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Titel
Two Words to the Wise. Reflections on Polish Language, Literature and Folklore


Autor(en)
Rothstein, Robert A.
Erschienen
Bloomington, IN 2008: Slavica Publishers
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
$ 27,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tim Buchen, Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin

„Two Words to the Wise“ ist eine Sammlung von Kolumnen aus der Bostoner Zeitung „Biały Orzeł/ White Eagle“. Sie alle haben eine Redewendung, einen Ausdruck oder eine besondere grammatische Konstruktion der polnischen Sprache zum Thema, die Rothstein zum Anlass nimmt, um über polnische Sprache, Literatur und Folklore nachzudenken. Den Linguisten Rothstein interessieren vor allem Ursprünge von Redewendungen und was sie uns über die Verwandtschafts- und Austauschbeziehungen zwischen Sprachen verraten. Zumal wenn rekonstruiert werden kann, wann bestimmte Ausdrücke Eingang in die Sprache fanden, lassen sich daraus kulturelle Transferwege und Einflussbereiche rekonstruieren. So ist es bekannt, dass die Christianisierung Polens von Böhmen aus erfolgte und daher viele tschechische Wörter die Liturgiesprache prägten. Dies gilt ebenso für den militärischen Bereich, wie Rothstein zeigen kann. Während die Ursprünge militärischer Dienstgrade meist im Lateinischen oder Französischen liegen, sind ihre polnischen Übersetzungen häufig Entlehnungen aus der tschechischen Sprache.

Die Etymologie verrät nicht nur etwas über den Transfer von Ideen und Techniken, sie bildet auch die Schwierigkeiten ab, die sich aus dem Kontakt zwischen verschiedenen Sprachgruppen ergeben. Zwischen den slawischen Sprachen bestanden sehr vielfältige Wechselbeziehungen, die allerdings häufig „falsche Freunde“ mit sich brachten und bringen. Das sind Begriffe, die gleich oder ähnlich in mehreren Sprachen existieren, aber andere, teilweise gegensätzliche Bedeutungen erlangt haben. Sie führen damit nicht zum Verständnis einer verwandten Sprache sondern zu Missverständnissen zwischen ihren Sprechern, die Rothstein an beliebten Beispielen anekdotenhaft wiedergibt.

Aus der Tatsache, dass slawische und deutsche Dialekte weit weniger Möglichkeiten für ein gemeinsames Gespräch boten, erhielten die Deutschen ihren Namen „die Stummen“ (Niemcy), den sie in fast allen slawischen Sprachen bis heute haben. Rothstein geht jedoch nicht darauf ein, dass im Russischen „niemcy“ zunächst die Bezeichnung für alle Ausländer war, die sich erst später auf die deutschen Moskauer Siedler verengte. Es wäre interessant zu erfahren, ob diese Bedeutung dann aus dem Russischen ins Polnische gelangte oder ob dort eine ähnliche Bedeutungsverengung stattfand.

Dagegen beruht der Name für die romanischsprachigen Italiener mitnichten auf einer Wahrnehmung als besonders stark behaart, wie es die polnische Bezeichnung Włosi/ Włochy nahe legt. Es handelt sich vielmehr um eine Adaption des römischen Begriffs für den keltischen Stamm der Volcae, dem Ursprung für die Bezeichung der Waliser und Wallonen, der Walachei und des deutschen Worts „welsch”.

Rothstein ist stets darum bemüht, Sprachentwicklungen zeitlich zu verorten. Er wirkt damit Vorstellungen von einer statischen polnischen Volkskultur entgegen. Ebenso wie er regionalen Unterschieden vor allem in Phonetik und Morphologie auf der Spur ist, interessiert er sich auch für die Wahrnehmung verschiedener Regionen oder Städte innerhalb des polnischen Sprachraums. Während Galizien und seine Einwohner durchweg mit Verachtung wegen ihrer Armut und Falschheit gestraft werden, ist Krakau eine ganz überwiegend positive Referenz. Dabei zeigt sich im Vergleich verschiedener Städte und ihrer Repräsentationen im Liedgut, dass oftmals angeblich typische Zuschreibungen austauschbar waren und diese sowohl in Warschau als auch in Lemberg gesungen wurden, daneben aber auch in Kasan an der Wolga und in Celle.

