M. Gehler: Österreichs Weg in die Europäische Union

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Titel
Österreichs Weg in die Europäische Union.


Autor(en)
Gehler, Michael
Erschienen
Innsbruck 2009: StudienVerlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Moll, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

„Österreichs Weg nach EU-Europa war ein sehr langer. Er war daher auch anstrengend, zeitaufwendig und kräfteraubend“ (S. 224). Diese Sätze aus der Bilanz des hier vorzustellenden Buches charakterisieren die Erfahrungen bei der Lektüre dieses im Vorwort verschämt als „Büchlein“ bezeichneten, neuesten Werkes Michael Gehlers, der seit 2006 an der Stiftung Universität Hildesheim lehrt. Bei einem Umfang von 420 Seiten, davon ca. 230 Seiten Text, alles relativ klein gesetzt, kann von einem Büchlein nicht die Rede sein. Zu prüfen bleibt, ob der Anspruch, einen Reader bzw. eine Studienausgabe vorheriger, wesentlich voluminöserer Publikationen Gehlers zum selben Thema vorzulegen, eingelöst wurde, denn mit einem solchen Vorhaben wäre der Umfang noch vereinbar.

Keine Frage, Gehler ist als Experte bestens ausgewiesen. Das Literaturverzeichnis nennt einschließlich von ihm (mit-)herausgegebener Sammelbände sage und schreibe 51 Gehler-Titel zum Generalthema österreichische Außen- und EU-Integrationspolitik. Man versteht die Schwierigkeiten, aus einer derartigen Textmasse ein Studienbuch zusammenzustellen, das die Kapitel übersichtlich anordnen und den Fußnotenteil knapp halten will (Vorwort). Leider bleibt es bei der Ankündigung, woran ein Umstand Schuld trägt, den man als Überqualifizierung des Verfassers bezeichnen könnte.

Das Vorwort liefert nur vage Angaben, aus welchen „vorangegangene(n) einschlägige(n) Arbeiten und Editionen“ Gehler dieses sehr preiswerte Studienbuch zusammengestellt hat. Bleibt zu vermuten, dass es sich primär um Gehlers zweibändiges Werk „Der lange Weg nach Europa“ von 2002, um „Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik“ (2005, zwei Bände) sowie um „Vom Marshall-Plan bis zur EU“ (2006) handelt. Schon angesichts dieser mehrere Tausend Druckseiten umfassenden Monographien war ein Textabgleich unmöglich zu leisten, aber auch nicht notwendig, da gegen die Synopse umfangreicherer Texte und deren Aufbereitung für ein breiteres Leserpublikum nichts einzuwenden ist. Die Frage ist, ob daraus ein in sich geschlossenes (neues) Werk resultiert oder nicht.

Wer Gehlers Jahr für Jahr vorgelegte, zum Teil mehrbändige Monographien, seine langen Aufsätze sowie seine vielfältigen Herausgeber- und Beiträgerschaften verfolgt, kann sich eines gewissen Neidgefühls angesichts der Produktivität dieses Autors nicht enthalten. Man mag sich fragen, mit welchen Arbeitsmethoden Gehler seinen beeindruckenden Output erzielt. Der hier zu besprechende Band beantwortet diese Frage wenigstens teilweise.

Leider merkt man ihm nahezu auf jeder Seite an, dass er kompiliert und nicht aus einem Guss geschrieben wurde. Er ist in zehn Kapitel und eine Bilanz gegliedert, abgesehen von Kapitel 10 ohne Zwischenüberschriften. Die Themensprünge, fehlenden Übergänge und Wiederholungen mit inhaltlich parallelen, wenn nicht wortgleichen Formulierungen sind Legion. Das Zusammenfügen der Textbausteine erfolgte offenbar mit einer Eile, die dem Endprodukt nicht gut getan hat. Selbiges gilt für die nicht immer stringente Anordnung der geschilderten Ereignisse. Beispielhaft mögen die Seiten 93f. im Kapitel über die Integrationspolitik 1972-1986 stehen: Hier ist innerhalb weniger Absätze von der palästinenserfreundlichen Nahostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der Krise rund um die Kriegsvergangenheit des Bundespräsidenten Kurt Waldheim ab 1985 sowie anschließend vom Ölschock 1973 die Rede.

Derlei verwirrende, dem Leser jegliche Orientierung vorenthaltende Anordnungen des Stoffs sind beileibe kein Einzelfall. So beginnt auf Seite 143 der Abschnitt über „Österreich als Mitglied der Europäischen Union 1995-2008“ mit einer Zwischenüberschrift, die den Abschnitt von 1995 bis 1999 darzustellen vorgibt. Schon auf der nächsten Seite jedoch handelt Gehler von der 2004 erfolgten Osterweiterung der EU und deren ökonomischen Folgen für Österreich. Die Ausführungen und Graphiken auf den folgenden Seiten bringen Daten für die Zeit nach der Jahrtausendwende, ja sogar Prognosen für den Ausgang der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ab 2010! Sie sind in einem Unterkapitel über die Jahre 1995 bis 1999 schlechterdings deplatziert.

Von der Gliederung abgesehen, bleiben mancherlei Monita, die den Band durchziehen. Da ist etwa die Bildauswahl des reich illustrierten Buches: Sie wirkt mitunter willkürlich und redundant (Bundeskanzler Vranitzky ist gleich mit zwei Porträtfotos vertreten). Unbegreiflich sind die Abbildung auf Seite 73 unten (eine beliebige Straßenszene) sowie die intendierte Aussage der Karte auf Seite 23. Manche Illustrationen scheinen Gehlersche Familienfotos wiederzugeben. Hier zeigt sich erneut die Selbstverliebtheit des Autors, der nicht davor zurückschreckt, seine älteren Formulierungen nicht bloß in Fußnoten, sondern auch im Text nachzuweisen, was nach den Selbst-Zitierungen durch Klammerausdrücke (Michael Gehler) erfolgt (S. 161 und andere).

Das Literaturverzeichnis eines Studienbuches sollte eine rasche Orientierung ermöglichen, was bei 25 Seiten kaum möglich ist. Obendrein folgt Gehler der Unsitte, die Bibliographie in insgesamt sechs Blöcke (Dokumentationen, Bibliographien etc., Memoiren und zeitgenössische Publikationen, Monographien, Aufsätze usw.) zu zersplittern. Wer einen Titel sucht, muss sich vorab klar werden, in welche Kategorie dieser fallen könnte. Die beiden Bände von Gehlers „Der lange Weg nach Europa“ (Darstellung und Dokumente) finden sich, dieser Logik folgend, an zwei verschiedenen Stellen (S. 338 bzw. S. 341)! Nützlich sind hingegen das umfangreiche Linkverzeichnis, da dieses die Angebote der angeführten Webpages beschreibt, das Glossar, die bis Ende 2008 geführte Zeittafel sowie das Personenregister.

Die auf 100 Druckseiten präsentierten 75 Dokumente decken den gesamten Untersuchungszeitraum ab; im Text wird jeweils auf sie verwiesen. Überflüssig ist Dokument 44, das ohnedies im Darstellungsteil faksimiliert abgebildet ist. Einige Dokumente (etwa Nummer 71 und 75) weisen lediglich eine vage Quellenangabe auf und man fragt sich, wie Gehler an derartige interne Unterlagen aus den letzten Jahren herangekommen ist.

Hatte Gehler sein nahezu 1300 Seiten starkes Werk „Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik“ mit der Moskauer Deklaration von 1943 begonnen, so geht er hier sogar bis 1918 zurück. Die wesentlichen Stationen des Wegs der Alpenrepublik nach Europa werden in weitgehend chronologischer Reihenfolge abgehandelt: Teilnahme am Marshallplan, Staatsvertrag, Abzug der Besatzungsmächte und immerwährende Neutralität 1955, die jahrzehntelange EFTA-Mitgliedschaft und die frühen, halbherzigen und gescheiterten Aufnahmebemühungen in die damalige EWG bzw. EG. Die 1989 eingetretene Wende wird gewürdigt, das neuerliche Beitrittsansuchen dieses Jahres und die mühevollen, zeitweilig vor dem Scheitern stehenden Verhandlungen werden ebenso breit geschildert wie die Volksabstimmung über den Beitritt 1994, der Beitritt selbst sowie Österreichs manchmal als unbequem verstandene Rolle in der EU seither.

Nicht immer ist die Gewichtung der einzelnen Themen nachvollziehbar: Während die ergebnislosen Debatten über einen Beitritt der Türkei lang und breit referiert werden, finden die sogenannten EU-Sanktionen gegen Österreich 2000 sowie die Osterweiterung 2004 nur geringe Aufmerksamkeit. Dies alles wird ständig durchbrochen von innenpolitischen Einschüben, die zu lang und zu detailverliebt geraten sind: Den Unfalltod des EU-Kritikers Jörg Haider 2008 zu erwähnen ist in Ordnung, aber muss der Leser eines Readers unbedingt wissen, dass sich der Unfall „in der Ortschaft Lambichl in Kärnten“ ereignete, dass Haider ein „Überholmanöver mit seinem Dienstwagen“ durchführte und mit welcher Geschwindigkeit er unterwegs war (S. 218)? Überflüssig ist es ferner, bei Zitierung von Forschungsmeinungen ständig den beruflichen Hintergrund der Autoren zu erläutern.

Im Gegensatz zu den Monographien, welche die Bausteine dieser Kurzausgabe bilden, hält sich Gehler hier mit prononcierten Urteilen zurück; vor allem das letzte Kapitel gleicht mehr einer Aneinanderreihung von Fakten denn einer Analyse. Position bezieht Gehler insbesondere, wenn er den Politikern Unehrlichkeit im Umgang mit der obsolet werdenden Neutralität vorwirft und wenn er die hemmungslose Anti-EU-Agitation der auflagenstarken, von Gehler als „Asphalt“ titulierten Kronenzeitung anprangert. Gehlers Urteile sind durchgängig solide, wenngleich es Ausnahmen gibt, die unüberlegten Formulierungen geschuldet sind. Kann man wirklich sagen, „das Jahr 1918 mit verheerenden außenwirtschaftlichen und zollpolitischen Folgen“ sei für Österreich erst 1995 bzw. gar erst 2004 „überwunden“ gewesen (S. 229)? Im Widerspruch dazu formuliert Gehler als Resümee der letzten Jahre: „Der Kreis sollte sich ausgehend von 1918 im Jahre 2008 mit der einsetzenden Weltwirtschaftskrise ante portas schließen“ (S. 148). Ohne Erklärung bleibt die Feststellung, die auf Mittel- und Osteuropa orientierte Wirtschaft der Alpenrepublik sei nach der Jahrtausendwende der auf Westeuropa zentrierten Politik „vollends enteilt“ (S. 229).

Günther Bischof hat in einer kritischen Rezension von Gehlers „Österreichs Außenpolitik“ dem Verfasser vorgehalten, sein Monsterwerk gleiche der „Veröffentlichung eines ersten Entwurfes“ (HZ 284, 2007, S. 800). Denselben Eindruck hat man auch hier: Uneinheitliche Zitierweisen, nicht aufgeschlüsselte Abkürzungen (z.B. S. 145f.), die permanente Verwechslung von Prozent und Prozentpunkten (z.B. S. 143), ermüdende Wiederholungen, sprachliche Unebenheiten, Pleonasmen usw. sind untrügliche Indizien für die Eile, mit der das Buch erarbeitet wurde. Offenkundig ist es leichter, einen Aufsatz zum Buch zu erweitern als aus Tausenden Textseiten ein kompaktes Studienbuch zusammenzustellen. Jedenfalls erfordert dies mehr Zeit und Sorgfalt, als hier aufgewendet wurde. Aus Bischofs Kritik, Gehler produziere Quantität zu Lasten der Qualität, hat Letzterer keine Konsequenzen gezogen. Daher sei erneut betont: Weniger kann manchmal mehr sein. Ein Studienbuch zu schreiben ist ein anspruchsvolles Unterfangen und sollte nicht das Nebenprodukt vorheriger Arbeiten sein, um die ohnedies kilometerlange Publikationsliste seines Verfassers auszuweiten.

Kommentare

Von Gehler, Michael03.09.2009

Replik von Michael Gehler auf die Rezension Martin Molls zum Buch 'Österreichs Weg in die Europäische Union' vom 24.07.2009: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-073>.

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Zur Besprechung von „Österreichs Weg in die Europäische Union“ vom 24. Juli 2009 in H-Soz-u-Kult ist eine Reaktion erforderlich, wie folgende Befunde und Belege zeigen. Der Redaktion hätte auffallen sollen, dass diese Rezension

1. über Aufbau und Inhalt des Buchs erst zu Beginn des letzten Drittels informiert, und zwar so unzulänglich, dass der Leser von wesentlichen Ergebnissen und Argumenten keine annnähernde Vorstellung bekommt;

2. das Buch weder in den historiographischen Kontext stellt, noch vor dem Hintergrund einschlägiger Publikationen anderer Autoren bewertet (dass größere Darstellungen und Quelleneditionen zum Thema von weiteren Historikern bislang fehlen und nur wenig Vergleichbares zu anderen EU-Staaten vorliegt, wäre für eine Bewertung nicht unwesentlich);

3. Befangenheit (ein „Neidgefühl“ wird vom Rezensenten zugegeben) zum Ausdruck bringt (und allen unterstellt, die die Publikationen des Autors verfolgen);

4. unsachlich wird („Selbstverliebtheit“ – geht es um ein Buch oder den vermeintlichen Charakter seines Autors? – der letzte Punkt ist irrelevant ebenso wie die Frage, wieviel Zeit ein Autor aufgewandt hat: Es gibt solche, die schneller arbeiten als andere; an Sorgfalt muss es ihnen deshalb noch nicht mangeln! Langsam arbeitende Autoren müssen übrigens nicht fehlerfrei sein – was allein zählt, ist das Ergebnis);

5. und Absurditäten („Überqualifizierung des Verfassers“), groteske Übertreibungen („kilometerlange Publikationsliste“), Abfälligkeiten („Manche Illustrationen scheinen Gehlersche Familienfotos wiederzugeben“, „Monsterwerk“ – Zitat aus einer fehlerbehafteten und irreführenden Rezension eines anderen Buchs des Verfassers) und Banalitäten („Ein Studienbuch zu schreiben ist ein anspruchsvolles Unterfangen […].“) enthält.

Wer das Buch in die Hand nimmt, wird darüber hinaus feststellen, dass die Rezension ein verzerrtes Gesamtbild zeichnet und die Kritik in einer Reihe von Punkten keiner Prüfung standhält. Hier eine Auswahl:

1. Der Rezensent vermisst „ein in sich geschlossenes (neues) Werk“, dabei geht es laut Vorwort nur um „eine Studienausgabe […] vorangegangener, einschlägiger Arbeiten [des Autors]“. Allein der Textteil wurde gegenüber den beiden älteren Monographien zum Thema rund auf die Hälfte bzw. ein Drittel komprimiert, auf den neuesten Forschungstand gebracht und um einen umfangreichen Abschnitt über die jüngsten Entwicklungen ergänzt (2006 bis 2009, S. 197-221). Ein völlig neuartiges Werk vorzulegen, war weder angekündigt noch beabsichtigt. Vielmehr ging es um eine kompaktere, komprimierte, um Neuerscheinungen ergänzte und thematisch aktualisierte Fassung, die für Studierende geeignet sein soll – der Darstellungsteil beträgt 233 Seiten.

2. Der Rezensent moniert eine „verwirrende, dem Leser jegliche Orientierung vorenthaltende Anordnung des Stoffs“. Er liefert für seine Behauptung zwei Beispiele.

(a) Zunächst drei Absätze auf den Seiten 93f: Die ersten beiden erklären, dass nach der Ära Kreisky in Österreich erst Kurt Waldheims Wahl zum Bundespräsidenten und der Prestigeverlust des Landes im Zuge der Debatte über dessen Kriegsvergangenheit die „langen Siebziger“ schlossen, es ökonomische Krisen aber schon vorher gab. Dies ist die Überleitung zum Ölschock von 1973, mit dem der dritte Absatz beginnt. Wäre die Darstellung hier streng chronologisch geblieben, wäre die Argumentation nicht stringent geworden. Der Vorwurf, sie sei verwirrend, weil binnen weniger Absätze von unterschiedlichen Dingen aus verschiedenen Zeiten die Rede sei, ist irreführend, denn die Darstellung folgt hier einer inhaltlichen Systematik.

(b) Als zweites Beispiel führt der Rezensent Ausführungen und Grafiken im Abschnitt über die Jahre 1995 und 1999 an, die er für „schlechterdings deplatziert“ hält, weil sie perspektivisch schon auf den Gesamtzeitraum des Kapitels (bis 2008) ausgreifen. Die in diesem Abschnitt enthaltenen Tabellen beziehen sich aber nicht nur auf die Jahre 2007 und 2008, wie vom Rezensenten gesagt wird, sondern (drei von fünf) auch auf eine Zeitspanne von 1988 bis 2008, so dass sie hier gar nicht unangebracht waren. Über die Angemessenheit dieses Exkurses mag man verschieden urteilen. Doch lässt es sich wirklich zum Vorwurf machen, dass kurzzeitige Durchbrechungen des chronologischen Gesamtrahmens zugunsten inhaltlicher Zusammenhänge in diesem Buch „beileibe kein Einzelfall“ sind? Und ernstlich behaupten, dass die beiden Beispiele einen treffenden Eindruck von der Gliederung geben, die der Rezensent damit für abgehandelt erklärt („Von der Gliederung abgesehen […]“)?

3. Für „unbegreiflich“ hält der Rezensent die Karte auf S. 23 und die Abbildung auf S. 73 unten. Die Erklärung für die Karte findet sich im darauffolgenden Text auf S. 24 („Paneuropa“ umfasste auch die Kolonien europäischer Mächte). Die Abbildung zeigt keine „beliebige Straßenszene“, sondern den neu bezogenen Kommissionssitz mit gebäudehoher EU-Beflaggung aus dem Blickwinkel einer tatsächlich alltäglichen Straße, die auf das Kommissionsgebäude zuläuft, doch nicht nur architektonisch damit kontrastiert. Ohne für ein Privatfoto Profiqualität in Anspruch nehmen zu wollen: Diesen Kontrast erkennt und versteht spätestens, wer in dem Buch etwas genauer liest.

4. Der Rezensent moniert „nicht aufgeschlüsselte Abkürzungen“ und gibt dafür ein Beispiel, nämlich die Abkürzungen (CEE, MOE und BIP) in den Grafiken auf S. 145f. Die Abkürzungen sind im Text, der den Grafiken folgt (S. 147), bzw. im Abkürzungsverzeichnis (S. 333) aufgelöst. Der Beleg des Rezensenten ist also nicht stichhaltig.

5. Der Rezensent kritisiert „die permanente Verwechslung von Prozent und Prozentpunken“ und führt als (einziges) Beispiel Angaben auf Seite 143 an, wo ihn offenbar stört, dass es nach „Stimmenzuwachs von 27,6%“ nur „die Grünen schlugen sich mit 6,8%“ heißt statt „mit 6,8% der Stimmen“. Hier wird der Rezensent kleinlich, denn im gesamten Absatz geht es nur um Stimmenanteile, Missverständnisse sind daher keine zu befürchten. Auch dieser Beleg ist also nicht stichhaltig. Von Prozentpunkten ist nur einmal im Buch die Rede.

6. Der Rezensent hält es für eine „Unsitte“, Literaturverzeichnisse nach Gattungen zu gliedern. Diese Meinung sei ihm unbenommen, doch wie kommt er dazu, sie in einer Rezension wie selbstverständlich zum Maßstab zu nehmen? Aus praktischen Gründen und ausgehend von Fragen Studierender (Welcher Titel findet sich im Bibliothekskatalog? Wo hat man gleich ein Buch zum Thema zur Hand, wo nur einen Aufsatz? Was ist zeitgenössisch, was aus dem Rückblick der Forschung?) ist die kritisierte Aufteilung der Bibliographie in Studienbüchern durchaus gebräuchlich.

7. In der Bibliographie will der Rezensent angeblich zwei Bücher des Autors gleichzeitig zitiert finden, allerdings sind diese exakt nach Art jeweils getrennt, einmal die Dokumentation (Bd. 2) unter „Dokumentationen“, und beim zweiten Mal die Monographie (Bd. 1) bei den Einzelwerken angegeben. Der Rezensent erweckt aber den Eindruck, der ('selbstverliebte') Autor hätte sich gleich zweimal voll mit dem gleichen Werk zitiert, was falsch ist.

8. Zu dem 75 (zum Teil neue, bisher nicht veröffentlichte) Quellen umfassenden Dokumententeil fällt dem Rezensenten ein, dass eines der Dokumente (der kurze als historisch zu bezeichnende „Brief nach Brüssel“ von Alois Mock – der Antrag auf EG-Vollmitgliedschaft) auch im Text – hier allerdings faksimiliert – aufscheint und daher überflüssig sei.

9. Der Rezensent stößt sich auch an zwei unterschiedlichen Bildern von Ex-Bundeskanzler Vranitzky (eines hätte seiner Ansicht nach genügt), die aber eine Rechtfertigung im Text finden: Er war nicht nur maßgeblich für den SPÖ-Schwenk in der EU-Beitrittspolitik entscheidend, sondern wurde unter anderem für diese Bemühungen mit dem Karls-Preis der Stadt Aachen ausgezeichnet. Zuletzt hat er sich als „elder statesman“ zur EU-Politik der SPÖ zu Wort gemeldet. Dass ein Teil der Umstände des Unfalltods von Haider erwähnt wird, stört den Rezensenten auch sehr.

Es ist bedauerlich, dass H-Soz-u-Kult eine Besprechung veröffentlicht, die Qualitätskriterien so offenkundig verletzt. Neben guten, konstruktiven und weiterführenden Besprechungen werden in diesem Medium aber auch Schnellschüsse abgegeben (im konkreten Fall erfolgte die Rezension einen Monat nach Erscheinen des Buches). Es geht aber nicht nur um diese Besprechung, sondern um ein grundsätzliches Problem: H-Soz-u-Kult sollte Rezensentinnen und Rezensenten konsequenter nach Expertise, Kompetenz und Seriosität auswählen, bei der Qualitätsprüfung keine Kompromisse zulasten der rezensierten Autorinnen und Autoren eingehen und schon gar kein Forum für Internet-Mobbing sein. Besprechungen wie diese hat niemand nötig.

Michael Gehler, Institut für Geschichte, Universität Hildesheim


Von H-Soz-Kult, Redaktion03.09.2009

Anmerkung der H-Soz-u-Kult Redaktion zur Replik von Michael Gehler vom 27.08.09 auf Martin Molls Rezension von 'Österreichs Weg in die Europäische Union', veröffentlicht am 24.07.09:

Als Fachforum für die Geschichtswissenschaften publiziert H-Soz-u-Kult pro Jahr mehr als 1.000 Rezensionen zu geschichtswissenschaftlichen Neuerscheinungen. Stete Qualitätssicherung ist für die Fachredaktion eine selbstverständliche Zielvorgabe, weshalb die Redaktion von H-Soz-u-Kult den pauschalen Vorwurf von Herrn Gehler so nicht stehen lassen kann. Die Redaktion von H-Soz-u-Kult ist sich ihrer Verantwortung gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinde stets bewusst und verfügt über ein mehrstufiges Verfahren der Qualitätskontrolle, um ihr nachzukommen. Für die Qualität der Rezensionen bürgt vor allem die historiographische wie mediale Kompetenz der derzeit rund 40 Fachredakteurinnen und Fachredakteure, die in dem von ihnen inhaltlich betreuten epochalen und thematischen Bereichen sowohl die zu rezensierenden Bücher auswählen wie auch die fachlich einschlägig ausgewiesenen Rezensentinnen und Rezensenten, sowie die Texte vor der Veröffentlichung redigieren. In einem weiteren Schritt werden alle Beiträge vor der Veröffentlichung einem formalem Lektorat unterzogen, woraufhin der Rezensent eine „Druckfahne“ erhält und um Freigabe für die Veröffentlichung ersucht wird. Auch im vorliegenden Fall wurde so verfahren. Zusätzlich verfügt H-Soz-u-Kult über ein regelmäßig tagendes internes Qualitätskontrollgremium. Müßig ist es zu betonen, dass für den Inhalt der Rezensionen immer die jeweiligen Autorinnen und Autoren verantwortlich sind.

Im Namen der Redaktion
Rüdiger Hohls


Von Moll, Martin04.09.2009

Erwiderung von Martin Moll auf die Replik Michael Gehlers zur Rezension des Buchs 'Österreichs Weg in die Europäische Union' vom 24.07.2009: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-073>.

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Das in Fachzeitschriften und Internetforen praktizierte Rezensionswesen beruht darauf, dass (fast immer aus dem einschlägigen Fachgebiet stammende) Rezensenten neu erschienene Bücher besprechen, würdigen, aber auch kritisieren. Liest man Michael Gehlers Stellungnahme zu meiner am 24. Juli 2009 bei H-Soz-u-Kult erschienenen Besprechung seines Buches „Österreichs Weg in die Europäische Union“ und hier vor allem seine Schlussbemerkungen, so kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Gehler das etablierte Verfahren gerne auf den Kopf stellen möchte: Nicht länger sollen Rezensenten über Autoren urteilen sondern umgekehrt.

Michael Gehler widerlegt selbst seine Behauptung, es gehe ihm um ein für H-Soz-u-Kult typisches Problem, denn er äußert sich ebenso uneinsichtig wie pauschal abwertend über die – von mir zustimmend zitierte – Kritik, die Günter Bischof an Gehler in der „Historischen Zeitschrift“ formuliert hatte. Richtig ist freilich (was Gehler nicht erwähnt), dass H-Soz-u-Kult am 11. Januar 2008 eine vernichtende Besprechung eines von Gehler mitherausgegebenen Bandes veröffentlicht hatte (Fazit der Rezensentin Carola Dietze: „Der Sammelband ist wissenschaftlich wertlos, da er keine neuen Erkenntnisse liefert und Bekanntes nicht überzeugend synthetisiert.“), was die Angriffe Gehlers auf H-Soz-u-Kult erklären mag. Aber es sollte zu denken geben, dass drei Rezensenten unabhängig voneinander zu weitgehend identischen Schlussfolgerungen gelangt sind und die immer gleichen Schwachpunkte konstatierten: Mangelnde Sorgfalt und Oberflächlichkeit.

Bevor ich auf einzelne Punkte der Stellungnahme Michael Gehlers eingehe, sei klargestellt, dass das von mir erwähnte „Neidgefühl“ angesichts des Gehler’schen Outputs ironisch gemeint war und keinesfalls bei mir irgendeine Befangenheit begründet. Ich hatte mit Michael Gehler bisher weder beruflich noch privat irgendwelche nennenswerten Berührungen und habe folglich keinerlei Motiv, ihm absichtlich schaden oder gar Internet-Mobbing betreiben zu wollen. Auch habe ich vor etlichen Jahren ein anderes Werk Gehlers durchaus positiv besprochen (Historicum, Herbst 1994, S. 43), wobei mir vom Verfasser damals selbstredend nicht, wie jetzt, mangelnde Kompetenz attestiert wurde.

Meine eigene – überhaupt nicht negativ gemeinte und selbst bei böswilliger Interpretation auch nicht so klingende – Behauptung von der Überqualifikation Gehlers habe ich damit begründet, dass er in seinem Studienbuch nicht weniger als 51 eigene, einschlägige Titel mit zusammen mehreren Tausend Druckseiten zitiert. Ich halte es aber nur für allzu menschlich, wenn ein Autor bei einem derartig umfangreichen, nur diesem Thema gewidmeten Oeuvre den Überblick und vor allem den Sinn für das Wesentliche verliert, woraus dann folgt, dass die Leserschaft überfordert wird. Und ist mein Ausdruck von der „kilometerlangen“ Publikationsliste bei so vielen Titeln wirklich so daneben? Ganz abgesehen davon, dass ich auch darin nichts Negatives erblicken kann.

In den vergangenen 25 Jahren habe ich zahlreiche Rezensionen in einer Reihe in- und ausländischer Fachorgane, im deutschen wie im angelsächsischen Sprachraum, publiziert. Für Zeitgeschichte habilitiert, bin ich zwar kein Experte für Fragen der EU-Integration, aber gerade durch meine Lehrerfahrungen, wie ich meine, geeignet, die Stärken und Schwächen eines Studienbuches, das sich ja nicht in erster Linie an die Fachwelt richtet, zu beurteilen.

Gehler erwidert mir, er habe kein neues Buch schreiben, sondern aus älteren Monographien komprimieren wollen. Dies wurde, beruhend auf Gehlers Vorwort, in der Rezension angemessen und korrekt dargestellt. Kritisiert wurde nicht, dass, sondern wie Gehler komprimiert hat und nur dies ist für die Bewertung maßgeblich, weil dem Leser dieses Studienbuches nicht damit gedient ist, dass es noch viele andere (ungewöhnlich voluminöse) Publikationen Gehlers gibt. Auch bei einer Kurzfassung darf man ein Buch aus einem Guss, kohärent aufgebaut und in sich geschlossen, erwarten. Eine Kurzfassung kann weder den sinnwidrigen Aufbau noch die zahlreichen Wiederholungen und Abschweifungen dieses Bandes erklären, geschweige denn entschuldigen.

Die von Michael Gehler in mehrere Punkte aufgegliederte Erörterung der Bildauswahl möchte ich hier zusammengefasst behandeln. Die Karte auf S. 23 (Paneuropa-Idee der Zwischenkriegszeit) verwirrt den Leser nur und trägt zu seinem Verständnis nichts bei. Seltsam ist ferner, dass als Quellenangabe dieser – vermutlich einer Publikation Coudenhove-Kalergis aus der Zwischenkriegszeit entnommenen – Karte lediglich (und für den Leser nicht hilfreich) vermerkt ist: „Copyright Michael Gehler“. Unbestritten ist, dass der frühere Bundeskanzler Franz Vranitzky in verschiedenen Funktionen für das Thema relevant ist – aber versteht der Leser das nur, wenn er zweimal mit dem Konterfei des Genannten beglückt wird (der übrigens auf S. 129 sowie auf dem Buchcover erneut, also insgesamt vier Mal, zu sehen ist)? Stand keine andere Abbildung zur Verfügung? Was Gehler in die von mir als nichtssagend kritisierte Abbildung („Foto Michael Gehler“) auf S. 73 unten hineinliest bzw. dort dargestellt sehen will, ist mir trotz genauester Bildanalyse und -vergrößerung unverständlich.

Daran anschließend: Ich habe es als „Selbstverliebtheit“ bezeichnet, dass Michael Gehler mit Vorliebe selbst produzierte Fotos in den Band aufnimmt – was zumindest an einer Stelle einen erheiternden Effekt hat: Laut Beschriftung zeigt die Abbildung auf S. 111 („Foto Michael Gehler“) „Die Kommission mit dem Berlaymont-Gebäude im Hintergrund“. Man möchte annehmen, die im Vordergrund, vor dem genannten Gebäude in Brüssel, postierte und in die Kamera blickende Personengruppe stelle „die Kommission“ (der EU, MM) dar. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Familie, darunter einige Jugendliche und ein Kinderwagen. Ich muss auch darauf beharren, dass es selbstverliebt ist, wenn Autoren sich selbst nicht nur in den Fußnoten zitieren, sondern ihre Auto-Zitate im Text selbst durch einen Klammerzusatz „(Michael Gehler)“ ausweisen – eine solche merkwürdige Praxis ist mir jedenfalls bisher nicht untergekommen.

In einigen Punkten bestätigt Gehlers Erwiderung nur meine Kritik. So schreibt er selbst, die Abkürzungen erschienen auf S. 145 f., die Erklärungen auf S. 147. Warum nicht gleich dort, wo die Abkürzung das erste Mal verwendet wird? An keiner Stelle wurde von mir, weder direkt noch zwischen den Zeilen, behauptet, Gehler hätte eines seiner Werke in der Bibliographie zweimal zitiert (was bei 51 Gehler-Titeln auch belanglos wäre). Behauptet habe ich – und Gehler bestätigt dies – dass „dank“ seiner Aufsplitterung des Literaturverzeichnisses ein zusammengehöriges, zweibändiges Werk mit seinen Bänden 1 und 2 an zwei verschiedenen Stellen, durch mehrere Druckseiten getrennt, verzeichnet wird. Michael Gehler mag mit den Recherchegewohnheiten von Studierenden andere Erfahrungen gemacht haben als ich, doch halte ich daran fest: Eine Unterteilung der Bibliographie in nicht weniger als sechs Abschnitte erschwert das Suchen nach Titeln anstatt es zu erleichtern. Es ist kaum anzunehmen, dass Studierende mit den spitzfindigen Einteilungen Gehlers viel anfangen können. Was sind – bei einem Untersuchungszeitraum von über 60 Jahren – beispielsweise „zeitgenössische Publikationen“ und wie grenzen sie sich von wissenschaftlichen Werken ab? Sind nicht auch ältere wissenschaftliche Studien einmal zeitgenössische Publikationen gewesen?

Als Beispiel für sprachliche Ungenauigkeiten habe ich auf S. 143 des Buches verwiesen. Was allerdings die Frage von Prozenten und Prozentpunkten betrifft, hat Michael Gehler meine Kritik nicht verstanden. Denn die FPÖ erzielte nicht, wie er auf S. 143 schreibt, einen „Stimmen_zuwachs_ von 27,6 %“, sondern sie erzielte 27,6 % der Stimmen. Das bestätigt Gehler unter Punkt 5 selbst, der mir entgegnet, es gehe ihm in dem genannten Absatz nur um Stimmen_anteile_. Und um noch ein weiteres Beispiel für sprachliche Ungenauigkeiten zu bringen, hier eines auf S. 89: Ausgehend von 3,5 Milliarden damaliger Schillinge nahmen die Exporte nicht „um 7,1 % (3,8 Milliarden ÖS)“ zu, sondern sie stiegen um den genannten Prozentsatz (in absoluten Zahlen um ca. 300 Millionen) auf 3,8 Milliarden (weitere Beispiele finden sich ebenda).

Michael Gehler moniert eingangs, meine Besprechung hätte sein Werk nicht in den historiographischen Kontext gestellt. Im Widerspruch dazu stellt er gleich danach fest, die Forschungslandschaft zeichne sich durch das Fehlen einschlägiger Darstellungen aus – woraus ich gefolgert habe, dass vor allem Gehlers eigene Werke den Kontext bilden, und darauf wurde von mir ausführlich verwiesen.

Generell muss ich entschieden bestreiten, dass die auf ein Werk verwandte Zeit für dessen Qualität „irrelevant“ sei. Sicher gibt es keinen strikt linearen Zusammenhang zwischen Zeitaufwand und Qualität, das ändert aber nichts daran, dass meistens (wenn auch nicht immer) die Faustregel gilt: Je mehr Zeitaufwand, desto mehr Sorgfalt und desto besser das Produkt. Dies kann jeder bestätigen, der beim nochmaligen Durchlesen eigener oder fremder Texte weiter Fehler entdeckt. Auch mag es langsamere und schnellere Arbeiter geben, keine Frage, und Gehler gehört, wenn der saloppe Ausdruck gestattet ist, zweifellos zur „Schnellen Truppe“. Aber auch dieser sind (vor allem physische) Grenzen gesetzt. Ab einem gewissen Umfang des wissenschaftlichen Outputs drängt sich wenigstens der Anfangsverdacht auf, dass eben – wie Günter Bischof treffend formuliert hat – Gehler Quantität zu Lasten der Qualität produziert. Diesen Verdacht – und anfangs war es nicht mehr – habe ich formuliert und anhand des rezensierten Buches sorgsam überprüft – und bestätigt gefunden. Gerade deshalb und weil es bei einem Studienbuch besonders auf benutzerfreundliche Präsentation ankommt, wurde in meiner Besprechung eine Fülle formaler und handwerklicher Fehler aufgezeigt, die – isoliert betrachtet – kaum der Rede Wert wären, in Summe aber mein Gesamturteil tragen, es handle sich – um erneut Bischof zu zitieren – um die Veröffentlichung eines ersten Entwurfs, dem sichtlich der Feinschliff fehlt. Wegen der Unzahl derartiger Formalia wurde ferner der Wiedergabe des Inhalts geringeres Augenmerk geschenkt, zumal dies bei der für das Buch typischen Aneinanderreihung bekannter Fakten auch vertretbar erschien.

Die Bestätigung meines erwähnten Anfangsverdachts lag für mich vor allem in den Themensprüngen und Wiederholungen, eine Kritik, auf die Michael Gehler kaum eingeht. Wenn er dies tut, so mit der fehlenden Bereitschaft, selbst bei Einzelheiten eigene Fehler einzugestehen. Es ist mir unbegreiflich, wie man es auch noch verteidigen kann, dass das mit 1995-1999 überschriebene Unterkapitel auf S. 143 ff. im Text (nicht nur in den Graphiken!) u.a. die gegenwärtige Wirtschaftskrise ab 2008 und sodann Ausblicke auf 2010 behandelt – obwohl es ein folgendes, den Jahren 2003-2008 gewidmetes Kapitel gibt. Leser, die sich anhand des Inhaltsverzeichnisses informieren wollen, werden sich beim Autor bedanken.

Übrigens berührt es vor dem Hintergrund von Michael Gehlers Verteidigung seiner Schnelligkeit sehr merkwürdig, wenn er sich umgekehrt wundert, dass ich sein (mit Dokumententeil) rund 330 Seiten dickes Buch innerhalb eines Monats nach dessen Erscheinen lesen und rezensieren konnte. Dies ist wahrlich keine besondere Leistung und schon gar kein Schnellschuss, ermöglicht es doch gerade das Rezensionswesen im Internet, neue Bücher rasch – und nicht wie in Printmedien mit oft mehrjähriger Verzögerung – anzuzeigen. Schade, dass Gehler dies nicht so wie ich als Vorteil ansehen möchte.

Zum Abschluss: Wenn schon der kritisierte Autor sehr weitgehende Forderungen an das die Kritik an ihm publizierende Forum stellen kann, so darf vielleicht auch der Rezensent einen Wunsch äußern: Es wäre allen Beteiligten, vor allem aber Gehler selbst, am besten gedient, wenn er die an seinen Werken und hier vor allem an seinem Arbeitsstil geübte, wie oben aufgezeigt von verschiedenen Seiten (nicht nur von mir) vorgebrachte Kritik beherzigen würde, anstatt mit emotionalen Rundumschlägen gegen Rezensenten und deren Publikationsorgane zu antworten. Auch Rezensenten sind schließlich – in der Regel sorgfältige – Leser von Büchern, die sie eben auf bestimmte Weise wahrnehmen. Da hilft es nicht, wenn sie der Autor nachträglich belehrt, wie sie das Buch seiner Meinung nach zu verstehen gehabt hätten. Es sind meines Erachtens solche gefühlsbetonten Reaktionen kritisierter Autoren, die niemand nötig hat.

