U. Ludwig: Philippismus und orthodoxes Luthertum

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Titel
Philippismus und orthodoxes Luthertum an der Universität Wittenberg. Die Rolle Jakob Andreäs im lutherischen Konfessionalisierungsprozeß Kursachsens (1576-1580)


Autor(en)
Ludwig, Ulrike
Reihe
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 153
Erschienen
Münster 2009: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
XI, 582 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Gehrt, Forschungsbibliothek Gotha

In jüngster Zeit sind mehrere Studien zu zentralen Aspekten der Wittenberger Universitätsgeschichte nach dem Ableben Martin Luthers 1546 bis Ende des 16. Jahrhunderts erschienen.1 Ulrike Ludwig ergänzt diese Reihe mit ihrer Dissertation über die kursächsische Universitätsreform von 1580. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich auf Wittenberg, wobei Leipzig stets zum Vergleich herangezogen wird. Ebenfalls im Mittelpunkt steht der maßgebliche Gestalter des Projekts, Jakob Andreä. Nach der Krise, die mit dem Sturz des Philippismus 1574 in Kursachsen einherging, nahm Kurfürst August den Tübinger Theologen zwischen 1576 und 1580 in seinen Dienst, um sowohl die Kirchen, Schulen und Universitäten des Territoriums umfassend zu reformieren als auch die seit 1568 von Andreä intensiv vorangetriebenen Einigungsbemühungen der lutherischen Städte und Territorien im Reich zu fördern.

Die Dissertation versteht sich als Strukturstudie zur lutherischen Konfessionalisierung in Kursachsen. In der Einleitung legt Ludwig ihre Fragenstellung und Methode dar, berichtet über Quellenlage und Forschungsstand und erläutert die zentralen Begriffe „Philippismus“ und „mitteldeutsche Reformations- und Bildungslandschaft“. In den beiden ersten inhaltlichen Kapiteln umreißt sie die Universitätsgeschichte Wittenbergs von der Gründung 1502 bis zum Sturz des Philippismus 1574. In den beiden folgenden Hauptkapiteln werden die Entstehung und Durchsetzung der Universitätsreform unter Andreä sowie die einzelnen konstitutionellen Veränderungen behandelt. Nach einem kurzen, bis ins Jahr 1602 reichenden Ausblick auf die Wirkung des Reformwerks fasst sie die Ergebnisse der Studie in 17 Thesen zusammen. Zum Schluss ziert sie das umfangreiche Werk mit der Edition von 17 Schlüsseldokumenten.

Ludwigs Verdienst liegt vor allem darin, die bis 1830 geltende kursächsische Universitätsordnung von 1580 erstmals systematisch auf der Grundlage einer breiten handschriftlichen und gedruckten Quellenbasis zu untersuchen. Mehrere Phasen des Entstehungs- und Durchsetzungsprozesses zwischen 1576 und 1580 werden herausgearbeitet, das Wechselspiel zwischen Andreä, dem Landesherrn, den Geheimräten, den Professoren, den Stadträten und den Studenten wird analysiert und die Konfliktlinien werden herausgearbeitet. Hervorgehoben wird die besondere Rolle mehrerer von Andräe gehaltener Predigten, um Unterstützung für die Universitätsreform in Wittenberg und Leipzig zu gewinnen. Schließlich beleuchtet die Autorin ausführlich die einzelnen Veränderungen in der Verfassung der beiden Universitäten.

Das Quellenmaterial wird ausschließlich aus profanhistorischer Sicht ausgewertet. Ausgeblendet wird jeder theologische Aspekt, unter anderem die brisante Kontroverse um die Sakramentslehre, die 1574 zum Kurswechsel in der albertinischen Konfessionspolitik führte, und damit jene Teile der von Andreä erstellten kursächsischen Ordnung, die Kirchen und Schulen betreffen, sowie das lutherische Konkordienwerk, das Andreä gleichzeitig unter dem Dienst Kurfürst Augusts von Sachsen vorantrieb. Auch die zwei theologischen Phänomene „Philippismus“ und „orthodoxes Luthertum“ werden ungeachtet der Ankündigung im Titel nicht direkt behandelt. Sich diese Einschränkung auflegend, berücksichtigt Ludwig theologische Momente nicht, um zum Beispiel die Dynamik der Konflikte oder die Handlungsmotive der individuellen Akteure zu erklären. Zudem führt dieser Ansatz zwangsläufig zur pauschalen Einordnung der Theologen in die konstruierten Gruppen der „Philippisten“ und „strengen“ bzw. „orthodoxen Lutheraner“.

Die Dissertation gilt als Strukturstudie. Dementsprechend betrachtet Ludwig die Universität Wittenberg nicht als isoliertes Phänomen, sondern in ihrem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gefüge. Die übergreifenden makrohistorischen Strukturen, in die sie die Ergebnisse ihrer Forschung einordnet, legt Ludwig für sich von vornherein fest: die Konfessionalisierung und die frühmoderne Staatsbildung. Beide Paradigmen prägen die Sicht ihrer mikrohistorischen Studie. So wird das Thema vor allem aus der Perspektive der Obrigkeit untersucht. Die Konfessionalisierungsthese wird nicht kritisch überprüft, sondern findet hier lediglich ihre Bestätigung.

Auch wenn die Bedeutung der kursächsischen Kirchen- und Schulordnung keineswegs zu unterschätzen ist, bedarf Ludwigs These, dass diese für den Weg zur lutherischen Orthodoxie weichenstellend sei, noch einer genaueren Überprüfung. Bereits der Nachfolger Kurfürst Augusts, Christian I., ließ die Ordnung gemäß seinen calvinistisch orientierten Ansichten überarbeiten. Die Frage bleibt, ob nicht der ernestinische Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar, der zwischen 1591 und 1602 die Kuradministration innehatte und die Theologische Fakultät Wittenberg mit prominenten Vertretern der lutherischen Frühorthodoxie wie Ägidius Hunnius und Leonhard Hutter besetzte, nicht mindestens gleichbedeutend für die Wegbereitung war. Diese Frage wäre im Rahmen einer Studie über die Kirchenpolitik des Herzogs zu beantworten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Dissertation wertvolle neue Erkenntnisse über die Geschichte der Universität Wittenberg und die Wirkung Jakob Andreäs im Zeitraum zwischen 1576 und 1580 liefert. Während die konstitutionellen, politischen und sozialen Aspekte deutlich im Vordergrund stehen, werden die theologischen jedoch kaum berücksichtigt. Die Arbeit stellt somit einen Baustein dar, der nicht nur eine große Forschungslücke in der Universitätsgeschichte schließt, sondern auch eine Grundlage für weitere Studien mit neuen Ansätzen bilden wird.

Anmerkung:
1 Hans-Peter Hasse, Zensur theologischer Bücher in Kursachsen im konfessionellen Zeitalter. Studien zur kursächsischen Literatur- und Religionspolitik in den Jahren 1569-1575, Leipzig 2000; Andreas Gößner, Die Studenten an der Universität Wittenberg. Studien zur Kulturgeschichte des studentischen Alltags und zum Stipendienwesen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Leipzig 2003; Thomas Töpfer, Die Leucorea am Scheideweg. Der Übergang von Universität und Stadt Wittenberg an das albertinische Kursachsen 1547/48. Eine Studie zur Entstehung der mitteldeutschen Bildungslandschaft, Leipzig 2004; Kenneth G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004.

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