J. Rüpke (Hrsg.): Gruppenreligionen im römischen Reich

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Titel
Gruppenreligionen im römischen Reich. Sozialformen, Grenzziehungen und Leistungen


Herausgeber
Rüpke, Jörg
Reihe
Studien und Texte zu Antike und Christentum 43
Erschienen
Tübingen 2007: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
VII, 212 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Omerzu, Det Teologiske Fakultet, Københavns Universitet

Dieser von dem Religionswissenschaftler Jörg Rüpke herausgegebene Band versammelt Beiträge, die ursprünglich anlässlich eines Kolloquiums im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Römische Reichsreligion und Provinzialreligion: Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte“ im März 2005 in Erfurt vorgestellt wurden. Obwohl das Buch zeitlich wie geographisch einen weiten Raum abschreitet, beansprucht es doch eine relative Geschlossenheit, insofern sich alle Beiträge „auf Religionsformen konzentrieren, die sich über das Prinzip der Mitgliedschaft oder ‚Einweihung‘ als dauerhafte Kultgruppen organisieren und sich so von der auf öffentlich finanzierte Heiligtümer konzentrierten ‚diffusen Religiosität‘ antiker Städte deutlich unterscheiden“ (S. 1). Rüpke stellt in seiner Einleitung (S. 1–6) nicht nur den allen Beiträgen zugrunde liegenden Fragenkatalog vor, sondern problematisiert auch die adäquate Bezeichnung der Sozialformen von Religion. In Abgrenzung von Begriffen wie (Mysterien-) Kult, Sekte, Kirche, Kollegium oder Verein werde „hier der Begriff der ‚Gruppe‘ als soziologisches Konzept bemüht, um verschiedene Phänomene der römischen Kaiserzeit ohne weitere klassifikatorische Entscheidungen zu beschreiben“ (S. 1). Ein besonderes Augenmerk gilt dabei einerseits den Beziehungen von Gruppenreligionen untereinander, andererseits ihrem jeweiligen Verhältnis zur „Reichsreligion“. Zugleich werden aber auch die Grenzen des heuristischen Begriffes „Gruppenreligion“ klar benannt (S. 6).

Der Beitrag von Celia Schultz (Sanctissima femina: Gesellschaftliche Klassifikation und die religiöse Erfahrung von Frauen in der Römischen Republik, S. 7–29) ist zwar instruktiv, wird der oben genannten Vorgabe jedoch nur bedingt gerecht, insofern er sich weder auf Gruppenreligionen noch auf die Kaiserzeit bezieht, sondern „das Wechselspiel zwischen sozialen Faktoren wie Klasse und ehelicher Status, und religiöser Differenzierung von Frauen“ (S. 10) mehr auf der individuellen, denn auf der kollektiven Ebene untersucht. Während eine ausgezeichnete Abstammung für beide Geschlechter konstitutiv hinsichtlich der Übernahme religiöser Aufgaben war, spielte nach Schultz die gute Reputation bei Frauen eine große, bei Männern hingegen kaum eine Rolle.

Hubert Cancik widmet sich in seinem Aufsatz „Haus, Schule, Gemeinde. Zur Organisation von ‚fremder Religion‘ in Rom (1.– 3.Jh. n. Chr.)“ (S. 31–48) den kleinen Organisationseinheiten (im Gegensatz zu Staat, Militär oder Recht), die besonders von „fremden Religionen“ (S. 46 und öfter) gepflegt wurden. Diskussionswürdig scheint mir seine unter Verweis auf Tertullian gezogene Schlussfolgerung, dass lediglich die Christen bereits früh über eine Dachorganisation über ansonsten autonom existierende Orte religiöser Betätigung verfügten (S. 46). Einerseits verweist Cancik auf den Zusammenhalt jüdischer Synagogen (S. 46), andererseits bemerkt er zu Recht, dass Tertullian zwar „die Terminologie römischer Vereinsgesetzgebung“ (S. 45) benutze, daraus jedoch kein Rückschluss auf die faktische Organisation der Gemeinden gezogen werden könne. „Das bedeutet zunächst nur, daß die Christianer diesen Status beanspruchen“ (S. 45).

James D. G. Dunns Beitrag (Boundary Markers in Early Christianity, S. 49–68) beruht auf seiner Grundthese, dass Gruppenidentität wesentlich durch Abgrenzung gestiftet wird, und untersucht vor diesem Hintergrund, wie sich das Christentum von einer innerjüdischen Gruppierung zu einer eigenständigen Religion entwickelt hat. Nach Dunn bewahrten die Christen etliche Grundüberzeugungen des Judentums, wenngleich teilweise auch in modifizierter Form (Monotheismus, Erwählung/Israel, Tempelsymbolik, Ethik), gaben aber die zentralen jüdischen „boundary markers“ Beschneidung und Reinheitsgebote auf. An ihre Stelle traten Christusglaube, Geistbegabung, Taufe und Herrenmahl. Dunn benennt selbst Schwächen dieses Modells, etwa die Verhältnisbestimmung zur griechisch-römischen Welt, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann.

Michael Bachmann (Zur Rezeptions- und Traditionsgeschichte des Paulinischen Ausdrucks erga nomou: Notizen im Blick auf Verhaltensregeln im frühen Christentum als einer ‚Gruppenreligion‘, S. 69–86) entfaltet die von ihm (und J. D. G. Dunn) im Rahmen der „New Perspective on Paul“ wiederholt vorgetragene – nicht unstrittige – These (vgl. S. 70, Anm. 8), das paulinische Syntagma erga nomou („Werke des Gesetzes“) rekurriere auf einen jüdischen Terminus technicus für Halakhot, das heißt auf einzelne Vorschriften, jedoch nicht auf die Tora als ganze. Während der Ausdruck bei dem „Kronzeugen“ für diese Lesart, 4 QMMT, „im Blick auf innerjüdische Exklusion gebraucht worden ist“, wird er „bei Paulus nun hinsichtlich der Außengrenze der eigenen Gemeinschaft und dabei auch noch im Blick auf die Inklusion von Nicht-Heiden verwandt“ (S. 84). Leider bleibt Bachmann im Blick auf das „korporative Moment“ (S. 84; vgl. 81) bei der Rezeption der paulinischen Vorstellung sehr vage, was angesichts des Leitthemas des Bandes bedauerlich ist.

In seiner Untersuchung „Das Bekenntnis zum einzig allwirksamen Gott und Herrn und die Dämonisierung von Fremdkulten: Monolatrischer und polylatrischer Monotheismus in 1. Korinther 8 und 10“ (S. 87–112) greift Johannes Woyke ebenfalls auf die Dunnsche Konzeption zurück und stellt die in 1 Kor 8 und 10 verhandelte Problematik des Verzehrs von Götzenopferfleisch als „paradigmatischen Konflikt um identity wie boundary markers innerhalb der christlichen Gemeinde“ dar (S. 109). Die Dämonisierung der Fremdgötter in 1 Kor erfolgt vor dem Hintergrund „der monarchisch-monotheistischen Erkenntnis mit dem Ziel der Tabuisierung der Idolothytophagie in religiösem Kontext – eine Argumentationsstrategie, die (auch) für Christen aus einem gebildeten, ehemals paganen Zusammenhang durchaus plausibel ist“ (S. 89). Man wird Woyke nicht in allen Einzelheiten zustimmen, doch bietet er stimulierende Schlussfolgerungen. Jörg Rüpke beleuchtet in seiner Studie „Integrationsgeschichten. Gruppenreligionen in Rom“ (S. 113–126) exemplarisch die Einbindung von Immigrantenkulten in das weite religiöse Spektrum Roms vom 2. bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. Bei aller Unterschiedlichkeit der untersuchten Kulte (Mithras, Sol, Iuppiter Dolichenus, Christentum) erweise sich doch als wesentliche Konstante ein „[S]treben nach Integration in die Struktur öffentlicher Religion“ (S. 123). Häufig würden zeitliche wie organisatorische Strukturen von den institutionalisierten Kulten übernommen, nicht aber deren Streben nach medialer Präsenz. Knapp, aber prägnant skizziert Rüpke, dass christliche Lebensführung auch für Angehörige der römischen Oberschicht „keinen Bruch mit den eigenen Traditionen und Werten verlangte“ (S. 120).

Die letzten drei Beiträge richten ihr Augenmerk auf die Provinzen; sie verbindet auch, dass die Ausführungen durch Abbildungen veranschaulicht werden. Wolfgang Spickermann (Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit: Integration von Mysterienkulten in die lokalen Panthea in Gallien und Germanien, S. 127–160) zeigt an ausgewählten Beispielen des Mithras-, Kybele- und Isiskultes in Germanien das Zusammenspiel zwischen sogenannten Mysterienkulten und lokalen Panthea auf. Während die meisten der anderen Beiträge des Bandes Zusammenfassungen oder Modifikationen bereits andernorts publizierter Studien sind, arbeitet Spickermann auch bislang unveröffentlichtes Material auf, so zum Heiligtum der Isis und Magna Mater in Mogontiacum/Mainz, zum Metroon in Altiaium/Alzey oder eine Weihinschrift für Magna Mater aus Augusta Treverorum/Trier. Er kommt zu dem Schluss: „Im Unterschied zu vielen anderen Kulten, die über die Rhône-Rhein-Linie ihren Weg nach Germanien fanden, kommt Mogontiacum/Mainz die zentrale Funktion bei der Verbreitung der Mysterienkulte zu. Hier wurde [sic!] anscheinend das erste große Mithräum sowie der Doppeltempel für Isis und Kybele schon in flavischer Zeit errichtet“ (S. 153).

Auch Alfred Schäfer widmet sich der Frage nach praktizierten Formen sogenannter Mysterienkulte und ihrer Integration in das städtische Umfeld (Dionysische Gruppen als ein städtisches Phänomen der römischen Kaiserzeit, S. 161–180). Er diskutiert dies anhand von Beispielen aus Ephesus und dem Donauraum, etwa aus Apulum, wo er selbst für die Ausgrabung eines Liber-Pater-Heiligtums mitverantwortlich war. Die Versammlungslokale – häufig mehrere an einem Ort – finden sich an öffentlichen Plätzen oder in Wohnquartieren, sind also in die Stadt integriert; das gleiche gilt für das Verhältnis zu anderen Göttern: „Neben der Verehrung des Vereinsgottes konnte der Kult anderer Gottheiten und göttlicher Personifikationen gepflegt werden“ (S. 171).

Der letzte Beitrag von Günther Schörner (Von der Initiation zum Familienritual: Der Saturnkult als Gruppenreligion, S. 181–201) setzt sich kritisch mit der „klassischen“ Deutung des nordafrikanischen Saturnkultes als mysterienähnliche Religion durch Le Glay auseinander.1 Schörner macht plausibel, dass es sich vielmehr um einen Familienkult handelt, dessen visuelle Repräsentation sich römischer Bild- und Formensprache bedient. Bei einer auf vielen Saturnstelen abgebildeten Szene handle es sich nicht um einen Initiationsakt, „sondern um ein Ritual, das eine kultische Verbindung zwischen Eltern, Kindern und Saturn herstellte“ (S. 193). Alle Einzelbeiträge enthalten eine umfassende und aktuelle Bibliographie. Der Gesamtband wird durch von Elisabeth Begemann verantwortete Register erschlossen (S. 203–212). Das Fehlen eines Verzeichnisses der Beiträger mit Erschließung ihrer Fachgebiete stellt aber ein geringfügiges editorisches Manko dar.

Zwar orientieren sich die einzelnen Studien unterschiedlich stark an den in der Einleitung formulierten Fragen, doch reflektiert der Band insgesamt eine begrüßenswerte Tendenz innerhalb der Geschichts- und Religionswissenschaften: Kulte werden nicht als isolierte „religiöse“ Phänomene wahrgenommen, sondern in ein weites Netz sozio-kultureller Beziehungen im gruppenspezifischen wie öffentlichen Raum eingebettet.

Anmerkung:
1 Vgl. Marcel Le Glay, Saturn Africain. Monument I: L’Afrique proconsulaire, Paris 1961; Saturn Africain. Monument II: Numidie – Maurétanies, Paris 1966; Saturn Africain. Histoire, Paris 1966.

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