F. Brendle u.a. (Hrsg.): Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa

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Titel
Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Begriff, Wahrnehmung, Wirkmächtigkeit


Herausgeber
Brendle, Franz; Schindling, Anton
Erschienen
Münster 2006: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
566 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Denzler, Katholische Universität Eichstätt

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis einer interdisziplinären und internationalen Tagung, die 2004 im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereiches 437 "Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" stattfand. 26 Historiker, Germanisten und Theologen unternehmen den von den Herausgebern vorgegebenen Versuch, „zu einer Phänomenologie und Typologie der Beziehungen von Konfession und Krieg zu gelangen“ (S. 15). Um das Ursachen-, Wahrnehmungs- und Deutungsbündel eines Krieges zu entwirren, muss nach Franz Brendle und Anton Schindling zwischen den politischen und militärischen Entscheidungsträgern, den aktiv und passiv Betroffenen der Kriegsgeschehnisse, den Autoren und Adressaten der Propaganda sowie den Trägern der Kriegsmemoria unterschieden werden. Auf all diesen Ebenen kann sich Religion bzw. Konfession mehr oder weniger unheilvoll mit dem Phänomen Krieg verbinden. Religiöse Glaubensvorstellungen können Kriege nämlich nicht nur legitimieren und ihr Konfliktpotential potenzieren; sie können auch – wie im einführenden Beitrag angedeutet wird – kriegerische Handlungen und Erfahrungen regulieren, indem sie beispielsweise in Momenten des Sieges Milde walten lassen oder in Momenten des Leides Trost spenden.

Der zuletzt genannte Punkt, die emotionale Aufarbeitung der Kriegserlebnisse, wird eingehender im letzten der insgesamt vier Abschnitte behandelt. Wie Gerrit Walther kommentierend festhält, geht es hier um die Frage „nach der Wahrnehmung und der mentalen Bewältigung europäischer Religionskriege durch zeitgenössische, in das Geschehen involvierte Beobachter“ (S. 529). Neben der Schlacht am Weißen Berg (Olivier Chaline), der dänischen Kriegsepisode von 1625 bis 1629 (Gunner Lind) und der Khmelnytsky-Verfolgung in Polen-Litauen von 1648/49 (Frauke von Rohden) – ihr fielen einschließlich der Folgekriege mehr als zwanzigtausend Juden zum Opfer – werden die von den königlich-bayerischen Soldaten im Umfeld des napoleonischen Russlandfeldzuges abgefassten Kriegstagebücher und Briefe thematisiert (Julia Murken). Diese zeit- und raumübergreifende Themenvielfalt ist die programmatische Stärke des gesamten Tagungsbandes, auch wenn es nicht allen Autorinnen und Autoren gleichermaßen gut gelingt, ein argumentativ stets überzeugendes und dem Gesamtthema entsprechendes Niveau zu wahren. Substantielles in gebotener Kürze trägt Matthias Asche bei, der unter Betonung der gesamteuropäischen Dimension aller Religionskriege die religiös bzw. konfessionell bedingte Migration im frühneuzeitlichen Europa behandelt. Solche übergreifenden strukturanalytischen Beobachtungen, die das 16. wie auch das 18. Jahrhundert, den Balkan wie auch England in den Blick nehmen, bleiben jedoch die Ausnahme.

In den ersten drei, chronologisch angeordneten Teilen des Sammelbandes finden sich ausschließlich Einzelstudien, die zeitlich von den Hussitenkriegen (Peter Hilsch) bis zu den napoleonischen Kriegen (Gregor Maier, Ute Planert) reichen. Der erste Teil behandelt das Leitthema „Reformationskrieg oder Landfriedensexekution?“. Nach der Verortung der Hussitenkriege in die Tradition der Ketzerkriege (Peter Hilsch) entwirft Franz Brendle anhand dreier Fallbeispiele (Württemberg 1534, Braunschweig-Wolfenbüttel 1542, Fürstenaufstand 1552) ein Kriterienbündel, mit dem sich Kriege der Reformationszeit als protestantische Reformationskriege begreifen lassen. Hierbei gilt es die Dissimulation, also die Verschleierung der eigentlichen Kriegsursachen, angemessen zu berücksichtigen. Dieses bekannte, aber noch keineswegs hinlänglich erforschte Argumentationsmuster führte konfessionsübergreifend dazu, dass auf den Kriegsfahnen allzu gerne die legitimatorische Formel „Wahrung des Landfriedens“ stand. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass aus solchen vorgeschobenen Kriegsgründen eine wirkmächtige Kriegsrealität entstehen konnte. Gabriele Haug-Moritz verdeutlicht dies, indem sie das Legitimationsmuster „Wahrung des Landfriedens“ in dem publizistisch-propagandistischen Schriftgut nachweist, das im Umfeld des Schmalkaldischen Krieges entstand. Auch Rainer Babel, dessen Beitrag sich dem französischen „Zeitalter der Religionskriege“ widmet, weist auf die Wirkmächtigkeit der Dissimulation hin – interessanterweise jedoch unter umgekehrten Vorzeichen. Jenseits der zeitgenössischen Deutung der Kriege als katholischer Kreuzzug bzw. protestantisches Martyrium war es nämlich das religiös begründete Bündnis der Spanier mit der katholischen Liga, das im Zeichen der proto-nationalen Bewusstseinsbildung „als ganz und gar von weltlichen und machtpolitischen Gesichtspunkten bestimmt denunziert [wurde]“ (S. 116). Nicht Ver-, sondern Entschleierung lautete also in Frankreich die publizistisch gepflegte Devise, die – so die These von Babel – dafür verantwortlich war, dass das spaltende Potential der „bürgerkriegsartige[n] Konfrontationen“ (S. 107) überwunden wurde. Weiterführende Überlegungen zu diesen und anderen Aspekten bietet Manfred Rudersdorf, der den ersten Abschnitt mit einem Kommentar schließt.

Der zweite Teil („Glaubenskrieg oder Ständekampf?“), der allen voran den Dreißigjährigen Krieg fokussiert, bleibt hingegen kommentarlos. Neben Wilhelm Kühlmanns germanistischer Würdigung des Epochenromans Simplicissimus unternimmt Frank Kleinehagenbrock den Versuch, die Grafschaft Hohenlohe als einen „durch historische Herrschaftsverhältnisse und frühneuzeitliche Administration vorgegebenen Erfahrungsraum“ (S. 179) zu begreifen. Axel Gotthard zeigt, dass der Prager Fenstersturz und das böhmisch-pfälzische Königsprojekt einem innerprotestantischen Deutungskampf unterlagen, der um die Frage „Religionskrieg oder Rebellion?“ kreiste. Wie wandelbar solche Deutungsangebote sein konnten, zeigt Andreas Holzem, der die so genannte „Rottweiler Augenwende“ von 1643, ein 100 Jahre später von den Jesuiten umgedeutetes Marienwunder, als einen „Prozess des Erfahrungswandels und der Erfahrungshomogenisierung“ (S. 212) beschreibt. Umfassend aus den Quellen schöpft Julian Kümmerle, der Gottfried Arnolds „Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie“ (1699/1700) behandelt. Dieses radikal-pietistische Deutungsangebot der vor- und nachreformatorischen Kriege erweitert István György Tóth um die Kriegserfahrung der in Ungarn tätigen katholischen Missionare und Robert Bartczak um die adelige bzw. bürgerlich-akademische Kriegsmemoria in Polen-Litauen.

Der ebenfalls kommentarlose dritte Teil („Mächtekrieg oder Glaubenskampf?“) beschließt die chronologische Ordnung, die Wolfgang Mährle mit seinem Beitrag über den Stellenwert von Krieg und Religion in den Schriften Machiavellis nur bedingt durchbricht. Religionskriege in der Ära nach dem Westfälischen Friedensschluss aufzuspüren, ist zunächst kein leichtes Unterfangen. Einer einschlägigen und im Sammelband mehrfach angeführten Definition folgend ratifizierte die Aufklärung die Überwindung der Religionskriege, welche bereits 1648 mit der politisch-rechtlichen Bändigung der dogmatischen Intoleranz einsetzte.1 Die zumindest im „europäischen Binnenraum“ (S. 48) wirksame Ächtung der waffenklirrenden Suche nach religiöser Wahrheit oder konfessioneller Identität im Zeichen der Staatswerdung bedeutete aber natürlich nicht, dass Kriege nicht mehr religiös wahrgenommen oder gedeutet wurden. Dies zeigt nicht nur die (teils redundante) Untersuchung von Antje Fuchs, die den Siebenjährigen Krieg als einen publizistisch geführten „virtuellen“ Religionskrieg beschreibt, sondern belegen auch die Studien über die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons (Claude Muller, Gregor Maier, Ute Planert). Auch Eric Godel unterstreicht am Beispiel der katholischen Zentralschweiz während der Helvetik (1798-1803) die Relevanz von religiösen Erklärungsmustern. Dass hier von einem „eidgenössisch-national überhöhten örtlichen und kantonalen Patriotismus gesprochen werden [kann], der in starkem Maße religiös oder konfessionell geprägt war“ (S. 376), verweist zugleich darauf, wie sich – um mit den Herausgebern zu sprechen – „seit der Französischen Revolution und der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Europa die Nation als ein quasi religiöser `Letztwert´ für die Legitimierung von Kriegen im Bewusstsein der Menschen durch[setzte]“ (S. 51).

Der Leitartikel von Franz Brendle und Anton Schindling erweist sich damit als unverzichtbare Klammer für die Vielzahl von Aufsätzen, deren methodische und thematische Vielfalt Garant dafür ist, das Phänomen „Religionskrieg“ präziser zu bestimmen. Auch wenn nicht jede Lektüre gleichermaßen weiterführende Erkenntnisse bringt und die von Fabian Fechner kommentierte Allegorie der Schlacht von Lepanto die größtenteils unerfüllte Erwartung weckt, auch über die Religionskriege gegen Nichtchristen Näheres zu erfahren, so bietet der Sammelband doch einen mit Orts- und Personenregister außerordentlich gut ausgerüsteten Fundus für Fragen nach kriegerischen Konflikten zwischen den Anhängern unterschiedlicher christlicher Bekenntnisse. Die wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtliche Unterscheidung zwischen Entscheidungsträgern, Betroffenen, Kriegspropaganda und Memoria erweist sich als fruchtbar, nicht zuletzt, weil es hierdurch möglich ist, auch den entwicklungsgeschichtlichen Kontext kriegerischer Konflikte genauer zu analysieren. Ein durchgängiger Rückbezug auf längerfristige Prozesse, wie den der Konfessions- oder Staatsbildung, hätte den Wert dieser Publikation sicherlich zusätzlich unterstrichen.

Anmerkung:
1 Johannes Burkhardt, Artikel "Religionskrieg", in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 28, Berlin 1997, S. 681-687, hier S. 686.

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