J. Galtung (Hrsg.): Handbook of Peace and Conflict Studies

Cover
Titel
Handbook of Peace and Conflict Studies.


Herausgeber
Galtung, Johann; Webel, Charles
Erschienen
London 2007: Routledge
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
£ 100,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Thorsten Bonacker, Zentrum für Konfliktforschung & Institut für Soziologie, Philipps-Universität Marburg

Die Friedens- und Konfliktforschung hat in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland an Bedeutung gewonnen. Sichtbar wird dies beispielsweise an der Zahl von Publikationen mit einem expliziten Bezug zur Friedens- und Konfliktforschung, an der Einrichtung von Studiengängen, an entsprechenden Tagungen sowie an der Gründung von Förderinstitutionen wie der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Damit verbunden ist auch der Wunsch nach Einführungsbänden und Handbüchern. Ein solches Handbuch liegt jetzt vor. Mit herausgegeben ist es von keinem geringeren als von Johan Galtung, einem der Gründerväter der modernen Friedensforschung, der bisweilen – vor allem unter Studierenden – fast einen Kultstatus genießt. Wie kein Zweiter schlägt Galtung eine Brücke zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung und hat dabei selbst sowohl grundlegende Konzepte der Friedens- und Konfliktforschung wie das der strukturellen Gewalt geprägt als auch selbst als Friedensstifter vor allem auch in zwischenstaatlichen Friedensverhandlungen und Mediationsverfahren gewirkt. Zusammen mit Charles Webel hat er das „Handbook of Peace and Confllict Studies“ herausgegeben, das in 25 Artikeln einen Überblick über Konzepte und Forschungs- sowie Anwendungsbereiche der Friedens- und Konfliktforschung geben will.

Wer von einem Handbuch erwartet, dass es gleichsam neutral gegenüber unterschiedlichen Ansätzen, Methoden und Paradigmen über den State of the Art eines Faches oder eines Forschungsgebietes bzw. über dessen Entwicklungsgeschichte informiert, wird bei diesem Handbuch zurecht enttäuscht sein. Die einleitenden und abschließenden Beiträge sowie einige der hier versammelten Texte orientieren sich dezidiert an einem bestimmten Ansatz der Friedens- und Konfliktforschung, für den Galtung und Webel selbst auch stehen: für den Ansatz der Konflikttransformation, den Galtung selbst als Transcend-Ansatz weiterentwickelt hat. Grundlegend dafür ist ein weiter, positiver Friedensbegriff, der mit dem Konzept der „strukturellen Gewalt“ korrespondiert und demzufolge Frieden als Ergebnis der Transformation von Konflikten weitgehend mit der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit zusammenfällt. Friedens- und Konfliktforschung ist demnach eine wertgebundene, anwendungsorientierte Forschung, die selbst einen Beitrag für den Frieden leisten sollte. Man kann das so sehen, und der Ansatz der Konflikttransformation ist ohne jeden Zweifel nach wie vor ein wichtiger Ansatz vor allem innerhalb der praxisorientierten Friedensforschung. Für ein Handbuch scheint mir diese Herangehensweise hingegen nicht angemessen.

Es ist hier nicht der Ort, um erneut in die Debatte um die Probleme eines weiten, stark normativ aufgeladenen Friedensbegriffes einzusteigen.1 Dennoch hätte ich mir gewünscht, wenn die Herausgeber in ihren einführenden Beiträgen auf die Kritik, die vielfach am positiven Friedensbegriff geübt wurde, eingegangen wären. Stattdessen werden – auch dies ist leider in dieser Tradition der Friedensforschung weit verbreitet – neue Begrifflichkeiten wie die „Metapsychologie des Friedens“ eingeführt, bei denen der analytische Wert nicht erkennbar ist. Die wissenschaftliche Debatte um die „Theoriefähigkeit des Friedens“ 2 sollte jedenfalls nicht durch rhetorische Dramatisierungen ersetzt werden, in denen beschworen wird, dass der Frieden eine heroische Aufgabe im neuen Millennium sei - „if we are to survive“ (S. 13).

Die Schwächen des von Galtung propagierten holistischen Ansatzes liegen vor allem darin, dass alles mit allem zusammenzupassen scheint. Der totale Friedensbegriff kennt keine Widersprüche, Zielkonflikte oder Ambivalenzen, sondern nur Modelle, in denen sich alles mit allem zu einem schönen, großen Ganzen kombinieren lässt. Ein gutes Beispiel ist das Problem der Versöhnung nach der Beendigung von Gewaltkonflikten. Aus der Forschung zu Transitional Justice wissen wir, dass es einen Konflikt zwischen der Erwartung einer umfassenden Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen mit den Anforderungen der Herstellung von Stabilität in einer Nachkriegsgesellschaft gibt.3 Bei Galtung wird daraus ein Tabelleneintrag, in dem es lapidar heißt: „past cleared, future together“ (S. 17). So wird aus Friedens- und Konfliktforschung eine Wunschwissenschaft, die wenig mit den empirischen Problemen und Herausforderungen von Friedensprozessen zu tun hat.

