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Titel
Wegbereiter Hitlers?. Theodor Reismann-Grone. Ein völkischer Nationalist (1863-1949)


Autor(en)
Frech, Stefan
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
463 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Bormann, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In den 1960er-Jahren arbeitete Peter Parasie, der ehemalige Weggefährte Theodor Reismann-Grones (1863-1949), im Auftrag von dessen Familie an einer Biographie des radikalnationalistischen Verlegers. Der hagiographische Charakter dieses Vorhabens war nicht zu übersehen, weshalb es ihm schwerfiel, die nötige finanzielle Unterstützung zusammenzubekommen. Zu diesem Zweck wandte er sich auch an den Historiker Egmont Zechlin, dem er von einem umfangreichen Nachlass berichtete, der ihm zur Verfügung stehe und den er gerne selbst auswerten würde. Zechlin schrieb an den Rand des Briefes: „Da müsste man ran! Aber der Mann will ja selber und dann noch Geld!“1

Parasie gelang es offenkundig nicht, die nötigen Geldgeber für sein Rehabilitationsprojekt zusammenzutragen und so blieb es Stefan Frech vorbehalten, erstmals den gesamten Nachlass Reismann-Grones für seine Dissertation auszuwerten. Tatsächlich erwies sich der Nachlass als ausgesprochen ergiebig, enthält er doch Originaltagebücher aus den Jahren 1917 bis 1949 sowie 1922 entstandene, nicht veröffentlichte Lebenserinnerungen, die wiederum auf Tagebüchern aus der Zeit vor 1917 beruhen. Basierend auf diesen umfangreichen und von der Forschung bislang kaum genutzten Quellen gelingt es Frech, das Leben Reismann-Grones lebendig und zugleich abwägend darzustellen.

Reismann-Grone ist heute weitgehend vergessen, obwohl er seit den 1890er-Jahren zu den prominentesten radikalen Nationalisten im Deutschen Reich gehörte. In den ersten Jahren der Wilhelminischen Ära war es dem jungen Journalisten gelungen, in eine Schlüsselposition des westdeutschen Industrielobbyismus zu gelangen, zunächst als Geschäftsführer des Bergbau-Vereins. Diese hervorgehobene Stellung und seine Kontakte zur Ruhrindustrie prädestinierten ihn auch 1894 zum Chefredakteur und Teilinhaber der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“, die ihren Sitz in Essen hatte und als Sprachrohr der Ruhrindustriellen galt. Später sollte er der alleinige Inhaber dieser und manch anderer Zeitung werden, darunter auch „Die Post“, die lange Zeit als Organ der Freikonservativen Partei wirkte.

Mit seinem Pressekonzern hatte Reismann-Grone ein Werkzeug in der Hand, mit dem er „seine politischen Ideen unabhängig und nachdrücklich in die öffentliche Diskussion einbringen“ (S. 92) konnte. Den institutionellen Rahmen bot der Alldeutsche Verband, dessen Neugründung 1894 er mit einigen Gleichgesinnten – darunter der spätere Medienmogul Alfred Hugenberg – entscheidend prägte. Frech gelingt es im Unterschied zur älteren Forschung nachzuweisen, dass es insbesondere Reismann-Grone war, der die Umwandlung des Verbandes aus einem Kolonialverein zu einer völkischen Organisation durchsetzte.2 Zugleich engagierte sich der Verleger bei der Neugründung von Ortsgruppen und dem Aufbau der Alldeutschen Blätter, dem verbandsinternen Publikationsorgan.

