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Titel
Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident


Autor(en)
Zemon Davis, Natalie
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Seitz, Universität Heidelberg

Ziehen vormoderne Asienreisen seit etlichen Jahren das Interesse der Geschichtswissenschaft auf sich und kann die entsprechende Reiseliteratur mittlerweile als sehr dankbares und bereits recht gut beackertes Forschungsfeld angesehen werden, wurden Berichte von Afrikareisenden bislang deutlich weniger behandelt. Dies ist natürlich großteils der dürftigen Quellenlage geschuldet – während die Reihe der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Asienreisenden mit so illustren Personen wie Marco Polo, Oderico da Pordenone, Johannes de Marignolli oder Ludovico de Vartema aufwarten kann, finden sich nur schwerlich ähnlich beredte Reisende des afrikanischen Kontinents.

Einen besonders bemerkenswerten Fall dieser seltenen Afrikareisenden behandelt Natalie Zemon Davis in ihrer Monographie Leo Africanus – Ein Reisender zwischen Orient und Okzident.1 Darin zeichnet sie mit großem Fachwissen und Mut zur ungewöhnlichen Darstellungsweise das „Portrait eines Mannes mit einer doppelten Perspektive, der zwei kulturellen Welten angehört, sich bisweilen zwei Zuhörer vorstellt, Techniken aus dem arabischen und islamischen Repertoire anwendet und gleichzeitig auf eigene Weise europäische Elemente daruntermischt“ (S. 16). Der zwischen 1486 und 1488 im muslimischen Granada geborene al-Hasan ibn Muhammad ibn Ahmad al-Wazzan wuchs in Fes auf und genoss dort eine Ausbildung zum Rechtsgelehrten malikitischer Schule. Detailliert schildert Natalie Zemon Davis die Rahmenbedingungen seiner Kindheit und Jugend sowie seine diplomatischen Missionen, die ihn vor allem im Auftrag des Sultans von Fes durch die Sahara, entlang der nordafrikanischen Küste bis nach Kairo und nach Istanbul führten, vor dem Hintergrund der politischen wie auch der religiösen Strömungen seiner Zeit.

Al-Wazzans Leben änderte sich radikal, als er im Sommer 1518 von christlichen Piraten gefangen genommen und Papst Leo X. geschenkt wurde. Diesem kam er als Gesprächspartner und Informant über die arabische Welt hochwillkommen, träumte der Papst doch davon, alle Muslime zum Christentum zu bekehren und fühlte sich einem wachsenden Druck durch die siegreichen Osmanen ausgesetzt. Davis widmet sich ausführlich al-Wazzans Leben in Rom, zuerst als Gefangener, nach seiner Taufe am 6. Januar 1520 durch den Papst persönlich, als freier Mann, der nun in der westlichen Rezeption den Namen Leo Africanus trug. Sie zeigt den humanistischen Gelehrtenkreis auf, mit dem er nachweislich in Verbindung stand, etwa seine drei Taufpaten, die Kardinäle Bernardino López de Carvajal, Lorenzo Pucci und Egidio da Viterbo, und ergänzt ihn um Personen, mit denen er wahrscheinlich in Kontakt gekommen ist. Diese Vorgehensweise ist in der gesamten Monographie anzutreffen: Davis geht von den belegbaren Orten, Begegnungen und Texten aus, bleibt dabei jedoch nicht stehen, sondern ergänzt dieses grobe Gerüst mit Hilfe zusätzlicher Quellen, die Leo Africanus zwar nicht direkt betreffen, aber von Personen in vergleichbarer Lage stammen oder diese schildern. Dies mag zunächst befremdlich erscheinen, wird aber durch die explizite Benennung der Vorgehensweise sowie durch den steten Gebrauch des Konjunktivs deutlich gekennzeichnet. Mit großer Akribie spürt Davis mögliche Spuren Leos auf, sei es in Rom oder aber im Schriftgut ihm bekannter Personen. In Ausnahmefällen kann dies jedoch etwas zu spekulativ klingen.2

Eine zentrale Position in der Betrachtung von Leo Africanus nehmen seine heute noch großteils erhaltenen Schriften ein, insbesondere das 1526 vollendete Libro de la Cosmographia et Geographia de Affrica. Davis zeigt seine Arbeitsweise auf, belegt, wie er teilweise basierend auf Erinnerungen oder Aufzeichnungen schrieb, aber auch improvisierte, vage formulierte oder frei erfand, und arbeitet das Grenzgängertum seiner Werke zwischen arabischen und europäischen Traditionen heraus. Als Schlüsselgeschichte für das Selbstverständnis Leos und seines Werkes führt sie eine Anekdote aus der Cosmographia an. Diese handelt von einem Vogel, der sowohl an Land als auch im Wasser leben konnte. Den Steuerforderungen des Königs der Vögel entzog er sich durch seine Flucht unter Wasser, denen des Königs der Fische durch seine Rückkehr in die Lüfte. Somit vermied er sämtliche Zahlungen. Leo wendet sich daraufhin selbst an den Leser und erklärt, dass er sich wie dieser Vogel verhalten wolle (S. 116). Das Changieren des Autors zwischen verschiedenen kulturellen Positionen zeigt Davis anhand zahlreicher Beispiele auf. Dabei versteht sie es, Spannungen und Widersprüche im Werk und Leben Leos, den sie teilweise nahezu liebevoll als Amphibienvogel bezeichnet, aufzuzeigen und diese auszuhalten, ohne sich dabei mit leichtfertigen Antworten zufrieden zu geben. So beurteilt sie seinen Taufentschluss nicht einfach als pragmatische Entscheidung, die seiner Freilassung diente, sondern führt stattdessen die Möglichkeit der Taqiya, der Verheimlichung des Glaubens unter erzwungenen Umständen, an. Daneben gibt sie aber auch die Dauer seines langjährigen freiwilligen Aufenthalts in Italien zu bedenken, die mit einer erzwungenen Konversion nicht vereinbar ist, sowie seine Faszination für das Erzählmotiv des Wanderpoeten, der ständig seine Verkleidungen und Rollen wechselt und erst ganz am Ende seine wahre Identität preisgibt (S. 190f.). Auch das Schweigen Leos über Ereignisse oder Dinge, die er gekannt haben muss, nimmt Davis ernst und macht es zum Ausgangspunkt mancher Überlegungen.

Die Lebendigkeit und Farbigkeit, mit der Davis Leo Africanus in die Welt der italienischen Renaissance und des Maghreb eintauchen lässt, irritiert zunächst, und auf der Suche nach Belegstellen regt sich die leise Frage, ob sein Leben tatsächlich so schillernd verlaufen ist, wie es hier beschrieben wurde. Aber durch die vielen Möglichkeiten, die Davis kenntnisreich um das Leben Leos aufzeigt, wird das Buch zu mehr als einer reinen Abhandlung einer zweifellos bemerkenswerten Biographie. Es wird zu einer sehr anschaulichen und lebendigen Schilderung der nordafrikanischen und der italienischen Kultur zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Zudem gelingt ihr gerade durch die vielen „könnte“, „wollte“ und „dürfte“ das Kunststück, auch in Stil und Darstellungsweise ihrem Untersuchungsgegenstand gerecht zu werden.

Aufgrund dieser beeindruckenden Leistung scheint es allzu penibel, kleine Unachtsamkeiten aufzuzählen, die sich in dem Werk ohnehin nur selten finden. Daher sei nur darauf verwiesen, dass die muslimischen Araber und Berber erst im frühen 8. Jahrhundert das christliche Spanien zu erobern begannen (S. 20) und dass die zweite Überschrift der Endnoten fälschlicherweise mit der ersten gleichgesetzt wurde, was beim Nachschlagen der Anmerkungen unbedingt zu beachten ist.

Leo Africanus kehrte wohl nach dem Sacco di Roma zurück nach Nordafrika und ließ sich in Tunis nieder. Dort verlieren sich seine Spuren. Seiner Cosmographia hingegen war ein beachtliches Nachleben beschieden. Sie wurde 1550 von keinem Geringeren als Giovanni Battista Ramusio als erster Band seiner neuen Reihe Navigationi e viaggi in Venedig veröffentlicht und schnell zu einem Bestseller – Übersetzungen ins Französische, Lateinische, Englische und Deutsche folgten. Leos Darstellungen konnten die europäischen Vorstellungen von Afrika bis ins beginnende 20. Jahrhundert prägen, auch wenn die Herausgeber und Übersetzer dem Text jeweils ihre eigene Färbung gaben.

Natalie Zemon Davis ist keineswegs die erste Forscherin, die sich mit dem Werk Leos Africanus und seiner wechselvollen Lebensgeschichte befasst. Ihrer Monographie gingen vor wenigen Jahren die Untersuchungen von Oumelbanine Zhiri über die Bedeutung der gedruckten Ausgaben der Cosmographia sowie Dietrich Rauchenbergers umfangreiche Biographie des Reisenden voraus, die auch eine Edition und Übersetzung neugefundener Passagen der Cosmographia enthält.3 Dennoch ist Davis’ Werk nach diesen zuletzt erschienenen Arbeiten nicht überflüssig, da eine derart lebendige Kontextualisierung Leos in der Wissenschaft bislang fehlte.4 Dem Leben und Werk von Leo Africanus ist also das Beste passiert, was man einem Stoff wünschen kann: eine adäquate Bearbeitung zu finden.

Anmerkungen:
1 Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel „Trickster Travels. A Sixteenth-Century Muslim Between Worlds“.
2 So beispielsweise die als „sehr wahrscheinlich“ ausgewiesene Vermutung, Leo Africanus habe Elia Levita auf die arabischen Adjektive mamschuq, maschiq hingewiesen, die Levita bei der Herleitung eines hebräischen Wortes zur weiteren Erklärung anführte (S. 79).
3 Oumelbanine Zhiri, L’Afrique au miroir de l’Europe. Fortunes de Jean Léon l’Africain à la Renaissance, Genf 1991; Dietrich Rauchenberger, Johannes Leo der Afrikaner. Seine Beschreibung des Raumes zwischen Nil und Niger nach dem Urtext, Wiesbaden 1999.
4 Einen Roman über Leo Africanus verfasste Amin Maalouf, Léon l’Africain, Paris 1986.

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