I. Hartl: Das Feindbild der Kreuzzugslyrik

Titel
Das Feindbild der Kreuzzugslyrik. Das Aufeinandertreffen von Christen und Muslimen


Autor(en)
Hartl, Ingrid
Reihe
Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 40
Erschienen
Anzahl Seiten
219 S.
Preis
€ 43,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristin Skottki, Theologische Fakultät: Kirchengeschichte, Universität Rostock

Feindbilder haben Konjunktur. Selbst wenn einige Intellektuelle sich dagegen wehren, das Konzept des "Clash of Civilizations" als Realitätsbeschreibung anzuerkennen, muss doch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich als Argumentationsmuster im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt hat.1 Für viele Bewohner der "westlichen Welt" steht der Feind wieder im Osten, jetzt nur etwas südlicher, und statt "Kommunismus" heißt er heute "die islamische Welt". Das Feindbild Islam ist daher auch in der Forschung ein überaus aktuelles Thema. Dementsprechend gab es in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg an Publikationen zur "Wahrnehmung der Anderen".2 Der Fokus der Untersuchungen liegt dabei eher auf historischen Beispielen und Vorläufern vor allem aus dem Mittelalter, und speziell aus der Zeit der Kreuzzüge. Die Untersuchung "Das Feindbild der Kreuzzugslyrik: Das Aufeinandertreffen von Christen und Muslimen" von Ingrid Hartl ist das aktuellste Beispiel für das Interesse am Feindbild Islam zur Zeit der Kreuzzüge. Die Arbeit hat dabei das Potential, neue richtige Wege zu gehen, indem sie Feindbildtheorie und eine detaillierte Quellenanalyse miteinander zu verbinden sucht. Doch kann das Werk weitestgehend nicht halten, was es verspricht.

Hartl kündigt in ihrer Einleitung an, moderne Feindbildtheorien auf ein mittelalterliches Quellencorpus anwenden zu wollen (S. 8). Das klingt erst einmal sehr spannend. Die Vorstellung der Feindbildtheorien ist dabei sehr gelungen, und könnte Studierenden der Sozial- und Kulturwissenschaften durchaus als Einführung in das Thema dienen. Im Analyseteil werden am Ende eines jeden Untersuchungszeitraums die in den Texten vorkommenden Feindbilder kurz benannt. Da dem Buch jedoch ein bilanzierendes Schlusskapitel fehlt, kommt es zu keiner Zusammenführung der Ergebnisse aus Quellenanalyse und Feindbildtheorie. Der kritische Reflektionsgrad, der in der Einleitung angekündigt wird, kann so nicht erreicht werden, und beide Teile bleiben unverbunden nebeneinander stehen.

Stattdessen ist zwischen diese beiden Kapitel ein historischer Abriss über die Geschichte der Kreuzzüge eingefügt, der oberflächlich ist und auf einem veralteten Forschungsstand basiert. Da hier keine historische Abhandlung, sondern eine rein literaturwissenschaftliche Arbeit vorliegt, ist ein solches Kapitel darüber hinaus überflüssig. Wozu gibt es unzählige sehr gute Überblicks- und Einführungsdarstellungen der Kreuzzugsforschung?3 Hier wäre bequem eine Brücke zwischen dem Kapitel der Feindbildtheorien und der Analyse der Feinddarstellungen in der Lyrik zu schlagen gewesen, hätte Hartl die reichlich vorhandene Forschungsliteratur zum Islambild des Mittelalters oder zur Wahrnehmung der Anderen im Mittelalter rezipiert. Ein Vergleich zwischen den hier erbrachten Ergebnissen zur Kreuzzugslyrik mit den Untersuchungen von John Tolan, Norman Daniel und vielen anderen, die vor allem historiographische Quellen und Kreuzzugsepen untersucht haben, hätte sicherlich einen erheblichen Erkenntnisgewinn bedeutet.4 Besonders die Kombination dieses Vergleichs mit den Kriterien der Feindbildtheorie, die Hartl am Anfang der Arbeit entwickelt, wäre sicher sehr fruchtbar gewesen. Aus mir unerklärlichen Gründen beachtet Hartl jedoch die gesamte Forschungsliteratur zum Islambild des Mittelalters nicht, obwohl sie ihr Thema essentiell betrifft.

Überhaupt ist ein Blick in das angehängte Literaturverzeichnis sehr ernüchternd. Für diese Arbeit wurde fast ausschließlich auf germanistische Forschungsliteratur zu den Kreuzzügen zurückgegriffen, und es wird nur auf wenige, zumeist sehr allgemeine Einführungen der historischen Kreuzzugsforschung verwiesen. Ein guter Teil der Titel sind Lexika und Nachschlagewerke (Der Kleine Pauly, Sachwörterbuch der Mediävistik etc.), einige Titel tauchen doppelt auf (die Memoiren Usama ibn Munqidhs werden als Primär- und Sekundärliteratur aufgelistet), und insgesamt überwiegen Arbeiten aus den 1950er- bis 1980er-Jahren. Für die Kreuzzugslyrik gibt es tatsächlich kaum aktuellere Forschungen, doch für die Kreuzzugsgeschichte lässt sich eher das Gegenteil konstatieren.5 Gerade seit den 1990er-Jahren hat es in der Kreuzzugsforschung viele neue Erkenntnisse gegeben, die eine Untersuchung, die 2009 erscheint, einfach nicht unberücksichtigt lassen kann.6

Ebenso überflüssig wie irritierend ist das letzte Kapitel "Anstelle eines Nachworts". Hier wurden offenbar willkürlich einige Beispiele aus der arabischen Literatur zusammengestellt, in denen "Franken", also Kreuzfahrer, auf irgendeine Art und Weise erwähnt werden. Als arabische Kreuzzugslyrik kann keines der Beispiele bezeichnet werden, und so fragt man sich, was diese Aneinanderreihung von völlig divergierendem Material für einen Sinn haben soll. Die angeblich arabische Sicht kommt nur wie exotisierend-orientalisierendes Beiwerk daher. Bezeichnend ist etwa, dass dieses Buch über Feindbilder in der Kreuzzugslyrik so in der Wiedergabe eines Gedichts voll von "freizügig erotischen Bildern" (S. 206) des arabischen Dichters Al-Qaisarani endet. Damit lässt man nicht wirklich "die islamische Stimme kurz zu Wort kommen" (S. 201), sondern verschenkt nur die Möglichkeit, die eigene Untersuchung zu einem kohärenten Schluss zu bringen.

Den größten Gewinn zieht der Leser aus der eigentlichen Untersuchung der vierzig lyrischen Bearbeitungen der Kreuzzugsthematik. Hartl bietet hier nicht einfach nur eine Materialsammlung, sondern bemüht sich um eigene Interpretationen der Lieder, was ihr auch sehr gut gelingt. Sie kehrt nicht nur die verschiedenen Feindbilder deutlich hervor, sondern kann auch mit ihren theologischen Interpretationen der Texte überzeugen. Und doch hätte auch hier vieles besser gemacht werden können. So wäre es wichtig und interessant zu wissen, ob und wie viele Kreuzzugslieder es noch gibt, die hier nicht bearbeitet wurden. Es ist freilich völlig legitim, eine Auswahl an Liedern zu treffen, nur wird nicht einleuchtend begründet, warum gerade diese vierzig doch sehr unterschiedlichen Lieder untersucht wurden.

Hartl bemüht sich, die einzelnen Lieder zeitlich und formell kurz einzuordnen, doch ist damit einer notwendigen Kontextualisierung der Lieder noch nicht Rechnung getragen. So lässt sich aus den denkbar knappen Schlussbemerkungen die These ablesen, dass sich die Darstellung der Muslime im Laufe der Zeit verändert habe. Demnach würden die frühen lateinischen Lieder die Muslime wesentlich drastischer und variantenreicher diffamieren als die späteren volkssprachlichen Lieder. Auch wenn man als Leser diese Einschätzung teilt, fragt man sich doch, warum das so ist. Doch Hartl bietet dazu keine Erklärung. Ebenso wenig erklärt sie das Verschwinden mittellateinischer Lyrik seit dem Vierten Kreuzzug, und das Hervortreten des Mittelhochdeutschen. Ferner weist sie den Leser nicht darauf hin, wie sehr sich die Textsorten ändern, die sie untersucht. Stellt sie am Anfang eindeutige Kreuzzugsaufrufe vor, wird ihr Material zum Ende hin immer divergenter und hat den Kreuzzug oft nur noch als illustrierendes Beiwerk zum Thema, wie etwa in den Minneliedern. Da erstaunt es natürlich nicht, dass die Muslime eine geringere Rolle einnehmen und nicht mehr mit Häme und Feindpropaganda überschüttet werden. In den Einzelinterpretationen der Lieder deutet Hartl an, welch unterschiedliche Darstellungen der Muslime, des Islams und des Orients ab dem Dritten Kreuzzug möglich sind. In den Zusammenfassungen wird diese inhaltliche Ausdifferenzierung aber nicht expliziert, stattdessen werden kurz und pauschal die auftretenden Feindbilder genannt.

