Cover
Titel
The emotions of the ancient Greeks. Studies in Aristotle and classical literature


Autor(en)
Konstan, David
Erschienen
Anzahl Seiten
xiii, 422 S.
Preis
€ 61,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernadette Descharmes, DFG-Graduiertenkolleg "Freunde, Gönner, Getreue", Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„The premise of this book is that the emotions of the ancient Greeks were in some significant respects different from our own [...]“, beginnt David Konstan seine Einleitung (S. ix). Die historische Emotionenforschung hat in den letzten Jahren gezeigt, dass die Menschen der Vergangenheit anders über ihre Gefühle sprachen und sie anders konzipierten. Dass auch die Griechen über einen eigenen kulturspezifischen emotionalen Haushalt verfügten, mag deshalb nicht allzu sehr verwundern. Doch wie dieser im Einzelnen geprägt war, hat Konstan nun in einer umfassenden Analyse erarbeitet. Für die Altertumswissenschaft bildet seine Monographie eine wertvolle Bereicherung, denn bisher lagen entweder nur Untersuchungen vor, die sich den einzelnen Gefühlen wie beispielsweise Zorn und Neid widmeten, oder die sich auf einzelne Textgattungen konzentrierten.1

Konstan arbeitet, um im Rahmen der übergeordneten Fragestellung diese Andersartigkeit der griechischen Gefühlswelt aufzuzeigen, sukzessive das Spektrum der Emotionen ab: „Anger“, „Satisfaction“, „Shame“, „Envy and Indignation“, „Fear“, „Gratitude“, „Love“, „Hatred“, „Pity“, „Jealousy“ und „Grief“. Diese Kategorisierung der Gefühle, für die er zugleich jedoch stets die gegenwärtigen englischen Termini verwendet, entlehnt er (mit Ausnahme von „Jealousy“ und „Grief“) der „Rhetorik“ des Aristoteles. Das zweite Buch der „Rhetorik“ bildet immer wieder den Hauptbezugspunkt für seine Analyse. Für diese zieht er jedoch umfangreiches Quellenmaterial von Homer bis zu Texten des dritten Jahrhunderts v. Chr. heran.

Das erste Kapitel widmet Konstan einem Forschungsüberblick und der grundlegenden Frage: Was verstehen wir und was verstehen die Griechen unter Emotionen? Ausgehend hiervon erörtert Konstan mehrere philosophische und sozio-psychologische Modelle, umreißt aber schwerpunktmäßig vor allem die polaren Forschungsansätze des Neo-Darwinismus und Kognitivismus. Letzterer versteht eine Emotion als Ergebnis eines Urteils über eine Situation oder Erfahrung, beziehungsweise Absicht eines Akteurs. Dabei setzt der Kognitivismus das soziale Umfeld als prägend voraus und berücksichtigt dabei die kulturelle Variabilität der Emotionen. Wie Konstan nun bemerkt, finden sich hier Parallelen zu Aristoteles, der Emotionen in das soziale Leben des Polis Bürgers eingebettet sieht: als Bestandteil interpersonaler Kommunikation und Interaktion. Im Gegensatz zu unserem Gefühlskatalog, sind für Aristoteles jedoch nur die Emotionen relevant, die sich innerhalb der Interaktion von Menschen herausbilden. Gefühle, die unabhängig von der Wahrnehmung durch einen anderen Akteur erscheinen, wie Ekel oder Melancholie, haben in Aristoteles’ „Rhetorik“ keinen Platz.

In diesem Zusammenhang macht Konstan anhand der Semantik von „pathos“ darauf aufmerksam, dass die griechische Konzeption die Emotion nicht als innere Regung, sondern als Reaktion auf einen Auslöser fasst. Diese Auffassung reflektiert sich auch darin, dass Aristoteles die Emotionen nicht etwa in seinem Werk „Über die Seele“, sondern in der „Rhetorik“ behandelt, in der es darum geht, die Methoden der überzeugenden Rede zu vermitteln. „Let the emotions be all those things on account of which people change and differ in regard to their judgments, and upon which attend pain and pleasure“, zitiert Konstan wiederholt die Aristotelische Definition von „pathos“ (z.B.: S. 33). Eine Emotion kann sich demzufolge nicht nur verändern, sondern auch von der Reaktion eines anderen Akteurs grundlegend unterscheiden. Sie ist einzig der Bewertung durch den Akteur unterworfen, der über eine Situation, eine Handlung oder die Absicht eines anderen urteilt. Als Erklärung für eine solche Gefühlskonzeption führt Konstan an, dass der Bürger in einem kompetitiven und öffentlichen Umfeld einer ständigen Beurteilung durch andere Akteure ausgesetzt ist.

Den zentralen Unterschied zwischen moderner und antiker Konzeption liegt demnach darin, dass die Griechen eine Emotion nicht als innere Regung verstanden, sondern als Reaktion auf die Interpretation der Worte, Handlungen und Absichten anderer Akteure. Hiermit ist zugleich Konstans analytisches Raster umrissen, mit dem er die Komplexität antiker Gefühlsbeschreibungen aufschlüsselt. Mithilfe dessen ist er in der Lage beispielsweise die Besonderheit des Zorns im Vergleich zu Hass oder dem Gefühl der Feindschaft auszudifferenzieren, da die Verschiedenheit der Reaktionen auf unterschiedliche Auslöser zurückzuführen ist. So ist Zorn als eine Reaktion auf eine Beleidigung definiert, die eine Rache verlangt und eine soziale Gleichwertigkeit der Akteure voraussetzt. Unwahrscheinlich hingegen erscheint, dass Zorn gegenüber einem Status-Höherem entsteht. Im Zuge dieser Ausführungen überzeugt nun beispielsweise Konstans Interpretation von Euripides’ Hekabe. Sie zeigt, wie Aristoteles’ Definition von „orge“ und Rache in den Handlungen der Protagonistin aufgeht. Ihre soziale Stellung gegenüber Feinden und der Charakter der Verletzung entscheiden letztlich darüber, ob sie Zorn empfindet und Rache übt. Weil sie von Polymestor, ihrem Gastfreund, beleidigt wird, entfalten sich gegen ihn auch ihr Zorn und ihre Rache. Die Beziehung zu den überlegenen Siegern des Krieges hingegen ist weder von einer Beleidigung, noch von Zorn oder einem Gedanken an Rache geprägt. Die Erörterung sozialer Aspekte erhellt nicht nur unseren Blick auf das Gefühl des Zorns an sich, sondern auch auf das Wertedenken und Statusbewusstsein der Zeit.

Besonders anregend sind auch Konstans zugleich begriffsbezogene und gesellschaftshistorische Erörterungen zu den griechischen Konzeptionen von Scham, Schande und Schuld. Verwiesen sei auch auf seine Aufschlüsselung des andernorts oft unangemessen übertragenen Begriffs „charis“, den er im Kapitel zu „Gratitude“ erläutert. Auch in den übrigen Kapiteln kontrastiert Konstan stets den jeweiligen Gefühlsbegriff von Aristoteles mit vermeintlich ähnlichen Gefühlen oder deren Gegenteil. Dabei stellt er überzeitliche und gattungsübergreifende Vergleiche an, erörtert semantische und terminologische Deckungen, Wandlungen und Streuungen, und vereint dies mit einer sensiblen Lesart der Texte.

Konstan liefert im Ganzen detailreiche Untersuchungen zu den einzelnen Gefühlskategorien. Nur vereinzelt entfernt er sich von den griechischen Termini, so dass die Besonderheit dieser verloren geht, zum Beispiel wenn er bei der Analyse von „anger“ nicht näher auf die Charakteristika des griechischen Begriffs „menis“ eingeht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sein Hauptaugenmerk stets die systematische Untersuchung der einzelnen Emotionen bleibt, und weniger die Frage nach quellenspezifischen Besonderheiten im Vordergrund steht. Kritisch sei noch zu bemerken, dass seine Beschreibung eben jener sozialen Interaktion innerhalb der griechischen Polis, die für die Definition der Gefühle ausschlaggebend ist, an manchen Stellen etwas vage bleibt. Insgesamt jedoch verspricht diese gelungene Studie einen fundierten Einblick in die Gefühlskonzeptionen und die Andersartigkeit der griechischen Gefühlswelt. Sie vermag so den Blick auf unsere eigene Gefühlswelt zu schärfen.

Anmerkung:
1 Als Beispiele seien folgende Sammelbände genannt: David Konstan / N. Keith Rutter (Hrsg.), Envy, Spite and Jealousy. The Rivalrous Emotions in Ancient Greece, Edinburgh 2003; Susanna Braund / Glenn W. Most (Hrsg.), Ancient Anger. Perspectives from Homer to Galen (Yale Classical Studies 32), Cambridge 2004.

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