D. Gottwald: Fürstenrecht und Staatsrecht

Titel
Fürstenrecht und Staatsrecht im 19. Jahrhundert. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie


Autor(en)
Gottwald, Dorothee
Reihe
Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 241
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
X, 290 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Stockert, Stadtarchiv Mannheim, Institut für Stadtgeschichte

Wurde lange Zeit das geringe Interesse der Forschung an der Geschichte des Adels beklagt, so kann seit rund zwei Jahrzehnten von einer Hochkonjunktur dieser Thematik gesprochen werden. Dies gilt auch für die Zeiträume der Frühen Neuzeit sowie besonders des 19. Jahrhunderts. Neue Fragestellungen haben hier die lange vorherrschende Perspektive der Adels- als Verlustgeschichte überwunden. Gleich mehrere Arbeiten beleuchteten etwa die Geschichte der Standesherren. Sie waren Ende des 18. Jahrhunderts noch stolze Reichsstände gewesen, im Zuge der territorialen und rechtlichen Neuordnung Mitteleuropas jedoch auf die Stellung eines „Monstrums […] zwischen Landesherrn und Unterthan“ reduziert worden, wie es Fürst Karl von Leiningen 1847 ausdrückte. Zuletzt standen die rechtlichen Konsequenzen dieser Entwicklung im Fokus der Forschung.1

Dorothee Gottwald hat es in ihrer Frankfurter Dissertation unternommen, auf breiter Basis die staatsrechtlichen Grundlagen auszuleuchten, auf denen der neue Stand fußte. Diese waren alles andere als stabil und transparent – im Gegenteil: Die Wiener Bundesakte wie auch die vorherrschende Lehrmeinung der Staatsrechtler ließen hier große Interpretationsspielräume zu, so dass rege Diskussionen über die Einordnung dieser Gruppe in das Staatswesen über das ganze 19. Jahrhundert hinweg die Folge waren. Die Janusköpfigkeit der Stellung der Standesherren speiste sich zum einen aus der in der Bundesakte versicherten Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häusern, gleichzeitig wurden sie jedoch auf den Status von – wenn auch privilegierten – Untertanen reduziert. Dabei war die rechtliche Einordnung der regierenden Familien nicht geklärt, galt doch das Fürstenrecht im 18. Jahrhundert als eigenes, zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht stehendes Rechtsgebiet, das nun angesichts der erlangten Souveränität der deutschen Bundesstaaten neu verortet werden musste. Gottwald macht in diesem Zusammenhang insgesamt vier Entwicklungsphasen des Fürstenrechts im 19. Jahrhundert aus, die von verschiedenen Protagonisten wie auch Lehrmeinungen getragen wurden.

Noch ganz unter dem Eindruck der rasanten Entwicklung Anfang des 19. Jahrhunderts stand die erste Phase, die sich von 1815 bis Anfang der 1840er-Jahre erstreckte. In ihr dominierte ein Personenkreis, der einerseits stark von der Reichspublizistik beeinflusst war, andererseits aber – und dies zuweilen in noch stärkerem Maße als von der Autorin betont – nebenberuflich als Parteigutachter für die Standesherren auftrat. Entsprechend wurde die Sonderrolle des neuen Standes stark betont, galt es doch dessen verbliebene Unterlandesherrschaft zu rechtfertigen. Protagonisten dieser Auslegung waren unter anderem Johann Ludwig Klüber, Heinrich Zöpfl und Heinrich Albert Zachariä.

Angesichts der konstitutionellen Entwicklung seit den 1830er-Jahren geriet diese Deutung zunehmend in die Defensive, da sich die Aufteilung des Fürstenrechts in einen privat- wie öffentlichrechtlichen Teil immer weniger rechtfertigen ließ. Das Fürstenrecht wurde nun als Element der neuen germanistischen Rechtslehre wahrgenommen, wobei es Georg Beseler war, der ihm das Genossenschaftskonzept zugrunde legte. In seinem Modell konnte erstmals das Fürstenrecht in das allgemeine Staatsrecht integriert werden, in dem die hochadlige Familie eine politisch-soziale Einheit bildete. Freilich war auch diese Zuordnung in sich nicht widerspruchsfrei, konkurrierte sie doch mit stärker etatistisch argumentierenden Ansätzen.

Die Auflösung des Deutschen Bundes und die Reichsgründung sollten ab 1870 den hohen Adel vor neue politische Herausforderungen stellen. Überraschenderweise schlug sich diese Entwicklung nur wenig in der Diskussion über das Fürstenrecht nieder. Die Autorin stellt hier einen Minimalkonsens fest, durch den zwar die Genossenschaftslehre beibehalten, diese aber nun stärker in das organische Staatsrecht eingeordnet werden konnte. Als Protagonisten dieser Auslegung macht sie den Breslauer und Heidelberger Hochschullehrer Hermann Schulze aus, dessen historische und staatsrechtliche Schriften wie auch juristische Gutachten zu Einzelfragen ihn zur unumstrittenen Autorität auf diesem Feld machten.

Zu einer Spätblüte gelangte die immer wieder versandende Diskussion schließlich unter dem Eindruck der systematischen Rechtsvereinheitlichung mit der Einführung des BGB im Jahr 1900. Der bis dahin gefundene Konsens löste sich angesichts unterschiedlichster Vorstellungen etwa über das Verhältnis von regierenden zu mediatisierten Familien oder aber über die Stellung der Dynastien zum Staat auf und bot Raum für unterschiedliche, teils neopatrimoniale, teils egalitäre Konzepte. Zu Recht weist Gottwald darauf hin, dass mit der geringeren politischen Bedeutung des hohen Adels auch das Interesse der Rechtslehre an dieser Gruppe verflachte, ehe die Diskussion im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts endgültig verstummte.

Mit ihrem Vierphasenmodell ermöglicht Gottwald erstmals eine systematische Einordnung der teilweise sehr unübersichtlichen rechtswissenschaftlichen Diskussionen. Es ist dabei gerade eine Stärke der Autorin, sich hierbei nicht nur auf die „großen Köpfe“ konzentriert, sondern auch entlegene Publikationen und manch exotisch anmutenden Ansatz herangezogen zu haben. Dass die Diskussionen stets auch einen starken politischen Hintergrund hatten, wird anhand einiger Beispiele illustriert, wie dem Bentinckschen bzw. dem Braunschweigschen Erbfolgestreit, die in den 1830er- bzw. 1880er-Jahren auch in den Fokus der nichtjuristischen Öffentlichkeit gerieten. Man hätte sich sicherlich eine stärkere Einbeziehung derartiger Auseinandersetzungen wünschen können. Doch dies war nicht der Ansatz der Autorin, die nun künftigen Arbeiten über die standesrechtlichen Verhältnisse eine wertvolle rechtshistorische Grundlage bietet, so dass man weiteren Detailstudien mit Spannung entgegensehen darf.

Anmerkung:
1 Zum Beispiel Sven Christian Gläser, Die Mediatisierung der Grafschaft Wertheim. Der juristische Kampf eines kleinen Reichsstandes gegen den Verlust der Landesherrschaft und seine Folgen (=Rechtshistorische Reihe 336), Frankfurt am Main 2006; Hans Konrad Schenk, Hohenlohe – Vom Reichsfürstentum zur Standesherrschaft. Die Mediatisierung und die staatliche Eingliederung des reichsunmittelbaren Fürstentums in das Königreich Württemberg 1800-1847, Künzelsau 2006.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension