E. Horodowich: Language and Statecraft in Early Modern Venice

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Titel
Language and Statecraft in Early Modern Venice.


Autor(en)
Horodowich, Elizabeth
Erschienen
Anzahl Seiten
245 S.
Preis
£ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Landwehr, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Der Zusammenhang von Sprache und Geschichte wurde in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert, wenn auch nicht selten auf einer eher theoretischen Ebene. Man konnte zuweilen den Eindruck gewinnen, dass gegenüber dieser abstrakten Thematisierung von Sprache in der (und für die) Geschichte das historisch-empirische Problem in den Hintergrund gerückt ist. Ein solcher Eindruck trügt jedoch, da er nur den Bereich der Diskussion zur Kenntnis nimmt, der auf breitere Aufmerksamkeit stieß und unter Stichworten wie „Geschichte und Postmoderne“ beziehungsweise „linguistic turn“ verhandelt wurde. Daneben ist aber das empirische Problemfeld von Sprache und Geschichte keineswegs unberücksichtigt geblieben, im Gegenteil ist hierzu in der jüngeren Vergangenheit viel geforscht und gearbeitet worden. Mit der Studie von Elizabeth Horodowich liegt nun eine weitere Untersuchung zu diesem Komplex vor, die mit dem frühneuzeitlichen Venedig nicht nur einen hierfür lohnenswerten Raum in den Blick nimmt, sondern auch einer interessanten These folgt.

Venedig ist nicht nur aufgrund seiner touristischen Qualitäten ein lohnenswertes Objekt historischer Fragestellungen, sondern auch wegen der etwas eigenwilligen Entwicklung seiner Verwaltungsstrukturen. Immer peinlich darauf bedacht, nicht zuviel Macht dauerhaft in der Hand weniger Personen oder Institutionen zu bündeln, wurden innerhalb der frühneuzeitlichen Zentralverwaltung Venedigs ständig neue Ämter für neu auftauchende Probleme geschaffen, so dass selbst Kenner der venezianischen Verwaltungsgeschichte kaum zu sagen vermögen, mit wie viel Einrichtungen man es eigentlich zu tun hat.

Diesem Umstand hat Venedig auch die „Esecutori contro la bestemmia“ zu verdanken, eine Institution, die vornehmlich Gotteslästerungen und andere verbale Entgleisungen zu ahnden hatte. Darf man Horodowich glauben, so war diese Einrichtung in ihrer Art in Europa einmalig (S. 2). Selbstredend hat es in der europäischen Frühneuzeit flächendeckend Maßnahmen gegen Blasphemie gegeben, aber eine gesonderte Institution hierfür scheint nur in Venedig eingerichtet worden zu sein. Nun beschäftigt sich Horodowich in ihrem Buch nicht nur mit den „Esecutori contro la bestemmia“, aber diese Einrichtung war wohl wichtiger Anlass für die Beschäftigung mit der Frage, auf welche Weise Sprache zur frühneuzeitlichen Staatsbildung beigetragen hat.

Eben dies ist die Zielrichtung der Argumentation: Aufgrund der Tatsache, dass die „Esecutori contro la bestemmia“ 1537 als eigenes Amt eingerichtet wurden und dass im Italien des 16. Jahrhunderts eine breit geführte Debatte – die „questione della lingua“ – über die Art und Weise der zu verwendenden Sprache geführt wurde, leitet die Autorin die These ab, dass in diesem Zeitraum Sprache bei weitem nicht nur als ein intellektuelles, sondern vielmehr als ein allgemein soziales Phänomen begriffen und problematisiert wurde. Vor diesem Hintergrund geht es ihr insbesondere um den im Buchtitel bereits deutlich hervorgehobenen Zusammenhang von Sprache und Staatsbildung. Sie versucht sich in gewisser Weise von etablierten Erzählungen und Fragestellungen zur frühneuzeitlichen Staatsbildung abzusetzen, indem sie nicht nach Erfolg oder Misserfolg dieses Staatsbildungsprojekts im venezianischen Fall fragt, sondern zu verdeutlichen versucht, „that the construction of a normative language was a tool of statecraft […] that enabled the Venetian state to directly affect the behavior of its citizens.“ (S. 10)

