S. Manz u.a. (Hrsg.): Migration and Transfer from Germany to Britain

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Titel
Migration and Transfer from Germany to Britain, 1660-1914. Historical Relations and Comparisons


Herausgeber
Manz, Stefan; Schulte Beerbühl, Margrit; Davis, John R.
Reihe
Prinz-Albert-Forschungen, Band 3
Erschienen
München 2007: K.G. Saur
Anzahl Seiten
180 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Reinecke, Sonderforschungsbereich 640, Humboldt-Universität zu Berlin

Es gehört zu den Gemeinplätzen der historiographischen Debatten zur transnationalen Geschichte, auf die Bedeutung von Migration für Verflechtungs- und Transferprozesse zu verweisen. Demnach gehören Migrantinnen und Migranten maßgeblich zu jenen Akteuren, die Austauschprozesse zwischen verschiedenen Kulturen oder Räumen vorantreiben und Vorstellungen, Praktiken und Wissensbestände in andere Kontexte übersetzen. Doch so sehr diese Behauptung grundsätzlich einleuchtet, so methodisch anspruchsvoll ist es, bestimmte Migranten mit konkreten Transfers in Verbindung zu bringen und zudem der Prozesshaftigkeit von Transfers gerecht zu werden, indem das Übermittelte nicht als statisch, sondern als veränderlich verstanden und beschrieben wird.

Das Anliegen des vorliegenden Sammelbandes, das Verhältnis von Migration und Transfer anhand der deutschen Migration nach Großbritannien zu beleuchten, ist daher sehr begrüßenswert. Der von Stefan Manz, Margrit Schulte Beerbühl und John R. Davis herausgegebene Band ist aus zwei Workshops hervorgegangen, die 2003 und 2004 in London und Berlin stattgefunden haben, und vereinigt knapp gehaltene Aufsätze, die anhand verschiedener Handlungsfelder (Sport, medizinische Versorgung, Konsum), Personen (individuelle Manager, Akademiker) oder Gruppen (Kaufleute, Musiker, Missionare) das Verhältnis von Migration und Transfer in der Zeit vom 17. Jahrhundert bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs behandeln. Zwar verweisen die Herausgeber in ihrer Einleitung auf das Konzept der Histoire Croisée und verstehen Transfers als bi- oder multidirektionale Prozesse, doch konzentrieren sich die versammelten Studien in erster Linie auf die Aneignung deutscher Ideen, Praktiken und Waren im britischen Kontext, während Rückwirkungen auf die deutsche Gesellschaft oder die deutschen Communities kaum behandelt werden. Sie vermitteln ein eindrucksvolles Bild der vielfältigen Austauschbeziehungen, innerhalb derer sich die britische Gesellschaft seit dem späten 17. Jahrhundert entwickelte.

Dabei ermöglicht es die gewählte transnationale Perspektive, nationalgeschichtlich geprägte Forschungsthesen kritisch zu beleuchten. Gegenüber der traditionellen Forschung zur Geschichte der religiösen Erweckungsbewegungen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, die von einer autochthonen Entwicklung in den verschiedenen europäischen Ländern ausgegangen ist, weist so Frank Hatje in seinem Beitrag auf Verbindungen zwischen dem britischen Evangelismus und dem Protestantismus der deutschen Länder hin. Noch deutlicher zeigt sich die enge Verknüpfung zwischen den religiösen Bestrebungen auf britischer und deutscher Seite am Beispiel der Missionstätigkeit, die Ulrike Kirchberger behandelt. Im britischen Empire war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Nachfrage nach Missionaren groß, während es auf deutscher Seite an Ressourcen zur Entsendung eigener Missionare mangelte. Vor diesem Hintergrund rekrutierten britische Missionsgesellschaften zahlreiche deutsche Missionarsstudenten. Die Analyse Kirchbergers zeigt, wie diese Missionare einerseits fasziniert waren von den Möglichkeiten, die das Empire ihnen für die missionarische Arbeit bot, wie sie andererseits aber mit britischen Vertretern wiederholt wegen Glaubensfragen in Konflikt gerieten.

In dem Band dominiert das Narrativ einer durch Migration und Transfer bereicherten britischen Wirtschaft und Kultur. So unterstreicht Margrit Schulte Beerbühl in ihrem Beitrag, dass deutsche Kaufmannsfamilien zur Expansion und Modernisierung des britischen Handels entscheidend beitrugen, indem sie im 18. Jahrhundert mit Hilfe weit verzweigter Netzwerke sowohl Kapital als auch das Wissen um Märkte, Waren und Produktionstechniken nach England brachten. Einen ganz ähnlichen Prozess, wenngleich für das späte 19. Jahrhundert, beschreibt auch Stefan Manz, der die Adaption von deutschen Managementkonzepten in einem britischen Textilunternehmen untersucht. Er macht deutlich, wie einerseits die deutsche Industrie bei ihrem Aufstieg von Geschäftsleuten profitierte, die im Ausland tätig waren, während andererseits die britische Wirtschaft wichtige Impulse aus dem Ausland erhielt. Dazu gehörte auch, dass ausländische Arbeitskräfte in Großbritannien tätig wurden, wie Horst Rössler anhand der norddeutschen Arbeiter zeigt, die zwischen 1750 und 1900 einen Großteil der Arbeiterschaft in britischen Zuckerraffinerien stellten. Rössler hebt die Bedeutung informeller Netzwerke für die Rekrutierung der Migranten hervor und zeigt, dass Arbeitskraft transferiert wurde. Die Frage allerdings, ob sich die konzentrierte Beschäftigung der Migranten jenseits dessen auf die Branche auswirkte, lässt er unbeantwortet.

Neben wirtschaftlichen Kontakten befassen sich die versammelten Beiträge mit Austauschprozessen im Bereich von Wissenschaft, Kultur und Konsum. So beschreibt F. Anne M.R. Javis den Erfolg, den deutsche Musiker während des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts auf den britischen Inseln hatten; einen Erfolg, den Javis primär in der guten musikalischen Ausbildung deutscher Musiker begründet sieht. Ihr Beispiel einer vom Königshaus unterhaltenden deutschen Militärkapelle veranschaulicht, dass deutsche Musiker in Großbritannien großzügige Förderer fanden. Es bleibt jedoch offen, wie sich ihre Betätigung konkret auswirkte. Dagegen bezieht sich John R. Davis in seinem Aufsatz auf die britische Begeisterung für deutsche Wissenschaft, für die Ideen der Romantik und das preußische Bildungssystem. Die im 19. Jahrhundert verbreitete „kulturelle Germanophilie“ hilft laut Davis den Erfolg deutscher Akademiker erklären, den er am Beispiel des Sanskritologen Friedrich Max Müller beschreibt. Dabei wird deutlich, dass die Mitglieder der deutschen Community entscheidend dazu beitrugen, dass sich Akademiker aus dem deutschen Raum in Großbritannien etablieren konnten. Überhaupt rücken eine Reihe von Beiträgen die Belange der deutsch-ethnischen Kolonie in den Blickpunkt. So zeigt Susan Reed am Beispiel der Publikation deutscher Bücher, wie Druckhäuser in Großbritannien deutschsprachige Publikationen vor allem für Deutsche produzierten, die dort lebten. Erst in zweiter Linie hofften sie damit eine interessierte britische Leserschaft anzusprechen. In ähnlicher Weise richteten sich die von Deutschen betriebenen Fleischereien, Bäckereien und Spezialitätengeschäfte, die Panikos Panayi in seinem Beitrag untersucht, mit ihrem Warenangebot vornehmlich an deutsche Migranten. Wenngleich nicht nachhaltig, begannen sie laut Panayi jedoch auch das Konsumverhalten der britischen Mehrheitsgesellschaft vor 1914 zu beeinflussen.

Die Beiträge des Sammelbands lenken den Blick primär auf gelungene Transfers und intensivierte Austauschbeziehungen. Mögliche Abgrenzungstendenzen treten demgegenüber in den Hintergrund. Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Christiane Eisenberg. Sie geht darin der Frage nach, warum die deutsche Turntradition im 19. Jahrhundert in Britannien gerade nicht an Einfluss gewann, während umgekehrt in Deutschland kompetitive Sportarten nach englischem Vorbild erfolgreich waren. Zwar wurden Turnübungen vorübergehend in die britische Armeeausbildung und den Schulunterricht integriert, doch stießen sie letztlich nicht auf ein breites Interesse. Anders als in Deutschland, wo infolge der Napoleonischen Kriege die entstehende Turnerbewegung überzeugend an ein zu stärkendes Nationalgefühl appellieren und eine Stärkung der Wehrkraft propagieren konnte, behinderte in Großbritannien die Assoziation des Sports mit militärischem Drill dessen Ausbreitung. In ähnlich instruktiver Weise führt auch Christiane Swinbank die Spannungen vor Augen, zu denen das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Vorstellungen und Praktiken führen konnte. Ihr Beitrag befasst sich mit der Verwaltung des Deutschen Krankenhauses in London, das Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden war, um Mitgliedern der deutschen Community den Zugang zu deutschsprachigen Ärzten zu erleichtern. Organisation und Finanzierung orientierten sich am britischen Charity-Model, und Swinbank vermag zu zeigen, wie die Verwaltung nach englischem Vorbild im Widerspruch zu den Ansprüchen des deutschen Personals und der deutschen Pflegetradition stand. Interkulturelle Transfers figurieren in diesen beiden Beiträgen als schwerfällige, konflikthafte Prozesse. Und um neben der Offenheit auch die Abgrenzungsbereitschaft nationaler Mehrheitsgesellschaften verstehen zu können, erscheint es vielsprechend, sich verstärkt solchen Reibungen und Übersetzungsproblemen zuzuwenden.

Überhaupt fällt auf, dass in einem Teil der versammelten Studien die Beschreibung von Transfer und Migration voneinander entkoppelt ist: Sie widmen sich entweder akteursbezogen einer Gruppe von Migranten, behandeln einen von ihnen ausgehenden Wissens- oder Praxistransfer aber eher am Rande – oder sie widmen sich umgekehrt primär dem Austausch von Ideen und Handlungsweisen. Solche unterschiedlichen Gewichtungen lassen sich bei einem Sammelband jedoch schwerlich vermeiden, und in der Gesamtschau eröffnen die versammelten Beiträge wichtige Einblicke in die britische Migrationsgeschichte und die Entwicklung der britischen Gesellschaft im 18. und langen 19. Jahrhundert.