Martin Moll, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz


Von Gehler, Michael29.09.2009

Erwiderung von Michael Gehler auf die Redaktionsnotiz (27.08.2009) und die Stellungnahme des Rezensenten (2.9.2009) zu meiner Replik (26.08.2009) betreffend dessen Rezension von „Österreichs Weg in die Europäische Union“ (24.07.2009): <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-073>.

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In seiner Stellungnahme zu meiner Replik bezeichnet es der Rezensent als „sehr weitgehend“, von Rezensionen Ausgewogenheit, Fairness, Sachlichkeit und Sachkundigkeit zu fordern, wie es in meiner Replik geschehen ist. Für diese Klarstellung ist zu danken, denn sie macht den entscheidenden Auffassungsunterschied zwischen uns deutlich. Sie ist auch der beste Kommentar zu einer Redaktionsnotiz, die sich erst auf die (unbestrittene) Qualität der Redaktion und des (im konkreten Fall offenkundig versagenden) Qualitätsprüfungsverfahrens beruft, die Verantwortung für den Inhalt dann aber (ausschließlich?) dem Rezensenten überlässt. Es bleibt dabei: Rezensionen wie die gegenständliche sind aus den in meiner Replik angeführten Gründen unter dem Niveau, das in einem ernstzunehmenden Rezensionsorgan erwartet werden darf.

Der Rezensent flüchtet sich in seiner Stellungnahme nicht nur in Ausreden und Nebensächlichkeiten, sondern erhebt wieder so massive und unberechtigte Vorwürfe, dass sie nicht unwidersprochen bleiben sollen. So habe er „der Wiedergabe des Inhalts geringeres Augenmerk geschenkt, zumal dies bei der für das Buch typischen Aneinanderreihung bekannter Fakten auch vertretbar erschien.“ Abgesehen davon, dass es unzutreffend ist zu behaupten, das Buch bringe im Wesentlichen nur bekannte Fakten und reihe diese nur aneinander: Die Auswahl der Fakten, ihre Komprimierung, Gewichtung, Einordnung, die Analyse, Erläuterung und Bewertung kontroverser Punkte, die umfangreiche Dokumentation im Anhang – kurz: der Inhalt, also das Wesentliche an diesem wie jedem Buch (natürlich auch und erst recht in Studienbüchern) war und ist dem Rezensenten in seinen umfangreichen Ausführungen erklärtermaßen kaum Aufmerksamkeit wert! Auch diese Klarstellung ist entlarvend und eine traurige Erklärung dafür, warum er sich auf die von ihm zurecht so bezeichneten „Formalia“ konzentrierte.

Eine weitere Erklärung für seine Vernachlässigung des Inhalts liefert der Rezensent, wenn er einräumt, „kein Experte für Fragen der EU-Integration“ zu sein (War das daher ein geeigneter Anlass für die Redaktion, sich in einer Redaktionsnotiz auf die Auswahl der „fachlich einschlägig ausgewiesenen Rezensentinnen und Rezensenten“ zu berufen?). Seine anderweitige Forschungs-, Lehr- und Rezensionserfahrung in allen Ehren, doch auch und gerade Studienbücher erfordern eine inhaltliche Auseinandersetzung. Zum „historiographischen Kontext“ des Studienbuchs fällt dem Rezensenten daher auch nur ein, den Autor mit seinen vorher publizierten Werken zu konfrontieren. Fadenscheinig ist die Rechtfertigung, er hätte das Fehlen vergleichbarer Darstellungen zum Thema nur deshalb nicht erwähnt, weil es eben keine gebe. Nach allen anerkannten Standards wäre schon allein diese Feststellung für die Beurteilung des Buches wesentlich, und angesichts dessen wohl auch eine Bewertung im Lichte vergleichbarer (und angegebener) einschlägiger Werke aus anderen Disziplinen. Im historiographischen Bereich stellt sich darüber hinaus die Frage, wie Studienbücher für andere europäische Länder aufgebaut und gestaltet sind bzw. ob es solche überhaupt gibt.

Eine ebenso bezeichnende Ausflucht des Rezensenten ist seine Behauptung, diverse Auslassungen – wie sein offen zugegebenes (wie auch für andere geäußertes) „Neidgefühl“ – seien „ironisch“ bzw. „überhaupt nicht negativ“ gemeint gewesen. Es muss einem nicht an Sinn für Humor fehlen, um zu bezweifeln, dass ein spöttischer Ton in Rezensionen angemessen ist. Auch die behaupteten „emotionalen Rundumschläge“ und „gefühlsbetonten Reaktionen“ finden sich jedenfalls nicht in meiner Replik, sondern in der Rezension und der Replik des Rezensenten. In einer isolierten Feststellung wie der der „kilometerlangen Publikationsliste“ muss nicht etwas Negatives zu sehen sein, der Kontext des Gesagten aber lässt auf Gegenteiliges schließen, vor allem der vom Rezensenten erwähnte Neid.

Mit umso größerem Interesse ist weiter zu lesen, der Rezensent hätte seine Rezension auf Verdacht verfasst: Auf den „Verdacht“ hin nämlich, dass die Kritik zweier Rezensionen an je einem anderen Buch des Verfassers auch auf das Buch passen könnte, das dem Rezensenten vorlag. In beiden Fällen greift der Rezensent daneben und bringt dabei einiges durcheinander. Denn ganz abgesehen davon, dass die beiden anderen Bücher (eines ist ein Sachbuch, das andere ein Sammelband) andere Themen behandelten, war das eine dem von ihm wiederholt als Gewährsmann zitierten HZ-Rezensenten immerhin gut genug gewesen, um mit mir in den USA einen Sammelband zum Thema herauszugeben und einen Einleitungsaufsatz mit zu zeichnen, der Kernpassagen aus dem Schlusskapitel des von ihm später verschmähten Buches zu übernehmen.1 Noch leichter herauszufinden wäre gewesen, dass sich das andere Buch zur Prüfung meiner Arbeitsweise beim Verfassen von Texten denkbar schlecht eignet: es enthält überwiegend Arbeiten von Studierenden, die ich mit herausgegeben habe.2 Das Vorgehen des Rezensenten hat Methode und System, denn das gleiche Verfahren wiederholt er in seiner Replik. Er geht noch weiter und unterstellt sogar, dass ich diese von ihm erwähnte Rezension in meiner Replik bewusst verschwiegen hätte. Warum sollte ich dies aber im Zusammenhang mit meiner Antwort auf den Kritiker tun, wenn es sich sowohl um eine andere Besprechung als auch um ein völlig anderes Thema (Attentate und Terrorismus) handelt? Die Argumente des Rezensenten sind in diesem Falle nicht nur unsachgemäß, sondern auch unangemessen und haben mit dem zu besprechenden Buch „Österreichs Weg in die EU“ nichts mehr zu tun. Dass beide erwähnten Bücher auch gute bis sehr gute (über Internet prüfbare) Rezensionen erhielten (audiatur et altera pars!), dass die meisten meiner Bücher zwecks Druckkostenzuschüssen durch internationale Begutachtungsverfahren gingen und in Peer-Reviewed Journals sowie in von britischen Verlagshäusern geprüften Sammelwerken veröffentlichte Beiträge vorliegen – dies alles hat den H-Soz-u-Kult-Rezensenten von „Österreichs Weg in die Europäische Union“ nicht daran gehindert, sich auf zwei vereinzelte Rezensionen zu verlassen und darauf einen generellen, schwer wiegenden „Anfangsverdacht“ (sic!) zu gründen.

Wundert es noch ernstlich, wenn der Rezensent seinen Verdacht bald bestätigt findet? Verwunderlich ist vielmehr, wie der Rezensent diesen erhärten zu können glaubt. Indizien findet er nämlich „vor allem in den Themensprüngen und Wiederholungen, eine Kritik, auf die Michael Gehler kaum eingeht“ – eine irreführende Feststellung. Für seine Pauschalbehauptung lieferte der Rezensent ganze zwei Beispiele, auf mehr konnte daher in meiner Replik nicht eingegangen werden.

Haltlose Pauschalurteile werden auch nicht dadurch richtiger oder wenigstens ernst zu nehmender, wenn man sie ständig wiederholt. So die Klage des Rezensenten über die Gliederung des Buches („sinnwidriger Aufbau“): Sorry, aber die Gliederung ist chronologisch und die Zäsuren werden im Text erläutert. Und wie kann der Rezensent ernstlich behaupten, er habe in seiner Rezension „eine Fülle formaler und handwerklicher Fehler aufgezeigt“? Von einer „Fülle“ und von „aufgezeigt“ kann keine Rede sein. Die Mängelliste entbehrte großteils der nötigen Nachweise und verdiente dort, wo sie konkret wurde, selber das Prädikat „mangelnde Sorgfalt und Oberflächlichkeit“. Dies gilt auch für die Einzelpunkte, auf die der Rezensent in der Erwiderung auf meine Replik eingeht. Der Rezensent verstrickt sich dabei auch in Widersprüche: Wie würde ich mit „mangelnder Sorgfalt und Oberflächlichkeit“ übrigens zu Urteilen kommen können, die der Kritiker noch in seiner Rezension für „durchgängig solide“ erklärte?

Ein Beispiel für Spitzfindigkeiten: Der Rezensent will für die studentische Leserschaft weiterhin größere Überblickschancen darin erblicken, wenn sie eine Gesamtbibliographie vor sich hat, die nicht nach Publikationsarten ordnet. Kann bei Studierenden aber einschlägige Autoren- und Literaturkenntnis vorausgesetzt werden? Wollte der Rezensent nicht ein Studienbuch besprechen? – Die angebliche Schwierigkeit, „zeitgenössische Publikationen“ von anderen abzugrenzen (S. 339-340) ist ein Scheinproblem. Dort stehen Veröffentlichungen von zeitgenössischen Diplomaten, Politikern oder Ökonomen. Systematisch erarbeitete wissenschaftliche Werke sind etwas anderes und an anderer Stelle angeführt. Da keine Zugehörigkeit zu einer „schnellen Truppe“ – diese Bezeichnung war vermutlich wieder „nicht negativ gemeint“ – gegeben ist, wurde diese Art von zeitaufwändiger Bibliographieerstellung gewählt.

Leider hat die Redaktion von H-Soz-u-Kult weitere detaillierte Nachweise, die an dieser Stelle des eingesandten Textes folgten, unter Hinweis auf Platzgründe gestrichen. So kann hier nur zusammenfassend festgehalten werden: Was in dieser Kontroverse fehlt, ist nicht, wie der Rezensent behauptet, Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Kritik, sondern eine fundierte Kritik, mit der man sich auseinandersetzen kann. Der Rezensent wiederholt lediglich Behauptungen und verpackt dabei seine Ausreden und Unterstellungen so geschickt, dass seine neuerlichen Auslassungen teilweise einer Rabulistik gleichen. Es geht nicht darum, das Rezensionswesen umzukehren, was er mir als Absicht nachsagt, sondern seinen Auswüchsen und Missbräuchlichkeiten Einhalt zu gebieten. Eine Diskussion über die Frage, wie ausgereift und zeitaufwändig Bücher erarbeitet sein müssen, würde dem unter steigendem Druck agierenden, mit Akkreditierungen, Evaluationen und Zielvereinbarungen konfrontierten Wissenschaftsbetrieb wahrscheinlich nicht schlecht bekommen. Abgesehen davon, dass man dann auch über die Ausgereiftheit von Rezensionen sprechen sollte, müsste man dabei jedoch die Kirche im Dorf lassen, das Wesentliche (nämlich den Inhalt, nicht nur „Formalia“) im Auge behalten und fair bleiben.

Michael Gehler, Institut für Geschichte der Universität Hildesheim

Anmerkungen:
1 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bde., Innsbruck 2005; Michael Gehler / Günter Bischof, Austrian Foreign Policy after World War II, in: Günter Bischof / Anton Pelinka / Michael Gehler (Hrsg.), Austrian Foreign Policy in Historical Context (Contemporary Austrian Studies Vol. 14), New Brunswick 2005, S. 1-24, die von mir stammenden Passagen betreffen die Seiten 2-16. Die wiederholt zitierte Besprechung in: HZ, Bd. 284 (2007), S. 797-800, enthält leider eine Reihe sachlicher, z. T. sogar leicht erkennbarer Fehler und Irrtümer.
2 Zu dem gemeinsam mit René Ortner herausgegebenen Sammelband über Attentate und Terrorismus „Von Sarajewo zum 11. September“, siehe z.B. die Besprechung in Rivista di studi politici internazionali (RSPI) Nuovo Serie, 296, 4 (2007), S. 644-645.


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