Cover
Titel
BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR. Zweite korr. Ausgabe


Autor(en)
Wagner, Armin; Uhl, Matthias
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 294 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Müller-Enbergs, Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg Armin Wagner (Jg. 1968) und der wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Moskau Matthias Uhl (Jg. 1970) arbeiten anhand von erstmals freigegebenen Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) die Ziele und den Ertrag bundesdeutscher Nachrichtendienstaktionen heraus. Nur durch die Beiziehung von Stasi-Unterlagen kommen sie auch zu Angaben über Quellen und Methoden. Detailliert wird vor allem für die fünfziger Jahre das Bemühen des Bundesnachrichtendienstes und seines Vorgängers, der Organisation Gehlen, nachgezeichnet, die Dislokation sowjetischer Truppen in der DDR zu ermitteln. Das dürfte knapp zwei Drittel des operativen Schwerpunktes des BND in der DDR gewesen sein. Zum Einsatz gelangten Tausende Geschäftsreisende, Kraftfahrer, Studenten, Hausfrauen und Rentner, die nicht selten mit langjähriger Haft oder ihrem Leben bezahlen mussten.

Im Mittelpunkt der Darstellung standen von 1951 bis 1974 162 sowjetische Garnisonen der Landstreitkräfte, in denen rund 215 sowjetische Panzer-, motorisierte Schützen-, Artillerie-, Pionier-, Nachrichten- und Flugabwehrtruppenteile stationiert waren (S. 98). Diese Standortüberwachung diente dem strategischen Lagebild (S. 100). Der BND gelangte Ende der sechziger Jahre dabei zu dem Ergebnis, dass die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland „aus dem Stand“ in der Lage sein würde, einen Angriff „anzutreten“ (S. 128). Immerhin ging man von einer sowjetischen Mannschaftsstärke von 355.000 Mann aus (S. 129). Der BND war dabei auf ein relativ statisches Lagebild fixiert, das aus Mangel an Innenquellen über die sowjetischen militärpolitischen Absichten keine Aussagen zuließ. Er hat sie in der Regel dennoch richtig eingeschätzt.

Wagner und Uhl betreten Neuland und nutzen die ersten Schritte des BND, operativ gewonnenes Material zugänglich zu machen. Die Autoren gelangen zu dem Ergebnis, dass die hohe Zahl von ostdeutschen Zuträgern bis zum Mauerbau die „wichtigste Quelle“ zur militärischen Lage in der DDR war (S. 184). Der Mauerbau schränkte dies erheblich ein. Diesen Informationseinbruch versuchte der BND mit Transit- und Reisequellen auszugleichen. Allerdings waren selbst kleinste Informationserfolge „teuer“ erkauft, denn Pullach verlor eine große Anzahl seiner Quellen (S. 187). Die ertragreichste Dimension der BND-Aufklärung, nämlich die Fernmeldeelektronische Aufklärung, kommt in der Darstellung zwangsläufig zu kurz, da der BND dazu keine Unterlagen preisgab. Günther Möller und Wolfgang Stuchly von der Hauptabteilung II der DDR-Staatssicherheit, zuständig für Spionageabwehr, gehen von 5.000 in der DDR erkannten und inhaftierten Mitarbeitern westlicher Geheimdienste aus, von denen 80 Prozent bundesdeutschen Diensten zugeordnet werden (S. 188). Oftmals hatte das MfS sie überworben, neunzig Prozent räumte der BND auf einer Tagung der Stasi-Unterlagenbehörde 2001 ein1 – allein Mitte der achtziger Jahre waren es 27 Quellen des BND, 18 der amerikanischen und vier der britischen Dienste.2

Die Autoren belegen anschaulich, dass der BND durchaus die militärische Lage in der DDR kenntnisreich beurteilen konnte. Das festzustellen ist möglich, weil er entsprechende Materialien dem Bundesarchiv überlassen hat. Eine historisierende Darstellung zur operativen Arbeit des BND müsste freilich auch dessen Kenntnislage über Politik und Wirtschaft in der DDR wie eben auch das internationale operative Engagement der DDR und die westliche Gegenstrategie zur Verfügung erhalten. Darin haben britische und amerikanische Dienste der Bundesrepublik einiges voraus.

Die Untersuchung von Wagner und Uhl ergänzt professionell zum einen die vornehmlich auf Stasi-Unterlagen beruhende Darstellung der „Konzentrierten Schläge“ von Karl Wilhelm Fricke und Roger Engelmann3, die das Vorgehen der Staatssicherheit gegen echte und vermeintliche V-Leute bundesdeutscher Dienste in den 1950-Jahren rekonstruieren, sowie andererseits die Arbeiten von Erich Schmidt-Eenboom über den Bundesnachrichtendienst.4

Anmerkungen:
1 Vgl. Ullrich Wössner: Angriffe des MfS auf den Bundesnachrichtendienst, in: Georg Herbstritt, Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland, Bremen 2003, S. 393-403.
2 Vgl. Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hrsg.): Extremismus & Demokratie 20 (2008), Baden-Baden 2009, S. 414.
3 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953-1956, Berlin 1998.
4 Vgl. Erich Schmidt-Eenboom: Der Schattenkrieger. Klaus Kinkel und der BND. Düsseldorf 1995; ders.: Schnüffler ohne Nase. Der BND – die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf 1993.

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