Cover
Titel
Mauern als Grenzen.


Herausgeber
Nunn, Astrid
Erschienen
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Sokolicek, Österreichisches Archäologisches Institut Wien

Vor fast genau 20 Jahren wurde eine der markantesten befestigten Grenzen Europas demontiert: Die Mauer zwischen Ost- und Westberlin.1 20 Jahre Mauerfall bieten genug Anlass, die Bedeutung gemauerter Grenzen im Allgemeinen zu analysieren. Astrid Nunn, Altorientalistin in Würzburg, hat ein Projekt ins Leben gerufen, um Grenzmauern bis zu den altorientalischen Kulturen des Zweistromlandes zurückzuverfolgen. Nunn thematisiert damit ein Problem von gesellschaftspolitischer Relevanz und archäologischer Bedeutung.2

Nunn hat 14 namhafte Spezialisten aus dem Bereich der Altorientalistik, der Archäologie und der Kultur- und Zeitgeschichte versammelt, die in elf Beiträgen das Thema ‚Grenzmauern‘ vor allem unter historischen Gesichtspunkten untersuchen und „nach dem strategischen und geopolitischen Sinn von Grenzmauern in der Geschichte“ (S. 7) fragen sollten. Das Buch richtet sich sowohl an den interessierten Laien als auch Spezialisten und bietet auf knappem Raum einen gut gestalteten und sehr informativen Überblick über den Umgang mit Grenzen. Leider wurde mit Ausnahme der Einleitung und eines Beitrages auf Fußnoten verzichtet und nur allgemeine Literatur an das Ende des Bandes gestellt, was an einigen Stellen die Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen stark erschwert. Zahlreiche, zum Großteil qualitative und aktuelle Abbildungen ergänzen die Texte. Die geographischen Grenzen des hier publizierten Projektes sind weit gesteckt und umfassen Europa, den Orient und China und das moderne Nordamerika. Chronologisch spannt dieser Sammelband einen Bogen von etwa 4.000 Jahren.

In einer Einleitung resümiert Nunn die Voraussetzungen moderner Sichtweisen auf das Entstehen von Grenzen als theoretische Basis für die Beschäftigung mit Grenzmauern (S. 9). Es handelt sich hier sowohl um eine (kurze) theoretische Einführung als auch um eine Zusammenfassung der einzelnen Beiträge. Diese Form der Einleitung erleichtert den Einstieg in dieses umfassende Thema, vor allem die tabellarische, nach Inhalten (Datierung, Material, Zweck, Dauer) gegliederte Übersicht über die im Buch besprochenen Mauern erweist sich als nützliche Zusammenstellung (S. 25). Dennoch hätte man sich mehr theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Grenze gewünscht, zumal Nunn auch „natürliche und gesellschaftliche Grenzen“ (S. 9-12) anspricht, die in diesem Band zwar vereinzelt behandelt, aber nicht explizit diskutiert werden.3 Eine Schwierigkeit der deutschen Sprache ist auch, dass ‚Grenze‘ (aus dem polnischen granica = Grenzlinie) sowohl als Grenzlinie als auch als Grenzgebiet verstanden werden kann, ein Unterschied, der in anderen Sprachen terminologisch deutlicher (als border/frontier, confine/frontiera, confins/frontière) unterschieden wird. Diese Differenzierung wäre durchaus für sämtliche Beiträge in diesem Buch relevant, denn es geht hier sowohl um die Funktion und historische Bedeutung von Grenzlinien (Mauern) als auch um das Grenzgebiet.

Am Beginn des chronologisch geordneten Bandes stehen Grenzmauern im Alten Orient. Walther Sallaberger bespricht die Ammuriter-Mauer in Mesopotamien, die von den Königen Sulgi und Schu-Suen am Ende des 3. Jahrtausends v.Chr. errichtet wurde, deren Existenz aber nur in historischen Quellen belegt ist. Hervorzuheben ist das Spannungsfeld zwischen sesshaften Bauern und benachbarten Nomaden (Ammuriter) im Zweistromland, das zur ältesten Errichtung einer Sperrmauer führte. Sallaberger versteht es, die historische, aber auch gesellschaftliche Bedeutung dieser Mauer deutlich zu akzentuieren.

In der syrischen Steppe wurde erst unlängst (1998) von Bernard Geyer eine Mauer entdeckt, die von Süden nach Norden verläuft und nach Geyer die Grenze von frühbronzezeitlichen Nomadenbewegungen kennzeichnet. Geyer legt Wert auf die Lokalisierung dieser Mauer, deren Verlauf auf circa 220 Kilometern verfolgt werden konnte. Unklar strukturierte Wiederholungen im Text erschweren allerdings das Verstehen von Aufgaben und historischem Kontext der Mauer.

Der knappe, aber reich bebilderte Beitrag von Andreas Müller-Karpe über die Kappadokische Mauer in der östlichen Türkei führt nach Kuşaklı, einem hethitischen Ort aus dem 8. vorchristlichen Jahrhundert. Bei Grabungen wurde eine Mauer entdeckt, die Teil einer größeren, auf 100 Kilometer Länge rekonstruierbaren Grenzmauer ist. Anhand schriftlicher Quellen kann die teils befestigte Mauer als Versuch der völligen Abschottung Assyriens gegen Norden interpretiert werden, die auch den Zweck verfolgte, die Quellen des Euphrat abzusichern. Die wenig starke Ausführung der Mauer, die Müller-Karpe zutreffend als Demarkationslinie bezeichnet (S. 47), widerspricht aber seiner Interpretation als rein militärische, fortifikatorische Anlage (S. 47, 49).

Der einzige mit Fußnoten versehene Beitrag behandelt die Medische Mauer, eine Anlage Nebukadnezzars II zur Absicherung der Ebene nördlich von Sippar im Osten Babylons. Hermann Gasche analysiert zunächst Xenophons Anabasis, in der die „Medische Mauer“ genannt und beschrieben wird. Durch Grabungen konnte die Mauer archäologisch untersucht werden. Die historischen Hintergründe werden allerdings nur in geringem Maße erläutert und die Frage, warum die Mauer 150 Jahre nach ihrer Erbauung von Griechen noch als tatsächliches Hindernis wahrgenommen werden konnte, bleibt letztlich unbeantwortet.

Oliver Hülden stellt als einer der wenigen in diesem Band vertretenen Autoren eine Übersicht über verschiedene Grenzmauern vor, indem er sich des Problems von Sperrmauern im gesamten griechischen Kulturbereich annimmt. Er nennt prominente konfliktreiche Kontaktzonen der griechischen Welt und legt überzeugend dar, dass generell Sperrmauern wie bei den Thermopylen dazu dienten, Feinde aufzuhalten, um Zeit für Evakuierungen zu gewinnen, und nicht, um Feinde gänzlich abzuhalten. In einer zusammenfassenden Betrachtung räumt er Mauern auch eine Rolle im politischen Selbstverständnis ein, spricht ihnen aber militärische bzw. politische Ein- und Abgrenzungsfunktion ab (S. 91). Diese These wäre etwa bei dem Versuch des Dionysios, die bruttische Stadt Skylettion durch eine Mauer einzusperren (Diod. 13,3,4; Strab. 6,261) oder bei der Politik des Kleon im Peloponnesischen Krieg zu überprüfen und erscheint etwas widersprüchlich im Hinblick auf eine vom Autor zitierte Stelle bei Aeneas Tacticus über die Sicherung der Staates nach innen, die „bestimmte Assoziationen“ zu modernen totalitären Regimes wecke (S. 91).

Einen historischen und archäologischen Überblick über den römischen Limes legt Jörg Scheuerbrandt vor. Der sehr instruktive, übersichtliche Text informiert den Leser in einzelnen Schritten über die ersten Limesanlagen am Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. in Obergermanien/Rätien bis zur Aufgabe des Limes am Ende des 3. Jahrhunderts n.Chr. Scheuerbrandt analysiert die Funktion des Limes als bewachte Trennlinie zwischen dem römischen Kulturraum und dem der Germanen, Kelten und Gallier und nicht als unüberwindliches Hindernis. Die präzise Darstellung und Unterscheidung von Grenzlinie und Grenzbereich macht dem Leser die Bedeutung des Limes in sozial- und kulturhistorischer Hinsicht für die europäische Geschichte zugänglich.

Eine ebenfalls in der römischen Kaiserzeit errichtete Sperrmauer ist die Hadriansmauer, die Anthony Birley anhand von historischen Quellen analysiert und den archäologischen Befund sämtlicher nördlichen Sperren Britanniens bespricht. Die historischen, funktionalen und soziologischen Aspekte zeigen, welche Bedeutung die Grenzmauern bzw. -wälle für die Öffentlichkeit noch immer besitzen.