So teilt die Quellenanalyse das gleiche Schicksal wie die gesamte Arbeit: Sie hat viel Potential, doch wird das meiste davon verschenkt. Hätte Ingrid Hartl ihr eigenes Anliegen konsequent durchgesetzt und auch die bereits vorhandene Forschung zum Islambild des Mittelalters berücksichtigt, läge mit dieser Untersuchung ein überaus wertvoller Beitrag zur Feindbild- und Kreuzzugsforschung vor. Man kann sich nur wünschen, dass es bald Standard wird, eine solche Synthese aus modernen kulturwissenschaftlichen Theorien und detaillierter Quellenanalyse zu wagen, die dann aber kohärent zu Ende gebracht werden muss. So könnte man nicht nur die Genese der Feindbilder von Muslimen im Mittelalter besser erklären, sondern eventuell auch die Feindbilder unserer eigenen Zeit besser verstehen.

Anmerkungen:
1 In arabischen Ländern übrigens genauso erfolgreich wie in Europa und Amerika, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Vgl. dazu die Untersuchungen der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte um die Huntington-These in: Emran Qureshi / Michael A. Sells (Hrsg.), The New Crusades. Constructing the Muslim Enemy, New York 2003.
2 Natürlich wird die Fragestellung nicht exklusiv auf den Islam angewandt, doch dominieren Untersuchungen zum "Islambild des Mittelalters" die Diskussion. Vgl. nur die Zusammenstellung aktueller Erscheinungen bei Hannes Möhring, The Christian Concept of the Muslim Enemy during the Crusades, in: Hans-Henning Kortüm (Hrsg.), Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, Berlin 2006, S. 185-193, hier: S. 185, Anmerkung 1.
3 Nikolas Jaspert, Die Kreuzzüge, Geschichte kompakt, 3., überarb. Aufl., Darmstadt 2006 (2003); Jonathan Riley-Smith, The Crusades. A History, London und New York 2005; Jean Richard, The Crusades c. 1071 - c. 1291, Cambridge 1999; Jonathan Riley-Smith, Illustrierte Geschichte der Kreuzzüge, Frankfurt 1999.
4 John V. Tolan, Saracens. Islam in the Medieval European Imagination, New York 2002; David R. Blanks / Michael Frassetto (Hrsg.), Western Views of Islam in Medieval and Early Modern Europe. Perception of Other, New York 1999; John V. Tolan, (Hrsg.), Medieval Christian Perceptions of Islam, New York 2000 (1996); Norman Daniel, Islam and the West. The Making of an Image. Oxford 2000 (1960); Richard W. Southern, Das Islambild des Mittelalters, Stuttgart 1981 (1962).
5 Der von Hartl vorgestellte Forschungsstand zur Kreuzzugslyrik ist zwar nach wie vor aktuell, doch fehlen auch hier einige wichtige Werke, wie Susanne Schöber, Die altfranzösische Kreuzzugslyrik des 12. Jahrhunderts. "Temporalibus aeterna ... praeponenda", Wien 1976, und Maria Böhmer, Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Kreuzzugslyrik, Rom 1968.
6 Als aktuellsten Stand der Kreuzzugsforschung nennt Hartl einen Überblick des Germanisten Peter Hölzle in einer Festschrift von 1972 und einen Artikel des Germanisten Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert, der sich 1956 mit der "Erdmann-These" auseinandersetzte. Die Debatten um die Definition von Kreuzzügen, die die historische Kreuzzugsforschung seit rund zehn Jahren prägen, mussten ihr so natürlich entgehen. Vgl. nur das bahnbrechende Werk: Christopher Tyerman, The Invention of the Crusades, Basingstoke 1998.