Conversations-Lexikon

Brockhaus, Friedrich Arnold (Hrsg.): Conversations-Lexikon - 1. Auflage 1809-1811. oder kurzgefaßtes Handwörterbuch; Neusatz und Faksimile. Berlin 2005 : Directmedia Publishing, ISBN 3-89853-531-2 1 CD-ROM € 45,00

Pierer, Heinrich A. (Hrsg.): Pierer's Universal Lexikon (DVD-ROM). 4. Auflage 1857-1865; Neusatz und Faksimile. Berlin 2005 : Directmedia Publishing, ISBN 3-89853-515-0 1 DVD-ROM € 240,00

Herder, Bartholomä (Hrsg.): Herders Conversations-Lexikon (PC+MAC). 1. Auflage 1854-1857; Neusatz und Faksimile. Berlin 2005 : Directmedia Publishing, ISBN 3-89853-533-9 1 CD-ROM € 90,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Epple, Geschichte, Universität Bielefeld

Zwar ist heutigen Schulkindern der „Brockhaus“ noch ein Begriff, die Zeiten, in denen er die bürgerlichen Bücherregale zierte, sind aber längst vorbei. Seit 2005 erscheint er in digitaler Form. Dabei erlebt er dieses Jahr seinen 200sten Geburtstag – ein denkwürdiges Ereignis, das sich am besten mit einer digitalen Ausgabe des Ur-Brockhaus begehen lässt, die nun als „Conversations-Lexikon oder kurzgefasstes Handwörterbuch, 1. Auflage 1809-1811“ in der „Digitalen Bibliothek“ vorliegt.

Nur drei Jahre nach der Gründung seines Verlags erwarb der junge Friedrich Arnold Brockhaus das „Conversations-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten“ von Renatus Gotthelf Löbel und Christian Wilhelm Franke für 1.800 Taler. Das „Conversations-Lexikon“ war vor der Übernahme nicht nur ein wirtschaftlicher Misserfolg gewesen, sondern auch unvollendet geblieben. Mit gutem Gespür für zeitgenössisches Marketing pries Brockhaus die sechs Bände als unerlässliches Werk für „eine überaus große (ich darf sagen für die größte) aller Classen von Lesern“ (Bd. 1, S. 6) an. Es richte sich an die Gelehrten wie die Ungebildeten, an Frauen wie Männer und vor allem sowohl an solche, die nach „Geistesbildung“ als auch an solche, die nach dem „Schein derselben“ strebten. Innerhalb von zwei Jahren lieferte Brockhaus sechs Bände und zwei Nachtragsbände aus.

Die ihm zufolge immer feinere Unterscheidung zwischen „Geistesbildung“ und dem „Schein derselben“ nimmt Brockhaus als Anzeichen dafür, dass die „Conversation“ immer wichtiger und die Standes- wie die Geschlechterunterschiede immer geringer würden. Historiker/innen mussten nicht auf Pierre Bourdieu warten um zu wissen, wie sehr sich Brockhaus täuschte – im Übrigen zeigt sich dies auch in seinem Vorwort selbst: Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden zugleich negiert und hervorgebracht – eine komplizierte argumentative Melange.

Schon bald bekam die Unternehmung auch auf dem deutschsprachigen Markt Konkurrenz: Der „Meyer“, der „Pierer“, der „Herder“, aber auch das „Damen Conversations Lexikon“, herausgegeben von Carl Herloßsohn erschienen bis zur Jahrhundertmitte. International gesehen waren Frankreich (Encyclopédie, ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers) und Großbritannien (Encyclopaedia Britannica) schon seit Ende des 18. Jahrhunderts mit allgemein verständlichen Nachschlagewerken gut versorgt. Dem niederländischen „Winkler Prins Geillusreerde Encyclopaedie“, dem „Svenskt Konversationslexikon“ oder auch der „Americana“ mag der Brockhaus jedoch als Vorbild gedient haben.

Neben dem Ur-Brockhaus liegen nun auch „Pierer’s Universallexikon, 4. Auflage 1857-1865“ und „Herders Conversations-Lexikon, 1. Auflage 1854-1857“ in der „Digitalen Bibliothek“ vor. Die drei Lexika, die über viele Jahrzehnte hinweg versuchten, eigene Marktnischen zu schaffen und dann zu bedienen, sind somit heute gemeinsam als Quellen schnell verfügbar und erleichtern vergleichende Analysen.

Was leistet die „Digitale Bibliothek“? Der Aufbau der „Digitalen Bibliothek“ ist bezüglich Navigation und Funktionen standardisiert und daher für alle Lexika derselbe. Ein immer gleiches Seitenlayout erleichtert die Orientierung ungemein.

Nach der einfachen Installation von der CD aus (dies gilt für PCs wie für Macs) gliedert sich der Bildschirm in zwei übersichtliche Felder. Im einen erscheint der Text des gewählten Lexikons, der von Anfang bis zum Ende durchgeblättert werden kann. Das Programm ermöglicht eine Lektüre, wie dies ansonsten nur mit Kopien möglich ist: Mit vier unterschiedlichen Farben können Textpassagen temporär oder dauerhaft angestrichen und so schnell wieder auffindbar gemacht werden. Es kann ausgeschnitten, kopiert, gelöscht, gedruckt und gespeichert werden. Textausschnitte können direkt in eine beliebige Textverarbeitung importiert und dort weiterverwendet werden. Zwar weisen die Herausgeber auf die Funktion der Hyperlinks hin, tatsächlich finden sich Hinweise wie Fußnoten oder Übersetzungstitel blau unterlegt und es wird so ein Hin- und Herspringen ermöglicht. Eine ernsthafte Hyperlinkfunktion, die Einträge untereinander oder gar verschiedene Lexika miteinander verlinkte, wird nicht geboten – das wäre auf einer CD-Rom auch gar nicht zu leisten. Auch ohne echte Hyperlinks sind die CD-Roms der Originalausgabe freilich unschlagbar überlegen, aber die Originalausgabe oder ein Faksimile-Reprint sind nicht die eigentlichen Konkurrenten.

Die CD-Roms müssen sich stattdessen gegenüber billigeren oder gar kostenfreien Angeboten im WWW behaupten. Was unterscheidet sie von dieser, auf den ersten Blick komfortableren Alternative? Der „Zedler“ z.B. ist als Faksimile-Version online verfügbar (<http://www.zedler-lexikon.de>, Zugriff: 24.08.2009). Sie ist das Ergebnis eines gelungenen, DFG-geförderten Digitalisierungsprojekts. Eigentümer und Betreiber der Domain und des Online-Angebotes ist die Bayerische Staatsbibliothek München. Wer nur einen Einstieg in die nächste Seminarstunde sucht, kann sich tatsächlich schneller hier bedienen, als dies die CD-Roms erlauben. Markieren, Ausschneiden, Importieren ist jedoch nicht möglich – zumal es sich um eine Faksimile-Version handelt.

Die meisten digitalen Angebote im WWW sind außerdem selten in der Qualität des „Zedler“ zu haben. Denn, was im WWW kostenfrei angeboten wird, ist – wenn die DFG oder andere Institutionen nicht eingebunden sind – meist mit Werbung finanziert. Und diese hat dann doch ihren Preis: Dies gilt z.B. für eine Website, auf der nicht nur die hier besprochenen drei historischen Konversationslexika, sondern auch das erwähnte „Damen Conversations Lexikon“ digitalisiert angeboten werden. Neben dem Inhaltsverzeichnis des Lexikons aus dem Jahr 1834 werden aktuelle Kontakte zu Damen angeboten, die sich in knappen Bikinis (immerhin) präsentieren und deren Hautfarbe je nach Inhalt des Lexikoneintrags wechselt – zumindest wenn man zwischen den Einträgen „Europa“ und „Afrika“ wählt (Zugriff: 27.04.2009). Hier hat sich jemand richtig Mühe gemacht („Pierer“, „Herder“ und „Ur-Brockhaus“ werden übrigens dezenter beworben). Ob dies die Attraktivität des digitalisierten Lexikons erhöht? Mich jedenfalls hat es gestört und ich habe wieder mit Begeisterung zur CD-Rom zurückgegriffen und mich über die Universitätsbibliothek gefreut, die die „Digitale Bibliothek“ in ihre Datenbank aufgenommen hat.

Eine intensivere Nutzung lässt die Vorteile der „Digitalen Bibliothek“ noch deutlicher werden. Neben der Faksimile-Version ist per Mausklick stets die heutige Schreibweise (unter Beibehaltung der damaligen Orthographie) zum Schnelllesen aufzurufen. Dies wird auch Nichtmuttersprachler freuen, die sich mit Faksimile-Versionen noch schwerer tun als ihre deutschen Kollegen. Besonders gelungen ist die Suchfunktion. Hier sind die CD-Roms nicht nur den analogen Geschwistern, sondern auch den seriösen Internet-Angeboten überlegen. Neben dem alphabetischen Inhaltsverzeichnis und dem Register sind sowohl Stichwörter als auch Themen in die Suchfunktion integriert. Außerdem lassen sich die bei der Lektüre markierten Stellen oder Wortkombinationen suchen.

Wer möchte, kann mit der ausgefeilten Suchfunktion seinem Zahlenfetischismus frönen. Ein Klick ergibt z.B., dass „Geschichte“ im Ur-Brockhaus keinen Eintrag wert war und auch ansonsten die Vokabel nicht verwendet wurde. Im „Herder“ dagegen ergibt „Geschichte“ gleich 50 Treffer. Im Sinne des Kollektivsingulars „Geschichte“ allerdings findet der Eintrag auch im „Herder“ keine Einzelwürdigung. Wurde der Begriff also gar nicht verwendet?

Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, wie verführerisch Digitalisierungsprojekte im Allgemeinen sind. Wenig geschulte Nutzer mögen durch die Leichtigkeit des Zugangs zu den Quellen über deren Bedeutung getäuscht werden. Sie können dazu neigen, deren Verbreitung oder Aussagekraft völlig zu überschätzen und deren normativen Charakter zu vergessen. Dass der Begriff „Geschichte“ nicht als Einzeleintrag im Lexikon auftaucht, sagt schlicht nichts über dessen tatsächliche Verwendungsweise aus.

Dies ist freilich kein Argument gegen Digitalisierungsprojekte. Für Wissenschaftler/innen sind diese Angebote ein großer Gewinn. Dennoch müssen wir deren Auswirkungen im Blick behalten. Die Auswahl der Quellen, mit Hilfe derer sich z.B. Studierende ein Verständnis der Vergangenheit erarbeiten, wird durch Digitalisierungsprojekte nachhaltig verändert. Wo aber werden die Kriterien der Auswahl erläutert oder gar reflektiert? Wo wird erwähnt, welche Quellen es nicht „wert“ sind, digitalisiert zu werden? Wo werden die engen Grenzen, die ein jedes Archiv durch seine thematische Ausrichtung immer schon eingesteht, sichtbar gemacht?

Eine kritische Ausgabe, ausführliche Kommentare, Forschungsliteratur zur Entstehung und andere wichtige Zugaben, die einer solchen CD-Rom beigefügt sein könnten, sind leider nicht das Anliegen der „Digitalen Bibliothek“. Das ist sehr schade. Eine solche reflektierte Aufbereitung hätte die rezensierten historischen Lexika der „Digitalen Bibliothek“ noch mehr über anders finanzierte und vor allem über kommerzielle digitale Angebote erhoben.

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