Ein Sprung in den Nahen Osten führt in den Nordiran. Eberhard Sauer, Hamid Omrani-Rekavandi, Jebrael Nokandeh und Tony Wilkinson stellen Grenzwälle am Rande des sasanidischen Reiches beim Kaspischen Meer vor, wobei das Hauptaugenmerk auf der Lokalisierung, Datierung und der Grundrissanalyse der auf hohem technischen Niveau ausgestatteten Mauern und Kastelle mittels moderner Methoden liegt. Die Ausdehnung der Befestigungsanlage führt die gewaltige Stärke der sasinidischen Armee deutlich vor Augen.

Den größten und über die längste Zeit errichteten Mauerkomplex stellt Alexander Koch vor: Die Chinesische Mauer. Koch legt auf die Feststellung Wert, dass es sich hier nicht um eine Mauer handelt, sondern um Teilstücke und Wälle, die über einen Zeitraum von mehr als 2.000 Jahren errichtet und wiederholt verändert worden waren. Die historische Relevanz der Mauern, aber auch die technische Ausführung werden ebenso diskutiert wie die Rolle der Mauern im modernen China zwischen Zerstörung, Mythos und Vermarktung. Koch springt allerdings thematisch zwischen der Darstellung von Funktion, Technik und Geschichte, was die Erfassung dieser komplexen Bauwerke teilweise erschwert.

Die Chronologie der Ereignisse um die Berliner Mauer streicht Cornelius Hartz pointiert heraus und diskutiert sie vor dem Hintergrund allgemeiner Mauerproblematik zumindest kurz an. Entscheidend ist der Hinweis, dass die Einzigartigkeit der Berliner Mauer darin bestand, nicht Feinde von außen abzuhalten, sondern die Bevölkerung daran zu hindern, das Land zu verlassen.

Wie modern Grenzwälle nach wie vor sind, zeigt Daniel Vernet, der die Grenzmauern unter anderem in den USA, auf Zypern, in Korea und Israel in Erinnerung ruft und zeigt, mit welchem Aufwand und welcher Konsequenz Nationalstaaten wirtschaftliche und politische Grenzen vor Überschreitung absichern wollen. Letztlich bleibt diesen Mauern, Ausdruck wirtschaftlich und politisch instabiler Zeit, das gleiche Schicksal nicht erspart wie anderen Grenzwällen: Sie sind nicht unumgehbar und meist auch nicht von langer Dauer.

Das Thema ‚Grenzen‘ und Mauern ist gerade vor dem Hintergrund gegenwärtiger, weitreichender Migrationsbewegungen sehr aktuell. Man vermisst aber eine analytische Zusammenfassung dessen, was nach Ansicht der Autoren das Gemeinsame all dieser Mauern wäre bzw. worin sie sich unterscheiden: Dies wäre vor allem in kulturhistorischer Hinsicht und in Bezug auf die Erbauer durchaus reizvoll gewesen, denn das gemeinsame Bild der Beiträge zeigt, dass Mauern sichtbare, aber trotz aller Bemühungen keine unüberwindlichen Grenzen sind, und äußere Veränderungen kaum aufhalten können.

Anmerkungen:
1 Dieses Ereignis wird gerade in letzter Zeit sehr intensiv aufgearbeitet, vgl. z.B. Frederick Taylor, Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989, Berlin 2009; Edgar Wolfrum, Die Mauer. Geschichte einer Teilung, München 2009. Vgl. auch die Website <http://www.berlinermaueronline.de> (10.08.2009).
2 Vgl. etwa Gerhild Klose / Annette Nünnerich-Asmus, Grenzen des römischen Imperiums, Mainz 2006; Felix Pirson / Ulirke Wulf-Rheidt (Hrsg.), Austausch und Inspiration. Kulturkontakte als Impuls architektonischer Innovation. Kolloquium vom 28.-30.4.2006 in Berlin anlässlich des 65. Geburtstages von Adolf Hoffmann. Diskussionen zur archäologischen Bauforschung 9, Mainz 2008.
3 Z.B. der Sammelband von Markus Bauer / Thomas Rahn (Hrsg.), Die Grenze. Begriff und Inszenierung, Berlin 1997.

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