: Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich. Göttingen 2009 : Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-89533-644-7 288 S. € 19,90

: Die "Löwen" unterm Hakenkreuz. Der TSV München von 1860 im Nationalsozialismus. Göttingen 2009 : Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-89533-645-4 208 S. € 19,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markwart Herzog, Schwabenakademie Irsee

Nach der Machtergreifung der NSDAP erklärten überwältigend viele Verbände und Vereine des bürgerlichen Sports im Frühjahr 1933 dem neuen Regime ihre Loyalität. Mit derartigen Proklamationen gaben die Funktionäre ihre vorherige parteipolitische, konfessionelle und weltanschauliche Neutralität auf. Wie ist dieser Umschwung zu erklären? Zunächst versuchten mehrere Autoren (insbesondere Politologen, Soziologen und Pädagogen aus dem Umfeld von Lorenz Peiffer, Professor für Sportpädagogik der Universität Hannover), die These zu bekräftigen, der bürgerliche Sport, insbesondere der Deutsche Fußball-Bund (DFB), habe es mit seinen Neutralitätsbekundungen nicht wirklich ernst genommen, habe hinter dieser Fassade vielmehr seine nationalistisch-militaristische Gesinnung zu verbergen gesucht. Der DFB-Fußball habe sich mit dem NS-Regime arrangiert, weil sein Führungspersonal in einem für das deutsche Bürgertum angeblich repräsentativen Chauvinismus verwurzelt und somit für den Nationalsozialismus ideologisch prädisponiert gewesen sei. Die bürgerlichen Funktionäre hätten „nur auf ein Signal gewartet“, um die „nationalsozialistischen politisch-ideologischen Grundsätze“ im Sport zu verwirklichen.1

Diesem Bild des bürgerlichen Verbandsfußballs als einer gleichsam präfaschistischen Gesinnungsgemeinschaft widersprach der Mainzer Geschichtswissenschaftler Nils Havemann.2 Er gelangte durch intensives Aktenstudium in einer Vielzahl von Archiven zu folgendem Ergebnis: Der DFB habe in der „revolutionären Phase“ der nationalsozialistischen Machtergreifung versucht, seine Existenz zu erhalten, Vermögenswerte zu sichern, organisatorische Spielräume zu erweitern, neue Finanzierungsquellen zu erschließen, von der Liquidierung konkurrierender Sportverbände zu profitieren, um sein lang gehegtes Ziel einer Monopolstellung auf dem Markt der Anbieter von Fußballveranstaltungen zu erreichen. Damit habe der DFB nach derselben Logik wie unzählige andere Wirtschaftsunternehmen agiert. Diese nüchterne Diagnose löste intensive Debatten aus.3 Insbesondere Teile der Sportwissenschaft reagierten „cum ira et studio“.4

Während der für die Sportwissenschaft neue Erklärungsansatz in der allgemeinen Geschichtswissenschaft kaum Erstaunen auslöste, weil er sich nahtlos in die Vielzahl der Untersuchungen über andere Verbände und Organisationen im „Dritten Reich“ einfügte, erschütterte er die Hermeneutik der publizistisch sehr aktiven Peiffer-Gruppe. Die erregten Diskussionen waren zugleich Ausdruck eines Generationenkonflikts: Denn etliche der Kontrahenten Havemanns gehören einer älteren, ideologisch stark vorgeprägten Generation von Sportwissenschaftlern an, die sich im Studium noch an den Verschleierungs- und Beschönigungsstrategien ihrer bereits in der NS-Zeit aktiven Lehrer abarbeiten mussten.5 Von daher erklärt sich der teilweise bis heute gepflegte Gestus der Entlarvung und moralischen Empörung, der sich in einem politischen Manifest gut macht, nicht jedoch in der historischen Forschung. Da die in den vergangenen Jahren publizierten Studien über DFB-Vereine teils von jüngeren Fachhistorikern verfasst wurden, leiden sie nicht an den Spätfolgen der ideologischen Grabenkämpfe von einst.

Die Berliner Sozialhistorikerin Christiane Eisenberg stellte trotz ihrer Vorbehalte gegenüber Havemanns theorienskeptischer Mischung aus klassischer Organisationsgeschichte und biographiehistorischem Ansatz bereits 2007 fest, dass gerade die Monographien über DFB-Vereine Havemanns Ergebnisse in zentralen Punkten bestätigen.6 Vor diesem wissenschaftshistorischen Hintergrund darf man jede neue Untersuchung über die Geschichte von Fußballclubs in der NS-Zeit mit Spannung erwarten – so auch die jüngst erschienenen Studien des Berliner Zeithistorikers Daniel Koerfer über „Hertha BSC Berlin“ und des Münchner Stadtarchivars Anton Löffelmeier über den „Turn- und Sportverein München von 1860“. Aus beeindruckend vielen Provenienzen ihre Quellen schöpfend, bieten beide Autoren ein sehr differenziertes Bild der Geschichte dieser beiden Traditionsvereine in der NS-Zeit.

„Hertha war kein Nazi-Klub“, resümierte ein Zeitzeuge, ein für Hertha BSC Berlin in den Kriegsjahren spielender Zwangsarbeiter, und ebenso bilanziert der Zeithistoriker. Zunächst weist Koerfer nach, dass bei den Hertha-Mitgliedern so gut wie keine „Hinweise auf ‚alte Kämpfer‘“ (S. 191) zu finden sind, sehr wohl aber Männerfreundschaften wie die zwischen dem Nationalspieler Hanne Sobek und „dem scharfzüngigen Dichter, Kabarettisten und Hertha-Mitglied Joachim Ringelnatz“ (S. 61), den die Nazis „unnachgiebig verfolgt und bedroht“ (S. 63) hatten. Und auch mit dem Antisemitismus – „immer eine Art Lackmustest für die individuelle Einstellung gegenüber Hitlers Herrschaft“ (S. 64) – hatte sich der Verein weder im alltäglichen Umgang mit seinen jüdischen Mitgliedern, noch in der Vereinszeitschrift identifiziert. Auch in den Sport-Romanen des Hertha-Idols Sobek „finden sich keine der typischen nationalsozialistischen Worthülsen“ (S. 73), statt dessen Plädoyers für sportliche Völkerverständigung.7 Ebenso war das Verhalten gegenüber mehreren Zwangsarbeitern, die in der ersten Mannschaft spielten, nicht von Herrenmenschentum, sondern von sportlicher Kameradschaft geprägt. Dass jedoch der jüdische Mannschaftsarzt „als Waffe im Rosenkrieg“ (S. 79) des „Vereinsführers“ verheizt wurde, anstatt vor dem Holocaust geschützt zu werden, wirft einen finsteren Schatten auf Hertha BSC.

Von echtem Widerstand gegen die NS-Herrschaft sind in der Hertha-Geschichte ohnehin keine Spuren zu finden. Vergleichsweise „offene Äußerungen des Unmuts“ waren nur dann zu vernehmen, wenn das „Interesse der Vereinsmitglieder am Fußball“ (S. 203) – beispielsweise durch Wehrmacht oder Hitlerjugend – beeinträchtigt wurde. Ansonsten arrangierten sich die Funktionäre mit den neuen Machthabern, um „die Weiterexistenz ‚ihres‘ Vereins zu sichern“ (S. 38). Das „Führerprinzip“ wurde 1933 ebenso reibungslos eingeführt wie die Ziele des neuen Staates offiziell anerkannt. Nicht die Politik machte Hertha zu schaffen, sondern die Finanzen. Der Verein stand in den 1930er-Jahren vor der Insolvenz, war dringend auf „Hilfe von oben“ angewiesen und erbrachte entsprechende „Gegenleistungen“: Hertha-Stars wurden „Werbepartner“ (S. 67) des NS-Regimes, ließen sich für Ernte- und Winterhilfswerkeinsätze einspannen. Der Verein wurde für die Saarpropaganda und außenpolitisch wichtige Spiele „als Botschafter des Dritten Reiches“ (S. 112) gewonnen und bediente schließlich den Staatskult, den NS-Totenkult und den „Hitler-Mythos“. Die Kontakte zu NSDAP und SS intensivierten sich. Die Behörden dankten es, indem sie 1937 die finanziellen Probleme lösen halfen: Hertha kam zu vereinseigenen Immobilien sowie in den Genuss steuerlicher Erleichterungen und unverhoffter Finanzspritzen.

Aber trotz „wechselseitigem Werben“ (S. 109) zwischen Verein und Staat wurden die Geschäfte weiterhin – zunächst im Verborgenen, ab 1943 öffentlich – von einem ehemaligen Sozialdemokraten und Gewerkschaftler geführt, der reibungslos mit dem „Vereinsführer“, einem bekennenden Nazi, kooperierte. Schließlich ging es um den Verein, da waren politische Loyalitäten willkommene Mittel zum Zweck. Umgekehrt förderte der Staat den Sport als Mittel der Unterhaltung und Ablenkung, die Kicker konnten bis fast ans Kriegsende ihrem „Fußball-Eskapismus“ (S. 276) frönen – wenn sie nicht zur Wehrmacht kommandiert wurden. Dass Hertha sich nach außen propagandistisch linientreu verhielt, im Inneren jedoch auf Distanz zur Parteiideologie ging, erklärt Koerfer sehr zutreffend mit den Kategorien einer „Hüllentheorie“, der zufolge „die braune Hülle den blauen Kern“ (S. 39) eingeschlossen und abgeschirmt habe.

Ein anderes Bild über das Verhältnis eines Fußballvereins zum NS-Staat zeichnet Anton Löffelmeier. Der TSV München von 1860 sei bereits vor 1933 verhältnismäßig stark von NSDAP-Mitgliedern durchsetzt gewesen und habe in der Weimarer Republik der SA und den Freikorps „Übungsplätze für das Training zur Verfügung“ (S. 44) gestellt. 1933 sollen über 150 Vereinsmitglieder der SA angehört haben. Ebenso wie Hertha BSC standen „die Sechziger“ vor unlösbar scheinenden wirtschaftlichen Problemen. Bedingt durch die seit den späten 1920er-Jahren eskalierende Finanzkrise und die Machtergreifung der NSDAP verdrängte eine Fraktion völkischer Emporkömmlinge und „alter Kämpfer“ die bisherigen Eliten aus der Vereinsführung. Das politische Wohlwollen der Kommune und die finanzielle Hilfe der Stadtsparkasse verhinderten Konkurs und Untergang des TSV, wobei die Stadtväter „unter Umgehung rechtsaufsichtlicher Vorschriften bis zum Äußersten gegangen“ (S. 124) sind.

Anders als bei Hertha schlug die nationalsozialistische Ideologie in den Vereinspublikationen „der Sechziger“ massiv durch. Antisemitische und rassistische Tiraden sind im Nachrichtenblatt des TSV und in Publikationen beispielsweise des Boxers Ludwig Haymann, hauptberuflicher Sportschriftleiter der Reichsausgabe des „Völkischen Beobachter“, häufig zu finden. Der Arierparagraph wurde zügig umgesetzt, die Usurpation der Vereinsjugend durch die Hitlerjugend – eigentlich eine „Maßnahme zur Entmachtung und Kontrolle der Vereine“ (S. 90) – begrüßte der TSV, anders als die Hertha, mit großem Beifall. Lediglich die Fußballabteilung wurde 1936 einer „späten Machtergreifung“ (S. 82) unterzogen. Das eng gesponnene „Netz der ‚Blutordensträger‘ im Verein“ (S. 81) und die frühe „Etablierung der alten Kämpfer im Vereinsführerstab“ (S. 78) erklären, warum sich der TSV nach 1945 so schwer tat, für den Neubeginn „im Kreis der etablierten Vereinsmitglieder geeignete und politisch unbelastete Führungskräfte“ (S. 179) zu finden.

Löffelmeier arbeitet unter den Münchner Turn- und Sportvereinen pointiert die „Sonderstellung“ des TSV heraus, der sich wie kein anderer „derart massiv in der Öffentlichkeit den neuen Machthabern angedient“ (S. 65) habe. Die These dieses Sonderwegs lässt sich auch dann aufrecht erhalten, wenn man den TSV mit jenen Fußballvereinen vergleicht, deren Geschichte in der NS-Zeit bereits intensiv historisch erforscht ist (Borussia Dortmund, Schalke 04, 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Frankfurt). Allerdings hatte auch der VfB Stuttgart schon vor 1933 Kontakte zur braunen Bewegung gepflegt, auf die bereits Havemann eingegangen ist. Die Sonderstellung „der Sechziger“ erklärt sich aus der ökonomischen Krise in Verbindung mit der starken weltanschaulichen Verwurzelung im „Geist der Deutschen Turnerschaft“ (S. 8), die den TSV von reinen (Fußball-)Sportvereinen unterscheidet. Doch obwohl es sich beim TSV um einen „streng nationalsozialistisch geführten Turn- und Sportverein“ (S. 86) handelte, versandete die durch „Dietwarte“ initiierte „[i]deologische Aufrüstung“ (85) weitgehend. Völkische Schulungsabende fanden nur dann Resonanz, „wenn man sie mit Kneipabenden zusammenlegte“ (S. 88). Hatte Koerfer „das ‚blaue‘ Innere der ‚braunen Hülle‘“ (S. 160) herausgearbeitet, so bietet auch Löffelmeier einen wenn auch kleineren weiß-blauen Kern, dessen Substanz allerdings schon vor 1933 tiefbraune Eintrübungen aufgewiesen hatte.

Koerfer und Löffelmeier haben Grundlagenwerke zur Geschichte des deutschen Fußballspiels vorgelegt. Allerdings haben sich beide Autoren auf keine vertiefenden kultur- oder sozialtheoretischen Fragestellungen eingelassen. Der Hauptunterschied zwischen beiden Werken besteht darin, dass Koerfer auf die politische Geschichte von Hertha BSC fokussiert ist und die Sportgeschichte weitgehend ausblendet. Dagegen geht Löffelmeier ausführlich auch auf den sportlichen Werdegang „der Sechziger“ ein, auf Meisterschaften, Titelgewinne, Freundschaftsspiele etc. Beide Autoren zeichnen ihr Thema in Grauwerten, die in der Studie über Schalke 04 in der NS-Zeit titelbildend wurden.8 Beide Werke haben ähnlich wie Havemanns Studie keine Scheu vor einem biographischen Zugriff auf die Geschichte des Sports und heben sich mit den dadurch gewonnenen Erkenntnissen wohltuend ab von jenem Schwarz-Weiß-Muster einer binären Opposition von Tätern und Opfern, in dem beispielsweise die Herausgeber des Sammelbands „Hakenkreuz und rundes Leder“ ihr Thema explizieren: Auf der Basis von gerade einmal sieben „Täter“-Biographien gelangten sie zu dem hilflos moralisierenden Ergebnis, „dass es unter deutschen Fußballfunktionären auch anständige Menschen gab, wenngleich diese eine nahezu verschwindende Minderheit darstellten.“9 Ein Vergleich der streng historiographisch erarbeiteten Studien Koerfers und Löffelmeiers mit Untersuchungen über die Geschichte des Fußballspiels der NS-Zeit aus der Sportwissenschaft, die auf die Effekte einer kurzschlüssigen politischen Pädagogik und unsachgemäß verkürzende Schlagzeilen aus sind, zeigt die nicht unerhebliche Kluft, die nach wie vor zwischen Teilen der Sportwissenschaft und der Allgemeingeschichte festzustellen ist.

Anmerkungen:
1 Lorenz Peiffer, Sport im Nationalsozialismus. Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung, Göttingen, 2. überarbeitete Auflage 2009, S. 31.
2 Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt/Main 2005.
3 Andreas Rosenfelder, Taktiktisch. Der deutsche Fußball wiederholt den Historikerstreit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Feuilleton), 20.2.2006, online: <http://www.schwabenakademie.de/dokumentation/presse_tagungen.php?rowid=1151> (26.10.2009).
4 Vgl. dazu Markwart Herzog, Fußballsport in der Zeit des Nationalsozialismus: Quellen – Methoden – Erkenntnisinteressen, in: Andrea Bruns; Wolfgang Buss (Hrsg.), Sportgeschichte erforschen und vermitteln, Hamburg 2009, S. 51-64, hier S. 54-58, online: <http://fussball-kultur.org/v01/de/mod/dokumente/archiv/DE_Fussball_in_der_NS_Zeit_Mai_2008_20090605125324.pdf> (26.10.2009).
5 Vgl. Hans Joachim Teichler, Vorwort zur überarbeiteten 2. Auflage, in: Hajo Bernett (Hrsg.), Nationalsozialistische Leibeserziehung. Eine Dokumentation ihrer Theorie und Organisation, 2. Auflage, überarbeitet und erweitert von Hans Joachim Teicher und Benno Bahro, Schorndorf 2008, S. 9-14, hier S. 9f.
6 Christiane Eisenberg, Aus der Geschichte lernen – aber was? Neuere Literatur zum Fußball in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Archiv für Sozialgeschichte 47 (2007), S. 569-578, hier S. 578.
7 Vgl. Andreas Bode, „Habt ihr ein Mädel im Arm, zerbricht der Wille“. Das Fußballspiel in Büchern für Kinder und Jugendliche 1933-1945, in: Markwart Herzog (Hrsg.), Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus: Alltag – Medien – Künste – Stars, Stuttgart 2008, S. 231-247, hier S. 237f.
8 Vgl. Stefan Goch / Norbert Silberbach, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 im Nationalsozialismus, Essen 2005.
9 Lorenz Peiffer / Dietrich Schulze-Marmeling, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S. 10-14, hier S. 13.

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