G. MacLean: English Writing and the Ottoman Empire Before 1800

Cover
Titel
Looking East. English Writing and the Ottoman Empire Before 1800


Autor(en)
MacLean, Gerald
Erschienen
Basingstoke 2007: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
£ 55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Almut Höfert, Historisches Seminar, Universität Basel

„Looking East“ ist eine Zusammenstellung von Aufsätzen und Vorträgen, die der an der Universität Exeter lehrende Literaturwissenschaftler Gerald MacLean 1993–2003 publiziert und gehalten, für dieses Buch überarbeitet und mit einer Einleitung versehen hat. Die hier versammelten Texte stehen unter anderem im Kontext des seit einiger Zeit aufgekommenen Forschungsansatzes, die europäische Renaissance nicht mehr als ein exklusiv (west-)europäisches Phänomen anzusehen, sondern als ein Ergebnis vielschichtiger Verflechtungen mit außereuropäischen Kulturen zu betrachten. MacLeans Buch ist überdies ein weiterer Beitrag zur Überwindung der inzwischen überholten Ansätze, europäische Repräsentationen über das Osmanische Reich auf die Wahrnehmung von Fremde zu reduzieren, und korrigiert zudem die schon seit längerem erkannten Fehlleitungen von Edward Saids „Orientalism“, ohne dieser Studie ihre grundsätzlichen Verdienste abzuerkennen. Das große Hindernis für den Ansatz, europäisch-osmanische Beziehungen im Rahmen einer Verflechtungsgeschichte zu analysieren, besteht freilich in dem, was MacLean treffend als „single-archive approach“ bezeichnet, auf den sich die überwiegende Mehrheit von uns Historiker/innen – wie auch MacLean selbst – aufgrund fehlender osmanischer Sprachkenntnisse beschränkt sieht.

Trotz dieser grundsätzlichen Einschränkung präsentiert MacLean in dieser Aufsatzsammlung eine interessante und weiterführende These: Die Begegnungen der Engländer/innen mit dem Osmanischen Reich seien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert maßgeblich von imperial envy geprägt gewesen: eine ambivalente Haltung, die Bewunderung und Verachtung, Furcht und Faszination, Begehren und Abscheu zugleich beinhaltete. Das „Gefühl“ des imperialen Neids habe als wesentlicher Bestandteil der sich herausbildenden Englishness fungiert, der dann vom imperialen Stolz der Britishness im 19. Jahrhundert abgelöst worden sei. Der Blick auf den Osten und das Osmanische Reich prägte damit grundlegend die Art und Weise, wie die Bewohner der Insel sich als englisch empfanden und gleichzeitig ihren Platz in der Welt sahen. Im 17. Jahrhundert waren viele Aspekte der englischen Kultur stark von osmanischen, persischen und Mogul-Einflüssen durchsetzt. Neben den Türkendrucken, osmanischen Teppichen und Kleidern (Heinrich VIII. pflegte allein 65 „türkische“ Teppiche auf seinen Reisen im Gepäck mitzuführen, Karl II. kleidete sich im „östlichen Stil“) und den Kaffeehäusern in London und Oxford spielte der Import von östlichen Pferden eine große Rolle, ohne den die Erfindung des englischen Rassepferdes im 18. Jahrhundert als kulturelle Ikone britischer imperialer Überlegenheit nicht möglich gewesen sei. Ohne die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Osmanischen Reich, so MacLean, hätte zudem der Aufstieg Englands zur internationalen Handelsmacht nicht erfolgen können. Dementsprechend wurde der auch in England propagierte religiöse Antagonismus von Christen und „Türken“ von anderen politischen und konfessionellen Achsen überlagert. William Harborne, Gesandter Elisabeths I. an der Pforte, appellierte an den Sultan, die drohende Vernichtung seiner Königin durch die Spanier an der Seite „des Papstes und aller götzendienerischen Fürsten“ zu verhindern, bevor das Osmanische Reich selbst dem katholischen Christentum zum Opfer falle (S. 47). Die Koexistenz beider Diskurse – die „Türken“ als Bündnispartner und imperiales Modell einerseits und teuflische Agenten gegen den christlichen Glauben andererseits – machte laut MacLean die widersprüchliche Struktur des Neides aus.

Kapitel 2 schildert die vielfältigen Lebensformen und Reisen von englischen Männern und Frauen vor allem im osmanischen Maghreb: die in englischen Texten vielfach verfemten englischen Renegaten, die von Elisabeth I. tolerierten englischen Piraten, der apokalyptische Eifer von englischen Klerikern und das ethnographische Interesse reisender englischer Humanisten. Kapitel 3 bietet eine insgesamt sehr inspirierende, wenn auch nicht ganz klare Anwendung von Judith Butlers Konzept des „performing gender“ auf die hier vorliegende Interpendenz von „performing East“ und „performing English (Scottish, Irish)“: Nur im Osten, so MacLean, seien bestimmte Arten, ein nationales Selbst zu performieren, nicht nur möglich, sondern unumgänglich geworden. MacLeans apodiktische Gleichsetzung von Butlers Unausweichlichkeit der Gender-Kategorie mit der vermeintlichen Unmöglichkeit für damalige Engländer/innen, sich im Osten nicht als englisch zu präsentieren, hat mich allerdings aufgrund fehlender Nachweise für diese kühne These in dieser Form nicht überzeugt. Brillant ist hingegen MacLeans Lektüre des Gefangenennarrativs eines gewissen T. S., dessen „Adventures“ 1670 veröffentlicht wurden. Darin bilden erotische Beziehungen und die Ambivalenz der Herr-Knecht-Relation ein komplexes Gefüge, aus dem der Protagonist als Herr der Lage hervorgeht. Auch die Analyse, wie der vielfach abgedruckte Bericht des englischen Gesandten Thomas Roe die Misserfolge der für Osmanen und Moguln unbedeutenden, ignoranten und mit schäbigen Geschenken anrückenden Gesandtschaft zum Inbegriff englischer Größe auf der östlichen imperialen Bühne ummünzte, ist grandios. Kapitel 4 porträtiert mit Robert Dabornes Theaterstück „A Christian turn’d Turk“ (1612) die Transformation des englischen Piraten James Ward vom elisabethanischen Freibeuter zum arroganten, Engländer versklavenden „Türken“, der sich im Tod wieder reuig zu seiner Englishness bekennt. Nach einem eher additiv gehaltenen Überblick über einzelne Aspekte der englischen Begegnung mit der osmanischen Fauna wendet sich das sechste Kapitel der Verdichtung englischer imperialer Ambitionen und Diskurse im 17. Jahrhundert zu und untersucht die englischen Texte, die Religion, Militär- und Regierungswesen des Osmanischen Reiches systematisch darstellten, um nützliche Informationen für das eigene Empire building zu gewinnen. Kapitel 7 behandelt englische Aneignungs-Phantasien nach der Restauration der Monarchie unter Karl II., in denen die Erhängung des osmanischen Sultans Genç Osman von 1622 mit dem Königsmord an Karl I. verglichen, Sultan Mehmed IV. der Wunsch, englisch zu sein, zugeschrieben und der englische Held einer Ballade zum Vater osmanischer Sultane gemacht wurde. Im achten Kapitel wendet sich der Blick auf die gerade unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten und das blutrünstige „Poem on the Happiness of America“ (1786) von David Humphrey, der die völlige Zerstörung Algeriens (in dem gerade einige Amerikaner gefangen genommen worden waren) gemäß des göttlichen Planes vor sich sah. Es sei damit als ein Zeugnis für die an die englischen millenaristischen Türkendiskurse anschließende US-Tradition, unilaterale Invasionen im Namen einer eschatologischen Ideologie vorzunehmen, zu werten. Das letzte Kapitel behandelt schließlich vorrangig Lord Byrons Figur des Don Juan, der in Begleitung seiner muslimischen Adoptivtochter Leila weniger von der englischen Landschaft als vielmehr angesichts seiner mediterranen Herkunft von den Engländerinnen beeindruckt war, den englischen Kapitalismus kritisierte und insgesamt eine globalisierte Sicht auf die englische Nation einnahm.

Abgesehen davon, dass eine Aufsatzsammlung bei der Leserin zwangsläufig das Bedauern aufkommen lässt, dass das vorliegende vielschichtige und sehr reiche Material nicht in der kohärenteren Form einer Monographie präsentiert wurde, kann MacLeans Buch selbst als Ausdruck einer akademischen Englishness gesehen werden. Eine transnationale Verflechtungsgeschichte nationaler Imaginationen mit nur einer Quellen- und Forschungssprache (das 19seitige Quellen- und Literaturverzeichnis führt lediglich fünf türkische und drei französische Titel auf) kann wohl nur aus einer englischsprachigen Feder kommen. Abgesehen von nur sehr sporadischen und meistens allgemein und vage gehaltenen Verweisen auf andere europäische Quellen (nebst einigen sehr interessanten Einblicken in osmanische Verhältnisse) bleibt MacLeans Horizont auf die Engländer/innen beschränkt und blendet die kontinentaleuropäischen Verhältnisse und Diskurse fast durchgängig aus. Als William Harborne 1578 zum ersten Gesandten Elisabeths ernannt wurde und nach Istanbul reiste, landete er jedoch nicht auf dem Mond, sondern fand am Bosporus eine bereits seit langem etablierte internationale Bühne vor. Mächte wie Venedig, Genua, Habsburg, Frankreich, die Kurie und andere waren bereits seit mehr als einem Jahrhundert mit den Osmanen in Kontakt gewesen und hatten in einem enormen – und ebenso komplexen – Textkorpus längst die Ambivalenzen von politischer Konkurrenz und Allianz, wirtschaftlicher Pragmatik, religiösem Antagonismus und ethnographischem Sammeleifer ausgelotet, deren Topoi die Engländer/innen übernahmen und weiter entwickelten. Die weitgehende Ausblendung dieser Quellen in MacLeans Texten schreibt der Englishness eine größere Bedeutung, Originalität und Einzigartigkeit zu, als sie im europäischen Kontext gehabt hatte, und mündet in eine isolationistische Inselgeschichte. Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand gegen einen in dieser Hinsicht auf die Spitze getriebenen „single-archive approach“ findet sich in diesem Buch jedoch, so scheint mir, gleichzeitig das Beste, was die Insel an bewundernswerter analytischer Komplexität und intellektueller Beweglichkeit bietet.

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