Cover
Titel
Brennpunkt Schweiz. Die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft 1815-1840


Autor(en)
Inauen, Josef
Erschienen
Fribourg 2009: Academic Press
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Markus Furrer, Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Luzern

Josef Inauen zeichnet in seiner Studie die komplexen und vielfach verschränkten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern im Zeitraum von 1815 bis 1840 nach. Er beleuchtet die Phase vor der Nationalstaatengründung (Schweiz 1848 und Deutschland 1871) und damit jene Zeit des revolutionären Nationalstaates (Hagen Schulze), die stark von den gesamteuropäischen Auseinandersetzungen um Revolution, Freiheit, Nation und Kirche geprägt waren. So gab es auf kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Gebieten etliche Berührungspunkte. Es waren insbesondere solch enge Kontakte, die Nährboden zahlreicher Konflikte bildeten. Überlagert wurden diese Reibungsflächen von den großen völkerrechtlichen und politischen Auseinandersetzungen um Flüchtlinge, Presse, Handwerksgesellenvereine und revolutionäre Propaganda. Für die diplomatischen Beziehungen zur Schweiz waren die deutschen Einzelstaaten wichtiger als der Deutsche Bund, der Ähnlichkeit mit den staatsrechtlichen Grundlagen des Schweizer Bundesvertrages aufwies.

Wie Inauen festhält, stellte die Schweizerische Eidgenossenschaft in dieser Phase für die Nachbarstaaten eines der größten Probleme dar, wurde doch die „Schweizerfrage“ zum Prüfstein für die Stärke der Regierungen und für die von ihnen vertretene konservative, solidarische Politik nach innen und außen (S. 243). Wesentlich dabei war, dass sich in der Schweiz wie unter einem Brennglas die zentralen europäischen Auseinandersetzungen abspielten. Unmittelbar davon betroffen waren auf Grund der geografischen Nähe die nördlichen Nachbarn, die allesamt Kleinstaaten und keine Signatarmächte des Vertragswerks von 1815 waren. Im Rahmen der konservativen Solidarität und zu ihrem eigenen Schutz fühlten sie sich jedoch zu eventuellen Einschreitungen berechtigt, pflegten aber insgesamt eine pragmatische und differenzierte Haltung. Eine Intervention war nie wirklich realistisch. Hingegen fühlten sich die konservativen Nachbarstaaten der Schweiz durch Vorgänge, die in einem demokratischen Staat zu den normalen Verhältnissen des politischen Lebens gehörten, direkt oder indirekt bedroht.

Die Studie gliedert sich in neun Hauptkapitel: Einleitung; Grundlagen; Im Schatten der Grossmächte (1815-1830); Aufbruch als Krise (1830-1834); Die Flüchtlingskonflikte (1833-1838); Die Beurteilung der kirchlichen Bewegungen und der konservativen Reaktion; Die Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsbeziehungen zwischen der Schweiz und den süddeutschen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; Rechts- und Hoheitsfragen; 1840 – Die „Wasserscheide“ Europas. Daran fügen sich eine Bilanz sowie ein umfangreicher und für vertiefte Studien hilfreicher Anhang.

In der Einleitung werden Hinweise zum Untersuchungsrahmen und zum Forschungsstand unterbreitet. Wie auch am Schluss festgehalten wird, stützt sich die Studie stark auf Quellen aus den süddeutschen Archiven in Karlsruhe, Stuttgart und München. Weniger berücksichtigt wurden die diplomatisch-politischen Anteile der Schweiz.

Zeitlich ist die Arbeit eingegrenzt: Sie beginnt mit dem Jahr 1815, als die Schweiz mit dem Bundesvertrag unter maßgeblicher Einwirkung der europäischen Großmächte in der Form von zweiundzwanzig „souveränen“ Kantonen (Art. 1 Bundesvertrag von 1815) als Republik mitten im monarchischen Europa gebildet wurde. Inauen zieht seine Untersuchung über die Phase der Restauration und der Regeneration hinweg bis zum Jahre 1840, dem er die Funktion einer „Wasserscheide“ zuordnet. In einer Folgestudie sollen die 1840er-Jahre detaillierter ausgeleuchtet werden. Die Schweiz bekam in den Vierzigerjahren für Deutschland nach Inauen eine „grosse Bedeutung“: „Die Trennung des politischen Radikalismus vom Liberalismus hatte sich hier schon früher vollzogen, die lebhaften Parteikämpfe in der Schweiz fanden die Aufmerksamkeit sowohl der deutschen Radikalen als auch der Konservativen; und schließlich boten die schweizerischen Liberalen und Radikalen 1847/48 den interventionslustigen Mächten keck die Stirn“ (S. 222).

