A. Cordes u.a. (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

Cover
Titel
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1.


Herausgeber
Cordes, Albrecht; Lück, Heiner; Werkmüller, Dieter
Erschienen
Anzahl Seiten
2016 Sp.
Preis
€ 298,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Becker, Konzernredaktion/Konzernarchiv, Evonik Services GmbH

Zwischen 1964 und 1997, rechnet man von den einzelnen Lieferungen her, beziehungsweise zwischen 1971 und 1998, zählt man in gebundenen Bänden, erschien in Erstauflage das fünfbändige „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“ (HRG). Es verdankte sich dem Anstoß durch die Germanisten Wolfgang Stammler und Ellinor Kahleyss sowie der Herausgeberschaft der Rechtshistoriker Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann und, mit dem fünften Band, auch Dieter Werkmüller.1 Getragen wurde es zwar nicht durch unzählige, doch unübersehbar durch sehr viele Hände. Alleine am ersten Band wirkten über 130 Autoren mit. Nicht jeder von ihnen entstammte der rechtshistorischen Zunft. Das HRG war interdisziplinär und, um dies vorab mit Blick auf die zweite Auflage zu sagen, ist es geblieben: Über 250 Autoren aus Rechts- und Allgemeingeschichte, Philologie, Volkskunde usw. haben am ersten Band mitgewirkt, und sieht man sich die durch den Verlag online gestellte Mitarbeiterliste an, so stellt man fest, dass sich bis zum 22.04.2009 über 400 Beiträger aus verschiedenen Wissensbereichen, aus dem In- und Ausland, eingefunden haben, zur Neuauflage beizusteuern.2 Ein Mehr an Beiträgerinnen dürfte es wohl sein: Nur etwa ein Sechstel der Autoren des neuaufgelegten ersten Bandes ist weiblich; zwar mehr als zehnmal so viele wie in der Erstauflage, doch ist der Anteil zweifellos noch steigerungsfähig.

Erler und seine Mitstreiter konnten sich auf keine früheren Auflagen oder sonstige Vorbilder stützen. Das Fehlen eines umfassenden Sachwörterbuchs der eigenen Disziplin war denn auch einer der Gründe, der deutschen Rechtsgeschichte ein eigenes Handwörterbuch zu geben. Der wohl ungleich gewichtigere war, dass „das geschlossene Bild der Jahrhundertwende vom deutschen mittelalterlichen Rechte heute zerbrochen [ist], ohne dass ein neues an seine Stelle getreten wäre“.3 Ein „Spiegel dieser Wissenschaft selbst“4 in Gestalt der großen, geschlossenen Gesamtdarstellung aus einer Hand schien in weiter Ferne, ein Wörterbuch mit für sich stehenden, durch einzelne Autoren zu verantwortenden Artikeln, das notwendig dem darstellerischen Prinzip der Collage folgte, bot sich an, um die deutsche Rechtsgeschichte adäquat abzubilden, sie also in der Disparität ihrer Themen und Anschauungen zu erfassen. An diesem Befund hat sich dem Eindruck nach wenig geändert. Allenfalls scheint es, dass die Erschütterung nicht mehr im selben Maße empfunden wird, in dem die früheren Generationen von Rechts- und Allgemeinhistorikern die Unsicherheit des bislang Sicheren verspürten.

Nicht geschwunden ist das Bedürfnis nach einem Sachwörterbuch der Disziplin „deutsche Rechtsgeschichte“. Die Erstauflage des HRG konnte ihm irgendwann nicht mehr in vollem Umfang genügen. Seine ersten Artikel waren vor nunmehr 45 Jahren erschienen; mit anderen Worten: Das Standardnachschlagewerk zur deutschen Rechtsgeschichte war vor allem in seinen ersten Bänden nicht mehr à jour. Ein rechtshistorisches Nachschlagewerk auf dem denkbar neuesten Stand sollte jedoch im Kreis der historischen Lexika und Wörterbücher nicht fehlen. Seine Bereitstellung liegt nicht nur im Interesse der Rechtshistoriker, sondern auch in dem der Allgemeinhistoriker und der Vertreter der anderen Nachbardisziplinen. Zu zahlreich, von der Erforschung des Mittelalters bis hinein in die Zeit- und Gegenwartsgeschichte, sind die Themenfelder, die Fühlung halten mit juristischen Problemzusammenhängen.

Seit 2004 erscheint daher folgerichtig die völlig überarbeitete und erweiterte Neuauflage des HRG, wie der Vorgänger in einzelnen Lieferungen, die zu mehreren Bänden zusammengefasst werden. Verantwortlich zeichnen dieses Mal die Rechtshistoriker Albrecht Cordes (Frankfurt am Main), Heiner Lück (Halle an der Saale), erneut Dieter Werkmüller (Marburg) sowie, zumindest für den ersten Band, die Philologin Ruth Schmidt-Wiegand (Marburg). Das „neue HRG“ ist auf sechs Bände angelegt. Jeder Band besteht aus acht Lieferungen. Jeweils zwei oder sogar drei von diesen sollen idealerweise innerhalb eines Jahres erscheinen, und in der Tat wurde jüngst, pünktlich zum 37. Rechtshistorikertag 2008, nach gerade einmal vier Jahren Bearbeitungszeit, der erste Band in neuer Auflage vorgelegt. Für das Jahr 20245 ist der Abschluss des Projekts geplant. Dies freilich setzt im handwerklich-organisatorischen Bereich ein gewisses Maß an personaler Beständigkeit voraus, die in Zeiten oft beklagter knapper Kassen und strikt befristeter Verträge keine Selbstverständlichkeit für eine Unternehmung ist, die zwar durch die „Stiftung Rechtsstaat Sachsen-Anhalt e.V.“ gefördert wird, doch die dem Eindruck nach auf redaktioneller Ebene im Wesentlichen mit Lehrstuhlkräften bestritten wird. Dass das Projekt HRG alsbald auf dem finanziell sicheren Boden einer wie auch immer gearteten großzügigen Langzeitförderung siedeln möge, bleibt ihm zu wünschen.

Die Neuauflage des HRG dient der Aktualisierung, Ergänzung und Erweiterung der in der Vorauflage präsentierten Materie: Der nun vorliegende erste Band verdeutlicht, dass dies gleichermaßen die zeitliche, sachliche und räumliche Dimension betrifft: 814 Artikel stehen nun den 773 von Band I in erster Auflage gegenüber. Reichte letzterer von „Aachen“ bis „Haussuchung“, kann man sich nun von „Aachen“ bis „Geistliche Bank“ informieren. Die Stichwortdichte hat also sichtlich zugenommen. Zu den feststellbaren Vervollständigungen zählen vor allem die stärkere Öffnung des Werkes gegenüber den letzten beiden Jahrhunderten deutscher/europäischer Geschichte, was sich im Betrachtungszeitraum der einzelnen Artikel ebenso niederschlägt wie in neuen Textstichwörtern, und eine weitere Öffnung gegenüber der Geschichte des öffentlichen Rechts, der Verfassung und Verwaltung. Angewachsen ist auch die eigene Wissenschaftsgeschichte, was nicht zuletzt in neu eingeführten biographischen Artikeln Ausdruck findet. Auch wurde der auf Grund der weit fortgeschrittenen Einigung Europas entstandenen Notwendigkeit Rechnung getragen, den rechtshistorischen Horizont nicht zuletzt in geographischer Hinsicht zu weiten. Systematisch wurden Übersichtsartikel zu den einzelnen europäischen Ländern aufgenommen. Und schließlich wurden alle Artikel der ersten Auflage vollständig überarbeitet, teils durch die früheren Autoren, teils durch neue Beiträger. Der Autorenstamm des HRG reicht von seit Jahrzehnten ausgewiesenen Vertretern ihres Fachs bis hin zum akademischen Nachwuchs; eine gebotene Mischung, nicht nur für ein Projekt, das über viele Jahre laufen soll und folglich den „Pool“ seiner Beiträger besonders pflegen muss, sondern gerade auch für eine Unternehmung, in der sich eine Disziplin spiegeln soll. Dies eben darf die Frage der involvierten Köpfe nicht übergehen. Es erscheint von daher als richtiger Schritt, einer „klassischen“ Redaktion, die in Halle an der Saale angesiedelt ist, in Frankfurt am Main eine solche an die Seite gestellt zu haben, die die Autorenakquise leistet.6

Damit die Erweiterung eines Nachschlagewerks nicht in unkontrolliertes Ausufern umschlägt, braucht es notwendig ein Korrektiv: die Überprüfung des bestehenden Stichwortverzeichnisses auf seine zweckmäßige Anlage hin. Eine solche wurde dem Befund nach vorgenommen. Jedenfalls lässt sich für den ersten Band durchaus feststellen, dass nicht nur neue Textstichwörter hinzugekommen, sondern auch einige alte verschwunden sind, ebenso wurden manche Textstichwörter zu Verweisstichwörtern herabgestuft, doch wurden auch Verweis- in Textstichwörter umgewandelt: Es findet sich nun der Artikel „Absolutismus“ (Ulrike Müßig, geb. Seif), wo früher „Absolute Monarchie“ auf „Monarchie“ verwies, und zeigte „Französisches Recht“ in der ersten Auflage lediglich auf „Code civil“ und „Coutumes“, so wird es heute auf über 11 Spalten selbständig behandelt (Thomas Gergen). Nicht erst angesichts solcher Positiva verschmerzt man den Wegfall etwa des Sechszeilers „Bauernmarke“ (Adalbert Erler) leicht.
Alles in Allem wirken die Veränderungen, die auch eine Neuanlage der Artikellängen einschließen, in systematischer Hinsicht gelungen, wenn es auch immer Stichwörter geben wird, die sich der Leser als eigenständige Artikel wünschte: „Bundesverfassungsgericht“ etwa, das lediglich als Verweis auf „Verfassungsgerichtsbarkeit“ und „Bundesrepublik Deutschland“ firmiert, „Bundesarbeitsgericht“, „Bundesfinanzhof“ und „Bundessozialgericht“, die nicht einmal für sich als Verweise erscheinen. „Bundesgerichtshof“ liegt dagegen als Textstichwort vor. Ebenso versteht es sich, dass nicht alle Artikel von der gediegenen Qualität sein können, wie sie Großartikel in der Art von „Bundesrepublik Deutschland“ von Dietmar Willoweit oder „Fränkisches Reich“ von Rudolf Schieffer bieten. Gleichwohl verspricht dieser erste Band ein im Ganzen kundiges, gut zu handhabendes Fachlexikon, das sich glatt einfügen wird in das Konzert der geisteswissenschaftlichen Nachschlagewerke und Recherchehilfen. Am Ende wird man sich Gerhard Köbler, selbst Beiträger und Rezensent der ersten Lieferung des vorliegenden Bandes, vorbehaltlos anschließen können: „Naturgemäß kann ein großes Werk bei vielen Mitarbeitern große Angriffsflächen mit vielen Kleinigkeiten bieten. Sie nutzen sollte nur, wer mit gleichem Aufwand Besseres schaffen kann und will.“7

Auf ein Desiderat aber sei hingewiesen: Bislang ist nur bekannt, dass es wohl eine digitale Version des neuaufgelegten HRG geben wird. Genaue Angaben zur geplanten Umsetzung fehlen indes. Wird es eine CD-Rom-Version oder ein online-Portal sein? Werden diese Angebote kostenpflichtig, und wenn ja, wie wird mit den Abonnenten der Druckausgabe verfahren, bzw. wird es besondere Konditionen z.B. für Universitäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen geben? Die Antwort, die auf solche Fragen bislang der Verlag gibt, reicht nicht mehr hin: „Für eine digitale Version muss zunächst eine ausreichende Textmenge vorliegen, da erst dann die Vernetzungen der Texte sichtbar werden und das Verweissystem genutzt werden kann. Das ist vorläufig noch nicht der Fall.“8 Da hätte man sich doch Konkreteres gewünscht.

Anmerkungen:
1 Deutsches Wörterbuch Arbeitsstelle Göttingen, Wörterbuchliste, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), <http://grimm.adw-goettingen.gwdg.de/wb-liste/index.php?44> (06.07.2009).
2 Infoportal HRG Mitarbeiterverzeichnis, <http://www.hrgdigital.info/download/hrg_mitarbeiter.pdf> (06.07.2009).
3 Adalbert Erler/ Ekkehard Kaufmann, Vorwort, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1971, S. V.
4 Ebd. S. VI.
5 Sabine Valipour, Projektbeschreibung Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), in: H-Soz-u-Kult, 01.06.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/projekte/id=233> (06.07.2009).
6 Infoportal HRG Erläuterungen, <http://www.hrgdigital.info/faq.html#jm80> (06.07.2009).
7 Gerhard Köbler, Rezension zu Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, <http://www.koeblergerhard.de/ZRG123Internetrezensionen2006/HandwoerterbuchzurdeutschenRechtsgeschichte.htm> (06.07.2009).
8 Infoportal HRG Erläuterungen, <http://www.hrgdigital.info/faq.html#jm60> (06.07.2009).

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