinandersetzung bedarf.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu Leslie Feinberg, Träume in den erwachenden Morgen, Berlin 1996. Vor diesem Hintergrund ist die Platzierung des Fotos in einem Kapitel über männliche Sexualität aus mehreren Gründen unpassend: Sie enthält eine Assoziation weiblicher Transsexualität mit Mann-Sein, reproduziert die In-Eins-Setzung der Kämpfe um (Homo-)Sexualität mit denen um geschlechtliche Identitäten und nährt den Faszinationsdiskurs über so genannte Geschlechtswechsel.

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