Die einzelnen Beiträge halten sich allerdings nur teilweise an den von den Herausgebern gesteckten Rahmen, so dass in einigen Texten durchscheint, dass sich die Friedens- und Konfliktforschung heute in einer Hinsicht nicht wesentlich von den Sozialwissenschaften insgesamt unterscheidet: Auch für sie gilt längst, dass Paradigmen- und Methodenvielfalt ihr Normalzustand ist, dass also aus der „Forschung für den Frieden“, durch die das Selbstverständnis der Friedens- und Konfliktforschung in den 1960er- und 1970er-Jahren gekennzeichnet war, auch eine weniger stark normativ gebundene „Forschung über den Frieden“ geworden ist.

In den ersten drei Teilen sind Beiträge versammelt, die sich unterschiedlichen Aspekten der Konflikttransformation widmen, wie etwa verschiedenen Ansätzen der Konfliktbearbeitung von der Verhandlung bis zur Mediation, und unterschiedlichen Themen, die für die Friedensforschung von besonderer Bedeutung sind wie etwa Fragen der Abrüstung und Entwaffnung, des Zusammenhangs von Menschenrechten und Frieden (wobei auch hier entgegen aller empirischen Evidenz beides miteinander identifiziert wird), der Versöhnung oder der Gender-Thematik. Hinzu kommen Beiträge, die sich stärker mit zentralen Teilbereichen der Friedensforschung beschäftigen, etwa mit der Friedenspsychologie und der Friedenserziehung. Dass auch bei einem recht voluminösen Handbuch immer noch Aspekte fehlen, versteht sich von selbst. Gerne hätte ich etwa Beiträge zu Armut, zu Migration oder zum Zusammenhang von politischem System und Konfliktverhalten, aber auch zur Historischen Friedensforschung gelesen.

Entstanden ist die Friedens- und Konfliktforschung zumindest in Deutschland durch eine klare Abgrenzung gegenüber der vom Realismus geprägten Lehre von den Internationalen Beziehungen in den 1950er- und 1960er-Jahren. Sie hat sich von Beginn an als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet verstanden, das zwar stark von der Politikwissenschaft und von sozialwissenschaftlichen Methoden geprägt, aber immer auch mit anderen Disziplinen verknüpft war. In den letzten Jahren scheint es aber eine Tendenz dahin zu geben, Friedens- und Konfliktforschung als eine eigenständige Disziplin zu begreifen, die einen gewissen hybriden Charakter hat. Insofern ist der Beitrag von Chadwick F. Alger zu „Peace studies as a transdisciplinary project“ äußerst lesenswert – nicht nur, weil er im Rahmen eines Überblicks über die Entstehungsgeschichte des Peacebuildings ein Stück weit nachholt, was man sich in anderen, vorangegangenen Beiträgen gewünscht hätte. Vielmehr macht er deutlich, dass Friedens- und Konfliktforschung dabei ist, eine Art postklassische Disziplin zu werden. Das belegen ein Stück weit auch die folgenden Beiträge über die Perspektive der Friedensforschung in unterschiedlichen Disziplinen, wobei hier der Beitrag von Richard Falk zum Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit im Völkerrecht besonders hervorzuheben ist.

Das Handbuch bietet insgesamt manch interessanten Einblick in ausgewählte Aspekte der Friedens- und Konfliktforschung mit einem (zu) starken Fokus auf den Ansatz der Konflikttransformation. Die Qualität der Beiträge ist sehr unterschiedlich und reicht von konzisen Einführungen etwa in den angewandten Transformationsansatz (von Graf, Kramer und Nicolescou) bis zu Artikeln, die eher dem Genre des politischen Essays entsprechen. Insofern bleibt ein internationales Handbuch zur Friedens- und Konfliktforschung ein Desiderat.

Anmerkungen:
1 Lothar Brock, Was ist das „Mehr“ in der Rede, Friede sei mehr als die Abwesenheit von Krieg?, in: Astrid Sahm / Manfred Sapper / Volker Weichsel (Hrsg.), Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens-und Konfliktforschung, Wiesbaden 2002, S. 95-114.
2 Gertrud Brücher, Zur Theoriefähigkeit des Friedens aus der Sicht der neueren Systemtheorie, in: Mathias Jopp (Hrsg.), Dimensionen des Friedens – Theorie, Praxis und Selbstverständnis der Friedensforschung, Baden-Baden 1992, S. 67-80.
3 Chandra Lekha Sriram, Confronting Past Human Rights Violations: Justice vs. Peace in Times of Transition, London 2004.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension