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Titel
Die Reise zum Mond. Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens zwischen Realität und Fiktion


Autor(en)
Grinsted, Daniel
Erschienen
Anzahl Seiten
229 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Isekenmeier, Institut für Literaturwissenschaft, Universität Stuttgart

Die jüngste Konjunktur von Medienereignissen als Forschungsthema hat in den letzten Jahren eine Reihe von Dissertationen hervorgebracht, die sich ausführlich mit einzelnen Beispielen auseinandersetzen. Da der Begriff des Medienereignisses (etwa bei Dayan und Katz 1) genetisch mit dem Fernsehen verbunden ist (und sich der von Promotionsordnungen geforderte „Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ am ehesten anhand neuerer Forschungsgegenstände einstellt), kann es nicht verwundern, dass diese Arbeiten sich vornehmlich Fernsehereignissen der letzten Dekaden widmen.2 Vor diesem Hintergrund weckt das anzuzeigende Buch über die Mondlandung, die als „medienkulturelle[s] Phänomen[s]“ (Titel), als „historisches Medienspektakel“ (Rückseite) oder eben als „paradigmatisches Medienereignis“ (S. 19) bezeichnet wird, gewisse Erwartungen.

Dabei ist völlig klar, dass ein zunächst wohl als Magisterarbeit konzipierter Band weder eine reich bebilderte Visualitätskritik noch eine entwickelte Theorie medialer Ereignung bieten kann. So ist es auch nicht das Fehlen von Abbildungen oder eines Theorieteils, das den Leser irritiert, sondern der Versuch, neben einer Analyse des „makroskopisch-televisive[n] Ereignis[ses]“ (S. 125) der Mondlandung „auch eine Untersuchung faszinationsgeschichtlicher Vorgänger“ (S. 29) zu unternehmen. Was indes unter ‚Faszination’ zu verstehen sei, bleibt unbestimmt. Einmal wird sie rezipientenorientiert als Wirkung (S. 12), ein anderes Mal mit Blick auf die Fernsehübertragungen vom Mond als Kraft beschrieben, die diesen zukommt (S. 135). Faszination wird mit dem „Exotische[n], Entfernte[n] und Mysteriöse[n]“ (S. 72) der Mondlandung in Verbindung gebracht und zugleich auf ihre Medialität zurückgeführt (S. 196), sie wird der „Andersartigkeit“ (S. 157) ebenso wie der Irrealität (S. 204) dieses Medien-Ereignisses zugeschrieben.

Schon aufgrund dieser begrifflichen Unschärfe gleicht diese Faszinationsgeschichte bisweilen einem motiv- oder stoffgeschichtlichen Sammelsurium, das zwar grob entsprechend der Einteilung in drei Kapitel geordnet ist, die vom Fernrohr (Kap. 3), vom Panorama (Kap. 4) und vom Fernsehen (Kap. 5) handeln, aber weder genau weiß, wo es anfangen, noch, wo es enden soll. So wird etwa behauptet, „dass die Fantasie einer Reise zum Mond erst durch Galileis Zeichnungen initiiert wurde“ (S. 67), doch es soll auch „nicht verschwiegen werden, dass die älteste bekannte Überlieferung einer solchen Vorstellung bereits für die Antike belegt ist“ (S. 67). Sich derart selbst dementierend, bezieht Grinsted eine Reihe von Verweisen auf antikes (im weiteren Sinne) Gedankengut mit ein, das gelegentlich in die Argumentation eingestreut wird, mithin ohne jeden Zusammenhang.3 Ob er sich mit einem genuin neuzeitlichen oder einem transhistorischen Phänomen befasst, scheint der Text an manchen Stellen selbst nicht genau zu wissen: „Genauso wenig wie die erwähnte frühneuzeitliche Imagination eines künstlichen Satelliten, ist die Vorstellung von einer Reise zum Mond keine [sic!] Idee des zwanzigsten Jahrhunderts“ (S. 42).

Was das Ende der Geschichte des Traums von der Reise zum Mond anbelangt, so ist dieser mit der Mondlandung einerseits „verwirklicht und gleichzeitig beendet“ (S. 201), erreicht andererseits jedoch lediglich einen „medialen Höhepunkt“ (S. 31), wobei das Jahr 1969 zu einer medienkulturellen Wasserscheide stilisiert wird, mit Hinweisen auf das „im Jahr der Mondlandung installierte[n] ARPANET“ (S. 145) sowie darauf, dass man „das Jahr der Mondlandung [schreibt], als die Sony Corporation den ersten Videorekorder auf den Markt bringt“ (S. 149).4

Im Übrigen ist zwischen den (Ur-)Anfängen und dem Höhepunkt-Ende dieser Geschichte unklar, ob ihr Gegenstand das „Phantasma[s] von der Reise zum Mond“ (S. 61) ist oder nicht doch die Idee außerirdischen Lebens (auf dem Mond), die sich ebenfalls über die Frühe Neuzeit hinaus zurückverfolgen lässt („Die Vorstellung von Leben auf dem Mond entstand jedoch nicht erst durch das Medium des Teleskops“, S. 72). Die Vermengung beider Vorstellungen zeigt sich etwa, wenn drei Wissenschaftler angeführt werden, „die großen Anteil daran hatten, die Idee einer Reise zu den Himmelskörpern nicht länger als utopische Träumerei, sondern als theoretisch mögliche Vorstellung zu etablieren“ (S. 101), unter ihnen Charles Darwin (nebst Pierre-Simon Laplace und Paul Kirchhoff), dessen Abstammungslehre freilich wenig mit Mondreisen zu tun hat. Im Anschluss wird dann attestiert, diese drei hätten „der Vorstellung von extraterrestrischem Leben eine legitime Basis“ (S. 102) gegeben, was dann zwar auf Darwin zutreffen mag, nicht jedoch auf Kirchhoff, der für die Erfindung der Spektralanalyse gewürdigt wird.

Während es der apparativen und imaginativen Vorgeschichte der Mondlandung derart an einem klaren emplotment mangelt, entwickelt das Buch in der zweiten Hälfte (Kap. 5), die den Medien der Apollo 11-Mission gewidmet ist, seine Stärken. Diese ist deshalb nicht mehr nur eine Fundgrube von Referenzen auf Literatur und Populärkultur, auf (Medien-)Technik und (Mond-)Wissenschaft, sondern auch eine genaue Analyse des „Lunar Surface Journal“ und der medialen Bilder, die die Reise zum Mond hervorbrachte. Anhand der Verweise auf Jules Verne (S. 126), Fritz Lang (S. 129) oder Stanley Kubrick (S. 153) erschließt sich dabei sogar, wie lesenswert eine Materialsammlung sein könnte, die konsequent die ästhetische Vorwegnahme des Medienereignisses von 1969 in literarischer und kinematographischer Science Fiction verfolgt hätte, um zu zeigen, dass große Teile des Brimboriums der Mondlandung nichts anderes als topisch waren, Gemeinplätze der Imagination von Reisen ins All.

Eine solche Eingrenzung des Gegenstandes hätte der Studie vielleicht auch die Zeit gegeben, durchaus interessante Thesen ein wenig zu erläutern (etwa dass „der Mond durch Apollo 11 von einem natürlichen in einen künstlichen Satelliten verwandelt“ wurde, S. 92, oder dass das Fernsehen auf dem Flug zum Mond „in eine Art Freud’sches Über-Ich der Erde“, S. 137, verwandelt wurde). Zudem wäre es möglich gewesen, guten Interpretationsansätzen weiter nachzugehen (etwa hinsichtlich der doppelt indexikalischen Struktur der Fotografien von Fußabdrücken auf dem Mond, S. 173, oder der Einordnung der Flaggensetzung auf dem Mond in die entsprechende Bildreihe, der auch die Flaggenhissung auf Iwo Jima angehört, S. 190, von der sich wohl sagen ließe, sie habe in einer ‚Mondlandschaft’ stattgefunden). Ohne solche Ausführungen hinterlässt die Lektüre den Eindruck, dass man genau das bekommen hat, was das Buch versprach: eine Kulturgeschichte der Mondreise und eine Untersuchung des Fernsehereignisses der Mondlandung, wobei das eine notgedrungen auf Kosten des anderen geht.

Anmerkungen:
1 Daniel Dayan / Elihu Katz, Media Events. The Live Broadcasting of History, Cambridge 1992.
2 Exemplarisch seien genannt: Thomas Schuhbauer, Umbruch im Fernsehen, Fernsehen im Umbruch. Die Rolle des DDR-Fernsehens in der Revolution und im Prozess der deutschen Vereinigung 1989-1990 am Beispiel des Jugendmagazins ‚Elf99‘, Berlin 2001; Stephan A. Weichert, Die Krise als Medienereignis. Der 11. September im deutschen Fernsehen, Köln 2006; Guido Isekenmeier‚ ,The Medium is the Witness’ – Zur Ereignis-Darstellung in Medientexten. Entwurf einer Theorie des Medienereignisses und Analyse der Fernsehnachrichten vom Irak-Krieg, Trier 2009.
3 Zum Beispiel auf S. 202: „Der TV-Bildschirm […] hatte die Oberfläche des Trabanten auf [sic!] die Zuschauer übertragen und damit selbst in einen Monitor, den ‚vanishing point’, verwandelt. Bereits der ägyptische Gott Thot war nicht nur der Gott des Mondes, sondern auch der Gott der Schrift gewesen. Die Medialität ist dem Mond somit buchstäblich eingeschrieben, und macht die Reise zu ihm zu einer medialen Erfahrung, deren Anlass ein irrationaler ist.“
4 Tatsächlich stellte Sony 1969 lediglich den Prototypen eines Rekorders vor, der Videobänder im ersten Kassetten-Format U-matic abspielen konnte. Markteinführung war 1971, ein Jahr vor Philips’ Heimvideo-Format VCR.

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