F. Dierkes: Konfliktführung im münsterländischen Adel

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Titel
Streitbar und ehrenfest. Zur Konfliktführung im münsterländischen Adel des 16. und 17. Jahrhundert


Autor(en)
Dierkes, Frank
Erschienen
Münster 2007: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 34,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anke Hufschmidt, LWL-Freilichtmuseum Hagen, Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik

In seiner am Münsteraner Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“ entstandenen Dissertation analysiert Dierkes das Konfliktverhalten des münsterländischen Adels im 16. und 17. Jahrhundert. Den Verfasser interessiert dabei weniger der Anlass eines Streitfalls, sondern vielmehr, wie sich dieser konkret gestaltete und welche symbolischen und rituellen Komponenten sich jeweils in den Auseinandersetzungen ausmachen lassen. Vor dem Hintergrund der Entstehung und Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols stellt er die Frage, wann die Adligen institutionalisierte Wege beschritten, um ihre Interessen durchzusetzen, und wann sie „autonom“ handelten – mit anderen Worten: Wann bemühten Adlige Gerichte, wann griffen sie zur Selbsthilfe bis hin zu körperlicher Gewalt? Dierkes geht von der Grundannahme aus, dass Adlige Konflikte, wenn sie sich nicht pragmatisch lösen ließen, mittels der Sprache der Symbolik weiterführten und dabei ein breites Repertoire symbolischer Formen einsetzten. Dieses reichte von Schmähschriften und Schandbildnern über Schmähgesten, Verbal- und Realinjurien bis zu Gewalttätigkeiten. Die Arbeit versteht sich als Beitrag zum Verständnis des Adels als Stand in der Frühen Neuzeit, in dem sie dessen kollektive Werte und Verhaltensnormen fassbar macht.

Unter den Stichpunkten Adel, Ehre und Konflikt referiert der Verfasser den Stand der Forschung recht knapp. Nur auf der Ebene des gleichen Standes war Ehre in der Frühen Neuzeit „vergleichbar“, deshalb auch konnte sie als Mittel der ständischen Abgrenzung dienen. Dabei waren Ehre und Besitz nicht voneinander zu trennen: Für einen repräsentativen Lebensstil mussten bestimmte finanzielle Mittel vorgehalten werden. Doch gab es innerhalb des Adels ein unterschiedlich großes Maß an Ehre, auch innerhalb des eigenen Standes mussten sich die Adligen in bestimmten Situationen platzieren. Der plötzliche Verlust der Ehre stellte eine Gefahr dar, weshalb es mitunter heftige und rasche Reaktionen gab, wenn die Ehre angegriffen wurde.

Dierkes stellt seinen Konfliktfälle ausführlich vor, sie sind jeweils äußerst komplex und weisen teilweise eine weit zurückreichende Vorgeschichte auf. Aufschlussreich sind die Streitpunkte bzw. Streitanlässe. Mit dem Rittergut (erster Fall, Anfang 16. Jahrhundert), der Kirchenbank (zweiter Fall, Anfang 17. Jahrhundert) sowie Jagdrecht, Zweikampf und Wappenschändung (dritter Fall, Anfang 17. Jahrhundert) sind zentrale Objekte adligen Selbstverständnisses berührt. Die beiden letzten, nur sehr knapp referierten Beispiele kreisen um eine „reine Ehrverletzung“ (Ende des 16. Jahrhundert) bzw. um eine Beleidigung (Mitte des 17. Jahrhunderts).

Im Konflikt um die Vererbung eines Ritterguts, der von fehdeähnlichen Auseinandersetzungen begleitet wurde, griff ein Adliger auf symbolisches Handeln zurück, weil er seine Ansprüche rechtlich nicht durchsetzen konnte. Zu den ehrverletzenden Maßnahmen zählte die Wegnahme von Pferd und Rüstung, was den Gegner seiner adligen Attribute entkleidete. Noch gravierender aber war der Einsatz eines Halseisens, wodurch der Gegner auf eine Stufe mit Gewaltverbrechern gestellt wurde. Am Ende der Auseinandersetzungen stand ein Vergleich, bei dem eine Abfindung gezahlt wurde. Möglicherweise ist er wegen dieses Ergebnisses als ein Übergangsfall zu werten.

Der Konflikt, der mit dem Streit um die Nutzung einer Kirchenbank begann, ist mit der Frage verbunden, ob die Erbmännerfamilien von anderen Adligen im Münsterland als Standesgenossen anerkannt wurden. Tatsächlich gelang dies erst nach langwierigen Prozessen im 18. Jahrhundert. Ausführlich beschreibt Dierkes die Kirchenbank als Konfliktgegenstand. Die prominent im Kirchenraum angeordneten Kirchenstühle können als Kristallisationspunkte der ständischen Ordnung gelten, sie bildeten einen Teil der symbolischen Praxis ihrer Inhaber. Die Familie von Galen versuchte die Familie Kerckerinck aus diesem adligen Bereich zu verdrängen. Damit stand eine anerkannt adlige Familie einer Familie gegenüber, der es als Erbmännerfamilie erst kurze Zeit zuvor gelungen war, für ein landtagsfähiges Gut aufgeschworen zu werden. Nachdem das Sendgericht den Kerckerincks den Kirchenstuhl zugesprochen hatte, provozierte von Galen Kerckerinck auf einem Gastmahl, das im Anschluss stattfand, in dem er diesem unterstellte, nicht mehr als ein „acker- oder pflugkerl“ zu sein. Der zu diesem Zeitpunkt noch unsichere Status der Erbmännerfamilien machte diese Unterstellung zu einem gefährlichen Angriff auf die Ehre, weshalb Hermann Kerckerinck mit scharfen Worten reagierte und die Brüder von Galen schließlich zum Angriff mit gezücktem Dolch übergingen. Die Familie Kerckerinck griff nicht zur Gewalt, sondern beschritt den Rechtsweg. Indem der Fall vor dem Sendgericht verhandelt wurde, dessen Verhandlung Dierkes als ein soziales „event“ für die Dorfgemeinschaft bezeichnet, wurde ihre Gegenwehr öffentlich. Der geschilderte tätliche Angriff auf den Prozessgewinner Kerckerinck im Anschluss an das verlorene Verfahren war in sich eine konsequente Reaktion der Brüder von Galen – so Dierkes –, denn hätten sie friedlich an dem Mahl teilgenommen, hätten sie das Urteil anerkannt.

Auch im nächsten Fall unter der Überschrift „Jagdstreit, Zweikampf, Wappenschändung“ spielt die Familie von Galen eine zentrale Rolle. Der Konflikt begann damit, dass der Erbmarschall von Morrien Jägern des Dietrich von Galen, die sich seiner Ansicht nach unberechtigt auf seinem Gebiet befanden, Jagdhunde abnahm und diese, wie er später durch von Galen beklagt wurde, verhungern ließ. Bei einer Begegnung auf dem Domplatz in Münster erstach von Galen von Morrien in einem Degengefecht. Daraufhin wurde er der vorsätzlichen Tötung angeklagt.

Dierkes schildert den Hintergrund der Familien: Die Familie von Morrien besaß das Erbmarschallamt und war länger als die von Galens im Münsterland ansässig. Die Familien standen sich als Nachbarn in vielen kleinen Auseinandersetzungen gegenüber, ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Konfessionen sieht dabei Dierkes nicht als Grund für die Verschärfung der Gegensätze an. Die Wegnahme der Jagdhunde bedeutete einen Angriff auf das adlige Jagdrecht, zugleich hatte von Morrien die adlige Raumbeherrschung und die Qualität der von Galens als Herren geschmälert, da deren Untergebene schutzlos anderen ausgeliefert gewesen waren. Bei einem weiteren Treffen forderte von Galen von Morrien zu einem spontanen Duell heraus und provozierte ihn durch verschiedene Beleidigungen. Der Erbmarschall reagierte nicht darauf, erreichte aber mit seiner Verweigerungshaltung nur, dass der Konflikt vorübergehend gebremst wurde. Später eskalierte er bei einer Begegnung auf dem Domplatz in Münster, bei der von Galen von Morrien erstach. Den ausführlichen Zeugenaussagen sind immer wieder erhellende Details zu entnehmen, so etwa, welche Bedeutung das Schnippen unter der Nase als besondere Form der Ehrverletzung hatte. Da in Ehrauseinandersetzung der Prinzip der Retorsion herrschte, das heißt, eine Ehrverletzung notwendigerweise erwidert werden musste, wobei sich die Verletzungen im Grad ihrer Heftigkeit steigerten, führten solche Gesten rasch zur Verschärfung des Konflikts bis hin zum körperlichen Angriff. Dierkes findet gerade in diesem Fall die Auffassung bestätigt, dass im Adel der Frühen Neuzeit eine hohe Gewaltaffinität herrschte. In dem sich anschließenden Prozess erfolgte der Fortgang des Konflikts schriftlich und institutionalisiert. Kernpunkte waren der Mord- bzw. Todschlagwurf und wechselseitige Behauptung des schlechten Leumundes. Der gute Leumund aber und die adligen Tugenden machten neben den Titeln die Adelsqualität aus. Das zentrale Symbol waren die Wappen der Familien – sie dienten dem Ahnennachweis, untermauerten aber auch Besitzansprüche. Folgerichtig führte die Zerschlagung eines Glasfensters mit dem Wappen der von Galen durch Johann von Morrien im dritten Teil der Auseinandersetzung zwischen den beiden Familien zu einer erneuten Verschärfung, wurde doch mit diesem Verweis auf die gottgewollte Ständeordnung auch diese in Frage gestellt.

In seiner Schlussbetrachtung fasst Dierkes Gemeinsamkeiten seiner Mikrostudien zusammen. Neben dem institutionalisierten Weg der Konfliktlösung ergriff der Adel immer wieder Initiativen zur autonomen Konfliktaustragung. Doch dürfen diese Versuche quantitativ nicht überbewertet werden. Die allermeisten Konflikte trug der münsterländische Adel ausschließlich vor Gericht aus. Ein gewisser Autonomieanspruch scheint bei inneradligen Konflikten bestanden zu haben, wenn der Rechtsweg versagt hatte oder aufgrund der Schwere der Ehrverletzung die Notwendigkeit einer unmittelbaren Reaktion gegeben war. Hinzu kamen persönliche Dispositionen und der Druck der Öffentlichkeit. Der Vorwurf unstandesgemäßen Verhaltens und die Unterstellung, man gehöre eigentlich nicht zum Adel, wogen schwer, deshalb auch kam es zu heftigen Reaktionen.

Dierkes ergänzt die Einschätzung von Ralf-Peter Fuchs, dass Konflikten um Ehre (und damit um den Stand) nicht nur ein sozialer Sinn, sondern auch eine moralische Notwendigkeit beigemessen wurde. Er stellt fest, dass es sich darüber hinaus nicht nur um eine moralische, sondern auch um eine existentielle Notwendigkeit handelte: „Der Ausdruck von adeligem Stand, Rang und adeliger Ehre funktionierte nur symbolisch; die Einbuße des Symbols hätte die Einbuße der darin materialisierten Aspekte selbst bedeutet.“ (S. 197)

Die ausführlichen Fallschilderungen vermitteln einen anschaulichen Einblick in adlige Lebenswelten. Allerdings werden sie zum Teil nur zur Illustration herangezogen, was in diesem Umfang nicht nötig gewesen wäre, da die grundsätzliche Bedeutung der „Ehre“ in adligen Konflikten von der Forschung kaum in Frage gestellt wird. Wünschenswert wäre eine stärkere Einordnung der Konflikte in die Rahmenbedingungen gewesen, unter denen die Adligen agierten: Die inzwischen umfangreiche Literatur zu Legitimation und Standesbehauptung des Adels in der Frühen Neuzeit – hervorzuheben sind hier beispielsweise die Arbeiten Ronald G. Asch – wird erst in der Zusammenfassung angeführt, ohne dass die Fallbeispiele eingehender darauf bezogen würden. So bleibt es zukünftigen Arbeiten vorbehalten, regionale Beispiele von Formen und Strategien der Konfliktführung im niederen Adel in solche größeren Zusammenhänge einzuordnen.

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