Detailliert arbeitet der Autor die einzelnen Kapitel heraus. Offensichtlich wird der Bruch zwischen der Phase vor und nach 1830: In der Schweiz, wo Kantone im Sinne von Laboratorien republikanisch-demokratische Modelle umsetzten, entwickelte sich ein missionarischer Zug, der auch Grundlage eines schweizerischen Nationalbewusstseins wurde. Im Kapitel „Im Schatten der Grossmächte“ (S. 51ff.) zeigt Inauen, wie vor 1830 die Beziehungen zwischen der Schweiz und den süddeutschen Staaten von der Kongressdiplomatie überschattet waren. 1823 musste die Schweiz mit dem Presse- und Fremdenconclusum diesem Druck nachgeben. Die Julirevolution 1830 zeigte Folgen und wirkte sich unmittelbar auf das Verhältnis zwischen der Schweiz und den süddeutschen Staaten aus. Die Länder traten aus dem Schatten der Großmächte und wurden in die Schritte gegen die Schweiz einbezogen. Von einer offenen Brüskierung der Schweiz sahen die süddeutschen Regierungen im Interesse von Wirtschaft und Handel jedoch ab. Dennoch brauchte es nicht viel, um die aufgeheizte Stimmung im Spannungsfeld von „monarchischer Solidarität versus wirtschaftlicher Interessenpolitik“ (S. 235) zu einem ernsthaften Konflikt heranwachsen zu lassen. Detaillierte Beispiele sind im Buch aufgearbeitet. Im Fokus stand primär das Asylwesen, welches von den Kantonen bestimmt wurde. Wie die Studie zeigt, war das von der Schweiz hochgehaltene Asylrecht schon damals mehr Mythos als Realität, indem man aus opportunistischen Gründen dem Druck des Auslandes glaubte nachgeben zu müssen. So fand hier die ideologische Solidarität immer wieder Grenzen, wenn auch der republikanische Kleinstaat mitten im monarchischen Umfeld sich für deutsche Flüchtlinge als exponiertes Rückzugsgebiet anbot.

Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und den süddeutschen Staaten waren eng, besonders mit dem Großherzogtum Baden. Dies erklärt die Probleme auf beiden Seiten, die mit der Gründung des deutschen Zollvereins entstanden. Die süddeutschen Staaten drangen mit ihren Forderungen nach provisorischen Begünstigungen der Schweiz nicht durch. Ein Anschluss der Schweiz an den Zollverein kam aus politischen Gründen für beide Seiten nicht in Frage.

Bilanzierend hält die Arbeit fest, dass die Schweiz viel Störpotential bot und als „Brennpunkt“ wirkte, da hier, bedingt durch Pressefreiheit in der Zeit der Regeneration, in aller Öffentlichkeit die Parteienkämpfe europäischen Zuschnitts ausgetragen worden sind. Die eng verflochtenen Beziehungen zur süddeutschen Nachbarschaft waren durch Missverständnisse und Misstrauen geprägt und beruhten auf unterschiedlichen Staatsauffassungen. Auffallend ist dennoch ein gewisses Abseitsstehen der süddeutschen Nachbarstaaten bezüglich der von den Großmächten verlangten Maßnahmen gegen die Schweiz. Hier spielten wirtschaftliche Interessen aber auch kleinstaatliche Solidarität eine Rolle.

Inauen zeichnet in seiner Studie die komplexen Beziehungen in einem eleganten Bogen nach. Die Studie nimmt eine Thematik auf, die in den letzten Jahren keinen großen Niederschlag mehr gefunden hat. Verdienstvoll ist die minutiöse Aufarbeitung des Quellenmaterials und wertvoll ist der akzentuierte historische Überblick. Die Fülle der Fakten und auch die breit angelegten Entwicklungsstränge bringen es mit sich, dass vertiefte Fragestellungen weniger angegangen werden können.

Das letzte Kapitel verweist in der Bilanz auf Forschungslücken, die insbesondere mit einem kulturgeschichtlichen Ansatz zu ergründen wären. So drängen sich etwa Fragen auf, wie die zunehmende Nationalisierung die Differenzen zwischen den süddeutschen Staaten und der Schweiz verstärkte. Die Studie greift hierbei auf eine turbulente Zeitphase zurück, in der sich die Nationalstaatenbildung unter meist noch offenen Prämissen vollzog, was zur Schärfung des Blicks auf aktuelle Debatten und Problemkonstellationen in einem globalen Zeitalter neuer „Assemblagen“ (Saskia Sassen) beitragen kann.1

Anmerkung:
1 Saskia Sassen, Das Paradox des Nationalen. Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter, aus dem Amerikanischen von Nikolaus Gramm, Frankfurt am Main 2008.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension