Cover
Titel
Urkundenlehre. Basiswissen


Autor(en)
Vogtherr, Thomas
Reihe
Hahnsche Historische Hilfswissenschaften 3
Erschienen
Anzahl Seiten
125 S.
Preis
€ 14,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Gussone, Deutsches Historisches Institut Paris

Mit der vorliegenden Einführung in die Urkundenlehre hilft Thomas Vogtherr einem seit langem bestehenden Mangel ab. Zwar kann ein vom Umfang her zwangsläufig beschränkter Grundlagenband nicht – wie der Autor selbst sagt – eine längst überfällige moderne Gesamtdarstellung der Diplomatik ersetzen, doch soll das Buch mit dem bezüglich Herrscher- und Privaturkunden räumlichen Schwerpunkt auf dem (ost-)fränkischen und deutschen Reich, ergänzt durch die Papsturkunden, „als knappe Einführung in die Diplomatik dem Interessierten die Wege zum Gegenstandsbereich, zu den Fragestellungen, Methoden und Ergebnissen moderner Diplomatik weisen“ (S. 7).

Der Stoff gliedert sich in elf Teile, beginnend mit einem knappen Definitionskapitel, an das sich eine Einführung in die Geschichte der Diplomatik als Wissenschaft und die Vorstellung bedeutender Diplomatiker früherer Jahrhunderte anschließen. Der Entwicklung des Urkundenwesens von der Spätantike bis ins frühe Mittelalter (Kap. 3) folgt eine Darstellung des Entstehungswegs der Urkunden von der Bitte um Beurkundung eines Rechtsgeschäfts bis zur Aushändigung (Kap. 4). Kapitel 5 bis 8 behandeln die äußeren und inneren Merkmale von Urkunden, die Urkundensprachen sowie die Überlieferungsformen von Urkundentexten in Originalen und Abschriften. Zwei Kapitel widmen sich den Fälschungen (Typologie, Art, Umfang, Motiven und in Kap. 10 drei berühmten Fallbeispielen), das kurze, keine Vollständigkeit beanspruchende letzte Kapitel dem meist vernachlässigten neuzeitlichen Urkundenwesen. Der Band schließt mit einer nach Kapiteln geordneten Auswahlbibliografie und einem Register.

Vogtherr ergänzt seine Ausführungen sinnvoll durch die Zerlegung je einer Herrscher- und Papsturkunde in ihre textlichen Bestandteile (lateinisch und deutsch) sowie durch zehn Urkundenabbildungen, denen Kommentare mit Ausschnittsabbildungen beigefügt sind. Statt des Abdrucks einiger Urkunden über zwei Seiten, wodurch die Mittelteile unlesbar werden, würde man sich hier jedoch ausklappbare Tafeln wünschen. Zudem sind die Abbildungen ungünstig platziert: So folgen jeweils drei auf Kapitel 3 und 5, die Kommentare setzen aber die Kenntnis des erst im 6. Kapitel vorgestellten Urkundenformulars voraus. Die Abbildungen 7 bis 10 sind, ohne Bezug dazu, zwischen den beiden Fälschungskapiteln versteckt.

Bei der Lektüre fallen – was gerade in einer Einführung vermieden werden sollte – neben der nicht durchgehend stringent aufeinander aufbauenden Präsentation des Stoffs viele unnötige Fehler, Widersprüche und Ungenauigkeiten auf, die in einem gründlichen letzten Korrekturdurchgang hätten behoben werden können. Auch wurden die Möglichkeiten, welche die Kommentierung der Abbildungen bietet – insgesamt eine didaktisch gelungene Herangehensweise – nicht erschöpfend genutzt. Es beginnt mit verunglückten Sonderzeichen (Verweispfeilen), Druckfehlern (S. 26: „...misericordiam die rex...“; S. 53 unten: Friedrich II. statt Friedrich I.; Kapitel 7.4 statt 7.5 auf S. 80 etc.) und fehlenden Registereinträgen (zum Beispiel Writ, Chartularchronik, Blindprägung, Lacksiegel, Siegellack, oder fehlenden Seitenzahlen: beim Eintrag Plica beispielsweise diejenige, auf welcher der Begriff erklärt wird). Schwerwiegender sind die inhaltlichen Punkte, die hier nur teilweise aufgeführt werden können: In der Definition des Urkundenbegriffs (S. 9f.) fehlt (nach Ansicht der Rezensentin) der Zusatz, dass eine Urkunde „aus sich selbst heraus verständlich“ sein, das heißt ohne ergänzende Schriftstücke in ihrer Aussage eindeutig sein muss. Bei der Kurzvorstellung der Papsturkunden (S. 11) leuchtet nicht ein, warum diese zunächst nur in Privilegien und Litterae unterteilt, dann aber auch Bulle, Breve und Motuproprio als eigenständige Formen vorgestellt werden. Im Zusammenhang mit den Breven (oder bei den Siegeln als Beglaubigungsmittel, S. 50f.) fehlt die Erwähnung des Fischerringsiegels, das zugleich als Verschluss des Breve dient. Auf S. 13f. werden Mabillons ‚Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti‘ und die ‚Acta Sanctorum‘ des Jesuitenordens in „Annales Sanctorum“ umgetauft. Im Kommentar zu Abbildung 1 wird das weithin als „Bienenkorb“ bekannte Rekognitionszeichen ohne Hinweis auf diesen Begriff als „Torbogen“ vorgestellt. Die Ausschnittsabbildung zu Zeile 13 erweckt den Eindruck, bei der Wendung Christo propitio handele es sich um die Apprecatio, die – der Gesamtabbildung zu entnehmen – in Dei nomine feliciter amen lautet. Ähnlich wird im Kommentar zu Abbildung 7 auf die Datierung verwiesen, doch zeigt der Urkundenausschnitt nur die Angabe der Indiktion, auf deren Bedeutung Vogtherr an keiner Stelle eingeht.

In der Erläuterung zu Abbildung 2 fällt die falsche Datierung der Urkunde ins Auge (1. März statt richtig 3. Januar). Es bleibt unerklärt, warum die transkribierte verbale Invocatio in diesem Beispiel (anders als bei Abbildung 1) die Wortzusammenschreibungen der Quelle übernimmt. Die Transkription der Rekognitionszeile (S. 31) gibt den Namen des Erzkanzlers nicht richtig wieder (Bardonis statt richtig Barthonis). Im Kommentar zu Abbildung 3 wird die Initiale zum Satzanfang in Zeile 6 nicht, wie sonst überall, normalisiert, das heißt sie wird nach Zeichenwert (uolumus) und nicht nach Lautwert (volumus) transkribiert. Die Normalisierung von „u“ sollte einheitlich gehandhabt, auf die Möglichkeit der Normalisierung von „uu“ (Lautwert „w“) idealerweise hingewiesen werden (Erzkanzlernamen auf S. 27 und 67). Da der gute Erhaltungszustand des Thronsiegels in diesem Beispiel herausgestellt wird, vermisst man eine Abbildung, auf der mehr als gröbste Umrisse zu erkennen sind.

Auf S. 46 wird die Schrift der karolingischen Urkunden bis zu Ludwig dem Deutschen als Diplomatische Halbkursive bezeichnet, die sich deutlich von der Buchschrift unterscheide, der Kommentar zu Abbildung 1 (Diplom Karls des Großen) stellt jedoch die verwendete Schrift als Karolingische Minuskel vor (S. 26). Im Kommentar zu Abbildung 5 vermisst man den Hinweis, dass – wie erst auf S. 68 mitgeteilt – der Kontext der feierlichen päpstlichen Privilegien normalerweise mit dreifachem „Amen“ schließt, statt wie im Beispiel mit zweifachem. Bei der Beschreibung des Urkundenformulars der Herrscherdiplome fehlt der neben „Devotionsformel“ gleichberechtigt verwendete Begriff „Legitimationsformel“ (S. 64). Der Kommentar zu Abbildung 6 verzichtet auf Erläuterungen zum Siegel, zur Siegelschnur und damit auch zur Art der abgebildeten Littera.

In den Kapiteln 6.2 und 6.4, die eine Herrscher- und eine Papsturkunde analysieren, wird versäumt, auf die von den Datierungen der Urkunden (974 bzw. 1137) abweichende, erschlossene Jahresangabe (976 bzw. 1138) einzugehen, ganz abgesehen davon, dass die Herrscherurkunde auf den 8., nicht den 6. Juni datiert ist (VI. id. iunii). Es stellt sich schließlich die Frage, warum die Sprache und der Stil nicht zu den inneren Merkmalen von Urkunden gehören und ein eigenes Kapitel erhalten, und ob man den Platz für das zweite Fälschungskapitel nicht für die ausführlichere Darstellung anderer Inhalte hätte nutzen können. Hält man es für unentbehrlich, sollten neben Georg Schott auch andere moderne Fälscher großen Stils wenigstens genannt werden.

Erstaunlicherweise fehlt die Abbildung eines Notariatsinstruments, obwohl diese Art der Privaturkunde vergleichsweise ausführlich behandelt wird, und nicht einmal erwähnt wird das im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit ebenfalls recht verbreitete Chirograph. Beim Transsumpt, einer Form der beglaubigten Urkundenkopie (S. 83f.), wäre der Hinweis erforderlich, dass praktisch jedes Lehrbuch eine eigene Definition enthält – so auch das vorliegende. Vogtherrs Variante entspricht denn auch dem angegebenen Literaturhinweis1 nur teilweise. Bei den auf S. 111 genannten Siegelformen vermisst man das Oblatensiegel. Vielfach fehlen genaue Hinweise auf weiterführende Literatur über die mitgeteilten Sachverhalte. Beispielsweise wird auf S. 48 erwähnt, wie das Chrismon heute zu interpretieren sei, aber weder, auf wen diese Erkenntnis zurückgeht, noch, wo sie publiziert ist. Gerade von Anfängern kann man aber nicht erwarten, dass sie in der Bibliografie das einschlägige Werk auf Anhieb identifizieren können.

Abschließend bleibt zu betonen, dass das Verfassen einer Einführung in die Urkundenlehre mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten und dem Zwang zur thematischen Begrenzung ein höchst verdienstvolles Unternehmen ist, jedoch auch zu bemerken, dass es im vorliegenden Falle leider an manchen Stellen an der nötigen Sorgfalt gefehlt hat.

Anmerkung:
1 Joachim Spiegel, Art. „Transsumpt“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, 1997, Sp. 952f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension