W. Wippermann: Dämonisierung durch Vergleich

Titel
Dämonisierung durch Vergleich. DDR und Drittes Reich


Autor(en)
Wippermann, Wolfgang
Erschienen
Berlin 2009: Rotbuch Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden

Zeitgeschichte ist Streitgeschichte – zumal, wenn es sich um Vergleiche zwischen so unterschiedlichen Diktaturen wie dem NS-Staat und der DDR handelt. Das jüngste Werk des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann möchte vor allem eines sein: eine „geschichtspolitische Streitschrift“ (S. 13) wider die „vergleichende Dämonisierung der DDR“ (S. 12). Mit dieser bilanzierenden Sicht auf 20 Jahre Aufarbeitung der SED-Diktatur ist er – gewollt oder auch nicht – nunmehr Teil der äußerst emotional geführten Debatte über den DDR-„Unrechtsstaat“. Dabei geht es Wippermann keineswegs um eine Verteidigung des untergegangenen Regimes oder einzelner seiner „Errungenschaften“. Er distanziert sich sogar von der Partei „Die Linke“ in herausgehobener Weise (S. 123), was in einem historischen Sachbuch so nicht nötig gewesen wäre. Zudem lässt sich der Verfasser zu Bewertungen der DDR hinreißen, die selbst einige Hardliner der von ihm attackierten konservativen Gegenseite nicht ohne weiteres in den Mund nehmen würden: So hält Wippermann die DDR für „sicherlich schlecht und böse“ (S. 9). Weiterhin behauptet er, dass der „Stasi-Staat […] tatsächlich alle Lebensbereiche der Bewohner der DDR total erfasst“ habe, so dass „man“ den Alltag „gleichfalls nicht verharmlosen und verherrlichen“ dürfe, „wie dies in einigen neueren wissenschaftlichen Arbeiten und publizistischen Berichten geschehen ist, die wiederum das […] törichte ‚Es war doch alles nicht so schlecht’-Gerede hervorriefen“ (S. 79).

Wippermann geht es also nicht um ein Schönreden der SED-Diktatur. Vielmehr befürchtet er ein Einebnen der Unterschiede beider deutscher Diktaturen, was eine Relativierung des NS-Regimes und seiner Menschheitsverbrechen auf der einen Seite und eine „Dämonisierung“ der DDR auf der anderen Seite befördern würde. Schon in der Einleitung kommt er zu dem Schluss, dass sich „zumindest in der Öffentlichkeit“ eine „Nivellierung bereits weitgehend durchgesetzt“ habe – werde doch „landauf, landab ständig von der ‚zweiten deutschen Diktatur’ gesprochen, wenn die DDR gemeint“ sei. Die DDR, so Wippermann, „soll genauso totalitär wie der NS-Staat, Honecker wie Hitler, die Stasi wie die Gestapo, das berüchtigte DDR-Gefängnis Bautzen wie Auschwitz gewesen sein“ (S. 8). Doch wer behauptet eigentlich solches? Wer von den ernstzunehmenden Historikern, aber auch von seriösen Journalisten ist je auf den absurden Gedanken gekommen, Hitler mit Honecker oder Bautzen mit Auschwitz gleichzusetzen? Will Wippermann mit solch bizarren Gegenüberstellungen dem Diktaturenvergleich per se einen Riegel vorschieben?

Die wissenschaftlichen Haupteinwände, die er vorträgt, heißen Vernichtungskrieg und Holocaust, von denen nicht einfach abstrahiert werden könne, wenn man DDR und „Drittes Reich“ vergleiche. Nun ist Wippermann bei diesem Einwurf unbedingt zuzustimmen, allerdings nicht im Sinn einer unüberwindlichen Barriere, die sämtliche Vergleichsmöglichkeiten von vornherein ausschließt, sondern als zu benennende deutliche Grenzen eines Diktaturenvergleichs, die beachten muss, wer hierüber schreibt. Zu Recht weist der Autor auch auf die Wesensunterschiede beider deutscher Diktaturen hin – die singuläre deutsche NS-Diktatur einerseits, die „kleine und noch dazu weitgehend von der Sowjetunion abhängige DDR“ andererseits (S. 8).

Problematisch wird es freilich dann, wenn Wippermann bereits eingangs die Vermutung als Tatsache ausgibt, dass es in der „DDR-Dritte-Reich-Debatte“ noch nicht einmal „vornehmlich“ um wissenschaftliche Fragen gehe, sondern um „Ideologien“. Seine Aufgabe sieht der Berliner Historiker deshalb darin, mit einer „ideologiekritischen Vorgehensweise“ (S. 9) den vorgeblichen Tatbestand zu dekuvrieren. Dieses Ziel verfolgt er in drei größeren Schritten: In einem ersten Großkapitel behandelt er „Theorien und Begriffe“ (so zum Beispiel Totalitarismustheorien und Extremismuskonzepte), in einem zweiten „Diskurse und Kontroversen“ (etwa die Problematik der sowjetischen Lager in der SBZ) sowie in einem dritten die „Institutionen und Personen“ (zum Beispiel Joachim Gauck und Hubertus Knabe). Eine zentrale Bedeutung misst er – nicht überraschend – den Totalitarismustheorien bei, die – folgt man Wippermann – nach 1989 eine unverdiente Renaissance erlebten und die ideologische Basis der „DDR-Dritte-Reich-Debatte“ bildeten. Rigoros subsumiert er sie von Anfang an unter dem Begriff der „Totalitarismusdoktrin“, wobei er in der begrifflichen Zuordnung merkwürdig unsicher bleibt. So figuriert für denselben Gegenstand auf nur einer Seite die „Totalitarismustheorie“, die „Totalitarismusdoktrin“ wie letztlich auch der „Totalitarismus“ selbst (S. 10).

