M. Fifka: Rockmusik in den 50er und 60er Jahren

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Titel
Rockmusik in den 50er und 60er Jahren. Von der jugendlichen Rebellion zum Protest einer Generation


Autor(en)
Fifka, Matthias S.
Erschienen
Baden-Baden 2007: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bodo Mrozek, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Popkultur wurde von der Geschichtsschreibung lange Zeit eher vernachlässigt. Bekannte Arbeiten zur jüngeren Popgeschichte stammen aus dem Umfeld der britischen Cultural Studies oder sind von Kritikern und Journalisten geschrieben und oftmals eher essayistisch angelegt.1 Seit einiger Zeit etabliert sich die Massenkultur auch als Gegenstand innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaften.2 Mit voranschreitender Historisierung rückt dabei die Rock- und Popmusik selbst zunehmend in den Fokus. Wie wenig der Komplex aber noch immer erforscht ist, zeigt sich auch daran, dass es nur wenige Überblickswerke gibt.3 Nun legt Matthias S. Fifka eine neue Gesamtdarstellung vor.

In seiner Geschichte der Rockmusik beschränkt sich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler auf die 1950er- und 1960er-Jahre – Dekaden, die im kollektiven Gedächtnis stark durch die Populärmusik geprägt sind. Gelten die 1950er-Jahre als die Geburtsstunde, so werden die 1960er-Jahre mit der Entstehung und Ausdifferenzierung einer so genannten Gegenkultur meist als Hochzeit des Rock betrachtet. Matthias S. Fifka weiß um die Problematik des von ihm gewählten Begriffs Rock, der sich insbesondere vom alternativen Konzept des Pop nur bedingt abgrenzen lasse. Es gebe einerseits Genreunterschiede, die sich im musikalisch formalen Aufbau und auf der „textlichen Ebene“ der Stücke manifestierten. Pop verleihe aber auch „einem übergeordneten Lebensgefühl“ Ausdruck, das „modern sein will, weshalb die Popmusik mit bestimmten modischen Trends einhergeht“ (S. 19). Da die Begrifflichkeiten wenig trennscharf sind und auch in den Quellen synonym verwendet werden, hält sich Fifka schon aus pragmatischen Gründen nicht allzu lange mit definitorischen Abgrenzungen auf.

Nach einer kurzen Einführung in die prägenden Vorläufer Blues, Country und Rhythm&Blues, steigt er mit dem Rock’n’Roll der 1950er-Jahre ein und zeichnet in biographischen Skizzen den Aufstieg von Musikern wie Little Richard, Fats Domino, Chuck Berry, Bill Haley oder Elvis Presley nach. Die Phase dieser „Classic Rocker“ endet mit dem Jahrzehnt und ist geprägt vom Übergang schwarzer Musik zu einem von weißen Jugendlichen konsumierbaren Massenprodukt. Diese Transformation vollzog sich unter starken Reibungen. Viele Künstler faszinierten und schockierten die Zeitgenossen dabei zugleich durch eine neue Körperlichkeit: Elvis etwa durch sein „sexuelles Charisma“, Little Richard durch einen wiederholten Wechsel von sakralen Allmachtsphantasien und einer gänzlich säkularen Travestie der Geschlechteridentitäten, die auch in sexuell codierten Liedtexten zum Ausdruck kam. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Diskursen über race oder gender wäre hier unter Umständen angebracht gewesen.

Mathias S. Fifka verfolgt jedoch einen biografischen Ansatz. Als narratives Gerüst dienen musikalische Karrieren von Rock-Bands, die wiederum in einzelne Musikerbiografien aufgefächert werden. Erweitert wird dieser Ansatz durch kleinere technik-, wirtschafts- oder zeitgeschichtliche Ausflüge. Die Geschichte des Rundfunks, die Erfindung der elektrischen Gitarre, die Rolle der Schallplattenindustrie und der Produzenten werden miteinbezogen und mit gesellschaftlichen Entwicklungen in Beziehung gesetzt. Dem Vietnamkrieg ist eigens ein militärgeschichtlicher Exkurs gewidmet, da die US-amerikanische Friedens- und Bürgerrechtsbewegung die Entstehung der Rockmusik prägten und umgekehrt von ihr beeinflusst wurden. Sein Material findet Fifka vor allem in der Literatur. Als primäre Quellen dienen ihm hauptsächlich Musikerbiographien, gedruckte Interviews und Songtexte. Letztere werden immer wieder als Quellen herangezogen, auch wenn Fifka eingangs mit Recht einräumt, „dass der Text häufig überhaupt keine Rolle spielt“ (S. 19).

Das konfliktuöse Potenzial der Musik im Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit bildet so etwas wie den Grundrhythmus des Buches. Die These, der Rock sei „authentisch“ und verleihe „einem rebellischen Lebensgefühl Ausdruck“, erklingt dabei gewissermaßen als Refrain (S. 39). So seien die Rolling Stones mit ihrer in Liedtexten formulierten sexuellen Aggressivität, die selbst Sex mit Minderjährigen zum Thema erhob, „zu Helden des Anti-Establishments geworden, weil ihre Musik und Lebensweise mit allen Werten und Normen des ‚Mainstreams‘ zu brechen schien“ (S. 133). Diese aggressive Grundstimmung, die für den Rock als konstitutiv erscheint, findet immer expressivere Ausdrucksformen, etwa in den von der britischen Band „The Who“ zelebrierten autodestruktiven Ritualen, die in der Zerstörung von Musikinstrumenten und Hotelzimmern ihr Finale finden. Diese Neigung zum Exzess und zum Drogenkonsum zieht sich als Konstante von den 1950er-Jahren an durch die Rockgeschichte und führt häufig zum frühen Drogentod von Musikern.

Wurden anfangs noch Sänger wie Buddy Holly oder auch die Beatles als brav und angepasst inszeniert, um sie für breite Schichten leichter konsumierbar zu machen, so entwickelt sich ein dezidiert unangepasster Lebenswandel geradezu zum Markenzeichen von Rockstars. Der als Bob Dylan bekannt gewordene Robert Allen Zimmerman etwa verleugnete seine Herkunft aus der jüdischen Mittelschicht und zeichnete stattdessen von sich selbst das unzutreffende Bild eines „rauen, nonkonformistischen ‚outlaw‘“, eine Verschleierungstaktik, die der offenbar ähnlich verschobenen Selbstwahrnehmung der Fans aus dem akademischen Milieu entgegenkommt (S. 176). Solche Authentizitätskonstruktionen verortet Fifka eher biographisch als auf theoretischer Ebene.

Dabei geht er immer wieder über den biografischen Ansatz hinaus indem er am Beispiel der Musik massenkulturelle Gruppenbildungsprozesse nachzeichnet. Er unterscheidet unter anderem die urbanen und liberalen, aber politisch eher inaktiven Beatniks von den teils altruistisch eingestellten Hippies und politisch motivierten Studenten, Black Panthers oder gewaltbereiten Weathermen – auch wenn sein Buch die Geschichte dieser Jugendkulturen nur am Rande behandeln kann. Im Unterschied zu bisherigen an den Wertmaßstäben der Achtundsechziger geprägten Ansätzen misst Matthias S. Fifka die Bedeutung der Rockmusik auch nicht am Grad ihrer Politisierung. Vielmehr versteht er die kulturelle Leistung eher als Ausdrucksform im Dienste einer breiteren gesellschaftlichen Liberalisierung. Dabei plädiert er ausdrücklich gegen den für die 1960er-Jahre eingeführten Begriff der Gegenkultur und favorisiert stattdessen den alternativen Begriff des „Anti-Establishments“ (S. 217). Diese Unterscheidung wird allerdings schon auf der Begriffsebene nicht besonders konsequent gehandhabt, denn der zuvor verworfene Begriff Gegenkultur wird im Verlaufe des Buches weiterhin durchgehend verwendet (unter anderem auf S. 250, 262, 322, 340). Auch finden viele Anti-Etablierte, etwa die Stones, schließlich selbst in den Mainstream. An ihrer Rolle innerhalb eines Anti-Establishments ließen sich da zumindest Zweifel anmelden.

Im Zentrum der Untersuchung steht die Musik selbst, die sich in den späten 1960er-Jahren mit Konzeptalben und experimentellen Werken zunehmend als eigenständige Kunstform etabliert und in eine Vielzahl von Stilrichtungen wie Hard-, Art- oder Psychedelic Rock auffächert. Das Buch konzentriert sich dabei ausdrücklich nur auf jene Musiker, deren Werke es in die Charts schafften, da sich die „Relevanz der Musik“ an der Zahl der verkauften Singles und Alben messen lasse. Diese Auswahl ist nachvollziehbar, zumal in einer Langzeitstudie, doch nicht ganz unproblematisch. So ist etwa die Bedeutung der Beach Boys und ihres innovativen Arrangeurs Brian Wilson unbestritten. Betrachtet man die Entwicklung der Rockmusik über Fifkas Untersuchungszeitraum hinaus, so war gerade der instrumentale Surf Sound weniger bekannter Bands stilprägend (etwa der Tornadoes, der Surfaris oder der Trashmen). Sie wurden von Jugendkulturen gerade deshalb rezipiert, weil sie weniger kommerziell waren als etwa der harmonische Pop-Gesang der nur wenig Rock-orientierten Beach Boys.

Aus historischer Perspektive hätte man sich den Einbezug breiterer Quellen, eine theoretische Unterfütterung oder wenigstens die Systematisierung des biographischen Ansatzes gewünscht. So wäre bei der Konzentration auf Biographien etwa ein prosopographisches Verfahren erhellend gewesen, das generationelle Veränderungen der Musikerbiographien im Laufe der Jahrzehnte aufgezeigt hätte - etwa hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft. Auch hätte ein dezidiert vergleichender oder transnationaler Ansatz die stark auf die USA und England beschränkte Perspektive erweitern und die Rockmusik stärker als Kulturtransfer gerade auch nach Zentral- oder Osteuropa darstellen können. Von solchen methodischen Einwänden abgesehen handelt es sich bei Matthias S. Fifkas Arbeit jedoch um ein klar strukturiertes und ausgesprochen kenntnisreiches Überblickswerk. Es schlägt nicht nur eine Bresche durch die von Mythen und Legenden verstellte Pop-Biographik, sondern liefert auch eine gut lesbare Einführung in den Mainstream des Rock der 1950er- und 1960er-Jahre – und betont einmal mehr die kaum zu unterschätzende, doch noch immer viel zu wenig gewürdigte Bedeutung populärer Kultur für die Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Nik Cohn, Awopbopaloobop Alopbamboom. The Golden Age of Rock, London 1969; Greil Marcus, Lipstick Traces. A Secret History of the Twentieth Century, Cambridge / Mass. 2003. In Deutschland sind vor allem die Arbeiten von Diedrich Diederichsen zu nennen.
2 Beispielsweise: Uta Poiger, Jazz, Rock and Rebels, Berkeley 2000; Kaspar Maase, BRAVO Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, Hamburg 1992; ders., Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970, Frankfurt am Main 1999; Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006.
3 Etwa: Simon Frith, The Sociology of Rock, London 1978; Loyd Grossman, A Social History of Rock Music, New York 1976; Peter Wicke, Rockmusik. Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums, Leipzig 1987; Paul Friedlander, Rock and Roll – A Social History, Boulder 1996.

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