M. Epkenhans u.a. (Hrsg.): Skagerrakschlacht

Titel
Skagerrakschlacht. Vorgeschichte - Ereignis - Verarbeitung


Herausgeber
Epkenhans, Michael; Hillmann, Jörg; Nägler, Frank
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte 66
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XVIII, 391 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephen Schröder, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar

Die berühmte Seeschlacht vor dem Skagerrak, bei der die deutsche Hochseeflotte unter Admiral Reinhard Scheer am 31. Mai und 1. Juni 1916 auf die unter dem Kommando von Admiral Sir John Jellicoe stehende britische Grand Fleet traf, hat zumal in der deutschen Forschung bislang keine umfassende, modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Darstellung gefunden. Der 90. Jahrestag des Ereignisses bot dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt, der Otto-von-Bismarck-Stiftung und der Universität Oxford Anlass, diesen unbefriedigenden Zustand durch eine gemeinsame Tagung und einen begleitenden Sammelband zu beheben. Elf Autoren, darunter zahlreiche ausgewiesene Experten, nehmen sich darin sowohl der Vorgeschichte und des Verlaufs der größten Seeschlacht des Ersten Weltkriegs als auch des erinnerungsgeschichtlichen Umgangs mit derselben an. Letzteres ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil das Ausbleiben eines klaren Sieges auf britischer Seite, welche die quantitativ deutlich überlegene gewesen war, in den Monaten und Jahren nach der „Battle of Jutland“ zu teils erbitterten Auseinandersetzungen um tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten der Führungspersönlichkeiten führte.

Mit Blick auf die Vorgeschichte der Schlacht analysiert Nicholas A. M. Rodger im weiten historischen Rückgriff die deutsch-englische Flottenrivalität. In Übereinstimmung mit einer breiten, wenn auch nicht unbestrittenen Strömung in der Literatur erblickt er im deutschen Flottenbau den wesentlichen Faktor dafür, dass Berlin nach der Jahrhundertwende mehr und mehr die Gegnerschaft Londons auf sich zog. Stark betont wird dabei die „völlige Irrationalität“ (S. 18) der deutschen Flottenplanungen, die nicht nur die Gewandtheit der britischen Diplomatie unter- und die eigene finanzielle bzw. industrielle Leistungsfähigkeit überschätzten, sondern auch eine Reduzierung in der Anzahl der Schlachtschiffe mit einer Abdikation Deutschlands als großem Kulturvolk gleichsetzten. Letzteres stellte nach Ansicht des Rezensenten allerdings keine deutsche Besonderheit dar, vielmehr scheint das Vorhandensein einer starken Flotte im Denken der Zeitgenossen geradezu zu den Kernelementen einer Großmacht gehört zu haben. Welche operativen und strategischen Vorstellungen vor Kriegsbeginn im Oberkommando der Marine bzw. im Admiralstab dominierten, wird im Anschluss quellennah von Frank Nägler dargelegt. Deutlich tritt dabei zutage, wie sehr die deutschen Planer von Tirpitz' grundlegender Denkschrift im Jahre 1894 bis zum Kriegsausbruch im Kern einem Seekriegsmodell verhaftet blieben, das „im Wesentlichen um die Offensive in die feindlichen Küstengewässer“ kreiste (S. 55f.) und das fälschlicherweise von einer Bewachung der Deutschen Bucht durch die britischen Seestreitkräfte, mithin also von einer lediglich modifizierten engen Blockade, ausging.

Dass indes auch die Verantwortlichen jenseits des Kanals keineswegs frei von Fehleinschätzungen waren, vielmehr auch sie mit einer raschen Entscheidungsschlacht und einem insgesamt kurzen Krieg rechneten, verdeutlicht James Goldricks Beitrag über die ungenügenden, häufig von Sparzwängen und Sicherheitserwägungen bestimmten Vorbereitungen der Royal Navy und deren Auswirkungen auf die Besatzungen der britischen Kriegsschiffe. Vor allem auf die Dauerbelastungen, die der Seekrieg ihnen abverlangte, waren die britischen Seeleute nicht hinreichend vorbereitet. Vergleichbares gilt in gewisser Weise auch für die wechselvollen strategischen Planungen des Vereinigten Königreichs, die für die Zeit zwischen dem Kriegsausbruch und der Schlacht vor dem Skagerrak mit sicherer Hand von Andrew Lambert nachgezeichnet werden. Auch die britischen Strategen mussten ihre „anfängliche Strategie eines begrenzten Krieges“ (S. 76) in einem bisweilen schmerzhaften Lernprozess an die Gegebenheiten anpassen und sich etwa hinsichtlich der Konzeption der Blockade mehr und mehr auf einen „totalen Krieg“ einlassen. Darüber hinaus arbeitet Lambert plausibel heraus, welch herausgehobene Rolle die Ostsee in den – allerdings nur teilweise kompatiblen – Planungen des Ersten Lords der Admiralität Winston Churchill und des (seit seiner Reaktivierung im November 1914) Ersten Seelords Admiral John Fisher einnahm. Namentlich Letzterem ging es Lamberts Deutung zufolge nicht vordergründig um ein britisches Eindringen in die baltischen Gewässer, sondern darum, die deutsche Hochseeflotte „durch Bedrohung der Ostseeeingänge zum Kampf in der Nordsee, möglichst im Skagerrak, zu bewegen“ (S. 88). Fishers Pläne konnten allerdings aufgrund der von Churchill forcierten Dardanellenoperation, die letztlich für beide Männer zum Ausscheiden aus dem Amte führte, nicht in die Tat umgesetzt werden.

Abgerundet wird die Schilderung der Vorgeschichte der Skagerrakschlacht durch einen lesenswerten, ganz aus den Quellen gearbeiteten Beitrag von Michael Epkenhans, der die weithin von Verunsicherung und Ratlosigkeit gekennzeichneten strategischen Planungen der deutschen Seite nach Kriegsausbruch nachzeichnet. Vor allem die nicht zuletzt seitens des Kaisers ausgegebene, aber auch vom Reichskanzler und von Vertretern der Marineführung geteilte Devise, ohne Risiko zum Erfolg zu kommen, stellte dabei das „größte Problem der Seekriegführung“ (S. 129) dar, das seitens der Hochseeflotte in den Jahren 1914/15 letztlich nicht gelöst werden konnte. Verschärfend traten das bekannte Fehlen einer Gesamtkriegsführung und die Unfähigkeit Wilhelms II., seiner Aufgabe als Oberstem Kriegsherrn, der er im Bereich der Marine tatsächlich sein wollte, gerecht zu werden, hinzu.

Mit dem konkreten Verlauf der Skagerrakschlacht und den späteren Analysen beschäftigen sich Werner Rahn für die deutsche und John Brooks für die englische Seite, wobei hervorzuheben ist, dass Ersterer seine minutiöse Untersuchung auf Quellenmaterial, vor allem aus dem Bundesmilitärarchiv, stützen kann, das in dieser Dichte noch nicht systematisch ausgewertet wurde. Neun zentrale Dokumente sind dem Beitrag in edierter Form beigegeben, darunter auch der Immediatbericht Admiral Scheers vom 4. Juli 1916, in dem trotz aller Betonung des deutschen „Erfolg[s]“ (S. 213) kein Zweifel daran gelassen wurde, dass selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht die ob ihrer Übermacht und geographischen Lage überlegenen Engländer nicht entscheidend in die Knie zwingen würde. Brooks hingegen unterstreicht die diversen Versäumnisse des Befehlshabers der britischen Schlachtkreuzer, Vice-Admiral Sir David Beatty, der zusammen mit seinen Anhängern in den Monaten und Jahren nach der Skagerrakschlacht zu einem der Hauptkritiker Jellicoes wurde. Auf Letzteren, dessen Entscheidungen für das Ausbleiben des erwähnten klaren Sieges verantwortlich gemacht wurden, konzentrierte sich seither vielfach auch die wissenschaftliche Kritik. Wie der teilweise erbittert geführte „Skagerrak-Streit“ (S. 306) zwischen den Parteien Beattys und Jellicoes nach 1918 im Einzelnen verlief, zeichnet im Anschluss Eric Grove nach, während Jörg Hillmann einen facettenreichen Überblick über die verschiedenen Formen der deutschen Erinnerung vom Tag der Skagerrakschlacht bis in unsere Zeit bietet. Marineintern gelang es dabei dank eines funktionierenden Netzwerks innerhalb des Seeoffizierkorps bis in die 1970er-Jahre hinein, eine glorifizierende, auf die „Ehre“ der Marine bedachte Deutung der Schlacht zu verfestigen und auf diese Weise Identität stiftend zu wirken. Gesamtgesellschaftlich konnte eine vergleichbare Verankerung des Ereignisses in der deutschen Erinnerungskultur jedoch nicht erreicht werden. Abgerundet wird der Band durch Jan Kindlers luzide Betrachtung der Skagerrakschlacht im deutschen Film sowie durch Michael Salewskis Reflexionen zum historischen Ort der Skagerrakschlacht.

In summa liegt ein sehr informativer Tagungsband vor, der namentlich aufgrund des ausgeprägten Quellenbezugs, der viele Beiträge kennzeichnet, sowie aufgrund diverser Einzelbefunde, zu denen die Autoren gelangen, die historische Forschung bereichert und der vor allem mit Blick auf die erinnerungsgeschichtlich orientierten Abhandlungen Ansatzpunkte für eine weitere Beschäftigung mit der bei genauerem Hinsehen sehr vielschichtigen Thematik bietet.

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