Titel
Dubai. The Vulnerability of Success


Autor(en)
Davidson, Christopher M.
Erschienen
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 24,87
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Demmelhuber, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg

Dubai wird von der Wirtschafts- und Finanzwelt seit etwas mehr als zehn Jahren als die neue Weltmetropole der Golfregion und als Erfolgsmodell der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Versiegen der Rohstoffvorkommen in der Region wahrgenommen. Diese pauschalisierte Kategorisierung des Emirats am Persischen Golf wird im wissenschaftlichen Diskurs zunehmend in Frage gestellt. Ein akribisches und umfassendes Werk in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsmodell Dubai stellt das 2008 bei Columbia University Press erschienene Buch »Dubai: The Vulnerability of Success« von Christopher M. Davidson dar. Der Historiker Davidson (Ph.D. in Middle Eastern Studies) war selbst vor seiner derzeitigen Lehr- und Forschungstätigkeit an der Durham University (UK) als Assistant Professor an der Sheikh Zayed University in Abu Dhabi/ Dubai tätig.

Davidson beginnt mit einer Beschreibung der Erfolgsgeschichte des Emirats Dubai von den Anfängen der Loslösung vom größeren Nachbaremirat Abu Dhabi im 19. Jahrhundert. Er fährt mit der imperialen Durchdringung durch die Briten fort, um schließlich zu der Mitte des 20. Jahrhunderts gewachsenen, geostrategischen und geoökonomischen Bedeutung (Ölboom) des Emirats sowie zu dem Entwicklungsmodell Dubai zu kommen. Dem Leser begegnet eine herausragend aufgearbeitete historische Darstellung. Davidson zeichnet die wesentlichen historischen Linien nach und bereichert diese mit höchst spannendem Detailwissen sowie eigenen qualitativen Erhebungen. Er bedient sich dabei sowohl in der historischen Aufarbeitung als auch in der analytischen Betrachtung des Entwicklungskonzepts stets eines einheitlichen Analyseschematas, in dem er Dubais Entwicklung im Spannungsfeld seiner Nachbaremirate (bzw. ab 1971 der VAE als Föderation) sowie regionaler und innenpolitischer Bestimmungsfaktoren beschreibt. Die regionalen Rahmenbedingungen greift Davidson schwerpunktmäßig in seinem letzten Kapitel auf (S. 263ff.), indem er diese vor allem nach Sicherheitsrisiken bewertet (z.B. Bedrohung durch Iran, Waffenhandel, Menschenhandel, Terrorismus etc.). Aufbau und Argumentationsleitfaden überzeugen innerhalb der jeweiligen Kapitel, obgleich die Übergänge zwischen den einzelnen Abschnitten sowie das abrupte Ende stören und der Leser überrascht sein dürfte, dass er ohne Konklusion und Zusammenfassung der Thesen die Lektüre beenden muss.

Davidson sieht die Erfolgsgeschichte Dubais weniger in der umfassenden gesellschaftspolitischen Transformation des Emirats aufgrund von Einnahmen aus dem Erdölgeschäft (massive Funde ab den 1960er-Jahren), sondern vielmehr in der Pionierleistung seit den 1970er- und 1980er-Jahren, die Ölabhängigkeit durch eine umfassende Diversifizierungsstrategie frühzeitig zu verringern. Das geschah vor dem Hintergrund politischer Stabilität und der Flexibilität der Herrscherfamilie al-Maktum, die seit der Loslösung von Abu Dhabi vor mehr als 150 Jahren an der Spitze des Emirats steht. Zentral ist dabei die These Davidsons, dass die Abhängigkeit Dubais von der globalen Wirtschaft durch die Diversifizierung der Ökonomie gestiegen sei – ganz im Gegensatz zum herrschenden Bild des erfolgreichen, ökonomisch diversifizierten Golfemirats: »[…] the emirate’s persisting ‘peripheral’ economic structures continue to rely on neo-imperial core economies, […] and therefore Dubai remains dependent on these ‘metropoles’ for its economic livelihood, albeit now from foreign direct investment and luxury tourism rather than the more straightforward hydrocarbon exports of the recent past.« (S. 6) Letztere These belegt der Autor differenziert nach einzelnen Wirtschaftszweigen (Infrastruktur, Industrie, Freihandelszonen, Tourismus und Immobilien) umfassend und überzeugend in Kapitel vier.

Kapitel fünf und sechs bilden den Kern der Analyse von Davidson, in denen er die politische Stabilität des Emirats und die Grenzen des autoritären Herrschaftsmodells beschreibt. Davidson geht dabei von der Grundthese aus, dass die politische Stabilität des Emirats durch Besonderheiten des Herrschaftssystems und der »politischen Kultur« zu erklären ist. Grundprinzip des Herrschaftsmodells der al-Maktum-Familie ist ein »ruling bargain«, ein stetes Aushandeln von Herrschaft über formelle und informelle Mechanismen, über die sich Herrschaftslegitimation und sämtliche Machtbeziehungen ableiten lassen. Davidson unterstreicht dabei, dass sich diese autoritären Herrschaftsmechanismen nachhaltig von etwaigen Liberalisierungstendenzen in anderen Staaten der Golfregion (z.B. Kuwait) unterscheiden (S. 137ff.) und sich ferner von den Vorhersagen der Modernisierungstheorie absetzen. Substantielle wirtschaftliche Liberalisierungsschritte haben nicht – wie von der Modernisierungstheorie vorhergesagt – zu einer politischen Öffnung geführt. Vielmehr wurden die traditionellen Herrschaftsmechanismen erhalten und in moderne staatliche Institutionen integriert (S. 138). So sieht der Autor die politische Stabilität des Emirats, die er als wichtigste Grundvoraussetzung für den Entwicklungserfolg von Dubai in den vergangenen Jahren betrachtet, mit fünf Aspekten verbunden: Erstens verfügt die al-Maktum-Dynastie über eine ausgeprägte innere Geschlossenheit. Innerfamiliäre, parallele Machtzentren werden nicht geduldet bzw. über Instrumente der Kooptation meist erfolgreich vermieden (S. 138ff.). Zweitens schaffen umfangreiche sozialstaatliche Allokationsmechanismen (ausschließlich für Staatsbürger) mit einem äußerst geringen Besteuerungs- und Abgabeniveau Herrschaftslegitimation (S. 147ff.). Über umfassende, dezidiert patrimoniale und technokratische Netzwerke werden drittens die einzelnen Stämme und einflussreichen Familien des Emirats eingebunden (S. 153ff.). Erweitert werden diese traditionellen Ordnungsmuster viertens durch neopatrimoniale Regierungsstrukturen, denn: »To lend greater legitimacy to this patrimonial network, which after all is still little more than an extended system of patronage grafted onto a traditional polity, the ruling family has made great efforts to support an outside layer of more modern ‘neo-patrimonial’ governmental institutions.« (S. 158) Letztlich speist sich fünftens diese komplexe Herrschaftslegitimation zudem aus einer geschickten Instrumentalisierung von ideologischen, religiösen und kulturellen Faktoren, die sukzessive darauf abzielen ein gemeinsames nationales Narrativ zu konstruieren (S. 167ff.).

Je mehr die al-Maktum-Dynastie versucht Dubai in das System der globalen Arbeits- und Güterteilung zu integrieren, werden oben genannte Quellen der Herrschaftslegitimation herausgefordert (S. 177ff.). Davidson sieht vor allem in der Perpetuierung einer Rentiermentalität, gekoppelt an eine jährlich um vier Prozent wachsende Bevölkerung (Staatsbürger), die größte Herausforderung für die langfristige Entwicklung Dubais (S. 206ff.). Die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften sowohl im Niedriglohnsektor als auch im Bereich der Hochqualifizierten steigt sukzessive, da das Ausbildungsniveau der Staatsbürger nicht mit den Erfordernissen eines sich schnell entwickelnden Privatsektors (sofern dieser aufgrund der verbreiteten Einbindung der Herrscherfamilie als solcher zu bezeichnen ist) Schritt hält. Die umfangreichen sozialstaatlichen Allokationsmechanismen des Emirats stoßen dabei an die Grenzen, so dass in den vergangenen Jahren sukzessive »versteckte Steuern« (z.B. Mautgebühren) eingeführt wurden, um den Haushalt des Emirats zu entlasten (S. 180f.). Der stetig wachsende Anteil von ausländischen Arbeitskräften ist dabei nur vordergründig unproblematisch. Davidson bemerkt in diesem Zusammenhang überzeugend: »Such a huge foreign population does not yet impact on the political participation or wealth distribution aspects of the ruling bargain, given that most immigrants are mercenaries attracted by relatively better salaries than in their home country and only intend to reside in Dubai temporarily.« (S. 191) Doch alleine die Anwesenheit der großen Gastarbeiterpopulation und die veränderte Zusammensetzung der Öffentlichkeit schaffen Identitätsprobleme für die emiratischen Staatsbürger, da deren Normen und Werte (als wesentlicher Pfeiler von Herrschaftslegitimation) von nun an nicht mehr absolut sind und sie sich daher zunehmend in einem gefühlten »internal exile« (S. 194) befinden. So steht die al-Maktum-Dynastie vor einem Dilemma: Wie viel darf man von seiner eigenen Identität abgeben, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Investitionen ins Land zu holen, die wieder die Grundlage für die Familiendynastien in der Golfregion sind, Kapital für ihren »ruling bargain« abzugreifen? Die bisherigen Reformbemühungen des Emirats greifen dabei – wie Davidson zeigt – immer noch zu kurz und haben bis dato noch keine »exit strategy« aus der Rentiermentalität erreicht, trotz medienwirksamer Bildungsprogramme und Einführung von Mindestquoten für emiratische Staatsbürger im Privatsektor (S. 206ff.).

Trotz der herausragenden historischen Aufarbeitung des Entwicklungsmodells Dubai seit den Anfängen stören in dem Buch von Davidson einige methodisch-analytische Ungereimtheiten. Ein durchgehend normativer Bias ist dabei auffallend, in dem Davidson die »remarkable durability of Dubai’s essential traditional polity« und seines autoritären Herrschaftsmodus feststellt (S. 4 u.a.). Sind autoritäre Systeme per se instabil? Der empirische Befund einer hohen »politischen Halbwertszeit« autoritärer Regime in der arabischen Welt zeigt vielmehr, dass dieser Systemtypus als gegeben und nicht als ein instabiles Übergangsmodell anzusehen ist. Zu kritisieren sind zudem einzelne begriffliche Schwächen, in denen einerseits internationale nichtstaatliche Organisationen fälschlicherweise als supranationale Organisationen bezeichnet werden (S. 210) und andererseits nicht immer konsistent mit dem Begriff der nationalen Identität umgegangen wird (S. 2, 6, 167ff.). Das Buch Davidsons besticht durch eigene qualitative Erhebungen: Unbestritten ist, dass Forschende vor allem in autoritären Herrschaftssystemen häufig mit dem Wunsch seitens der Interviewpartner konfrontiert werden, das Gespräch vertraulich zu behandeln. Die folglich von Davidson gewählte Variante, nur Ort und Zeit des Interviews in den jeweiligen Endnoten anzugeben, greift hier dennoch zu kurz und genügt nicht dem Mindestmaß wissenschaftlichen Arbeitens. Beruflicher Hintergrund oder institutionelle Anbindung wären noch mindestens zu nennen gewesen. Diese Angaben hätten die persönliche Anonymität der Gesprächspartner nicht angetastet.

Noch stärker wiegen analytische Schwächen. Davidson versucht die Legitimationskraft der herrschenden Dynastien alleine über den beschriebenen »ruling bargain« zu erklären, berücksichtigt dabei aber nicht hinreichend die Rezipientenseite. Ohne Frage haben wir es bei dem Emirat Dubai mit einem herrschaftspolitischen »top-down-Modell« zu tun, in dem aber die Gesellschaft (emiratische Staatsbürger und die große Mehrheit der Gastarbeiter) zu berücksichtigen ist. Bei der Analyse der politischen Stabilität wäre ferner zu vermerken gewesen, dass es das Emirat geschafft hat, trotz der Eingliederung in die globale Wirtschaft, einen umfassenden Elitenwandel zu vermeiden, in dem der gesamte Privatsektor in unterschiedlicher Intensität mit Vertretern der Herrschaftsfamilie verknüpft ist. So steht Dubai im Vergleich zu den Republiken der Arabischen Welt nicht vor der herrschaftspolitischen Herausforderung einer veränderten, strukturellen Zusammensetzung der Herrschaftselite, was sich positiv auf die politische Stabilität des Emirats und die Funktionalität des »ruling bargain« auswirkt. In diesen beschriebenen Aspekten fehlt bei Davidson noch der letzte analytische Schritt, in anderen Worten die Übersetzung des herausragenden Detailwissens und die Intimität mit dem Untersuchungsgegenstand in die analytische Auseinandersetzung mit Staat und Herrschaft.

Summa summarum handelt es sich bei dem Werk von Davidson trotz der skizzierten Defizite um ein herausragendes und uneingeschränkt empfehlenswertes Buch, das durch die kritische Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsmodell des kleinen Emirats am Persischen Golf zahlreiche Tabuthemen thematisiert, dabei einen nachhaltigen Erkenntnisgewinn in der Erforschung des für Golfmonarchien typischen Herrschaftssystems liefert und der Widmung durch Davidson Rechnung trägt: »To my beloved Dubai, from a loyal but critical friend.« (S. ii.)

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