Neben dem historischen Interesse an der Sprache geht es dem passionierten Polnischlehrer Rothstein immer auch darum, die Tücken der polnischen Grammatik zu erklären. Im titelgebenden Sprichwort von den zwei Wörtern an den Weisen hat sich das Rudiment des ehemals gebräuchlichen „Duals“ erhalten, das heute noch in der Pluralbildung für Augen, Ohren und Hände Polnischlernende irritieren lässt. Ein weiteres Beispiel einer genaueren Differenzierung in der polnischen Sprache lassen sich in den Bezeichnungen für Verwandtschaftsbeziehungen finden, die jeweils zwischen Verwandten mütter- oder väterlicherseits unterscheiden. Warum diese Unterscheidung entstand und warum sie noch bis heute Bestand hat, darüber stellt Rothstein leider keine Überlegungen an.

Einblicke in die Volkskultur bieten eine Fülle von Festen, Liedern und Sprichwörtern. Das Erntefest dożynki (der Plural in den allermeisten polnischen Festbezeichnungen verweist auf die regelmäßige, meist jährliche Wiederkehr etwa von Geburts- und Namenstagen) aus der Zeit der Leibeigenschaft wurde nach deren Abschaffung von Bauern alleine gefeiert. Einige zum Erntefest gesungene Lieder enthielten aber noch im Folgenden Momente bäuerlicher Unterwerfung, die vom Grundherren mit Großzügigkeit beantwortet werden sollte. Andere Liedtexte machen sich dagegen über den Gutsherren lustig oder drohen ihm im Fall von Geizigkeit. Rothstein beschreibt aber auch die Versuche, mit denen die politische Elite zunächst in der Zweiten Republik, später in der kommunistischen „Volksdemokratie“ und schließlich unter Aleksander Kwaśniewski bemüht war, ihr Regiment durch die Referenz auf einzelne Elemente der bäuerlichen Festkultur vor allem in bäuerlichen Kreisen zu legitimieren.

Die Mehrzahl der Beispiele Rothsteins sind Sprichwörter, sind sie doch der noch heute lebendige Überrest einer mündlichen Volkskultur. Wo es um sprichwörtliche „Weisheiten“ geht, stellt er fest, dass ihre Aussagen sich nicht nur häufig widersprechen, sondern es zudem in den meisten Fällen äquivalente Sprichwörter in anderen europäischen Sprachen gibt. Wo es möglich ist, datiert Rothstein den Eingang der Redewendungen in die polnische Sprache anhand von Zitaten aus der Belletristik. Ansonsten dienen die thematisch geordneten Beispiele lediglich dazu, den Wortschatz seiner Leser zu erweitern oder die Produktivität bestimmter Themenfelder hervorzuheben. Es ist wenig überraschend, dass neben dem Thema der Natur und insbesondere der Tierwelt vor allem die Liebe bzw. Partnerwahl im Vordergrund steht.

„Two Words to the Wise“ erinnert den Historiker daran, welches tradierte kulturelle Wissen in Sprache sichtbar wird und welche Schwierigkeiten gleichzeitig bestehen, dieses zu interpretieren. Die linguistische Perspektive auf „die Volkskultur“ ermöglicht Einblicke in einen an schriftlichen Quellen armen Bereich. Insbesondere zu Festbräuchen und staatlichen Feierlichkeiten arbeitet Rothstein auch eine historische Dimension ihrer Traditionen heraus. Für den Historiker ist es jedoch etwas unbefriedigend, dass die Sprecher und Sänger von Gedichten und Liedern anonym, ihre Intentionen und Mentalitäten Spekulation bleiben. Der „Volksmund“ ist kein historischer Akteur. Der Kontext, in dem beispielsweise das Spottlied des Erntefestes entstand, bleibt ebenso unbekannt wie die Absicht des Menschen, der es zu Papier brachte. Dennoch ist die Artikelsammlung eine kurzweilige, bisweilen anregende Lektüre für Menschen, die mit der polnischen Sprache zu tun haben. Die Form der Kolumne bringt mit sich, dass alle Beiträge die gleiche Länge haben und in dem Buch ganze siebzig versammelt sind. Manche der durchweg unterhaltsam geschriebenen Artikel hätte man sich ausführlicher gewünscht, einige hätten getrost komprimiert in einem Beitrag Platz gefunden. Immerhin verwandeln das gute Register und die Literaturhinweise den Band in ein sehr nützliches Nachschlagewerk, das gleichzeitig einen Schlüssel zu den vielen Besonderheiten der polnischen Sprache und ihres alltäglichen Gebrauchs bietet.

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