In fünf Kapiteln, die sich jeweils unterschiedlichen Objekten widmen und durchaus auch getrennt voneinander als Einzelstudien gelesen werden können, unternimmt es Horodowich, diese These zu belegen. Ein erster Abschnitt widmet sich Manieren-, Anstands- und Konversationsbüchern. Anhand der Untersuchung von Baldassare Castiglione, Giovanni Della Casa und Stefano Guazzo geht sie der Überzeugung dieser Autoren nach, dass und wie eine Gemeinschaft durch die Sprache geformt und zusammengehalten wird, und zwar gerade indem sie soziale Unterschiede deutlich macht. Die Aufrechterhaltung von Hierarchien war essentiell für das Selbstverständnis frühneuzeitlicher Ständegesellschaften, und nach Ansicht der Autoren des 16. Jahrhunderts musste sich dies auch in sprachlicher Hinsicht manifestieren. Das zweite Kapitel widmet sich dann den „Esecutori contro la bestemmia“ und ihren Maßnahmen gegen die Blasphemie, während sich das dritte Kapitel auf Verbalinjurien und deren rechtliche Ahndung konzentriert. Auch in diesen Fällen ging es laut Horodowich darum, über die Verfolgung sprachlichen Fehlverhaltens für die Stabilität des Gemeinwesens, die Aufrechterhaltung der sozialen Hierarchie und die Herausbildung übergreifender Identitätsformen zu sorgen, die schließlich der Staatsbildung zugute kamen. Ein viertes Kapitel stellt die Bedeutung von Gerüchten für frühneuzeitliche Gesellschaften in den Vordergrund und macht vor allem auf die Formen der Justiznutzung aufmerksam, also auf das Phänomen des gezielten Streuens von Gerüchten (mit juristischen Folgen) über eine Person, der man schaden wollte – häufig aus gänzlich anderen Gründen, zum Beispiel wegen nachbarschaftlicher Streitigkeiten. Ein letztes Kapitel ist den venezianischen Kurtisanen und ihren rhetorischen Fähigkeiten gewidmet. Gerade in diesem letzten Kapitel gerät jedoch die übergreifende These etwas aus dem Blick, denn der Zusammenhang zwischen Sprache und Staatsbildung wird hier nur noch andeutungsweise herausgearbeitet.

Überhaupt muss man feststellen, dass sich ein gewisses Unbehagen am Ende des Buchs nicht verhehlen lässt. Die Autorin versäumt es nicht, zu erwähnen, wie viel Jahre Forschungsarbeit sie für dieses Buch investiert hat, wie viel Zeit ihres bisherigen Lebens sie die Ergebnisse dieses Buchs gekostet haben und wie zahlreich ihre Aufenthalte in Venedig waren (S. IX-XI). Angesichts dieses Zeitaufwands kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass die Ergebnisse der Untersuchung insgesamt eher wenig überraschend sind, sondern vielfach den bereits erreichten Forschungsstand rekapitulieren beziehungsweise bestätigen. Die Ergebnisse zu Castiglione und anderen Autoren, zur Blasphemie, zu Gerüchten und dem Phänomen der Justiznutzung oder zu den venezianischen Kurtisanen wiederholen vielfach bereits etablierte Standards. Befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang beispielsweise auch die unproblematisierte Rede vom Absolutismus als „the first international state system in the modern world“ (S. 8) – so als hätte es nicht eine intensive und international geführte Debatte gegeben, in deren Verlauf der Absolutismusbegriff mehr oder minder einhellig ad acta gelegt wurde. Es ist auch auffallend, dass zu den jeweiligen Einzelstudien das Archivmaterial nicht so intensiv zum Einsatz kommt, wie man sich das vorstellen würde. Die Autorin bestätigt selbst mehrmals, dass das venezianische Staatsarchiv zu den von ihr avisierten Themen nicht viel hergeben würde (S. 72, 98, 99).

Und eine weitere Irritation des Lesers kann nicht verschwiegen werden: Während der Buchtitel recht vollmundig einen chronologischen Zugriff auf „Early Modern Venice“ verspricht, beziehen sich die Ausführungen tatsächlich nur auf das 16. Jahrhundert. Ja, die Autorin entschuldigt sich an einer Stelle sogar, dass sie auch Beispielfälle aus dem frühen 17. Jahrhundert hinzuziehen muss (S. 99). Ob es sich hierbei um eine Marketingstrategie des Verlags oder eine Entscheidung der Autorin handelt (ich würde einmal von ersterem ausgehen) – in jedem Fall erfüllt dieser Buchtitel den Tatbestand der Irreführung des Käufers, was bei dem stolzen Preis für dieses nicht sehr umfangreiche Werk kein geringes Vergehen ist.

Auch wenn die Rückseite des Schutzumschlages mit den lobenden Stimmen eines „advanced praise“ geschmückt ist, zu denen unter anderem so herausragende Spezialisten für die Geschichte Venedigs in der Frühen Neuzeit gehören wie Edward Muir und Stanley Choinacki, so ist doch der Gesamteindruck keineswegs ein rundweg positiver. Es handelt sich um eine gute Synthese, die aber eher wenig innovative Ansätze oder Ergebnisse enthält. Was jedoch die zentrale These über den Zusammenhang von Sprache und Staatsbildung angeht, zu deren Untermauerung die Arbeit dann doch wieder wichtiges empirisches Material versammelt, so kann dieses Buch als eine wichtige Aufforderung zur Weiterarbeit angesehen werden.

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