Cover
Titel
Socialist Modern. East German Everyday Culture and Politics


Herausgeber
Betts, Paul; Pence, Katherine
Reihe
Social history, popular culture, and politics in Germany
Erschienen
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
$ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Stahl, Universität Erfurt

Gutaussehende Models vor dem Fernsehturm am Alexanderplatz. Knielange Damenbekleidung in einem fotografischen Seitenanschnitt. Das Coverfoto von Socialist Modern. East German Everyday Culture und Politics kommuniziert den Subtext dieses Sammelbandes. Das Bild umreißt gleichsam, wie Katherine Pence und Paul Betts DDR-Alltags- und Konsumgeschichte zu betrachten gedenken: als „modern“ im Sinne von nicht soweit rückständig, wie es der bundesrepublikanisch geprägte Blick auf das gescheiterte sozialistische Experiment ansonsten zu lesen meint.

Es geht Pence/Betts in diesem Band darum auszuloten, was an der Modernität in der DDR tatsächlich „sozialistisch“ war und welche Konturen diese annahm (S. 6). Und Pence/Betts wollen den Brückenschlag leisten, die DDR-Modernität mit den Sichtweisen von Modernität zu beschreiben, die dem Forschungsfeld der Postcolonial Studies entliehen sind (S.12). Das ist eine anspruchsvolle Unternehmung.

Insbesondere in der angloamerikanischen Forschung zur deutschen Geschichte wird die Weimarer Republik gemeinhin als Laboratorium der Moderne betrachtet. Die Wiederaufnahme dieser Modernisierungsschübe sowie deren Umformungen während des sozialistischen Experiments DDR verklammern die Aufsätze in diesem Sammelband.

Young-Sun Hong nimmt die Anstrengungen der DDR hinsichtlich internationaler Solidarität mit den „neuen Nationalstaaten“ Afrikas unter die Lupe. Sie verdeutlicht, wie diese Bemühungen auf der Ebene ihrer Umsetzung am Alltagsrassismus und dem Selbstbild deutscher Sekundärtugenden in Krankenhäusern und Universitätsseminaren letztlich sang- und klanglos scheiterten (S. 183-210).

Katherine Pence beleuchtet, wie die SED in den 1950er Jahren versuchte, die Grundlagen für eine „sozialistische Leistungsgesellschaft“ zu legen, und beschreibt die gesellschaftlichen Widerstände dagegen. Den Arbeiteraufstand von 1953 unter diesem Blickwinkel zu betrachten, ist durchaus reizvoll. Reizvoll deshalb, weil die Komponente „Nation“ dabei eine neben geordnete Rolle spielt. Die Widerständigkeit in der Arbeiterschaft gegen die Normenerhöhung wird in dieser Betrachtung zu einer gegen die staatlichen Modernisierungsbestrebungen gerichteten Handlung.

Daran thematisiert Pence das Verhältnis von Arbeiterkultur zur als „neu“ bezeichneten sozialistischen Konsumkultur. Ina Merkel verstärkt diesen Strang, in dem sie in die sozialistischen Werbe- und Warenwelt einführt und die Gegensätze zwischen Utopie und Marketing anspricht (S. 323-344). Der Beitrag von Thomas Lindenberger zum Problem von Asozialität in einer Erziehungsdiktatur (S. 211-233) erklärt einem englischsprachiges Publikum, wie das Konzept Eigen-Sinn als ein erklärendes Werkzeug für gesellschaftliche Beziehungen in der sozialistischen Gesellschaft einzusetzen ist. Dorothee Wierlings Beitrag zur Jugendkultur in der DDR und zur Rahmung von Subkultur als „inner Feind“ des Sozialismus ist eine Zusammenfassung ihrer bisherigen Forschungsleistung auf diesem Feld. Dieser Abschnitt des Bandes bezeichnet Aspekte sozialistischer Herrschaftsdurchsetzung, die sich im Übergang zu „modernen“ Herrschaftspraktiken befand.

Dieser Sammelband führt verschiedene Forschungsansätze zur DDR-Geschichte zusammen und besitzt einen anregenden Fokus im Bereich Konsumkultur und Alltagsgeschichte. Pence und Betts reklamieren einen Perspektivenwechsel, der DDR-Geschichte nicht nur in den engen Grenzen deutscher Nationalgeschichte zu fassen versucht. Das ist ein wichtiger Impuls. Gerne hätte ich zwar auch Beiträge gelesen, die zum Beispiel die Zentralisierung wirtschaftlicher Planung, die Verschiebung des Schul- und Bildungssystem oder die Durchsetzung von Überwachungstechnologien dargestellt hätten, aber das mindert den Mehrwert dieses Sammelbandes für die zeithistorische Debatte nicht.

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