F. Himmler u.a.: Exploratio Danubiae

Cover
Titel
Exploratio Danubiae. Ein rekonstruiertes spätantikes Flusskriegsschiff auf den Spuren Kaiser Julian Apostatas


Autor(en)
Himmler, Florian; Konen, Heinrich; Löffl, Josef
Reihe
Region im Umbruch 1
Erschienen
Berlin 2009: Frank & Timme
Anzahl Seiten
124 S., 1 DVD-Video
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Ziegler, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„Wie eine Fackel oder ein Brandpfeil eilte er mit fliegender Schnelligkeit seinem Ziel entgegen“ – mit diesen Worten beschreibt der antike Historiker Ammianus Marcellinus die Geschwindigkeit, mit der der Usurpator und spätere Kaiser Julian Apostata im Jahre 361 n. Chr. sein Militärunternehmen gegen Constantius II. durchführte.1 Nach seiner Erhebung zum Gegenkaiser galt es, den militärisch und territorial überlegenen Constantius durch einen schnellen ersten Schlag in die Defensive zu drängen und Gebietsgewinne zu erzielen. Zu diesem Zweck wurden sowohl Truppenverbände zu Lande auf den Weg gebracht als auch ein Vorstoß zu Schiff, wohl von Ulm nach Bononia (heute Banostor in Serbien), durchgeführt. Letzteren Teil des Unternehmens leitete Julian persönlich – eine höchst riskante Unternehmung mit nur begrenzten Streitkräften, die ganz auf den Überraschungseffekt abzielte. Eine grundsätzliche Frage betrifft somit die Geschwindigkeit des Vorstoßes. Aus der Angabe des Zosimus, Julian habe bei günstigen Winden am elften Tag Sirmium erreicht 2, kann man eine Tagesleistung von 100 bis 150 Kilometern errechnen, eine Distanz, die in der Forschung kontrovers diskutiert wurde.3 Ein Experiment des althistorischen Lehrstuhls der Universität Regensburg trug dazu bei, hier entscheidenden Erkenntnisgewinn zu erzielen. Im Sommer des Jahres 2006 trat die „Regina“, ein nachgebautes spätantikes Flusskriegsschiff des gleichen Typs, den auch Julian benutzte (navis lusoria), mit 45 Studenten unter der Leitung von Heinrich Konen eine 730 Kilometer lange Fahrt auf der Donau von Regensburg nach Budapest an. Diese Reise ist im besprochenen Werk dokumentiert.4

Der Aufbau des Buches ist streng parallel: Von der Abfahrt (S. 13ff.) über die Etappen Deutschland (S. 18ff.), Österreich (S. 33ff.), Slowakei und Ungarn (S. 63ff.) werden Ort für Ort die Erlebnisse der modernen Expeditionsteilnehmer geschildert und der Situation in den gleichen Regionen zur Zeit Julians gegenübergestellt. Darüber hinaus erfährt der Leser interessante Details zur Rekonstruktion der „Regina“, die 2004 nach dem Vorbild in Mainz ergrabener spätantiker Lusorien erstellt wurde, sowie zu den verschiedensten Aspekten antiker Schifffahrt allgemein. Natürlich ist ein Vergleich des modernen mit dem antiken Unternehmen nur bedingt möglich, da trotz eines Trainingsprogramms die Kondition der modernen Wissenschaftler (zumindest zu Beginn der Reise) nicht mit der römischer Ruderer zu vergleichen ist und vor allem die Beschaffenheit der Donau in Folge diverser Eingriffe und Regulierungen, aber auch wegen des heute wesentlich dichteren Schiffsverkehrs nicht mehr der Situation des Flusses zur Zeit Julians entspricht. Dennoch gibt die Expedition wichtige Hinweise für die formulierten Hauptfragestellungen (vgl. S. 15): Das rekonstruierte Schiff hielt den Belastungen der Reise im Ganzen problemlos Stand. Da gegen Ende der Expedition die Teilnehmer auch eine 100 Kilometer lange Etappe ohne Schwierigkeiten meistern konnten, ist den Ruderern Julians eine vergleichbar lange Strecke pro Tag ohne weiteres zuzutrauen. Während die normale Reisegeschwindigkeit ohne Einsatz des Segels (und unter Abzug der Strömung) bei 4-4,5 km/h lag, konnten bei vollem Rudereinsatz 5 km/h und unter Segel sogar etwa 7 km/h erreicht werden.5

