Bange, Oliver; Niedhart, Gottfried (Hrsg.): Helsinki 1975 and the Transformation of Europe. . New York 2008 : Berghahn Books, ISBN 978-1-845-45491-3 X, 208 S. $ 75.00

Wenger, Andreas; Mastny, Vojtech; Nuenlist, Christian (Hrsg.): Origins of the European Security System. The Helsinki Process Revisited, 1965-75. London 2008 : Routledge, ISBN 978-0-415-43387-7 XII, 262 S. £ 70.00

Nuti, Leopoldo (Hrsg.): The Crisis of Détente in Europe. From Helsinki to Gorbachev, 1975-1985. London 2009 : Routledge, ISBN 978-0-415-46051-4 XVII, 285 S. £ 75.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Schmidt, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin

Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ist ein faszinierendes Studienobjekt. Mit ihr trat der Ost-West-Konflikt in eine neue Phase, die sich rückblickend als der Anfang vom Ende der Auseinandersetzung entpuppte. Die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki durch 33 europäische und die beiden nordamerikanischen Staaten markierte am 1. August 1975 den Höhepunkt der Entspannungspolitik. Doch die Spannungen nahmen in der darauffolgenden Dekade wieder zu und kulminierten zu Beginn der 1980er-Jahre im „zweiten Kalten Krieg“. Diese Entwicklungen werden in den drei vorliegenden Bänden, deren Schwerpunkte eindeutig auf der Politik- und der Diplomatiegeschichte liegen, anhand zumeist neu erschlossener Archivquellen aus Ost und West multiperspektivisch analysiert. Daraus ergibt sich eine erkenntnisreiche Zusammenschau, wenngleich das Bild an manchen Stellen noch schemenhaft ist. Von den insgesamt 45 Aufsätzen kann hier nur auf ausgewählte Beiträge eingegangen werden.1

Der von Andreas Wenger, Vojtech Mastny und Christian Nuenlist herausgegebene Band widmet sich in erster Linie den Ursprüngen des KSZE-Prozesses und dessen Verlauf bis 1975. Das Buch ist das Produkt einer Konferenz an der ETH Zürich, die im September 2005 vom dortigen Center of Security Studies im Rahmen des „Parallel History Project on NATO and the Warsaw Pact“ (PHP) gemeinsam mit dem National Security Archive (Washington) und dem Machiavelli Center for Cold War Studies (Florenz) durchgeführt wurde.2

In ihrer Einführung unterstreichen Wenger und Mastny zwei Befunde: Das Interesse an der vom Warschauer Pakt vorgeschlagenen Sicherheitskonferenz verstärkte sich entscheidend durch die Neue Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel. Die KSZE war somit auch ein Instrument, um die in manchen westeuropäischen Staaten angenommene Gefahr einer deutschen Neutralität einzuhegen. Eine weitere wesentliche Ursache für den Trend zur Multilateralisierung der Entspannungspolitik sehen die beiden Herausgeber darin, dass die Partner der USA und der Sowjetunion in den jeweiligen Bündnissen mehr Eigenständigkeit und Mitsprache beanspruchten. Die beiden Supermächte mussten auf die Wünsche ihrer Verbündeten Rücksicht nehmen und konnten die Détente nicht länger nur unter sich ausmachen.

Die Beiträge von Michael Cotey Morgan und Jeremi Suri zeigen, wie skeptisch die Nixon-Administration, insbesondere Henry Kissinger, die KSZE lange Zeit beurteilte. Die US-Regierung war vor allem interessiert an der bilateralen Begrenzung der nuklearstrategischen Arsenale (SALT) und der ballistischen Raketenabwehr (ABM) sowie an den Verhandlungen über die Reduzierung konventioneller Truppen in Europa (MBFR). Eine Neudefinition des Begriffs Sicherheit, der multilaterale Strukturen und die Wahrung der Menschenrechte beinhalten sollte, wie es sich die Westeuropäer wünschten, lehnte Kissinger prinzipiell ab. Für ihn hatten die traditionelle Staaten- und Machtpolitik und das Streben nach Stabilität eindeutig Vorrang. Dennoch trug er gegen Ende der Helsinki-Konferenz den Forderungen der europäischen und kanadischen Verbündeten Rechnung und übte starken Druck auf die Sowjetunion aus, um Konzessionen bei den Menschenrechten und der „Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen“ („Korb III“) zu erwirken. Suri meint, wegen der emanzipatorischen Tendenzen der EG-Staaten habe sich das Denken Kissingers über die Sicherheit in Europa gewandelt. Der US-Außenminister habe das Potenzial des multilateralen Entspannungsansatzes erkannt, der zudem populärer gewesen sei als die Great-Power-Détente. Doch das Ausnutzen der Menschenrechtsthematik änderte nichts daran, dass Kissinger keine destabilisierenden Auswirkungen der KSZE-Schlussakte auf den Kommunismus erwartete.

In Moskau war man sich der Risiken der KSZE sehr wohl bewusst, hielt sie jedoch für beherrschbar. Zu diesem Ergebnis gelangt Marie-Pierre Rey. Das Abschlussdokument sollte den Zweiten Weltkrieg symbolisch beenden und den sowjetischen Machtbereich offiziell bestätigen. Diejenigen Kräfte im Apparat, die mit der Entspannungspolitik auch die Hoffnung auf Reformen im Sowjetsystem verbanden, seien aber enttäuscht worden, so Rey. Um sich gegen die Gefahr einer „Kontaminierung“ durch westliche Ideen zu schützen, verhärtete die Kremlführung noch während der Konferenz ihre ideologischen Positionen und verschärfte die Verfolgung von Dissidenten.

Douglas Selvage untersucht die Strategien, die Polen, die DDR und Rumänien zwischen 1964 und 1969 mit der Idee einer europäischen Sicherheitskonferenz verfolgten. Alle drei strebten auf ihre Weise nach mehr Souveränität. Polen und – deutlich zurückhaltender – die DDR wünschten die multilaterale Anerkennung ihrer Grenzen bzw. ihrer Existenz durch den Westen, insbesondere durch die Bundesrepublik. Zugleich drängten beide Staaten im Rahmen des Warschauer Paktes auf die Formulierung von Vorbedingungen, was eine zu ihren Lasten gehende Einigung zwischen Bonn und Moskau verhindern sollte. Dagegen setzte sich Rumänien zeitweise in Opposition zum übrigen östlichen Bündnis und nahm 1967 auf eigene Faust diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik auf. Nach dem Einmarsch in Prag und dem Grenzkonflikt mit China gelang es der Sowjetunion im Frühjahr 1969, ihre Verbündeten auf die eigene Marschroute festzulegen, so Selvage. Moskau ließ die Vorbedingungen für eine Sicherheitskonferenz fallen, verschob aber das Projekt und trat mit der Bundesregierung in einen Dialog über Gewaltverzicht ein. Polen und die DDR sahen sich nun zu einem Kurswechsel gezwungen und fanden sich schließlich ebenfalls zu bilateralen Verhandlungen mit der Bundesrepublik bereit.

In seiner Untersuchung über die Wechselwirkungen zwischen der verstärkten Integration der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der europäischen Sicherheitskonferenz andererseits kommt Daniel Möckli zu zwei wichtigen Ergebnissen: Die KSZE sei zum Katalysator für die Entwicklung der Gemeinschaft als eines außenpolitischen Akteurs geworden. Zugleich seien die neun EG-Mitgliedstaaten im westlichen Lager die treibende Kraft dafür gewesen, den Sicherheitsbegriff um die individuellen Menschenrechte zu erweitern.

