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Titel
Granada. Königreich zwischen Orient und Okzident


Autor(en)
Freller, Thomas
Erschienen
Ostfildern 2009: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Schlelein, SFB 644 „Transformationen der Antike“, Humboldt-Universität zu Berlin

Trotz der großen Aufmerksamkeit, die die Eroberung des muslimischen Granada 1492 im christlichen Abendland kurzfristig erregte, wurde das europäische Interesse für die andalusische Stadt erst im 19. Jahrhundert unter anderem von dem US-Amerikaner Washington Irving mit seinen „Tales of the Alhambra“ geweckt. Die hierdurch genährten romantischen Klischees haben Granada zwar literarisch und später auch touristisch populär gemacht, aber – zumindest in der deutschen Geschichtswissenschaft – nicht gerade übermäßigen Forschungseifer entfacht. Während in den letzten Jahr(zehnt)en immerhin einige Überblickswerke zur mittelalterlichen spanischen Geschichte auf Deutsch publiziert worden sind1, existierte eine solche Darstellung speziell für Granada bislang nicht. Sie wurde nun von Thomas Freller unter dem Titel „Granada. Königreich zwischen Orient und Okzident“ vorgelegt.

Freller lässt seinen Überblick dabei nicht mit der Einnahme Granadas durch die Katholischen Könige Ferdinand und Isabella enden, sondern setzt ihn bis zur spanischen Verwaltungsreform des 19. Jahrhunderts fort, die die Teil-Königreiche in Provinzen umwandelte. Die Aufmerksamkeit gilt also weniger einem bestimmten Herrschaftsgebilde als der Stadt und Region Granadas im Laufe der Zeiten. Denn das „Königreich Granada“ als Teil der spanischen Monarchie seit dem 16. Jahrhundert hat außer der Örtlichkeit nur wenig mit seinen Vorgängerreichen wie der ziridischen Taifa im 11. oder dem nasridischen Emirat zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert gemein.

Thomas Freller geht in seiner Darstellung überwiegend chronologisch vor. Der Schwerpunkt liegt, wie der Autor eingangs selbst ankündigt (vgl. S. 8), auf der Periode der Nasridenherrschaft und dem Krieg um Granada bis 1492 (S. 43-141). Die vor- und frühislamische Epoche wird äußerst knapp abgehandelt, die Zeit zwischen 1492 und 1833 demgegenüber etwas ausführlicher, aber hier konzentriert sich die Darstellung sehr deutlich auf die Entwicklungen des 16. Jahrhunderts, insbesondere auf den Umgang mit der Mudéjar-Bevölkerung und die Ereignisse um den Moriskenaufstand von 1568/70. Die Behandlung der verbleibenden zweieinhalb Jahrhunderte, dargestellt auf gut zehn Seiten, erweckt daher den Eindruck eines geschichtlichen Nachklangs. Das Werk schließt mit einem Anhang mit Herrscherlisten der islamischen Reiche und Kastiliens (inklusive der spanischen Könige bis zum Tod Ferdinands VII. 1833) und einer kommentierten Auswahlbibliographie.

Die Schwerpunktsetzung auf der Herrschaftszeit der Nasriden-Dynastie ist durchaus sinnvoll, besaß doch Granada in diesen rund 250 Jahren vor der Wende von 1492 am ehesten den Charakter eines eigenständigen Reichs. Zugleich kam ihm in dieser Zeit besondere Bedeutung als letzter Nachhut der islamischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel zu. Freller schreibt hier vor allem politische Ereignisgeschichte, was sich möglicherweise aus dem Ziel erklärt, das Emirat als Akteur im Spannungsfeld zwischen christlichen Nachbarn im Norden und muslimischen Konkurrenten und Verbündeten jenseits des Meeres in Afrika zu beschreiben, geprägt von häufigen Aufständen und Rebellionen im Innern: Im Mittelpunkt stehen Schlachten, Feldzüge und diplomatische Gesandtschaften sowie die häufig blutigen Herrscherwechsel und Faktionskämpfe. Das ist, gerade für den Krieg um Granada am Ende des 15. Jahrhunderts, bisweilen durchaus spannend, aber es drängt sich auf Dauer doch der Eindruck einer gewissen Einseitigkeit auf. Die Konzentration auf die Herrschenden und ihr nächstes Umfeld lässt sich dabei auch für die christliche Gegenseite konstatieren. Eingehendere Informationen zu Struktur und Gestalt des Emirats werden dagegen nur knapp geboten, für die ganze zentrale Epoche des Buches beispielsweise nur einmal in sehr geraffter, stichpunktartiger Form (vgl. S. 104-108), so dass man für solche Fragen auch weiterhin die genannten Überblicksdarstellungen konsultieren kann.2

Nicht immer werden darüber hinaus die Gegenstände, die der Text anspricht, in wünschenswerter Ausführlichkeit diskutiert. Vielmehr werden sie oft nur genannt und stehen dadurch etwas unverbunden im Raum, etwa wenn hinsichtlich der Eroberung von Städten bemerkt wird, die Quellen erlaubten „eine genaue Analyse dieser Taktik“ (S. 123), aber dann jede nähere Analyse unterbleibt. Das führt dazu, dass der Text häufig im Ungefähren verharrt.

Daneben stolpert der Leser gelegentlich auch über sachliche Ungenauigkeiten, etwa wenn für das antike Iberien von der Provinz Hispalis citerior statt Hispania citerior die Rede ist (vgl. S. 13; Hispalis ist lateinisch für „Sevilla“), oder wenn für einen Heinrich, der 1412 an Verhandlungen zwischen Kastilien und Granada beteiligt war, explizit vermerkt wird, es handele sich um den späteren König Heinrich IV. (vgl. S. 94), der zu dieser Zeit aber noch gar nicht geboren war. Die Schilderung des kastilischen Bürgerkrieges zwischen 1465 und 1479, begonnen während der Regierungszeit Heinrichs IV., macht einzig Isabella zur Gegenspielerin ihres königlichen Halbbruders und unterschlägt damit, dass die kastilische Opposition ursprünglich nicht sie, sondern Alfons (XII.) auf den Thron heben wollte, ehe dieser 1468 starb (vgl. S. 112). Der ab 1527 errichtete Palast Karls V. in der Alhambra, um ein letztes Beispiel zu nennen, hat zwar einen kreisförmigen Innenhof, der äußere Grundriss hingegen ist nicht rund (S. 153), sondern quadratisch.

Hinzu kommen unzählige Flüchtigkeitsfehler, aber auch missverständliche Formulierungen, die durch ein gründlicheres Lektorat leicht hätten vermieden werden können. Besonders störend wirken zudem Ausdrucksweisen, die dazu geeignet sind, anachronistische Assoziationen zu wecken. So spricht Freller für die Mitte des 13. Jahrhunderts wiederholt von „warlords“ (S. 43, 50), später ohne weitere Erklärung von einer „Eliteeinheit“ (S. 65) und von „Spezialtruppen“ (S. 80), oder charakterisiert al-Mansur und die bei den Almoraviden vorherrschenden Lehren als „fundamentalistisch“ (S. 26, 37). In den 1270er-Jahren habe die Hafenstadt Algeciras „im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit“ (S. 57) gestanden, während wenige Jahre danach die Konkurrenz Aragóns, Genuas und Pisas im Fernhandel „an globaler Dynamik“ gewonnen habe (S. 58). Etwas andere, aber gleichfalls unpassende Bezüge ergeben sich aus der Beschreibung der Plünderungszüge der Granadiner jenseits ihrer Grenzen als „blitzkriegartig“ (S. 100). Die historischen Sachverhalte werden hierdurch keineswegs adäquat erklärt, selbst wenn Formulierungen der politischen Gegenwartssprache auf den ersten Blick eingängig erscheinen mögen.

Für eine Bewertung bleibt schließlich zu berücksichtigen, dass das Werk vollständig ohne wissenschaftlichen Apparat auskommt. Ist das Buch als Sachbuch für ein breiteres Publikum intendiert, so erscheint dies durchaus akzeptabel. Irritierend bleiben dann allerdings die wiederholten, überwiegend anonymen Verweise auf „die Forschung“. Dies stört besonders da, wo Forschungsmeinungen ohne Nennung von konkreten Autoren oder Texten kritisiert werden (vgl. S. 36, 41, 50, 114f.). Ähnlich verhält es sich mit den Quellen, die zwar häufig benannt werden, allerdings stets ohne Identifizierung einer näheren Stelle. Die Aussagen Frellers bleiben so jedenfalls unüberprüfbar, zumal man kaum davon ausgehen darf, dass Quellen und die neueste Forschung zur Geschichte Granadas jedem Leser ohne weiteres gut vertraut sein werden – insbesondere die häufig erwähnten arabischen Chroniken nicht. Hier, so ist der Eindruck, wurde die Chance vertan, zugleich eine für einen weiteren Leserkreis spannende Darstellung und eine Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung zu bieten. Die Auswahlbibliographie am Ende des Bandes leistet dies nicht.

Als Fazit kann festgestellt werden, dass Thomas Freller eine überwiegend gut lesbare, wenn auch stilistisch eigenwillige und nicht immer fehlerfreie Darstellung vorgelegt hat, die den Fokus deutlich auf die politische Ereignisgeschichte legt – laut Klappentext die erste „zusammenhängende Geschichte“ Granadas in deutscher Sprache. Die Publikation bietet damit eine Einführung für diejenigen, die erste Informationen insbesondere zu den Auseinandersetzungen zwischen dem letzten islamischen Reich Westeuropas und seinen christlichen Nachbarn suchen. Eine den wissenschaftlichen Ansprüchen genügende, detaillierte und umfassende Darstellung ist sie hingegen nicht. Hierauf bleibt – zumindest auf Deutsch – weiter zu warten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ludwig Vones, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711–1480). Reiche, Kronen, Regionen, Sigmaringen 1993; Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006.
2 Z.B. Herbers, Geschichte, S. 282-288.