I. Podbrecky u.a. (Hrsg.): Leben mit Loos

Cover
Titel
Leben mit Loos.


Autor(en)
Podbrecky, Inge; Franz, Rainald
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antje Senarclens de Grancy, Graz

Gemeinsames Merkmal vieler Publikationen der letzten Jahre über Adolf Loos ist, dass sich dessen Image als radikaler Wegbereiter der modernen Architekturbewegung, Referenzfigur für Tabula rasa-Theorien und Autor von – oft allzu wörtlich genommenen – Streitschriften hin zu einem wesentlich facettenreicheren, vielfältigeren Bild verschoben hat. Loos ist auch längst nicht mehr nur Studienobjekt für Kunst- und Architekturhistoriker/innen mit traditionellen Zugangsweisen, sondern interessiert zunehmend auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Dabei lassen sich zwei Achsen feststellen: Zum einen bieten die vielfältigen Interessensfelder Loos' (neben Handwerk und Design auch Kleidung und Stil, angelsächsische Lebenskultur, Küche und Esskultur etc.), die er in meist kurzen kulturkritischen Texten darlegt, Stoff für eine multidisziplinäre Auseinandersetzung. Zum anderen rückt aber auch die Vieldeutigkeit, ja Widersprüchlichkeit der Loos'schen Architekturentwürfe ins Zentrum und wird mit unterschiedlichen, interdisziplinäreren Blickweisen in die verschiedenen gesellschaftlichen Felder eingebettet. Diese neuen Zugänge vertritt beispielsweise der 2008 von Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi herausgegebene Sammelband „Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur“ 1, der die Loos'sche Architektur nach Kategorien wie Raum, Geschlecht, Öffentlichkeit/Privatheit untersucht und auf die Sprach- und Kulturkritik des Autors fokussiert.

Ähnlich breit gefächert ist der fast gleichzeitig erschienene, von Inge Podbrecky und Rainald Franz herausgegebene Sammelband „Leben mit Loos“, bei dem das Loos'sche Textwerk jedoch ausdrücklich im Vordergrund steht. Er ist das Ergebnis eines vom Verband österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker veranstalteten interdisziplinären Symposiums, das 2006 in Wien stattgefunden hat.

Die Herausgeber/innen betonen die Notwendigkeit, Loos' Texte in einem interdisziplinären Rahmen zu kommentieren und in ihrem zeitgenössischen Kontext zu untersuchen und verweisen dabei mehrmals auf die mit der Wiener Moderne bestens vertraute Germanistin Janet Stewart, welche die bislang grundlegendste Arbeit zur Loos'schen Kulturkritik publiziert hat. 2 Zumal Loos seine Texte ja nicht als Nebenprodukt seiner Arbeit als Architekt verstand, sondern immer vehement Position bezog oder sich sogar, wie etwa als Herausgeber und Alleinautor der Zeitschrift „Das Andere – ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“, auch selbst zum Propheten und Reformator stilisierte.

Podbrecky und Franz heben hervor, dass für eine konsequente textkritische Loos-Forschung die Tatsache erschwerend ist, dass trotz der schon zu Loos' Lebzeiten begonnenen Herausgabe von Aufsatzsammlungen noch keine vollständige Textedition vorliegt – vor allem im Hinblick auf die Vielzahl von kurzen Aufsätzen, die in verschiedenen Tageszeitungen und Periodika veröffentlicht wurden, und die Manuskripte und sonstigen Bestände des Loos-Nachlasses, die auf mehrere Archive aufgeteilt sind. Darüber hinaus ist das generell Fragmentarische und immer wieder Überraschende des Textwerks von Adolf Loos, der selbst keine geschlossene Theorie erarbeitet, sondern seine eigenen Theoreme in einem dynamischen Prozess immer wieder revidiert und überarbeitet hat, eine besondere Herausforderung. Diese transformierende Vorgangsweise setzen die HerausgeberInnen in Analogie zur Architektur: „Der Weg durch das Loos'sche Gedankengebäude ähnelt dem Weg durch ein Loos-Haus: hinein über einen Mittelgang, um die Ecke auf ein Podest, durch einen niedrigen Korridor, um von der Pracht und Weite des Salons überrascht zu werden. Mit dem vorliegenden Band hoffen wir, einen möglichen Raumplan aufzeigen zu können.“ (S. 15)

Nicht alle Beiträge des Bandes basieren auf Textkritik im eigentlichen Sinn. Einige der Autor/innen untersuchen Loos' Persönlichkeit und Lebensumstände, sein Essverhalten, die Beziehung zu Frauen, zu seinen Schülern etc., wobei der Buchtitel „Leben mit Loos“ diese Gegenstandsbereiche als gemeinsame Klammer zutreffender umschließt. Was sich hinter den Beiträgen in jedem Fall abzeichnet, sind die Widersprüche, Ungereimtheiten, ja mitunter Skurrilitäten von Loos' Texten und Anschauungen und die Tatsache, dass sich dieser als Autor und Polemiker nur schwer festlegen lässt.

Den Anfang macht ein aktualisierter älterer Beitrag von Hermann Czech zum Gegenwartsbezug von Adolf Loos, in dem vor einer allzu simplen Sicht auf Loos gewarnt und auf dessen Werk als „offenes System“ hingewiesen wird. Loos' Entwurfsethos wurzle nicht in konstruktiven oder funktionellen Vorstellungen, sondern vielmehr in kulturellen, gedanklich-ideellen Konzeptionen. Czech hat als Autor für die Loos-Forschung insofern eine besondere Bedeutung, als er 1976 mit seiner Studie zum Haus am Michaelerplatz gemeinsam mit Wolfgang Mistelbauer einen Meilenstein in der differenzierteren, diskursorientierten Loos-Rezeption gesetzt hat.3

Die Diskussion des Kultur- und Modernitätsbegriffs greifen auch einige der folgenden Beiträge auf. Manfred Russo etwa stellt in seinem Beitrag mit dem Titel „Hätte Loos adidas getragen?“ die Frage, ob Loos' Empfehlungen zur Kleidung angesichts des gegenwärtigen Massenkonsums für Künstler heute immer noch Geltung hätten. Er setzt das Loos'sche Textwerk in den Kontext der kunsttheoretischen Positionen des 19. Jahrhunderts, die von der Frage nach dem Formprinzip als der hinter der Materie stehenden Idee geprägt waren. Elana Shapira, die sich mit der Wiener modernen Architektur in Bezug auf die jüdische Assimilation beschäftigt, interpretiert die Befürwortung des englischen Kleidungsstiles als kulturelle Strategie Loos', um seinen Auftraggebern Michael und Leopold Goldmann zu ermöglichen, ihr „Anderssein“ zu leben.

Rainald Franz geht der sukzessiven Entwicklung des Loos'schen Kulturbegriffs nach, bei dem das mit Absolutheitsanspruch postulierte Primat der angelsächsischen Kultur und deren Streben nach Vervollkommnung – als modernes Äquivalent zur klassischen Antike – ein Schlüsselmotiv bildet. Franz hebt die Rolle des plumbers, des „Mannes im Overall“ als Vorkämpfer der modernen Kultur besonders hervor, ebenso wie Inge Podbrecky. Diese geht in ihrem Text davon aus, dass Loos erst durch sein Engagement für die Siedlerbewegung eine Möglichkeit gesehen habe, sein Verständnis von moderner Kultur und die Vereinheitlichung des Lebensstiles auf breiter Basis um- und durchzusetzen. Mit Anders V. Munch, der sich aus kunstphilosophischer Perspektive mit dem durchaus ambivalenten Loos'schen Stilbegriff als Schlüssel zu dessen Kulturkritik beschäftigt, ist der Autor eines der wichtigsten Loos-Bücher der letzten Jahre 4 im Band vertreten.

Wie fruchtbar das in sich widersprüchliche Werk Adolf Loos' immer wieder für den Bereich der Gender-Forschung sein kann, zeigt der Text von Anne-Katrin Rossberg. Diese verfolgt die Frage nach dem Frauenbild von Adolf Loos am Beispiel der von diesem für Frauen gestalteten Architektur im Vergleich zu jener für Männer – anhand der gegensätzlichen Frauentypen der Jahrhundertwende Kindweib (Lina Loos) und Femme fatale (Josephine Baker).

Die wichtige Rolle der Literaturwissenschaft bei einer exakten Relektüre der Loos'schen Texte lässt sich anhand des Beitrags des Germanisten Sigurd Paul Scheichl nachvollziehen. Dieser untersucht die Verfahrensweisen der Loos'schen Selbststilisierung als Reformator und Einzelkämpfer gegen das niedrige Kulturniveau seiner Umgebung. Als hierzu eingesetzte „mediale Gesten“ führt er die Zeitschrift als „Sprachrohr des Propheten“, den Vortrag als „säkularisierte Predigten“ und die Typografie als Mittel der Hervorhebung der eigenen Modernität an. Quasi als Pendant zur Untersuchung der Selbststilisierung lässt sich die Fremdstilisierung Loos' als „gütiges Genie“ durch seine Schüler, Mitarbeiter und Anhänger verfolgen. Iris Meder arbeitet das Lehrer-Schüler-Verhältnis im Vergleich mit jenem bei Oskar Strnad, Josef Frank und Josef Hoffmann heraus und beschreibt die geradezu „messianische“ Faszination, die der charismatische Lehrer ausübte.

Die Musikwissenschaftlerin Susanna Zapke rekonstruiert in ihrem Beitrag die geistige Verwandtschaft und Interaktion zwischen Loos und Schönberg anhand des Briefwechsels, der Texte aus den beiden Nachlässen (die dafür am ergiebigsten sind) und der Entwürfe und Bricolagen Schönbergs. Das zwiespältige Verhältnis Adolf Loos' zur Wiener Küche zeigt Markus Kristan auf. Hier wäre interessant, etwa die von Kristan angesprochene Beziehung von Einbrenn und Roastbeef zur Loos‘schen Architekturauffassung und dem Postulat der Ornamentlosigkeit noch zu vertiefen. Bei zwei Beiträgen, über einen Sittlichkeitsprozess und einen weiteren über Loos und die Wiener Küche, überwiegt hingegen in der chronikartigen Beschreibung des Verhaltens des Architekten das Anekdotische gegenüber der methodischen Interpretation.

Das Verdienst von Inge Podbrecky und Rainald Franz als Initiator/innen von Symposium und Buch ist es, vielfältigen neuen Aspekten der textorientierten Loos-Forschung eine Plattform geboten und Beiträge, die zur Klärung von Loos'schen Schlüsselbegriffen wie Kultur und Modernität beitragen, zusammengefasst zu haben.

Anmerkungen:
1 Ákos Moravánszky / Bernhard Langer / Elli Mosayebi (Hrsg.), Adolf. Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008.
2 Janet Stewart, Fashioning Vienna. Adolf Loos's Cultural Criticism, London 2000.
3 Hermann Czech / Wolfgang Mistelbauer, Das Looshaus, Wien 1976.
4 Anders V. Munch, Der stillose Stil. Adolf Loos, München 2005.

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