Mit dem Zusammenhang zwischen der Bonner Ostpolitik und den westlichen KSZE-Vorbereitungen von 1969 bis 1972 beschäftigt sich Petri Hakkarainen. Weil vor allem Frankreich auf den baldigen Start der Konferenz gedrängt habe, hätten Willy Brandt und Egon Bahr ihre ursprüngliche Strategie nicht durchhalten können, die Zustimmung zur KSZE als Hebel für östliche Zugeständnisse in der Deutschlandpolitik zu benutzen. Nach Ratifizierung des Berlin-Abkommens sei die Bundesregierung 1972 bei den Gesprächen mit der DDR unter großen Zeitdruck geraten, um gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Konferenz die deutsch-deutschen Beziehungen zu regeln. Zugleich stellt Hakkarainen ein wachsendes substanzielles Interesse der Bundesrepublik an der KSZE fest, das die anfänglich instrumentelle Betrachtungsweise abgelöst habe. Demzufolge hoffte Bonn, über den oben bereits erwähnten „Korb III“ die Rahmenbedingungen für eine Ausweitung der menschlichen Kontakte und des Austauschs zwischen beiden deutschen Staaten zu verbessern. Hakkarainens Fazit lautet: Das primäre Ziel der Entspannungspolitik – im Besonderen der westdeutschen Ostpolitik – sei es nicht gewesen, den Kalten Krieg zu überwinden, sondern ihn erträglicher zu machen.

Abschließend analysiert Helga Haftendorn den Zusammenhang zwischen der KSZE und den MBFR-Gesprächen. Den von den beiden Supermächten 1972 praktisch im Alleingang gefällten Beschluss, die beiden Seiten der europäischen Entspannung separat in Helsinki und in Wien zu verhandeln, führt Haftendorn auf die sehr unterschiedlichen Interessen innerhalb des westlichen Bündnisses zurück. Während die Bundesrepublik demnach ein Motor für die Reduzierung konventioneller Streitkräfte in Mitteleuropa war und sich eine enge Verknüpfung des Themas mit der KSZE wünschte, hatte Frankreich starke Bedenken und lehnte jegliche Reduzierung amerikanischer Truppen ab. Für die USA wiederum stellte MBFR vor allem ein taktisches Mittel dar, nicht zuletzt um inneramerikanischen Forderungen nach einem Abzug aus Europa die Spitze zu nehmen.

Das von Oliver Bange und Gottfried Niedhart herausgegebene Buch, das im Rahmen ihres Forschungsprojekts über die KSZE entstanden ist, könnte man als eine Art Komplementärband zu „Origins of the European Security System“ bezeichnen. Denn die Mehrzahl der Beiträge geht, wie das Tagungsprogramm ausweist3, ebenfalls auf die oben genannte Konferenz an der ETH Zürich im September 2005 zurück, was von den Herausgebern jedoch nicht erwähnt wird.

Viel problematischer ist indes, wie sich Bange/Niedhart dem Untersuchungsgegenstand nähern. In ihrer Einführung stechen zwei (Vor-)Urteile besonders hervor: Durch die Schlussakte von Helsinki sei eine Perspektive geboten worden, die Spaltung des Kontinents zu überwinden. In diesem Sinne habe die Bundesrepublik Deutschland die Konferenz als Chance angesehen, auf lange Sicht die deutsche Teilung zu beenden und – durch die Öffnung des sowjetischen Imperiums nach Westen – Osteuropa zu befreien. Der deutsche Faktor sei entscheidend gewesen für die Entspannung in Europa und die transformierende Rolle der KSZE. Als „westliche Transformationsstrategie“ identifizieren Bange/Niedhart im Grunde nur das, was ihrer Meinung nach hinter der Bonner Ostpolitik stand. Für sie war die KSZE das „multilateralisierte Instrument des Wandels“, um die Transformation der kommunistischen Gesellschaften zu erreichen (S. 2f.). Es sei „nun klar“, so behaupten sie schließlich, dass der Erfolg des Westens „beabsichtigt und vorhersehbar“ gewesen sei (S. 16). War und ist es wirklich so einfach?