Für Wippermann ist der Begriff „Totalitarismus“ schlicht das Kernstück der bundesrepublikanisch-antikommunistischen „Staatsideologie“ (ebd.) und könne selbstverständlich keinerlei wissenschaftlichen Aufschluss über den Forschungsgegenstand bieten. So konstatiert er – durchaus zutreffend – eine Reihe Unzulänglichkeiten und Schwächen in der Theorie Hannah Arendts und in dem allzu statischen wie idealtypisch konstruierten Sechs-Punkte-Katalog von Carl J. Friedrich und Zbigniew Brzezinski, wo die innere Dynamik und Wandlungsfähigkeit der Systeme keine Berücksichtigung finden. Doch nennt er Konzepte und Theorien, die genau jene innere Dynamik zum Dreh- und Angelpunkt haben, ausdrücklich nicht (S. 24f.). Heftig wird Wippermanns Polemik immer dann, wenn nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem konservativen Spektrum sich der angeblichen Gleichsetzungsideologie befleißigen, sondern „Exlinke“ (S. 49) wie Imanuel Geiss, Wolfgang Kraushaar, Daniel Cohn-Bendit oder gar der DDR-Philosoph Gerhard Lozek, aus dessen DDR-Werk sich Wippermann anscheinend die Formel von der „Totalitarismusdoktrin“ geborgt hat.

In seinem 1997 veröffentlichten Band „Totalitarismustheorien“ klang noch manches anders und auch weniger schrill. In der instruktiven Überblicksstudie plädierte Wippermann für einen differenzierten Umgang mit dem Thema. Von einer „Totalitarismusdoktrin“ war keine Rede, wohl aber erhob er in seinem Fazit die Forderung nach einer „neuen Totalitarismustheorie“ (!), die die „unterschiedlichen Voraussetzungen und konträren ideologischen Zielsetzungen der einzelnen ‚totalitären’ Regime“ ebenso zu berücksichtigen habe wie eine Vermeidung von „aufrechnenden Vergleichen zwischen den Verbrechen der jeweiligen Totalitarismen“.1

Insofern verwundert es schon, wenn Wippermann nun den unbestreitbaren Anteil von KPD und Komintern an der Unterminierung der Weimarer Republik in Frage stellt (S. 30, S. 34) und selbst gegen „sektorale Mikrovergleiche“ heftig zu Felde zieht (S. 57). Warum nur kritisiert der Autor bestimmte Nivellierungstendenzen mit Blick auf die sowjetischen Speziallager auf deutschem Boden, ohne zu erwähnen, dass es andererseits auch äußerst differenzierende vergleichende Studien gibt, die zudem noch von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurden und dadurch eine größere Öffentlichkeit erreichten? Passt zum Beispiel Annette Leos vorzügliche Studie über die beiden Lager in Sachsenhausen2 nicht in sein gegenwärtiges geschichtspolitisches Verständnis?

Überhaupt hat man den Eindruck, dass sich Wippermann zu sehr auf „seinen“ Berliner Kosmos kapriziert und dadurch etwa die vielfältigen Leipziger Aktivitäten auf dem Feld der „sektoralen Mikrovergleiche“ weitgehend unberücksichtigt lässt. Seine Streitlust gilt in erster Linie bestimmten Berliner Akteuren, die er in Gestalt der BStU und der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen auch kräftig attackiert, obwohl sich jene Einrichtungen und Forscher mit vergleichenden Untersuchungen kaum beschäftigen. Doch in Joachim Gauck und Hubertus Knabe, den entschiedenen Fürsprechern einer memorialen Erhöhung der „zweiten deutschen Diktatur“, scheint Wippermann die idealen Protagonisten seiner Dämonisierungsthese gefunden zu haben. Ihnen widmet er sogar biographische Studien mit viel Freude am Detail. Und wenn er dann noch Knabe als „Großinquisitor […] mit aufrichtig fanatischem Eifer“, als „Verschwörungsideologe[n] mit gewissen neurotischen Zügen“ und als Mann mit „fanatischer Pose“ beschreibt (S. 105ff.), ahnt man, was Wippermann wirklich antreibt.

Für einen vermeintlich neuen „Historikerstreit“ reicht dies alles jedenfalls nicht. Der von Wippermann in der Einleitung erwähnte Beschluss des Bundeskabinetts, zwei Drittel der künftigen finanziellen Mittel für NS-Gedenkstätten auszugeben und ein Drittel für diejenigen der SBZ/DDR, markiert nur den geschichtspolitischen Konsens. Eine Gleichsetzung beider Diktaturen ist also nicht in Sicht; sie wäre – schon wegen ihrer Bedeutungsunterschiede – kaum vertretbar. Wippermann selbst wäre eine Aktualisierung seiner „Totalitarismustheorien“ zu wünschen, jedoch nicht als „Streitschrift“, sondern – wie 1997 – in bewährter differenzierter Form.

Anmerkungen:
1 Wolfgang Wippermann, Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997, S. 117.
2 Annette Leo, Konzentrationslager Sachsenhausen und Speziallager Nr. 7, in: Günther Heydemann / Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte. Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 249-282.

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