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Titel
Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, 1488-1525


Autor(en)
Volkmar, Christoph
Reihe
Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 41
Erschienen
Tübingen 2008: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XIV, 701 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Woelki, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin,

Das Bild einer nach dem Basler Konzil in Restauration verharrenden Kirche, deren innere Reformkräfte erst wieder mit dem Tridentinum belebt worden wären, wird in jüngerer Zeit wieder stärker in Frage gestellt.1 Die Suche nach Kontinuitäten spätmittelalterlicher Reformdiskussionen führt unweigerlich über die Kirchenpolitik weltlicher Fürsten, die in der Zeit des Großen Abendländischen Schismas und der Konzilien von Konstanz und Basel als Schutzmächte kirchlicher Autoritäten und Träger der Kirchenreform in Anspruch genommen wurden. Eine Nichteinmischung in innerkirchliche Angelegenheiten wurde spätestens seit der Neutralitätspolitik der meisten europäischen Fürsten im Streit zwischen dem Basler Konzil und Papst Eugen IV. (1438-1445) als grobe Pflichtverletzung verstanden.

Die im ersten Teil (S. 47-443) der umfangreichen Leipziger Dissertation von Christoph Volkmar erstmals umfassend erarbeitete Rekonstruktion des Kirchenregiments des sächsischen Herzogs Georg des Bärtigen (1488-1539) erhebt daher völlig zu Recht den Anspruch, einen wichtigen „missing link“ (S. 12) der Kirchengeschichte aufzuzeigen, indem sie Traditionslinien zwischen spätmittelalterlicher Kirchenreform und der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts freilegen möchte (S. 11, 594, 616). Methodik und Quellen des Autors sind freilich vor allem landesgeschichtlich ausgerichtet. Es sind neben vatikanischen Akten insbesondere die im sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrten Briefausgangsregister, Visitationsprotokolle, Petitionen usw., insgesamt Tausende für die Fragestellung relevante Aktenstücke, die hier erstmals systematisch ausgewertet und zu einem kohärenten Bild vom kirchenpolitischen Handeln des Herzogs synthetisiert werden. Nach umfangreichen Einleitungen zu den Traditionen wettinischer Kirchenpolitik im 15. Jahrhundert, zur persönlichen Frömmigkeit des Herzogs und zu den Handlungs- und Entscheidungsträgern der herzoglichen Politik werden systematisch Aktionsfelder kirchenpolitischer Maßnahmen analysiert: Papsttum und Konzil, Kaiser und Reich, geistliche Gerichtsbarkeit, Regularklerus, niederer Klerus, Laien, Publizistik.

Den Rombeziehungen des eigentlich kurienfernen albertinischen Sachsen bescheinigt Volkmar einen gewissen Erfolg „auf niedrigem Niveau“ (S. 116). Für die Reformpolitik des Herzogs bezeichnend ist das Engagement für ein Generalkonzil, im Vorfeld und auch nach Beendigung des V. Lateranums. Offen bleibt leider, ob das „mit zunehmender Verbissenheit“ (S. 602) betriebene Ringen um ein neues Konzil auch mit einer Rezeption konziliaristischen Gedankenguts einherging, wie sie in dieser Zeit sogar an der Kurie zu beobachten war (Giovanni Gozzadini und andere). Diplomatische Initiativen bei Kaiser und Reichstag standen weitgehend im Zeichen der Legitimierung des landesherrlichen Kirchenregiments, dessen Entstehung Volkmar überzeugend als eine spätmittelalterliche Entwicklung kennzeichnet. Die damit verbundene systematische Übernahme weitgehender Kontrollrechte, insbesondere über den niederen Klerus, führt Volkmar nicht wie die ältere Forschung auf einen Ausbau von Patronats- und Vogteirechten zurück, sondern macht eine Reaktivierung eigenkirchlicher Rechtsauffassungen des Früh- und Hochmittelalters geltend (S. 327), die den Herzog im Verbund mit moralischen und religiösen Legitimationsmustern sowie einer „überraschenden“ (S. 423) Kollaborationsbereitschaft des Klerus zu einer weitgehenden Aushebelung des Kirchenrechts ermächtigt habe. Das „Kirchenrecht“ erscheint jedoch durchgängig als ein feststehend erstarrtes Normensystem, welches im Übrigen lediglich aus den Handbüchern von Hinschius (1869-1897) und Plöchl (2. Aufl. 1962) erschlossen wird.2 Spätmittelalterliche Rechtsfortbildung eines Antonio da Butrio, Francesco Zabarella oder Niccolò Tudeschi, die unter dem Eindruck innerkirchlicher Konflikte den weltlichen Fürsten größere Einflussmöglichkeiten in der Kirche einräumten, gelangen unter dieser Perspektive als mögliche Legitimationsbasis ebenso wenig in den Blick wie Reformdekrete von Generalkonzilien und Partikularsynoden. Landesherrliche Versuche, „die gelehrte Diskussion in konkrete Politik zu übertragen“ (S. 616) und spätmittelalterliche Reformansätze fortzuführen, werden eher behauptet als nachgewiesen; auf Konzepte eines Jean Gerson (S. 87, 208, 438) und eines Nikolaus von Kues (S. 388, 441, 617) wird allenfalls pauschal verwiesen, ohne die Texte selbst heranzuziehen. Konsequenterweise wird den (gleichwohl durch wissenschaftliche Gutachten hervortretenden!) Kanonisten und Theologen am sächsischen Hof kaum politischer Einfluss zugestanden (S. 110, 423).

Im wesentlich schlankeren zweiten Teil (S. 445-612) schildert Volkmar das herzogliche Kirchenregiment in seiner ultimativen Belastungsprobe, der Auseinandersetzung mit der frühen reformatorischen Bewegung, und zeigt, dass sich die bereits in vorreformatorischer Zeit ausgeprägten kirchenpolitischen Machtmittel im Kampf gegen den Protestantismus bewährten. Bereits zur Routine gelangte Handlungs- und Legitimationsmuster der landesherrlichen Reformpolitik wurden nun zum umfassenden Gegenentwurf zu lutheranischer Kirchenkritik. Sämtliche Aktionsfelder des landesherrlichen Kirchenregiments, von der Kurien- und Reichspolitik über Zwangsmaßnahmen gegen Mönche, niedere Kleriker und Laien bis hin zu kontroverstheologischer Publizistik, an der Herzog Georg sogar durch eigene Schriften teilnahm, waren in der Herrschaftspraxis der vorreformatorischen Zeit verankert.

Bemerkenswert sind darüber hinaus zahlreiche für die sächsische Landes- und Verwaltungsgeschichte wertvolle Einzelbeobachtungen wie der systematische Aufbau einer sakralen Infrastruktur in der Bergarbeiterstadt Annaberg (S. 357-372) oder die gelungene Neubewertung der Haltung Herzog Georgs zu Martin Luther (S. 446-473). Die Studie zeigt insgesamt, dass eine umfassende Detailanalyse fürstlicher Herrschaftspraxis wertvolle Ergebnisse für die alteuropäische Kirchengeschichte liefern kann. Auf eine ekklesiologische Einordnung in theologische und kanonistische Diskurse sollte dabei jedoch nicht verzichtet werden.

Anmerkungen:
1 Verwiesen sei auf einen wichtigen aktuellen Band: Jürgen Dendorfer / Claudia Märtl (Hrsg.), Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450-1475), Berlin 2008.
2 Paul Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, 6 Bde., Berlin 1869-1897; Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 2: Das Kirchenrecht der abendländischen Christenheit 1055-1517, 2. Aufl., Wien 1962.

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