Cover
Titel
Medien und Diskurs. Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens


Autor(en)
Pundt, Christian
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 36,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabell Otto, Fachbereich 3 Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften, Universität Siegen

Untersuchungen, die sich der Wechselbeziehungen zwischen ‚Medium’ und ‚Diskurs’ annehmen, unterscheiden sich nicht zuletzt deshalb so sehr voneinander, weil sie von ganz verschiedenen Ausgangspunkten starten. Je nach dem, wie das Verständnis von ‚Medium’ und ‚Diskurs’ ausfällt, ja, wie eng man die definitorische Bestimmung beider Begriffe zieht, rücken sie in ein bestimmtes Verhältnis zueinander. Ein besonderes Spannungsfeld, ein „Bruch“ zwischen Diskurs und Medium tut sich auf, wenn der Diskursbegriff, eng an die Bestimmung Michel Foucaults gebunden, als ‚literarischer’ und damit medial beschränkter Diskurs und das diskursivierte Medium als ‚technisches’ Medium definiert wird. Produktiv wird in diesem Verständnis gerade die Unmöglichkeit, Medium und Diskurs miteinander in Deckung zu bringen.1 Zum Kompositum ‚Mediendiskurs’ verbinden sich beide Begriffe, wenn der Diskursbegriff erweitert und als folgenreiches Sprechen über Medien bestimmt wird, das, wiederum in unterschiedlichen Medien und Textsorten stattfindend, das gesellschaftliche Verständnis von Medien auslotet und damit Teil einer Selbstbeobachtung der Gesellschaft ist. ‚Medium’ und ‚Diskurs’ sind in diesem Fall von einer produktiven Offenheit gekennzeichnet.2

Der Hamburger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Christan Pundt schließt in seiner Studie nicht explizit an diese Ansätze an. Sein Anliegen, einer „Spezifik medialer Diskurse auf die Spur zu kommen“ (S. 12), lässt sich jedoch als ein Versuch beschreiben, beide Herangehensweisen zu verbinden. Seine an Foucault angelehnte Analyse wägt den ‚Bruch’ zwischen Medium und Diskurs zwar kritisch ab, möchte ihn letztlich aber überbrücken und dabei bestimmen, wie sich Aussagen diskursiv ordnen, die in Medien über (andere) Medien getroffen werden. Am Beispiel des printmedialen Diskurses über Privatheit im Fernsehen, stellt Pundt den „programmatischen Ansatz“ einer „medienwissenschaftlichen Diskursanalyse“ vor (S. 13), von dem er sich verspricht „die konstitutive Rolle der Medien im Prozess gesellschaftlicher Kommunikation herauszustellen“ (S. 12). Eine Lektüre, die, vom Untertitel des Buchs ausgehend, einen Forschungsbeitrag „Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens“ erwartet, mag zu Irritationen führen, denn diese „eigentliche Diskursanalyse“ (S. 249) beginnt erst nach knapp 250 Seiten. Tatsächlich legt Pundt den Schwerpunkt seiner Untersuchung auf die Bestimmung von ‚medialen Diskursen’, die über den Privatheits-Diskurs hinaus Geltung für unterschiedliche Mediendiskurse beansprucht.

Pundts Untersuchung nähert sich diesem Vorhaben in drei Teilen: Der erste Teil „Diskurs und Diskursanalyse“ setzt den Ausgangspunkt bei Foucault: Pundt schließt an eine Konzeptualisierung des Diskursbegriffs als eine Verknappung oder Regulierung von Aussagen an, die sowohl einschränkend als auch formierend ist – eine Möglichkeitsbedingung des Sprechens. Er bezeichnet diesen Diskursbegriff als ‚stark’, weil in ihm ein theoretisches Vorverständnis und eine methodische Vorgehensweise miteinander verbunden sind. Eine medienwissenschaftliche Ergänzung soll der Begriff erfahren, indem ihm drei Ansätze zur Seite gestellt werden, die aus sprachwissenschaftlicher Perspektive Diskursanalysen der (print-)medialen Kommunikation vorschlagen: Norman Faircloughs ‚Critical Discourse Analysis’, Siegried Jägers ‚Kritische Diskursanalyse’ und Martin Wengelers Verbindung von Diskurs und Toposanalyse. Mit der Darstellung dieser Ansätze weitet Pundt die Foucaultsche „Theorie des Diskurses“ (S. 29), die er hauptsächlich aus der „Archäologie des Wissen“ gewinnt, einerseits auf Massenmedien aus, anderseits wägt er die linguistischen Diskursanalysen wiederum kritisch am Maß des Foucaultschen Diskurskonzepts ab. Pundt gelangt damit zu der Überlegung, dass Massenmedien einen Kontext für Diskurse bilden: „Massenmedien formieren […] einen Diskurs, indem sie spezifische Möglichkeitsbedingungen bereitstellen, die bestimmte kommunikative Praktiken wahrscheinlicher werden lassen als andere“ (S. 131).

Im zweiten Teil „Medien und Kommunikation“ soll dieser Kontext genauer beleuchtet werden. Ausgangspunkt ist hier ein operationaler Medienbegriff, den Pundt locker an Überlegungen von Sibylle Krämer anschließt, als „’entkernte[n]’ Medienbegriff“ bezeichnet und in seiner Untersuchung synonym zu ‚Massenmedien’ verwendet. Man ist versucht zu ergänzen, dass Pundt dem ‚starken Diskursbegriff’ einen schwachen Medienbegriff entgegenstellt, denn was ihn im Teil 2 seiner Untersuchung interessiert, sind weniger ‚mediale Kontexte’ als vielmehr „Kommunikationskontexte“: (1) „Institutionalisierte Kommunikation“, (2) „Prozessualisierte Kommunikation“, (3) „Sozialisierte Kommunikation“ und (4) „Spezifizierte Kommunikation“ (S. 133). Während sich die ersten drei Kapitel des zweiten Teils „relativ allgemein mit der massenmedialen Formierung von Kommunikation“ (S. 201) beschäftigen und eine Fülle unterschiedlicher theoretischer und methodischer Ansätze vereinen (z.B. Gerhard Maletzkes Feldschema der Massenkommunikation, Ludwig Jägers Konzept der Transkriptivität oder Niklas Luhmanns Ausführungen zur ‚öffentlichen Meinung’), widmet sich das vierte Kapitel den Rahmenbedingungen des Privatheits-Diskurses – Fernsehkritik und Skandal – und steuert die Untersuchung auf die konkrete Analyse zu.

Im dritten Teil „Ein Mediendiskurs: Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens“ bemüht sich Pundt jedoch zunächst darum, seinen eigenen Beobachterstandpunkt zu reflektieren. Dass jede Diskursanalyse eine „interpretative Analytik“ ist, bringt Pundt mit dem Begriff der „Transkonstruktion“ zum Ausdruck. Gegenstand der Analyse sind schließlich siebzehn ‚außerdiskursive Ereignisse’ im Fernsehprogramm, die in Pundts Studie als Debatten der Fernsehkritik in den Printmedien zum Teil des Diskurses über Privatheit im Fernsehen werden. Die Untersuchung startet 1961 mit der ARD-Produktion ‚Die Sendung der Lysistrata’ und endet im Jahr 2000 mit der RTL-Sendereihe ‚Big Brother’. Die Programm-Ereignisse werden gebündelt und ihre Verhandlungen in Tageszeitungen, Illustrierten oder Programmzeitschriften nach einem festen Analyseschema ausgewertet. Dass Pundt sich hier Methoden der empirischen Medienforschung und der linguistischen Analyse zu Nutze macht, schlägt sich etwa in seiner Auswertung von insgesamt 321 Artikeln nach „Vorkommenshäufigkeit wichtiger Wortstämme“ wie „geheim“, „intim“ oder „moral“ nieder (S. 405). Pundt zeigt in seiner Analyse, wie sich der historische Wandel des Privatheits-Diskurses in Wechselbeziehung zu soziokulturellen Veränderungen und Verschiebungen der Medienöffentlichkeit vollzieht.

Das Vorhaben der Studie, den Zusammenhang zwischen Medien und Diskurs im Konzept des ‚medialen Diskurses’ nicht nur als Instrumentarium für die eigene Untersuchung, sondern in der Spezifik eines ‚starken Begriffs’ genau zu bestimmen, kommt zu luziden Einzelerkenntnissen. Einleuchtend ist beispielsweise die präzise Beschreibung des Verhältnisses von ereignisbezogenen Debatten und einem ‚diskursiven Gedächtnis’ der Massenmedien, das „die Kommunikation in actu auf die Kommunikatate der Vergangenheit rückbezieht“ (S. 195). Eindrucksvoll ist auch die Genauigkeit, mit der Pundt seine theoretischen Ausführungen und seine Analyseschritte entfaltet. Doch hier stellt sich auch gleichzeitig eine Schwierigkeit der Lektüre ein: Die Studie ist zwar in ihrer Argumentationsführung insgesamt nachvollziehbar, Pundts ausführliche Darstellungen von theoretischen und methodischen Positionen machen es häufig jedoch nicht ganz leicht, die Punkte zu erkennen, die argumentativ von besonderem Interesse sind.

Da letztlich die gesamte Untersuchung auf die Ausführungen „Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens“ hinaus läuft, stellt sich die Frage, wie weit der ausführlich entwickelte Mediendiskurs-Begriff trägt. Es fällt auf, dass Pundt sein eigenes Verfahren der ‚Transkonstruktion’ am Ende nicht so strikt an den Foucaultschen Diskursbegriff zurück bindet, wie er es mit den Ansätzen von Fairclough, Jäger und Wengeler getan hat. Die zentrale These, dass Massemedien Kontexte für Diskurse sind und ihnen damit „zur Konstitution gesellschaftlichen Wissens eine eigene, sehr autonome Rolle zufällt“ (S. 355), wird am Ende weniger zu einer strikten Methodik der medienwissenschaftlichen Diskursanalyse erhoben, als zu einem relativen, offenen „analytischen Konstrukt“ (ebd.), denn, so Pundt: Wie der mediale Kommunikationsrahmen genau zu beschreiben ist, hängt von „Analyseinteresse“ und „Analysebereich“ (ebd.) ab. Pundt liefert damit sicherlich einen interessanten, methodisch reflektierten Beitrag zur medienwissenschaftlichen Diskursforschung. Es bleibt allerdings fraglich, ob er mit seiner relativ deutungsoffenen Figur des ‚medialen Kontexts von Diskursen’ tatsächlich seinem eigenen Anliegen nachkommt, die „Spezifik medialer Diskurse“ (S. 12) aufzuspüren.

Anmerkungen:
1 Bernhard J. Dotzler, Diskurs und Medium. Zur Archäologie der Computerkultur, München 2006, S. 26.
2 Vgl. Irmela Schneider / Peter M. Spangenberg, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Medienkultur der 50er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 1, Wiesbaden 2002, S. 11-21.

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