Reismann-Grone gehörte bis 1915 der Führung des Alldeutschen Verbandes an. Sein Einfluss auf dessen Entscheidungen ging jedoch in den letzten Vorkriegsjahren merklich zurück. Hintergrund war die Richtungsentscheidung des Verbandes über das Verhältnis zu Österreich-Ungarn, in der Reismann-Grone gegen den Verbandsvorsitzenden Heinrich Claß entschieden Stellung bezogen hatte.3 Während der Verleger den Vielvölkerstaat als nicht überlebensfähig ansah, den Habsburgern eine katholische Politik zu Schaden des Deutschen Reiches vorwarf und eine Aufteilung der Monarchie anstrebte, unterstützte sein Rivale das Bündnis mit Österreich-Ungarn. Claß, der den Verband zunehmend autokratisch führte, konnte sich deutlich gegen seinen Konkurrenten durchsetzen, so dass Reismann-Grone im März 1915 die Konsequenz aus seiner verbandsinternen Isolierung zog und die Alldeutschen verließ. Nach dem Weltkrieg blieb er überzeugt, dass er allein den richtigen Weg für das Reich gekannt habe und sah sich selbst als einen „Seher ohne Jünger“ (S. 13). Frech kommt bei der Bewertung dieses gut untersuchten Konfliktes zu keinen revisionistischen Ergebnissen, kann aber die Position Reismann-Grones stärker ausleuchten.

„Hitler sells“ ist fast schon zu einem unumstößlichen Grundsatz der Geschichtswissenschaft geworden und dürfte auch bei der hier vorgestellten Arbeit ein Argument für die Titelwahl gewesen sein. Die historische Bedeutung Reismann-Grones liegt ganz sicher mehr im Kaiserreich als im Nationalsozialismus. Allerdings reklamierte Reismann-Grone für sich selbst, „den Boden für die völkische Idee vorbereitet und gedüngt“ (S. 11) zu haben, so dass der Titel zumindest in dieser Selbstzuschreibung seine Berechtigung findet. Tatsächlich hatte der Verleger seit den 1890er-Jahren in seinen Zeitungen einen radikalen Nationalismus vertreten, auch wenn er sich mit originär völkischen Parolen – mehr aus taktischen und wirtschaftlichen Motiven, denn aus inhaltlichen Bedenken – zurückhielt. Eine ideologische Vorreiterrolle hat er aber sicherlich weder für die radikale Rechte im Kaiserreich noch für die Nationalsozialisten eingenommen.4 Auch die persönlichen Gespräche Reismann-Grones mit Hitler können seinen Anspruch, „Wegbereiter Hitlers“ gewesen zu sein, nicht begründen. Über seinen Schwiegersohn Otto Dietrich, als Leiter der Pressestelle Mitglied im persönlichen Stab Hitlers, gelang es Reismann-Grone, in Kontakt mit dem Parteiführer zu treten. Er glaubte als „Erzieher“ (S. 289) Hitler mit seiner politischen Erfahrung dienen zu können, musste sich jedoch bei seinen nicht sonderlich zahlreichen Besprechungen wie manch anderer lange Monologe des selbsternannten Führers anhören, der nur Hohn und Spott für die völkischen Nationalisten des Kaiserreichs und damit auch für Reismann-Grone übrig hatte. Auch auf die persönlichen Kontakte des Verlegers zur Ruhrindustrie war Hitler nicht angewiesen, da er beispielsweise über Emil Kirdorf bereits die notwendigen Verbindungen aufgenommen hatte.

Von einiger Bedeutung für den Aufstieg der NSDAP war allerdings die propagandistische Unterstützung der Nationalsozialisten durch den Medienkonzern Reismann-Grones, die schon vor deren Aufstieg zur Massenpartei einsetzte. Dabei musste der Verleger stets Rücksicht auf seine der Schwerindustrie entstammenden Leser und Anzeigenkunden nehmen, die eine allzu radikale Politik nicht goutierten. Daher war er trotz seiner unverkennbaren Neigung zu letzteren noch zu Beginn der 1930er Jahre gezwungen, in der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“ zwischen Deutschnationalen und Nationalsozialisten zu lavieren. Da aber die mediale Unterstützung der Nationalsozialisten durch parteiunabhängige Organe auch in den letzten Jahren der Weimarer Republik noch gering war, stellte die positive Berichterstattung über die NSDAP eine wichtige Förderung der Partei in den westlichen Industriegebieten dar.

Reismann-Grone wurde nach der Machtergreifung für seinen Einsatz für die NSDAP belohnt und zum Bürgermeister Essens ernannt. Als überzeugter Antisemit setzte er die nationalsozialistische Rassenpolitik konsequent um, und entließ bis Ende 1933 alle jüdischen Angestellten der Stadt. Reismann-Grone nutzte die Gelegenheit aber auch, um alte politische Gegner aus ihren einflussreichen Positionen zu vertreiben. Hervorzuheben ist das kulturpolitische Engagement des ehemaligen Verlegers – von Frech unzutreffend als „unpolitische Tätigkeit“ (S. 338) charakterisiert –, das verheerende Wirkung hatte. Reismann-Grone war schon lange vor seiner Ernennung zum Bürgermeister von der zentralen Bedeutung der Kulturpolitik für die Errichtung eines „neuen Reiches“ überzeugt. Nach einer erfolglosen Schriftstellerkarriere – er glaubte als einziger mit dem „Bruderkrieg“ (1913) „zum ersten Mal nach den Nibelungen ein ‚großes deutsches Epos‘ […] geschaffen zu haben“ (S. 248) – trat er 1932 dem nationalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ bei, um die „bolschewistischen Nester“, gemeint waren die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf und das Museum Folkwang in Essen, „auszuräuchern“ (S. 322). Frech kann in diesem Kontext aus dem Nachlass einige neue Facetten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik in Westfalen beitragen, so zum Beispiel, dass Reismann-Grone hinter einem bislang namentlich nicht zuzuordnenden Artikel gegen Paul Klee stand, in dem dieser als „typischer, galizischer Jude“ (S. 323) bezeichnet wurde. Klee wurde kurze Zeit später aus seinem Amt an der Kunstakademie Düsseldorf entlassen und emigrierte in die Schweiz. Auch den Direktor des Museums Folkwang entließ Reismann-Grone und setzte anstatt seiner Anfang 1934 Klaus Graf von Baudissin ein, der einige Jahre später maßgeblich an der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ beteiligt war und zahlreiche dem Museum Folkwang gehörende Gemälde beisteuerte.

Die Dissertation Stefan Frechs ist vor allem eine politische Biographie, die das wirtschaftliche Wirken ihres Protagonisten zwar nicht ausblendet, aber nachrangig behandelt. In diesem gut begründeten Rahmen ist es Frech gelungen, die persönliche wie politische Entwicklung Reismann-Grones überzeugend zu analysieren und angenehm lesbar darzustellen. Wenn er auch dazu neigt, die Bedeutung Reismann-Grones für die Nationalsozialisten ein wenig zu überschätzen – bezeichnenderweise brach sein Kontakt zu Hitler ab, als sich seine Tochter von Otto Dietrich scheiden ließ –, hebt Frech die Rolle des Verlegers innerhalb des Alldeutschen Verbandes zu Recht hervor. Manchmal wäre es wünschenswert, wenn sich Frech etwas weniger auf den umfangreichen Nachlass seines Protagonisten verlassen und alternative Quellen aufgespürt hätte. Dies kann aber das Gesamturteil, dass Frech eine Biographie vorgelegt hat, die mit Gewinn zu lesen ist und die hoffentlich weitere biographische Studien über führende Nationalisten des Kaiserreichs anregt, nicht revidieren.

Anmerkungen:
1 Randbemerkung Egmont Zechlins an einen Brief Peter Parasies an Zechlin, 22. Okt. 1964, BArch-K, NL Egmont Zechlin, N 1433/10.
2 Die Rolle Reismann-Grones wurde von den wichtigsten Studien zum Alldeutschen Verband bislang unterschätzt. Vgl. Alfred Kruck, Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890-1939, Wiesbaden 1954; Michael Peters, Der Alldeutsche Verband am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1908-1914), Frankfurt am Main 1992; Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003.
3 Vgl. Jürgen Angelow, Alldeutsche, Reichsregierung und Zweibund am Vorabend und zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Zur Ambivalenz von nationalistischer Agitation, autoritärem Machtstaat und Bündnispolitik, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 106 (1998), S. 377-409; Günter Schödl, Alldeutscher Verband und deutsche Minderheitenpolitik in Ungarn 1890-1914. Zur Geschichte des deutschen „extremen Nationalismus“, Frankfurt am Main 1978.
4 Für die Unterschiede zwischen den völkischen Nationalisten im Kaiserreich und den Nationalsozialisten vgl. Stefan Breuer, Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005, S. 145-194.

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