P. Kovács: Marcus Aurelius' Rain Miracle

Cover
Titel
Marcus Aurelius' Rain Miracle and the Marcomannic Wars.


Autor(en)
Kovács, Péter
Reihe
Mnemosyne Supplements 308
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 301 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die sachlich wohl unveränderte Übersetzung der ungarischen Originalpublikation „Marcus Aurelius esőcsodája és a markomann háborúk“ (Pécs 2005). Kovács, Spezialist für pannonische Epigraphik und Provinzialgeschichte, umkreist in den dreizehn Einzelkapiteln seiner Studie, deren Aufbau teils schwer nachvollziehbar ist, teils der Intention seines Urhebers geradezu entgegenwirkt, die umstrittene Chronologie der beiden Donaukriege Roms zwischen etwa 167 und 182 n.Chr. Herzstück und gelungenster Teil des Bandes ist der lange Essay „Pannonia and the Marcomannic wars“ (S. 201–263), der die politisch-militärischen Ereignisse mit Reihenfolge und Daten versieht. Ein Eckpfeiler für jeden Zeitansatz ist die besonders kontrovers datierte Invasion in Nordostitalien, die Kovács in einem vorgeschalteten Kapitel („Marcomannic-Quadian assault on Italy“, S. 181–199) auf 170, eventuell 169, ansetzt. Die detailreiche, aber methodisch wie in ihren Voraussetzungen nicht unproblematische Darstellung – dazu weiter unten – wird die seit jeher lebhafte Forschungsdiskussion zweifellos vorantreiben. Für diese Zwecke wäre eine zusammenfassende Zeittafel instruktiv gewesen.

Weitaus weniger geschlossen behandelt die erste Hälfte des Buches die literaturträchtigste Episode der Kriege, das „Regenwunder“, das einer römischen Armee die Rettung vor dem Verdursten und zugleich den Sieg bescherte. Doch das erklärte Ziel einer Neudatierung wird buchstäblich erst mit den letzten Seiten des Textes erreicht (S. 265–275); auf dem Weg dorthin wählt Kovács ein Verfahren, das die Geduld des Lesers strapaziert. Zunächst präsentiert er eine Forschungsgeschichte von 1894 bis zur Gegenwart (S. 3–21), konzentriert auf Datum und Überlieferungswege des Vorfalls. Sie ist ohne gründliche Kenntnis der Quellenforschung nicht zu benutzen, die erst im Folgekapitel nachgereicht wird; Kovács spart hier auch nicht mit vorweggenommener Kritik. Wer diese nachvollziehen will, findet keinerlei Hinweise auf Stellen, an denen Kovács die eigene Position ausführlich darstellt; nur das Namen- und Quellenregister im Anhang – eine dankbar genutzte Hilfe, die sich nicht von selber versteht – schaffen einen gewissen Ausgleich. Querverweise auf Ausführungen des Autors an anderer Stelle durchziehen das ganze Buch, Seiten- oder wenigstens Kapitelzahlen werden aber auch später kein einziges Mal angegeben.

Die Quellenpräsentation (S. 23–93) vollzieht sich recht eigenwillig; Kovács' Hang, seine eigene Position bereits in die Darstellung des Sachstandes einfließen zu lassen, verstärkt sich dabei noch. 39 antike und frühmittelalterliche Texte zum Regen- respektive Blitzwunder passieren Revue. Keine der dabei vergebenen Nummern taucht im Inhaltsverzeichnis des Bandes auf oder wird für Verweise genutzt. Sämtliche Quellen erscheinen in voller Länge, selbst wenn es sich um wiederholte wörtliche Übernahmen aus Eusebius, Hieronymus oder der frühbyzantinischen Leoquelle handelt. Ein simples Stemma der Überlieferungsgeschichte in Kovács' Sicht hätte hier ein Dutzend Seiten sparen helfen können und Klarheit gestiftet. So benutzerfreundlich das Angebot englischer Übersetzungen zu jedem Text ist, die Qualität der teilweise mehr als betagten Auszüge schwankt enorm. Der konzentrierte, gut lesbare und interessante Abschnitt zur mittelalterlichen Tradition, der sich anschließt (S. 95–105), macht weite Teile der vorausgehenden Einzelbetrachtung überflüssig.

Ein Schwergewicht bei der Quellenbehandlung liegt auf der Auswertung des spätantik fingierten Marc-Aurel-Briefes, der als Stütze für die christliche Vereinnahmung des Wunders entstand. Kovács schiebt sie auf S. 113–123 nach, was für erneutes Blättern beim Leser und obendrein für den gleich zweimaligen Abdruck des fingierten Briefes sorgt (S. 51f. u. 116–118). Angesichts der Kritik an den Texteingriffen Scaligers ist es beinahe kapriziös, kommentarlos eine Internet-Übersetzung ausgerechnet der Scaliger-Version abzudrucken (S. 52f.; vgl. 114). Kovács schließt sich der Auffassung Mommsens und von Domaszewskis an, die Quelle für Teile des Briefes in Cassius Dio zu suchen, und sieht das Land der Kotiner als Schauplatz des Wunders sowie die Namen der beteiligten Legionen für authentisch an. Eine Konkurrenzversion, die Zuschreibung des Mirakels an den Theurgen Julian, führt er plausibel auf den Lexikographen der Suda zurück (S. 123–135). Dieser deutlich stärkeren und abgerundeten Partie des Buches folgt eine weitere, die Rekonstruktion des Ereignisses selbst und seiner frühen Verbreitungsgeschichte (S. 137–153); hierbei geht Kovács, entsprechend den Bildern der Marc-Aurel-Säule, von Blitz- und Regenwunder als zwei getrennten, aber schon frühzeitig – durch den Kaiser selbst? – in einem Atemzug genannten Vorfällen aus.

Die Chronologie der Kriege im eingangs erwähnten Essay wird (angesichts der Fragmentierung aller Reste von Cassius Dios Buch 71) hauptsächlich am Erzählablauf der Marcusvita in der Historia Augusta (HA) ausgerichtet, die ihrer biographischen Vorlage in den Kapiteln 12/17–21 nur „with minor deviations“ chronologisch verlässlich folge (S. 189f.; vgl. 62). Die Tatsache, dass mitten in diese Passage der berühmte Eutrop-Auszug 16,3–17,6 fällt, ein Schnelldurchgang durch Marc Aurels gesamte Herrschaft nach 169, scheint dabei nicht zu stören. Kovács nimmt offenbar an, dass der HA-Autor sich an einer einzelnen Hauptquelle entlangschrieb, unterbrochen nur von Exkursen – wieso oder aus welchem Material, wird nicht gesagt (S. 62). Wie genau die umstrittene Quellenfrage für die Kaiserbiographien zu Beginn der HA eingeschätzt wird, ist der auf S. 60f. schwer verständlichen Übersetzung nicht zu entnehmen. Anscheinend hat Kovács verkannt, dass die Forschung mittlerweile zwischen einer (Marius Maximus) oder seltener zwei Hauptquellen schwankt; jüngste Beobachtungen könnten die Zweiquellentheorie deutlich aufwerten. Beide Richtungen gehen jedenfalls fest von Einschüben aus weiteren Quellen aus, von Erfindungen des HA-Autors selbst zu schweigen. In jedem Fall ist mit gravierenden, kaum mehr kontrollierbaren Umstellungen zu rechnen, wie sie im Fall der vita Hadriani nachweislich die Chronologie verwirrt haben. Damit steht die von Kovács unterstellte feste Leitlinie für die Kriegsereignisse unter Marcus auf schwankendem Boden. Es ist ein dringendes Desiderat der Forschung, die Textstruktur der komplizierten vita Marci endlich aufzuarbeiten.1 Wortähnlichkeiten der HA mit Tertullian könnten auf einen gemeinsam konsultierten Originalbrief Marc Aurels zurückgehen (S. 62), aber auch Tertulliankenntnisse des HA-Autors wären eine Erklärung.2

Die früher auf das Regenwunder bezogenen Münzdarstellungen scheidet Kovács mit gutem Grund als nicht beweiskräftig aus (S. 107–111); abseits der schriftlichen Quellen bleibt damit die Marc-Aurel-Säule übrig, die aber erst auf S. 155–180 behandelt wird, einschließlich einer langen Liste der Einzelszenen. Die beigegebenen acht Abbildungen (S. 177–180) scheinen private Fotografien zu sein und repräsentieren den stark mitgenommenen heutigen Zustand. Kovács interpretiert die Wunderszenen sowie den zeitlichen Gesamtumfang der dargestellten Kriegsereignisse – seine eigentliche Lösung stellt er aber noch später vor (S. 265–275), obwohl er alles nötige Material bereits erarbeitet hat! In diesem Nachtrag wird dann endlich der spätere Teil des ersten Markomannenkrieges als Gegenstand der Säulenreliefs genannt und das Regenwunder gegenüber den erzählenden Quellen, die laut Kovács auf 173/74 führen, in den Sommer 171 vordatiert.

Generell vollzieht sich Kovács' Dialog mit der bisherigen Forschung reichlich lakonisch. In einem auf Kurztitel und Seitenzahlen reduzierten Apparat drängen sich gelegentlich zehn Titel in einer Fußnote; in der Quellenkunde zum Regenwunder ist die zahlreich aufgeführte Literatur häufiger nicht aktiv benutzt, im Fall der Historia-Augusta-Forschung zusätzlich verwirrend referiert. Mit der Materie Unvertraute können sich auf dieser Basis kaum einen Eindruck verschaffen, worum es worin geht; Nuancen oder leichtere Divergenzen der gebündelt zitierten Autoren nachzuvollziehen, ist unmöglich; die Überprüfung von Kovács' Thesen wird so geradezu systematisch erschwert. In den Text findet die Sekundärliteratur eher widerstrebend Eingang. Hinzu kommt eine Neigung zum Selbstzitat, die der ungenannte Übersetzer nicht bemerkt hat; so liefern S. 62f. und 190 zwei unterschiedliche englische Varianten eines Schemas zum Aufbau der vita Marci, und auf S. 167 begegnet eine analoge Reprise von S. 20.

Das bei weitem größte Rezeptionshindernis bildet jedoch die fatale Unübersichtlichkeit des desorganisierten, künstlich verlängerten Buches; die Verdienste anregender Einzelabschnitte wie des chronologischen Teils oder der Passagen um Julian und das Wunder als Ereignis geraten über der unnötig mühseligen Lektüre des Ganzen leicht in Vergessenheit. Bei der Übersetzung ist die Chance, es zu straffen, nicht nur versäumt, sondern das Chaos noch gesteigert worden. Regelmäßig gibt der Text Rätsel auf, wer oder was sich jeweils hinter „he“ und „it“ verbirgt. Von den nicht seltenen Druckfehlern abgesehen ist auf S. 130 Marius Maximus vom Kaiserbiographen zum Kaiser mutiert. Gelegentlich hat der Autor selbst den Überblick verloren – versichert Kovács S. 121, Anm. 26 kategorisch, die Bilder der Marc-Aurel-Säule könnten niemals mit dem Kriegsjahr 171 einsetzen, so schließt er im selben resoluten Ton: „this much seems to be proven: that […] the starting year for the scenes of the column could be 171 or 172“ (S. 275). Was soll nun gelten? Frustration und Ratlosigkeit behalten das letzte Wort.

Anmerkungen:
1 Jörg Fündling, Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta, Bonn 2006. Zum Einfluss der Hauptquelle(n) auf die Vitenstruktur S. 8f.; 89–96; 102–118; 120–137; über Textbrüche einführend S. 183–189. Zwei Quellen, darunter eine mögliche Dio-Spur, in HA Pius 6,9–10: Stefan Priwitzer, Faustina minor – Ehefrau eines Idealkaisers und Mutter eines Tyrannen, Bonn 2008, S. 76f.; vgl. 81.
2 Zu Tertullian vgl. Fündling, Vita Hadriani, S. 172.

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