J. Heinemann u.a.: Autoren und Bücher zum 1. Weltkrieg

Cover
Titel
Die Autoren und Bücher der deutschsprachigen Literatur zum 1. Weltkrieg 1914-1939. Ein bio-bibliographisches Handbuch


Autor(en)
Heinemann, Julia; Hischer, Frank; Kuhlmann, Johanna; Puls, Peter; Schneider, Thomas F.
Erschienen
Göttingen 2008: V&R unipress
Anzahl Seiten
850 S.
Preis
€ 120,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Thiel, Humboldt-Universität Berlin

Jeder, der sich mit der Geschichte des Ersten Weltkrieges beschäftigt, steht vor dem Problem einer in ihrer Fülle kaum überschaubaren Zahl zeitgenössischer Literatur. Die Kataloge der großen Bibliotheken, auf das Thema spezialisierte Forschungseinrichtungen – teils mit schon seit 1914 angelegten „Sondersammlungen“ zum Ersten Weltkrieg – oder einschlägige Bibliographien erleichterten zwar bisher die Suche nach den oft raren Titeln. Das Bibliographieren und Recherchieren blieb dennoch eine mühsame Angelegenheit, zumal dann, wenn es sich um Genres wie Regimentsgeschichten oder persönliche Erlebnisberichte handelte, die oft nur in geringer Auflage erschienen sind, aber in ihrer Summe einen beträchtlichen Teil der Kriegsliteratur ausmachen.

Hauptherausgeber Thomas F. Schneider, Literaturwissenschaftler und Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück, und seine Mitstreiter haben sich in ihrer Auswahl auf die „literarischen (fiktionalen und nicht-fiktionalen) Repräsentationen des Ersten Weltkrieges“ (S. 13) beschränkt. Berücksichtigung fand die gesamte deutschsprachige Literatur – unter Einschluss der in Österreich veröffentlichten Titel – der Jahre vom Kriegsausbruch 1914 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Anspruch des Handbuches war die systematische Erfassung der sogenannten „Kriegsliteratur“, also der Texte, die sich primär mit den Kriegserfahrungen an der Front, in der Etappe oder in der Heimat auseinandersetzten. Berücksichtigt wurden sowohl Romane, Dramen und Lyrik als auch „Erlebnisberichte“, Memoiren, Anthologien, Feldpost-Briefsammlungen, Text-/Bildbände, Tagebücher, die schon erwähnten Regimentsgeschichten, Feldzugberichte und anderes mehr. Texte, die nicht unmittelbar auf das Kriegsgeschehen oder Kriegserlebnis rekurrierten, wurden ebenso ausgeschlossen wie unselbständige Veröffentlichungen. Keine Aufnahme fanden die von den Herausgebern unter „Pamphlete“ subsummierten Flugschriften – also ein durchaus wichtiger Bereich der Kriegspublizistik – sowie wissenschaftliche Abhandlungen über den Krieg. Dass die Grenzen hier gerade in den heftigen Debatten im Krieg und in der Nachkriegszeit, etwa in der Kriegsschuldfrage oder im Zusammenhang mit den deutschen Kriegsverbrechen, fließend waren, war auch den Herausgebern klar. Aus verständlichen Gründen war eine Abgrenzung jedoch zwingend notwendig. Ein ähnlich wie das vorliegende Handbuch konzipiertes Nachschlagewerk für die nicht berücksichtigten Gattungen wäre allerdings eine lohnende Aufgabe für zukünftige Projekte, denn auch hier fehlt bislang eine systematische Erfassung der entsprechenden Publikationen.

Das Handbuch ist klar gegliedert. Der vielleicht allzu knapp geratenen Einleitung des Hauptherausgebers folgt das Kernstück des Buches, ein 700seitiges Lexikon mit alphabetisch geordneten Einträgen – insgesamt mehr als 6500 (!) – zu Autoren und fortlaufend nummerierten Titeln von Büchern, sonstigen Veröffentlichungen und Reihen. Die bibliographischen Einträge umfassen neben Autorennamen und Titel, Verlagsnamen und -ort sowie Seitenzahlen zusätzlich auch Angaben zu Neuauflagen und -ausgaben. Einige Autoren werden in kurzen Biogrammen mit knappen Angaben zu Leben und Werk vorgestellt, andere nicht. Für erstere hätte man sich teils mehr Informationen gewünscht – in einigen Fällen scheinen diese auch recht willkürlich gewählt – für letztere ließen sich offenbar keine weiteren Daten ermitteln. Begründet wird dieses Vorgehen jedoch nicht. Abgerundet wird der Band von Titel-, Sach- und Autorenregistern, die die Suche nach bestimmten Titeln und Autoren erheblich erleichtern. Das Layout sowie die Anordnung und auch manche Zuordnung der bibliographischen Einträge hätte man sich übersichtlicher und leserfreundlicher vorstellen können. Sehr anschaulich sind hingegen die Abbildungen einzelner Buchumschläge oder -titel. Die Abbildungen haben mehr als bloß illustrativen Charakter. Sie zeigen, dass der Erste Weltkrieg auch ein „Krieg der Bilder“ war. Zieht man in Betracht, dass viele der im Lexikon besprochenen Bücher reich illustriert waren und Einbände oft nicht mehr erhalten sind, so ist dieser Vorzug des Handbuches besonders hervorzuheben. Aufschlussreich sind auch die in der Einleitung abgedruckten Tabellen, Diagramme und Übersichten. Hier zeigt sich, dass allein aus bibliographischen Befunden gewonnene Erkenntnisse durchaus in der Lage sein können, bisher in der Forschung vertretene Thesen in Frage zu stellen oder zu falsifizieren. Das trifft etwa für die in der Forschung lange vertretene These zu, dass der sogenannte „einfache Soldat“ erst Ende der 1920er-Jahre mit der Schilderung seiner Kriegserlebnisse ein breiteres Publikum erreichen konnte. Die Auswertung der bibliographischen Daten ergibt ein anderes Bild: Im gesamten betrachteten Zeitraum lässt sich keine eindeutige Dominanz einer bestimmten Autorengruppe feststellen. Deutlich wird auch, dass es neben den Publikationsschwerpunkten 1914 bis 1918 und Ende der 1920er-Jahre einen weiteren, bislang nur wenig beachteten signifikanten Anstieg der Publikationszahlen im Nationalsozialismus gab. Hier macht sich einmal mehr die von den Herausgebern gewählte Ausdehnung des Erfassungszeitraumes über die oft gewählte Zäsur von 1933 positiv bemerkbar. Die Auswertung der bibliographischen Befunde bestätigt auch die in der neueren Literatur herausgearbeitete Dominanz der kriegsbefürwortenden Literatur. Pazifistische oder kriegskritische Autoren und Titel – darüber können auch der fulminante Erfolg von Remarques „Im Westen nichts Neues“ (1928) oder das gleichfalls auflagenstarke Buch Heinrich Wandts über die „Etappe Gent“ (1919) nicht hinwegtäuschen – blieben Ausnahmen.

Das Gros der Weltkriegsbücher bejahte oder verherrlichte den Krieg. Das erfolgreichste Buch war eben nicht, wie vielfach angenommen, Remarques weltberühmter Roman, sondern die 1917 erstmals als „Ullstein-Kriegsbuch“ und dann in zahlreichen weiteren Auflagen und Ausgaben veröffentlichten persönlichen Aufzeichnungen „Der rote Kampfflieger“ des „Fliegerhelden“ Manfred von Richthofen, der sich bis heute einer zweifelhaften Popularität erfreut. Dazu trugen auch weitere Veröffentlichungen über Richthofen, vor allem im „Dritten Reich“ bei.

Ein weiterer Vorzug des Handbuches liegt darin, dass nicht nur die einschlägig bekannten Namen von Weltkriegsautoren wie Richthofen, Ernst Jünger, Werner Beumelburg, Walter Flex oder Edwin Erich Dwinger erfasst werden. Aufgenommen sind auch solche heute vergessenen Autoren oder Literaten, deren kriegsverherrlichende Werke nur noch wenigen bekannt sein dürften oder deren literarische Entgleisungen heute gern unter dem Stichwort „Patriotismus“ verharmlost werden. So finden sich bio-bibliographische Hinweise zu dem vor allem wegen seiner Seefahrtsbücher populären Schriftsteller Gorch Fock oder zu Gustav Falke, einem naturalistischen Autor, den heute viele nur noch als Verfasser heiterer Kindergeschichten oder durch Vertonungen einiger seiner Gedichte durch Richard Strauss kennen. Beide waren jedoch auch eifrige Kriegspropagandisten. Gorch Fock hetzte, bevor er 1916 in der Seeschlacht im Skagerrak fiel, mit teils in niederdeutscher Sprache geschriebenen Gedichtbänden wie „John Bull, John Bull“ oder „Op hem, Jungs“ vor allem gegen England. Falke profilierte sich ab 1914 als besonders scharfer deutschnationaler Kriegspublizist mit eigenen „Kriegsdichtungen“ und als Herausgeber mehrerer obskurer Gedichtbände, die Titel trugen wie „Feinde ringsum“, „Zum blutig frohen Reigen“ oder „Viel Feind, viel Ehr“, für die er kurz vor seinem Tod 1916 noch den preußischen „Roten-Adler“-Orden erhielt. Gorch Fock und Falke gelten im Übrigen auch heute noch als traditionsstiftend: Das Segelschulschiff der Deutschen Marine trägt den Namen Gorch Focks, eine Grundschule im Berliner Wedding den von Gustav Falke.

In Fällen wie diesen erweist sich allein das nüchterne Faktengerüst, das das bio-bibliographische Handbuch zur Verfügung stellt, als wichtige Erinnerungsstütze – und als Anregung für weitergehende Überlegungen und Forschungen. Diese anzuregen gehört zu den erklärten Anliegen der Herausgeber um Thomas F. Schneider. Vollständigkeit wurde zwar angestrebt, musste aber angesichts der Vielzahl der Autoren und Bücher über den Ersten Weltkrieg Illusion bleiben. Die Herausgeber haben zwar die einschlägigen Kataloge konsultiert, doch bleibt zu vermuten, dass bereits den zeitgenössischen Bibliothekaren und Archivaren der eine oder andere Titel entgangen ist. Der Aufforderung der Herausgeber an die Leser und Nutzer, sich an der Vervollständigung der Angaben zu beteiligen, sollte also nachgekommen werden. Mit dem bio-bibliographischen Handbuch zur deutschsprachigen Literatur zum Ersten Weltkrieg liegt jedoch ein wichtiges und in jeder Hinsicht gewichtiges Nachschlagewerk vor, das für künftige Forschungen zu diesem Thema unverzichtbar sein wird.

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