A. Geisthövel: Restauration und Vormärz

Titel
Restauration und Vormärz in Deutschland 1815-1847. Seminarbuch Geschichte


Autor(en)
Geisthövel, Alexa
Reihe
Uni-Taschenbücher 2894 M
Erschienen
Paderborn 2008: UTB
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Brendel, Universität Wien

Die Reihe „Seminarbuch Geschichte“ hat sich zum Ziel gesetzt, auf dem neuesten Stand und orientiert an den neuesten technischen Möglichkeiten sowie strukturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen „kompetent und kompakt historisches Basiswissen“ (S. 4) an Schüler und Studierende zu vermitteln. Dabei wird auf einen „Dreiklang aus inhaltlicher Analyse, Forschungsperspektiven und Quellenpräsentation in den einzelnen Kapiteln“ (S. 4) vertraut.

Dieser nicht neuen1, aber dennoch effektiven Herangehensweise folgt auch der vorliegende Band der Reihe zu „Restauration und Vormärz“ der in Berlin forschenden Historikerin Alexa Geisthövel. Sich im Gegensatz zu anderen Referenzwerken2 auf deutsche Geschichte konzentrierend – was leider aus dem Titel nicht hervorgeht –, spannt die Autorin auf knappem Raum kenntnisreich einen Bogen von den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit dem Wiener Kongress 1814/15 bis zum unmittelbaren Vorabend der Revolution (1847). Bewusst verzichtet sie dabei darauf, die Revolution von 1848/49 als „Fluchtpunkt der Darstellung“ (S. 9) zu verwenden, da dies ansonsten ihrer Meinung nach „den vielfältigen und vielschichtigen Veränderungen der Zeit zwischen 1815 und 1847 nicht gerecht würde“ (S. 9). Reinhart Kosellecks berühmter Begriffsdefinition von der „Sattelzeit“3 folgend, stellt Geisthövel so die Vormärz- und Restaurationsepoche als ein Zeitalter der mannigfaltigen Revolutionen und Übergänge in sozialen, politischen sowie ökonomischen Bereichen dar. Den Ausgangspunkt bildet ein kurzes Einführungskapitel, das etwas unpräzise mit der Zeit „zwischen den Revolutionen“ (S. 5) überschrieben ist. Offenbar möchte die Autorin damit darauf verweisen, dass sie „im Verlauf der Darstellung immer wieder auf die Dekade vor 1815 zurückkommt“ (S. 10); eine klarere und stringentere Begriffswahl wäre hier sicherlich hilfreich gewesen.

Im ersten Hauptabschnitt widmet sich Geisthövel dann dem monarchischen Verwaltungsstaat und seinen Oppositionen: In weitestgehend chronologischer Folge und anhand konkreter Ereignisse beschreibt sie die Hauptmerkmale restaurativer und vormärzliberaler Politik auf dem Gebiet des Deutschen Bundes sowie die Entwicklung hin zu einer „aktiven Staatsbürgerschaft“ (S. 70) innerhalb der einzelnen Monarchien, die dennoch nur einer Minderheit vorbehalten blieb. Sehr anschaulich arbeitet Geisthövel heraus, dass dies nicht etwa nur am Machtanspruch der etablierten Herrschaftseliten lag, sondern auch den bürgerlich-liberalen Politikentwürfen entsprach, die vor allem Frauen gemäß dem Modell „polarer Geschlechtscharaktere“ (S. 70) kaum politische Partizipationsmöglichkeiten einräumten.

In zwei weiteren Hauptkapiteln beschäftigt sich Geisthövel zum einen thematisch gegliedert mit der rasanten sozialen und ökonomischen Entwicklung in dieser Zeit, um zum anderen darauf aufbauend die bürgerliche „Leitkultur des 19. Jahrhunderts“ (S. 149) und ihre allgegenwärtigen Einflüsse auf Politik und Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken. Dabei hebt Geisthövel die „ökonomische und staats- bzw. gemeindebürgerliche Selbständigkeit“ (S. 156) bürgerlicher Kultur hervor, die „maßgebliche Entwicklungen des 19. Jahrhunderts wie die Industrialisierung, Demokratisierung, die Verallgemeinerung der Bildung und die Verselbständigung der Wissenschaft oder die Ausbildung moderner Individualität“ (S. 149) vorangetrieben habe. Dadurch hätten bürgerliche Kultur und Werte auch immer mehr Eingang in das höfische Leben gefunden, wodurch „die Standesschranken zum Bürgertum und das monarchische Selbstbewusstsein jedoch nicht ins Wanken gerieten“ (S. 167).

Abschließend unternimmt Geisthövel einen kurzen Ausblick auf die Märzrevolution von 1848, der in die kurze und prägnante Feststellung mündet, dass „Anfang 1848 bedeutende Teile der Bevölkerung auf eine Weise politisch mobilisierbar waren, wie es 1815 noch undenkbar gewesen wäre“ (S. 214).

Überzeugend tritt Geisthövel somit insgesamt der älteren historischen Forschung entgegen, die diese 33 Jahre oft als „etwas farblose, ereignisarme Zwischenzeit“ (S. 9) charakterisiert hat.

Darüber hinaus wird das vorliegende Seminarbuch auch in seinem Layout und seiner Struktur seinem Anspruch als zeitgemäßes Lehrwerk gerecht: Die Textsetzung in Haupt- und Marginalspalten in Verbindung mit den Tabellen, Karten, der Zeitübersicht – der avisierten hauptsächlichen Verwendung entsprechend als „Datengerüst“ (S. 225) bezeichnet – sowie dem präzisen Orts- und Personenregister ermöglichen dem Leser einen konzisen und dennoch raschen Überblick über die Epoche, der durch die treffende Quellen- und Literaturauswahl fundiert wird.

Allerdings bewegt sich das vorliegende Seminarbuch nicht in allen Bereichen auf dem neuesten Forschungsstand: So finden sich in diesem Buch nur am Rande Verweise auf den „genuinen Internationalismus der liberalen wie nationalen Bewegungen, den Glauben an die Solidarität der Nationen im Kampf um die Freiheit“4, der vor allem auch das Denken und Handeln der deutschen Vormärzliberalen entscheidend prägte und so einen regen und wirkungsmächtigen Europäismus entstehen ließ.

Während die neuere historische Forschung diesem Umstand bereits Rechnung getragen hat 5, handelt Geisthövel diesen wichtigen Aspekt der Geschichte des Vormärz und der Restauration nur am Rande ab: So erwähnt sie nur zwischen den Zeilen, dass auf dem Hambacher Fest (1832) auch „Franzosen und kongresspolnische Aufständische, die sich auf der Durchreise ins französische Exil befanden, als Redner auftraten“ (S. 34) 6 und ein wichtiges Element vieler Reden die Solidarität aller „‚freiheitsliebenden‘ Nationen“ (S. 35) darstellte. Auch verweist sie zwar auf das „völkerverbrüdernde Engagement“ (S. 28) der deutschen Vormärzliberalen in den Unterstützungskomitees zu Gunsten der polnischen Aufständischen in der Novemberrevolution 1830 und des griechischen Unabhängigkeitskampfes in den 1820er-Jahren, bleibt aber eine nähere Definition der Bedeutung und der Wurzeln dieses europäischen Internationalismus schuldig. Im „Datengerüst“ verzichtet Geisthövel sogar darauf, die deutschen Polenvereine und den polnischen Novemberaufstand zu erwähnen; was umso mehr erstaunt, als sie den griechischen Unabhängigkeitskrieg und die darauf folgende Bewegung der deutschen Philhellenen hier sehr wohl anführt.

Doch wenn auch hier – wie leider nach wie vor oft in Werken zu dieser Epoche – dieser wichtige Aspekt des deutschen Vormärzliberalismus nur unzureichend bzw. halbherzig behandelt wird und sich überdies das vorliegende Seminarbuch aus den zuvor genannten Gründen nicht so „fundamental vom heute verfügbaren Literaturangebot“ (S. 7) unterscheidet, wie es der Herausgeber der Reihe, Nils Freytag, propagiert, ist das vorliegende Werk dennoch als strukturiertes und solide recherchiertes Studienbuch zur Zeit des Vormärz und der Restauration zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 So wird in der bis dato renommiertesten Reihe dieser Art im deutschsprachigen Raum, dem „Oldenbourg Grundriss der Geschichte“, nach dem grundsätzlich gleichen Postulat verfahren.
2 Vgl. vor allem Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 13, 4. Auflage, München 2004.
3 Vgl. Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd.1, Stuttgart 1979, S. XV.
4 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6. Auflage, München 1993, S. 362.
5 Vgl. Thomas Brendel, Zukunft Europa? Das Europabild und die Idee der internationalen Solidarität bei den deutschen Liberalen und Demokraten im Vormärz (1815-1848). Herausforderungen, Bd. 17, Bochum 2005 und Claude D. Conter, Jenseits der Nation – Das vergessene Europa des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der Inszenierungen und Visionen Europas in Literatur, Geschichte und Politik, Bielefeld 2004.
6 Hier sei noch ergänzt, dass die Kongresspolen darüber hinaus auch in der Schweiz Asyl fanden.

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