Darüber hinaus geben die Probleme, mit denen die modernen Expeditionsteilnehmer zu kämpfen hatten (Unwetter, starke Hitze, die Enge auf dem Schiff, zur Neige gehendes Trinkwasser, Ruderbruch, Lecks) einen Eindruck, was bei der viel größeren Unternehmung Julians zu bedanken gewesen sein musste. Nicht zuletzt durfte die Stimmung der Besatzung nicht aus dem Blick verloren werden – und dies in der Moderne nicht weniger als zu Julians Zeiten: „Einige der verwöhnten Gaumen [der Teilnehmer] mussten somit mit altem Brot, Käse, Wurst und etwas Obst vorlieb nehmen. Automatisch verbreitete sich bei den modernen Marinesoldaten, die nun auch rein äußerlich mit ihren durchgeschwitzten Tuniken und abgewetztem Schuhwerk immer mehr ihren antiken Vorgängern ähnelten, ein Gemütszustand, den einst jeder römische Kaiser fürchtete, weil er sehr leicht zu Meutereien oder gar einem veritablen Militärputsch führen konnte“ (S. 35).

Die Aufmachung des Werkes hinterlässt einen hervorragenden Eindruck. Zahlreiche Farbfotos geben einen lebendigen Eindruck der Fahrt, die kleinen und großen Abenteuer werden anschaulich geschildert – man spürt die Begeisterung über den herzlichen Empfang der „Regina“ an vielen Orten ebenso wie den Ärger über ein unerwarteterweise geschlossenes slowakisches Schleusentor (S. 65f.); ein gewagtes Landemanöver beim Kloster Melk (S. 48) wird ebenso eindrucksvoll beschrieben wie ein heftiges Unwetter in Ungarn (S. 67f.): „Nach nur wenigen Minuten hatte der sintflutartige Wolkenbruch die Mehrzahl der Zelte überflutet. Das ganze dort verstaute Gepäck wurde völlig durchnässt. Wer konnte, flüchtete sich zu einem Schlafplatz in und unter die Autos, ja teilweise sogar zurück ins Schiff, um unter das Segel zu kriechen. Es dauerte Stunden, bis sich Sturm und Regen endlich etwas beruhigten. Am Tag darauf wurden die Auswirkungen des Unwetters sichtbar: Das Lager erschien verwüstet, Kleidung, Schlafsäcke, Decken und Ausrüstung lagen vielfach ungeordnet und durchnässt im Freien herum. Dies drückte noch mehr auf die Stimmung, zumal sich nun bei einigen nach der vergangenen, überlangen Etappe deutlich der Kräfteverschleiß sichtbar machte.“

Solche Berichte machen das Buch auch für den interessierten Laien lesenswert. Doch kommt angesichts diverser Pläne, Rekonstruktionszeichnungen und nicht zuletzt angesichts eines umfangreichen Anmerkungsapparates von 17 Seiten und einer neunseitigen Bibliographie auch der wissenschaftliche Gehalt nicht zu kurz. Eine schöne Zugabe stellt eine beiliegende DVD dar, auf der ein etwa 40-minütiger Beitrag des Bayerischen Rundfunks über die Reise enthalten ist. Hier wird naturgemäß weniger auf den historischen Hintergrund eingegangen, doch runden die Aufnahmen und die Stimmungsbilder, die durch zahlreiche Interviews mit den Teilnehmern entstanden, das Buch gut ab. Es ist dem neuen Forschungsschwerpunkt „RIU – Region im Umbruch“ der Universität Regensburg in Kooperation mit der Universität Passau, der sich mit diesem Werk der Öffentlichkeit präsentiert, zu wünschen, dass diesem viel versprechenden Start weitere interessante Projekte folgen werden.

Anmerkungen:
1 Amm. 21,9,6: ille ut fax vel incensus malleolus volucriter ad destinata festinans.
2 Zos. 3,10,3.
3 Vgl. die auf S. 106, Anm. 18 verzeichnete Literatur.
4 Zusätzliches Material, u.a. einen knapp 35-minütigen Film, bietet das althistorische Institut der Universität Regensburg auf seiner Homepage an <http://www-cgi.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Geschichte/Alte_G/lusoria.html> (07.06.2009).
5 Vgl. die Tabelle über die Fahr- und Strömungswerte, S. 86–91.

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