J. Laughland: A History of Political Trials

Cover
Titel
A History of Political Trials. From Charles I to Saddam Hussein


Autor(en)
Laughland, John
Reihe
The Past in the Present 1
Erschienen
Anzahl Seiten
315 S.
Preis
€ 18,50 (Paperback-Ausgabe)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin von Lingen, Sonderforschungsbereich 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit", Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Was hat die Exekution des englischen Königs Charles I. im Jahr 1649 mit dem Prozess gegen Saddam Hussein von 2005 zu tun? Beides waren politische Prozesse, wie der Politologe und Journalist John Laughland in seinem essayistisch geschriebenen Buch erläutert. Der eine Prozess markierte den Beginn der säkularisierten Zeitrechnung in Europa, in der Könige nicht mehr unantastbar waren, der andere Prozess den vorläufig letzten Höhepunkt, bei dem sich ein Staatschef vor Gericht verantworten musste – und damit den Export dieses Prinzips in andere Teile der Welt, quasi die Globalisierung der politischen Prozesse.

Zunächst einmal bietet Laughland eine andere Definition für den Begriff der politischen Prozesse, als gemeinhin damit assoziiert wird: Er meint die Abrechnung mit dem vorhergegangenen Regime als ein Symbol des Neuanfangs, also eher das, was man seit einigen Jahren mit dem Begriff „Transitional Justice“ umschreibt.1 Der Autor macht deutlich, dass dieser Begriff vage Träume von Menschenrechtsorganisationen nach einer gerechteren Weltordnung reflektiert und dadurch den Irrtum evoziert, am Ende des aufgeklärten Zeitalters werde in Prozessen gegen Staatsoberhäupter etwas Neues betrieben. Doch Abrechnung hat es seit Jahrhunderten schon gegeben. Bei Transitional Justice geht es zwar um die Übergangsphase von einem Regime zum Nachkriegsstaat, aber nicht ausschließlich in Form von Strafverfolgung – sondern der Fokus liegt auf der Stabilisierung einer ganzen Nation durch gesellschaftliche Säuberungen, Wiedergutmachung zugunsten der Opfer und die Etablierung einer Versöhnung stiftenden Erinnerungskultur. Politische Prozesse sind in Laughlands Definition nicht willkürliche Prozesse gegen politische Gegner, die mundtot gemacht werden sollen, sondern die Haftbarmachung der Vorgängerregierung für deren gesamte Politik. Neben der Analyse spektakulärer, zum Teil aber wenig bekannter Verfahren ist das Werk auch ein Buch über Vergangenheitspolitik von der Frühen Neuzeit bis heute.

Der Autor vertritt die provokante These, dass das Recht seit 1649 unter das Primat der Politik geraten und dadurch korrumpiert worden sei (S. 16). Denn nur mit der rückwirkenden Anwendung von Rechtsprinzipien und der Außerkraftsetzung staatlicher Souveränität ließen sich die Prozesse führen, was verfassungsrechtliche Probleme aufwarf und den Vorwurf der „Siegerjustiz“ erzeugte. Die Auswahl der Themen, die hier kaleidoskopartig zusammengenommen werden, unterstreicht diesen Befund: Von Charles I. und dem Prozess gegen Frankreichs Ludwig XVI. geht Laughland direkt zur Kriegsschulddebatte nach dem Ersten Weltkrieg über, um dann schwerpunktmäßig die Epoche seit dem Zweiten Weltkrieg in den Blick zu nehmen. Beginnend mit den französischen Verfahren, dem Prozess in Riom gegen die Vorgängerrepublik durch den Chef der Vichy-Kollaborationsregierung, Marschall Pétain, und dem drei Jahre später stattfindenden Prozess mit vertauschten Rollen gegen die Politik Pétains, gibt der Autor einen Einstieg in die Thematik der vergangenheitspolitischen Legitimierung vor Gericht. Laughland versieht seine Einzelanalysen mit Untertiteln, die verdeutlichen, wofür der ausgewählte politische Prozess beispielhaft steht. So kam im norwegischen Verfahren gegen Vidkun Quisling nicht primär ein Mann vor Gericht, sondern das Prinzip Landesverrat. Im ersten französischen Fall stand die Niederlage zur Anklage, im zweiten Prozess gegen Pétain ging es um Säuberung der Nation vom Makel der Kollaboration.

Mehrere Essays sind der Entstehung der europäischen Nachkriegsordnung seit 1945 gewidmet. In Nürnberg ging es um das Ziel, den Angriffskrieg zu ächten, im rumänischen Verfahren gegen Marschall Antonescu um Legendenbildung, indem die kommunistische Nachkriegsregierung zum Träger des antifaschistischen Freiheitskampfs umstilisiert wurde. Zwei Essays beschäftigen sich anhand des tschechoslowakischen Falles und der so genannten Volksgerichtshöfe in Ungarn mit der Frage ethnischer Neudefinition und Identitätskonstruktion durch Vertreibung von Minderheiten. Etwas summarisch beschreibt der Autor die Politik Bulgariens, Finnlands und Griechenlands als eine kurze Abrechnungsphase mit dem Ziel eines langen kollektiven Vergessens der Kriegsvergangenheit.

Der Essay zum Tokioter Hauptkriegsverbrecherprozess (IMTFE) bildet einen analytischen Höhepunkt der Prozess-Sammlung: Hier entwickelt Laughland seine Kritik des Anklagehilfsmittels der „Verschwörung“ (conspiracy) als eines kontextlosen politischen Prozesses, der bewusst die Rolle der Gegenspieler ignoriere, um die Verurteilung sicherzustellen (auf S. 253 hebt er diese Kernthese noch einmal hervor). Er verwebt seinen Befund zum IMTFE noch mit der Erinnerungskultur, indem er die mangelnde wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas als Beleg dafür anführt, dass „Holocaust Memory“ zum herrschenden Paradigma wurde und dadurch die Beschäftigung mit dem Angriffskrieg eher in Vergessenheit geriet, obwohl dessen Ahndung 1945 im Fokus gestanden hatte und in Tokio, verglichen mit Nürnberg, auch durchweg härter geurteilt worden war (S. 163). Die Ambivalenz politischer Prozesse wird ebenfalls deutlich: In Tokio hätten die USA die Thematisierung des Anklagepunkts Kriegsverbrechen bewusst vermieden, um nicht selbst von der Richter- auf die Anklagebank wechseln zu müssen (S. 165f.). Die Tabuisierung des Atombombenabwurfs bewirkte somit indirekt das lastende Schweigen über japanische Kriegsverbrechen, etwa die bakteriologischen Versuche in der Mandschurei.

In einem vergleichenden Aufsatz betrachtet Laughland die Transitional-Justice-Maßnahmen (hier taucht der Begriff tatsächlich auf) gegen die Militärelite in Griechenland nach dem Putsch von 1975, den Fall Bokassa in Zentralafrika und die Abrechnung mit der Junta der Generäle in Argentinien. Die Rückkehr nach Europa gelingt dem Autor in Form einer lesenswerten Analyse von „Honecker in Moabit“ und dem Schicksal Ceaucescus in Rumänien. Zwei weitere Kapitel haben dann die Rückkehr des Genozids auf die Weltbühne zum Thema: Der Fall Kambanda, Staatschef von Ruanda, ist eine „Verurteilung ohne Prozess“, und der Fall Milošević diente der Legitimierung der „New World Order“ der westlichen Allianz, proklamiert durch George Bush senior. Bei aller berechtigten Kritik ist dies das problematischste Kapitel des Buches. Manchmal klingt eine Verharmlosung serbischer Gräuel an (S. 228), und den Jugoslawiengerichtshof nennt der Autor eine „hochgradig ideologische Allianz zwischen Exekutive, NATO und der Kosovo-Befreiungsarmee“ (S. 225). Laughland, nota bene, war der letzte Journalist, der mit Milošević vor seinem Selbstmord gesprochen hat.

Der abschließende Essay bleibt USA-kritisch; er handelt vom Prozess gegen Saddam Hussein im Jahr 2005 und der brisanten Frage der Legitimierung eines extern forcierten Regimewechsels. Hier zeigt sich wohl die Expertise von Laughlands Freund Ramsay Clark, dem US Attorney General, der als Verteidiger Husseins vor Gericht stand. In diesem Prozess sei es vornehmlich um die Demokratisierung des Irak gegangen, also ein politisches Ziel der Umgestaltung einer ganzen Region, das durch die spätere Strafverfolgung des Diktators noch einmal unterstrichen werden sollte (S. 241). Laughland macht damit deutlich, dass es neben der Frage der Rechtmäßigkeit des Prozesses oft um die grundsätzliche Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Krieges geht.

Dieser Befund bildet das argumentative Gerüst, das sich durch alle Essays zieht, und schlägt dadurch wieder die Brücke zum Thema Vergangenheitspolitik. Laughlands Hauptziel bleibt die Betonung des jahrhundertealten Prinzips: Staatschefs zur Rechenschaft zu ziehen ist seit dem Beginn der Neuzeit ein bewährtes Gründungsritual neuer Ordnungskonfigurationen und ein Zeichen staatlicher Souveränität. Freisprüche sind nicht zu erwarten, denn damit würde die eigene politische Basis zerstört (S. 252). Laughland geißelt besonders die inflationäre Verwendung internationaler Tribunale, die das Ansehen nationaler Gerichtshöfe schmälern und zu wenig Rückbindung an die im Land herrschenden kulturellen Vorstellungen von Gerechtigkeit haben (S. 257). Dabei gäbe es verfassungs- und völkerrechtlich unproblematischere Wege, Regierungskriminalität zu sühnen, wie die Forschung herausgearbeitet hat.2 Anklagen wegen Kriegsverbrechen bedürften keiner nachträglichen Kodifizierung, sondern könnten auf nationalem Recht basieren. Dadurch könnte eine Vermischung von politischem mit juristischem Vorgehen vermieden und einer moralisierenden Politik Einhalt geboten werden, die internationale Prozesse fordert, aber die Etablierung globaler Rechtsvorstellungen in allen Teilen der Welt meint.

Anmerkungen:
1 Ähnliche gelagerte Studien zum Komplex politisch motivierter Prozesse: David Cohen, Transitional Justice in Divided Germany after 1945, Berkeley 2006; Michael Marrus, The Nuremberg War Crimes Trial 1945/46. A Documentary History, Boston 1997.
2 Einen Überblick bietet Jon Elster, Closing the books. Transitional Justice in Historical Perspective, New York 2004, S. 98ff.; zuletzt: Patricia Heberer / Jürgen Matthäus (Hrsg.), Atrocities on Trial. Historical Perspectives on the Politics of Prosecuting War Crimes, Lincoln 2008. Siehe dazu auch Kerstin von Lingen: Rezension zu: Heberer, Patricia; Matthäus, Jürgen (Hrsg.): Atrocities on Trial. Historical Perspectives on the Politics of Prosecuting War Crimes. Lincoln 2008, in: H-Soz-u-Kult, 06.05.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-086>.

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