Dieses teleologische Erklärungsmuster prägt auch die beiden Aufsätze der Herausgeber. Bange betont die sicherheitspolitische Dimension der Planungen, die Egon Bahr 1968/69 für die Ostpolitik und deren Multilaterisierung erarbeitete. Das ultimative Ziel dieses „Masterplans“ sei die Schaffung eines Europäischen Sicherheitssystems gewesen, um die deutsche Wiedervereinigung zu ermöglichen. Soweit die Theorie. Ganz zu schweigen davon, welche Rolle Bahrs Plan für die KSZE- und die MBFR-Verhandlungen spielte, analysiert Bange überhaupt nicht, inwieweit diese Überlegungen tatsächlich die Politik der Bundesrepublik in der Praxis der Jahre 1970–1975 bestimmten bzw. ob und wann von der skizzierten Ideallinie abgewichen wurde.

Die Phasen vor, während und nach der Helsinki-Konferenz müssen klar unterschieden werden. Der Abschluss der Ostverträge und ihre Bewährung im Alltag schufen eine neue Realität, die mit den Schreibtischentwürfen der 1960er-Jahre oft nur noch wenig zu tun hatte. Insofern erscheint auch Niedharts These überzogen, dass die sozial-liberale Koalition eine langfristig angelegte „revisionistische Strategie“ verfolgt habe (S. 42). Er legt dar, wie es der Bundesrepublik mit amerikanischer Unterstützung gelang, auch in die KSZE-Schlussakte die Formulierungen über die „Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen“ (statt „Unveränderbarkeit“) sowie die Möglichkeit der „friedlichen Veränderung von Grenzen“ einzubringen. Die von Brandt und Schmidt geführten Bundesregierungen schafften es damit – und das war ein großer Erfolg –, die deutsche Frage offenzuhalten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Juhana Aunesluoma erläutert, warum die hohen Erwartungen enttäuscht wurden, die sich an den Ost-West-Handel knüpften. Nach einem „Boom“ zu Beginn der 1970er-Jahre stagnierte der wirtschaftliche Austausch und war in den 1980er-Jahren rückläufig. Der Effekt von „Korb II“ der KSZE-Schlussakte war gering, teilweise sogar negativ. Aunesluoma konstatiert, dass die östlichen Planwirtschaften mit der entstehenden globalen Marktwirtschaftsordnung einfach nicht kompatibel gewesen seien. Die Erfahrung von Aufschwung und Niedergang des Ost-West-Handels habe aber wesentlich zur Entstehung der Perestroika beigetragen. Insofern löste nicht das Gelingen, sondern vielmehr das Scheitern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Reformen im kommunistischen System aus.

Dem Beitrag von Wanda Jarząbek ist zu entnehmen, dass die wachsende Abhängigkeit von westlichen Krediten und die Menschenrechtsdiskussion bei den KSZE-Folgekonferenzen das Entstehen der Bürgerrechtsbewegung in Polen begünstigten und den Repressionsapparat offenbar bis 1981 bremsten. Dagegen verfolgte die Sowjetunion von Beginn an eine andere Strategie, wie Svetlana Savranskaya aufzeigt. Bereits seit Ende der 1960er-Jahre wurden Dissidenten nicht zu Haftstrafen verurteilt, sondern in die Psychiatrie eingewiesen. Zudem warnte man Oppositionelle „prophylaktisch“ vor bestimmten Aktivitäten. Doch schon bald nach Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte trat die Bürgerrechtsbewegung in der Sowjetunion viel stärker in Erscheinung, als die Sicherheitsbehörden es erwartet hatten. Um die Kontrolle wiederherzustellen, kam es ab 1977/78 zu vielen Verurteilungen mit hohen Haftstrafen.

Warum und wie aus der Entspannung in Europa nach 1975 allmählich ein „zweiter Kalter Krieg“ wurde, dieser Frage geht der von Leopoldo Nuti herausgegebene Sammelband nach. Er ist das Ergebnis einer Konferenz, die das Machiavelli Center for Cold War Studies (CIMA) und das Cold War International History Project (CWIHP) im April 2006 in Artimino (Italien) veranstalteten. In seiner Einführung macht der Herausgeber deutlich, dass er die Wurzeln der umfassenden Transformation des internationalen Systems, die 1989/90 stattfand, vor allem in den Ereignissen am Ende der 1970er- und am Anfang der 1980er-Jahre sieht. Bei der Rückkehr des Kalten Krieges sei trotz vieler Krisen in Afrika, Lateinamerika und Asien weiterhin Europa der entscheidende Faktor geblieben, betont Nuti.

Die Entstehung der Bürgerrechtsbewegungen im Osten und die Menschenrechtskampagne der USA liefern erste von mehreren Antworten auf die Frage nach den Ursachen für den Wandel. Patrick G. Vaughan schildert, wie die Carter-Administration unter dem Einfluss von Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski die ideologische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in Europa wieder intensivierte und sich somit von der Entspannungspolitik à la Kissinger distanzierte. Brzezinski betonte die Bedeutung von „Korb III“ der KSZE-Schlussakte und versuchte, über diesen Weg insbesondere die Opposition in Polen, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei zu stärken. Die sowjetische Führung interpretierte die amerikanische Menschenrechtsoffensive als Bruch mit der Entspannung. Aber auch die westeuropäischen Verbündeten – speziell die von Helmut Schmidt geführte sozial-liberale Bundesregierung und der SPD-Vorsitzende Willy Brandt – reagierten irritiert. Die osteuropäischen Bürgerrechtler hingegen fühlten sich durch den neuen amerikanischen Kurs sehr ermutigt.

Bei den KSZE-Folgetreffen in Belgrad 1977/78 und Madrid 1981–1983 wurde die Menschenrechtsfrage zum Hauptzankapfel. Douglas Selvage schildert, dass und wie die NATO-Staaten nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen über die Frage von Sanktionen in einen Streit untereinander gerieten. Während die Amerikaner sogar einen Auszug aus der KSZE erwogen, mochten die Westeuropäer das Folgetreffen in Madrid auf keinen Fall scheitern lassen, da sie vor der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles unbedingt ein Verhandlungsmandat für eine europäische Abrüstungskonferenz erzielen wollten. Ende 1982 fand der Westen zu einer einheitlichen Linie zurück, die im Sommer 1983 auch den Kern eines amerikanisch-sowjetischen Kompromisses ausmachte. Im Madrider Abschlussdokument wurden sowohl die Stockholmer Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa (KVAE) als auch Verbesserungen in Menschenrechtsangelegenheiten vereinbart – laut Selvage ein „Mini-Tauwetter“, kurz bevor der „zweite Kalte Krieg“ seinen Höhepunkt erreichte.

Leopoldo Nuti untersucht die Ursprünge des NATO-Doppelbeschlusses von Dezember 1979, dessen Anfänge unabhängig von politischer Planung in der Neuentwicklung amerikanischer Marschflugkörper und Mittelstreckenraketen um 1970 zu finden sind. Auf beiden Seiten des Atlantiks waren sich die Experten Mitte der 1970er-Jahre einig, dass eine Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen größerer Reichweite – der so genannten „Theater Nuclear Forces“ (TNF) – notwendig sei. Doch diese Diskussion nahm eine ganz andere Wendung, als 1976 die Aufstellung von modernen SS-20-Raketen mit Mehrfachsprengköpfen bekannt wurde. Der entscheidende Punkt, den Nuti deutlicher hätte herausarbeiten können, war die strategische Qualität der SS-20, die eine völlig neue Bedrohungslage für Westeuropa und besonders für die Bundesrepublik schuf. Deshalb drängte Helmut Schmidt im Oktober 1977 darauf, die sowjetischen TNF in die laufenden SALT-Verhandlungen aufzunehmen. Ob er da bereits an die Stationierung neuer US-Raketen dachte, muss offen bleiben. Beim Treffen in Guadeloupe im Januar 1979 sei Schmidt gar nicht glücklich gewesen über den Aufrüstungsvorschlag von US-Präsident Carter, schreibt Nuti. Die wohl von Giscard d’Éstaing stammende Idee, zunächst Verhandlungen aufzunehmen und erst nach deren Scheitern zu stationieren, überwand die Zweifel des Bundeskanzlers, räumte sie anscheinend aber nicht völlig aus.

Zu kurz gedacht wäre es, aus der Vorgeschichte zu folgern, dass auch ohne die sowjetischen SS-20 neue amerikanische Nuklearsysteme in Westeuropa aufgestellt worden wären. In der NATO gab es keinen Automatismus für die Modernisierung von Atomwaffen. Zudem fiel die letzte Entscheidung über die Stationierung in den nationalen Parlamenten, die unter starkem Druck der Friedensbewegung standen. Das Ausmaß des Protests gegen die Nachrüstung ist wiederum ohne die Hochrüstungspolitik und die Kalte-Kriegs-Rhetorik der Reagan-Administration nicht erklärbar. Die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die Ronald Reagan im März 1983 verkündete, ließ die Zweifel an der Vernunft der US-Sicherheitspolitik auf ein Höchstmaß wachsen. Mit diesem Programm, so die These von John Prados, strebten einige Berater des Präsidenten nach militärischer Überlegenheit gegenüber der Sowjetunion. Die Unterstützung für das extrem teure Projekt sicherten sie sich mit diversen Tricks: Studien über die strategische Bedeutung einer amerikanischen Raketenabwehr wurden Reagan vorenthalten; Geheimdienstinformationen über ein angeblich existierendes sowjetisches SDI manipulierte man.

Die westeuropäischen Verbündeten reagierten 1983 schockiert auf die SDI-Pläne, berichtet Sean N. Kalic. Für Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik stellte das Programm die nukleare Abschreckungsstrategie in Frage, die doch der atomaren Nachrüstung der NATO zu Grunde lag, um deren Durchsetzung die Regierungen Thatcher, Mitterrand und Kohl innenpolitisch hart kämpfen mussten. In ihren Augen gefährdete die Initiative überdies die strategische Stabilität, weil SDI im Prinzip dem ABM-Vertrag widersprach.

Dass Teile der Militärspitze und der politischen Führung der Sowjetunion im Herbst 1983 tatsächlich einen atomaren Erstschlag der USA befürchteten, stellt Beatrice Heuser in den Mittelpunkt ihres Beitrags über die Moskauer Reaktionen auf den NATO-Doppelbeschluss. Wenngleich umstritten bleibt, wie nahe die Welt einer atomaren Auseinandersetzung während der NATO-Nuklearübung „Able Archer“ Anfang November 1983 wirklich kam, durchlief der „zweite Kalte Krieg“ damals zweifellos seine gefährlichste Phase. Die Kriegsparanoia der Kremlfalken, zu denen Generalsekretär Juri Andropow zählte, sei die Projektion eigener Planungen auf das vermutete Verhalten des Gegners gewesen, argumentiert Heuser. Die Gefahr eines durch Fehlperzeption ausgelösten Atomkriegs war demnach real.

Was ein gewaltsamer Konflikt bedeutet hätte, lassen die militärischen Planungen des Warschauer Pakts erahnen. Die operative Strategie für den Kriegsfall blieb von der Entspannungspolitik unberührt und veränderte sich zwischen 1969 und 1985 praktisch nicht, wie R. Craig Nation feststellt. Das von der Sowjetunion bestimmte Offensivkonzept zielte auf einen raschen massierten Vormarsch nach Westen ab und sah so früh wie möglich den Einsatz von Nuklearwaffen vor. Dazu zählte auch ein präventiver Angriff auf die in Europa stationierten westlichen Atomwaffen.

Obwohl sich mehrere Beiträge des Bandes dem Sektor Wirtschaft und Finanzen widmen, erfährt man nur wenig über die Wechselwirkungen zwischen dem Verfall der Entspannung und der weltwirtschaftlichen Rezession. Beide Prozesse erreichten am Anfang der 1980er-Jahre zeitgleich ihre Krisenhöhepunkte, was nicht zuletzt die Beziehungen zwischen den USA und Westeuropa erheblich belastete. Ganz im Zeichen transatlantischer Interessenkonflikte sieht Werner D. Lippert die Entwicklung des Ost-West-Handels bis 1982. Im westlichen Bündnis entzündete sich eine schwere Kontroverse am europäisch-sowjetischen Erdgas-Röhren-Geschäft, das von der Bundesrepublik stark unterstützt, von der Reagan-Administration aber scharf kritisiert wurde. Lippert hält indes nicht nur den Westdeutschen und den Westeuropäern, sondern auch den Amerikanern vor, nationale Wirtschaftsinteressen nicht geopfert und somit nicht mehr Druck für die Menschenrechte ausgeübt zu haben. Seine Schlussfolgerung, dadurch sei die Lebensfähigkeit des Sowjetregimes wahrscheinlich verlängert worden (eine implizite Gegenposition zum Beitrag von Aunesluoma im Sammelband von Bange/Niedhart), wirft allerdings die Frage auf, ob nicht der Verzicht auf einen totalen Handelsboykott half, eine tödliche Verschärfung der Spannungen zwischen Ost und West zu verhindern.

Die Sorge vor einem Atomkrieg trieb besonders die Begründer der deutschen Ostpolitik um. Im letzten Abschnitt des Bandes, der ideologische Aspekte des Ost-West-Konflikts unter die Lupe nimmt, untersucht Bernd Rother die Strategie, die Willy Brandt als Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) im Zeitraum 1976–1985 verfolgte. Zum einen habe seine Politik auf eine Fortsetzung der immer stärker bedrohten Entspannung abgezielt. Zum anderen habe Brandt mit der SI die sozialdemokratische Idee über Europa hinaus verbreiten und sie in den wohlhabenderen Teilen der so genannten „Dritten Welt“ als „dritten Weg“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus etablieren wollen. Der Erfolg war laut Rother begrenzt. Zwar habe die SI den weltweiten Demokratisierungsprozess gefördert, doch zum „dritten Weg“ sei die Sozialdemokratie nicht geworden. Der große Dissens in sicherheitspolitischen Fragen sowie völlig gegensätzliche Positionen zu Nicaragua bewirkten außerdem eine zunehmende Entfremdung Brandts und der SI von den USA.

Aus den drei Sammelbänden kristallisiert sich eine Schlüsselfrage heraus: Welchen Anteil hatten die KSZE und vor allem die europäischen Verbündeten der beiden Supermächte an der Entwicklung, die zum Zusammenbruch des Sowjetsystems und zur völligen Neuordnung Europas führte? Die gegebenen Antworten fallen unterschiedlich aus. Vor teleologischen Deutungen, als habe der Helsinki-Prozess zwingend zur Transformation führen müssen, ist jedoch nachdrücklich zu warnen. Die Geschichte der Konferenz und der Entspannung verlief nicht in gerader Linie von 1969 nach 1990 und sollte deshalb auch nicht vom triumphalen Ende her erzählt werden.

Anmerkungen:
1 Die Inhaltsverzeichnisse der Bände finden sich unter <http://www.gbv.de/dms/sub-hamburg/55197771X.pdf> (Wenger/Mastny/Nuenlist), <http://www.gbv.de/dms/sub-hamburg/559770952.pdf> (Bange/Niedhart) und <http://www.gbv.de/dms/sub-hamburg/566970910.pdf> (Nuti)(07.08.2009).
2 Siehe Christian Nuenlist / Anna Locher:Tagungsbericht At the Roots of the European Security System: Thirty Years since the Helsinki Final Act. 07.09.2005-10.09.2005, Rüschlikon/Zürich, in: H-Soz-u-Kult, 07.12.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=959> (07.08.2009)
3 Vgl. <http://www.php.isn.ethz.ch/conferences/previous/documents/CSCE_conference.pdf> (07.08.2009).

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