D. Verheyen: United City, Divided Memories?

Cover
Titel
United City, Divided Memories?. Cold War Legacies in Contemporary Berlin


Autor(en)
Verheyen, Dirk
Erschienen
Lanham 2008: Lexington Books
Anzahl Seiten
VIII, 301 S.
Preis
$ 80.00/£ 53.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Krijn Thijs, Universität Leiden

Die dynamische Erinnerungslandschaft des „Neuen Berlin“ hat seit ihrem Entstehen Beobachter im In- und Ausland fasziniert. Das hat inzwischen zu einer Reihe bemerkenswerter englischsprachiger Monographien über die Präsenz von Geschichte in Berlin geführt.1 Viele Studien in diesem Feld sind neben professionellen Interpretationsvorschlägen zur deutschen Identitätsfindung zugleich auch allgemeine Einführungen, gerichtet etwa an die zahlreichen ausländischen Studenten und Berlinbesucher. In diese angelsächsische Tradition stellt der Politikwissenschaftler Dirk Verheyen nun seine Überblicksdarstellung „United City, Divided Memories?“. Der Autor stammt aus den Niederlanden, wurde in den Vereinigten Staaten ausgebildet und arbeitet heute als akademischer Direktor des Berlin European Studies Program an der Freien Universität Berlin. Sein Hauptinteresse gilt der „zentralen Frage“: „How does Berlin deal with its turbulent legacy?“ (S. 2)

Verheyens Darstellung unterscheidet sich thematisch von vergleichbaren Studien, indem sie sich nur auf „post Cold War Berlin“ richtet, also auf die Museen, Monumente und Erinnerungsorte, die die geteilte Stadt der Nachkriegszeit (1945–1989) dokumentieren. Hier schränkt der Autor seinen Blick noch einmal weiter ein, indem er drei Themenkomplexe herausnimmt: das Erbe der Besatzungsmächte, der DDR-Staatssicherheit und der Mauer. Verheyen hat sein Buch nach diesen Themen in drei Teile strukturiert, die je rund 60 Textseiten umfassen und auch unabhängig voneinander lesbar sind.

Der sorgfältig annotierten Darstellung schaltet Verheyen zwei einführende Kapitel vor. Das erste umreißt knapp die westdeutsche Vergangenheitsbewältigung und skizziert dann die Ausgangslage von 1990. In den folgenden Jahren sei es vor allem darum gegangen, wie das vereinte Deutschland seine nationale Geschichte neu bewerte und wie vor dem Hintergrund der NS-Geschichtsaufarbeitung nun die zweite Diktatur eingeordnet werden solle.2 Etwas verwirrend ist das zweite einführende Kapitel. Es präsentiert sich unter dem Titel „Capturing Memory and Crafting Identity“ wie ein Theoriekapitel, entpuppt sich dann aber vor allem als eine Darstellung der Debatten um das Deutsche Historische Museum und die Neue Wache.

In Wirklichkeit geht es Verheyen auch gar nicht um eine Untersuchung nationaler Identitäten oder konkurrierender Meistererzählungen, sondern um die in Berlin noch sichtbaren Spuren des Kalten Krieges. Den Autor interessiert vor allem, wie die ehemaligen Orte der Besatzungsmächte, der Staatssicherheit und der Mauer im heutigen Berlin verwaltet und behandelt werden. Die drei Kapitel beginnen jeweils mit einer materialreichen Einführung in die Zeit vor 1989 und rücken dann die Debatten der 1990er-Jahre ins Zentrum.

Das stärkste Kapitel ist das erste, zu den Spuren der alliierten Besatzungsherrschaft. Hier kommen West- und Ost-Berlin gleichermaßen in den Blick. Verheyen beschreibt die Orte, die die vier Besatzungsmächte in Berlin zurückgelassen haben (Hauptquartiere, Wohnviertel, Flughäfen, Kriegsgräber und Denkmäler). Er erläutert, welche Diskussionen um Erhalt oder Abriss geführt wurden und welche Institutionen und Bürgerinitiativen das Erbe heute pflegen. Das Kapitel mündet in eine prägnante Schilderung über die Entstehung der getrennten Museen in Karlshorst und Zehlendorf, die die frühere Anwesenheit der Sowjets bzw. der Westalliierten heute dokumentieren. Verheyen arbeitet überzeugend die unterschiedlichen Erzählungen des Kalten Krieges heraus, die in beiden Museen präsentiert werden, und zeigt auch deren politische Hierarchisierung im „Neuen Berlin“: Die Gründung des „AlliiertenMuseums“ in Zehlendorf wurde 1994 mit viel politischer Prominenz eröffnet, während Bonn 1995 lediglich einen Staatssekretär zur Neueröffnung der deutsch-russischen Dokumentation in Karlshorst schickte (S. 104).3 Auf diesen Abschnitt über die Spuren der Besatzungsmächte stützt sich der Titel der Studie sowie Verheyens zentrales, wenn auch wenig überraschendes Statement, dass Berlins Erinnerungslandschaft nach wie vor zwischen Ost und West geteilt sei.

Die beiden anderen Buchteile konzentrieren sich auf den Umgang mit der DDR-Geschichte. Der eine skizziert die Entstehung der BStU, der Gedenkstätte Hohenschönhausen und des Stasimuseums in der Normannenstraße. Der Abschnitt zur Mauer behandelt die Debatten um die Gedenkstätte in der Bernauer Straße, den Ursprung und Erfolg des privaten (West-Berliner) Museums am Checkpoint Charlie sowie den Umgang mit Mauerresten und Wachtürmen. Von den Kontroversen und Entscheidungsprozessen berichtet Verheyen detailliert und ausgewogen. Sehr sorgfältig zeigt er Finanzierungsmodalitäten und Trägerschaften der Erinnerungsprojekte auf – ihn interessieren die institutionellen Entwicklungen fast noch mehr als die inhaltlichen Streitpunkte. Während seine Sekundärliteratur eher aus den früheren 1990er-Jahren stammt, zieht Verheyen eine beeindruckende Sammlung Berliner Zeitungsartikel und Pressestimmen heran. Seine Darstellung wirkt dadurch frisch und originell. Wiederholt weist der Autor darauf hin, in Berlin fehle ein „truly comprehensive, citywide memorial concept, bringing city and district officials together with the varied private/societal projects, initiatives, and institutions“ (S. 257). Weil die Studie nur punktuell über das Jahr 2002 hinausblickt, fehlen die jüngeren Auseinandersetzungen etwa über die Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“.4 Das tut dem Wert des Bandes als gut informierter Übersicht zu den 1990er-Jahren selbstverständlich keinen Abbruch.

Wenn wir das Gesamtergebnis an den vom Autor eingangs formulierten Ansprüchen messen, seien dennoch zwei kritische Bemerkungen erlaubt. Zum einen wird der Leser mit der Einordnung der dargebotenen Diskussionen streckenweise etwas alleingelassen. Die hinter dem Streit um Geld und Einfluss stehenden konkurrierenden DDR-Interpretationen oder rivalisierenden Auffassungen demokratischer Erinnerungsarbeit werden wenig systematisch erörtert. In ähnlicher Weise geraten zeitgleiche und für die Berliner Erinnerungslandschaft bedeutende Kontroversen um NS-Geschichtsorte etwas aus dem Blick. So beschreibt Verheyen viele Projekte ehemaliger DDR-Bürgerrechtler als „striking case[s] of grassroots initiative, often against considerable (official) odds, in the arena of the politics of commemoration“ (S. 156). Diese Einschätzung mag stimmen, doch sie ist keineswegs typisch für die DDR-Erinnerungskultur. Für die vorherige oder parallele Etablierung mancher NS-Gedächtnisorte war der zähe Kampf unbequemer Bürgerinitiativen gerade in Berlin eher der Normalfall. Der Blick auf solche Zusammenhänge geht durch die Beschränkung auf Berlins Umgang mit dem Erbe des Kalten Krieges etwas verloren, zumal die übergreifenden Fragen der Einführung in den einzelnen Kapitel höchstens sehr indirekt wieder aufgenommen werden.

Zum anderen sollte ein Autor die Wahl seiner Fallbeispiele expliziter begründen. Mit den Themenkomplexen Staatssicherheit und Mauer kommt Verheyen sicherlich dem populären (und vielleicht auch dem angelsächsischen) DDR-Bild entgegen. Indem aber ausschließlich Orte des Unrechtsstaates besucht werden, entsteht doch ein einseitiger Eindruck des widersprüchlichen Erbes der DDR. Selbst wenn der Streit um die Einordnung und Bewertung der DDR-Geschichte als solcher nicht Gegenstand dieser Studie über „Cold War Legacies“ in Berlin ist, bleibt das Buch etwas asymmetrisch: Es fehlen die ebenfalls heiß umkämpften „visible traces“ alltagsgeschichtlicher oder gar nostalgischer DDR-Erzählungen. Was ist mit dem Palast der Republik5 oder dem Gegengedächtnis der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde? Wenn es um das Erbe der Systemkonkurrenz geht, wäre auch der Fernsehturm ein interessanter Fall – als ein erfolgreich in das „Neue Berlin“ integriertes Machtsymbol der ehemaligen „Hauptstadt der DDR“. Die perspektivische Engführung springt umso mehr ins Auge, als der Autor ansonsten durchaus differenziert über die ostdeutsche Diktatur berichtet.

Insgesamt aber bietet „United City, Divided Memories?“ eine hervorragende Übersicht zu Berlins Umgang mit den Spuren der Besatzungsmächte und den Orten des DDR-Unrechts. Verheyen ist eine sehr nützliche, dicht geschriebene Monographie gelungen, die Lesern ohne größere Vorkenntnisse zugänglich ist und zugleich ein umfangreiches Quellenkorpus aus der Berliner Tagespresse der 1990er-Jahre erschließt.

Anmerkungen:
1 Brian Ladd, The Ghosts of Berlin. Confronting German History in the Urban Landscape, Chicago 1997; Andreas Huyssen, Present Past. Urban Palimpsests and the Politics of Memory, Stanford 2003; Karen Till, The New Berlin. Memory, Politics, Place, Minneapolis 2005 (rezensiert von Christiane Winkler, in: H-Soz-u-Kult, 31.08.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-128> (04.09.2009)); Jennifer Jordan, Structures of Memory. Understanding Urban Change in Berlin and Beyond, Stanford 2006.
2 Der Autor folgt hier im Wesentlichen Konrad H. Jarausch / Hinrich C. Seeba / David P. Conradt, The Presence of the Past. Culture, Opinion, and Identity in Germany, in: Konrad H. Jarausch (Hrsg.) After Unity. Reconfiguring German Identities, Providence 1997, S. 25-60.
3 Durch seine Leistungen in der Erforschung und Vermittlung etwa von Themen der Kriegsfotografie hat das Museum in Karlshorst dieses Ungleichgewicht inzwischen aber korrigieren können.
4 Martin Sabrow u.a. (Hrsg.), Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007 (rezensiert von Günther R. Mittler, in: H-Soz-u-Kult, 21.02.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-148> (04.09.2009)).
5 Siehe dazu die Sammelrezension von Hanna Steinmetz, in: H-Soz-u-Kult, 08.04.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-019> (04.09.2009).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch