AG Queer Studies (Hrsg.): Verqueerte Verhältnisse

Cover
Titel
Verqueerte Verhältnisse. Intersektionale, ökonomiekritische und strategische Interventionen


Herausgeber
AG Queer Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Finzsch, Historisches Seminar, Universität zu Köln

2001 erschien „Jenseits der Geschlechtergrenzen“1, ein zu Recht vielbeachteter Band, der den Raum der Queer Studies in Deutschland in vieler Hinsicht definierte, eröffnete und erweiterte. Acht Jahre später nun liegt ein zweiter Sammelband vor und man kann ohne Zweifel feststellen, dass er das erste Buch nicht nur ergänzt, sondern in vielen Bereichen in den Schatten stellt. Die immer wieder totgesagten Queer Studies sind nicht nur quicklebendig und ansehnlich, sondern politisch subversiv, ja System verändernd!

Man kann dem Herausgeber/innengremium nur Respekt zollen, denn in diesem Buch sind die Kohärenz und die Verflechtung der einzelnen Beiträge untereinander überaus beeindruckend; hier muss im Vorfeld mit den Autor/innen intensiv diskutiert worden sein. Dies zeigt auch die konzise Einleitung der Herausgeber/innen, die ausdrücklich auf die theoretischen Konzepte verweist, wie sie in „Jenseits der Geschlechtergrenzen“ festgelegt worden waren. Neu ist jedoch die explizite Rezeption des Intersektionalitätsansatzes, der ja aus dem Black Feminism stammt und nun beginnt, auch andere Bereiche der Sozial- und Kulturwissenschaften zu erobern. Intersektionalität löst die alte sozialhistorische Trias von „race, class, gender“ nun endlich ab. Man sieht sie gehen, wenn auch wehmütig, denn es war so herrlich einfach mit ihr. Nun ist eine Vielzahl von Kategorien gefragt, die in ihrer gegenseitigen Verwobenheit – und eben nicht nur als Schnittstellenanalyse – untersucht werden müssen. Die Herausgeber/innen des vorliegenden Bandes haben sich dazu entschlossen, Intersektionalität zu politisieren und zu ökonomisieren. Dies ist eine notwendige Erweiterung, weil die den Queer Studies mitunter nachgesagte Ausrichtung, eine unpolitische Spielwiese liberaler Körperidentitäten zu sein, auf diese Weise nachdrücklich zurückgewiesen werden kann.2

Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert, dessen erster Teil unter dem Stichwort Intersektionen genau die gegenseitige Verflechtung von Geschlecht und Sexualität mit Macht thematisiert, wobei der Fokus auf der Rassifizierung von Macht liegt. Der zweite Teil erörtert die Intersektionalität von Geschlecht und Sexualität mit der Form des Kapitalismus, die im Allgemeinen als Neoliberalismus kritisiert wird. Der dritte Teil thematisiert „Interventionen“, die bei aller hochanspruchsvollen theoretischen Fundierung praxeologische Aspekte und ethische Fragen nicht ausklammern und so etwas wie eine „Bastelanleitung“ für ein queeres Subjekt darstellen. Unverkennbar bei allen drei Teilen ist, dass die Rezeption des Werkes von Deleuze/Guattari (D/G) 3 nun endlich auch die deutsche kulturwissenschaftliche Academia erreicht hat und beginnt, ihre Wirkung zu entfalten. Ohne, dass sich dauernd auf den Kollektivautor D/G berufen wird, ist doch in Begrifflichkeit und in Inhalten, zum Beispiel durch Verwendung der Begriffe „nomadische Subjekte“ oder Referenz auf die Arbeiten von Manuela Bojadzijev wie im Beitrag von Do Gerbig, deutlich, dass D/G in die Theoriedebatte eingeflossen sind, auch wenn nicht allen Beiträger/innen das immer und in gleicher Weise präsent zu sein scheint.

Das Niveau der vorliegenden Sammlung ist durchgängig erstklassig. Es gibt nicht, wie noch 2001, Beiträge, die qualitativ aus dem Rahmen fallen. Das ist ja auch ein Beleg dafür, dass sich die Queer Studies in Deutschland konsolidiert haben. Etwas unsicher ließ mich die Intervention von Jo Bucher und Angelika Göres („Weder Geschlecht noch Vaterland – Was hat es mit queerender Politik zu tun, wenn zwei lesbische Damen während des Zweiten Weltkrieges ins Kostüm eines hetereosexuellen deutschen Soldaten schlüpfen?“) zurück, weil Informationen zu den beiden Protagonistinnen nur zögerlich gegeben werden und weil es mir an historischem Kontext fehlte, um sofort zu verstehen, was das Interessante und Neue an Buchers und Göres` Abhandlung ist. Bei längerer Lektüre erschloss sich mir dann die große (sexual-)politische Relevanz des gewählten Themas. Annett Loserts Beitrag zum Thema nichtheterosexueller Beschäftigter am Arbeitsplatz versteht sich als queertheoretischer Beitrag zum Thema Diversität und legt den Finger auf die Wunde des sexuellen Betriebsfriedens, den es mit Diversity Management zu fördern gilt. Ob der Homo- oder Transphobie in Unternehmen durch Maßnahmen des Diversity Managements einschließlich des propagierten „Diversity-Awareness-Trainings“ wirksam Einhalt geboten werden kann, wage ich zu bezweifeln, da hinter diesen Konzepten stehende Idee der reibungslosen Profitmaximierung trotz schicker Anglizismen nur schlecht verschleiert werden kann. Losert weiß das auch, angesichts theoretischer Ubiquität von Diversity Management entschließt sie sich dennoch zur Propagierung einer queeren Variante dieses Konzepts.

Joke Janssens wertvoller Beitrag zum Thema Intersex bemüht sich um eine herrschafts- und machtkritische Sprache. Die Angriffe auf Michel Foucaults Intersex-Konzept kamen mir etwas gewollt vor, zumal der deutschen Einleitung zu „Herculine Barbin“ mit dem Titel „Das wahre Geschlecht“ kein französischer Originaltext von Foucault zugrunde liegt, sondern sie als Rückübersetzung aus der amerikanischen Einleitung hervorgegangen ist. In der deutschen Forschung wird der Text aber immer wieder – zum Teil entstellend – zitiert.4 Dessen ungeachtet beschwört Janssen zu Recht die diskursive Leerstelle, die erst langsam dem Sprechen/Schreiben über Intersex Platz macht. Hier wird die Problematik einer Medikalisierung von Intersexualität deutlich gemacht; praktische Schlussfolgerungen vorzuschlagen, ist nicht die Sache dieses Beitrages. Es bleibt das Verdienst, die Leerstelle als einen Mangel deutlich benannt zu haben.

Do Gerbigs Plädoyer für Kanak Attak und die AG 1-0-1 intersex und ihr Eintreten für ein Queering anti-rassistischer Positionen ist sympathisch, aber leider etwas kurz. Renate Lorenz thematisiert „Scham“ und sexuelle Arbeit, ein Begriff, den sie wesentlich geprägt hat und zu dem sie 2007 mit Brigitta Kuster einen Band vorgelegt hat. Die Autorin verschränkt queer-theoretische Überlegungen zu Sexualität, Geschlecht und Lohnarbeit mit machtkritischen Debatten um Visualität. Es zeigt sich eine neue Subjektivierungsweise, die als »sexuelle Arbeit« bezeichnet wird. Der Arbeitsprozess ist demnach doppelt produktiv, da in diesem nicht nur ein Produkt hergestellt, sondern auch Sexualität und Geschlechtlichkeit hervorgebracht werden: Die Arbeitskraft, die eine Leistung verrichtet, ist also einerseits Ware, zugleich wird sie jedoch in einem Arbeitsverhältnis als vergeschlechtlichte Person mit spezifischen Fähigkeiten adressiert. Sonja Mönkedieck erläutert die Performativität der „Unternehmerinnen ihrer selbst“ anhand der Inszenierung von Monkeydick Productions und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Antke Engel untersucht Sexualität und Ökonomie im Neoliberalismus unter der Rubrik „Ökonoqueer“, während Alexandra Ganser sich sehr lustvoll der Schriftstellerin Erika Lopez und den Flaming Iguanas in der Tradition der pikaresken Literatur zuwendet. Hinreißend queer ist der Beitrag von Felix Krämer und Nina Mackert zu Plessy v. Ferguson von 1896 und der Politik des sexual/racial Passing. Plessy v. Ferguson ist in der Forschung immer wieder als Beleg für die juridische Absicherung einer längst praktizierten Form der rassistischen Diskriminierung herangezogen worden. Mackert/Krämer zeigen auf, dass im Passing Elemente queerer Selbstinszenierung aufgefunden werden können. Jin Haritaworn leistet einen reflektierten Beitrag zum Thema Homophobie auf dem Kiez und ethnischem Othering, der die Grenzen einer an vermeintlich „westlichen Werten“ orientierten Geschlechterpolitik demonstriert, wenn diese Voraussetzungen ihrer eigenen Konstruktion nicht reflektiert.

Alles in allem zeigt dieser Band noch einmal, wie wichtig und produktiv die Auseinandersetzung mit den Queer Studies für die Geistes- und Kulturwissenschaften in Deutschland sein kann, wenn ein kritischer Impuls die Produktion und Rezeption queerer Positionen infiziert. Dies ist dem vorliegenden Band in bemerkenswerter Weise gelungen.

Anmerkungen:
1 Ulf Heidel u.a. (Hrsg.), Jenseits der Geschlechtergrenzen. Sexualitäten, Identitäten und Körper in Perspektiven von Queer Studies, Hamburg 2001.
2 Annamarie Jagose / Corinna Genschel, Queer Theory: Eine Einführung, Berlin 2001, S. 129-130.
3 Gilles Deleuze / Felix Guattari, Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt 1974. Gilles Deleuze / Felix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1992.
4 Siehe Michel Foucault, Dits et Ecrits, Band IV, Paris 1980, S. 115-123.

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