C. Bard: Die Frauen in der französischen Gesellschaft des 20. Jh.

Cover
Titel
Die Frauen in der französischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.


Autor(en)
Bard, Christine
Reihe
L`Homme Schriften 14
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth-Stephanie Merz, Universität Leipzig

Wie muss ein Lehrbuch beschaffen sein, das in die Geschichte der Frauen einer bestimmten Gesellschaft, zu einem bestimmten Zeitpunkt umfassend einführen will? Dies war die Frage, welche die gewinnbringende Lektüre von Christine Bards „Die Frauen in der französischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts“ von der ersten bis zur letzten Seite begleitete.

Christine Bard, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität von Angers und Autorin mehrerer wichtiger Untersuchungen zur Geschichte der Frauen in Frankreich 1 veröffentlichte 2003 eine Monographie, mit welcher sie Studierenden der Frauen- und Geschlechtergeschichte Frankreichs, Französinnen im 20. Jahrhundert vorstellen möchte. Dieses Buch liegt nun in einer exzellenten deutschen Übersetzung von Regine Othmer vor. Erschienen ist die Arbeit in der Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft der Zeitschrift „L’Homme“.

Es ist nicht das erste Buch, welches in den letzten Jahren in Frankreich mit dem erklärten Ziel erscheint einem interessierten, aber nicht hochspezialisiertem Publikum die Geschichte französischer Frauen vorzustellen. Yannick Ripa veröffentlicht 1999 „Les femmes actrices de l’histoire“ 2, worin sie die Lebenssituation französischer Frauen von der Grande Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg skizziert. 2003 widmet sich Dominique Godineau in „Les femmes dans la société française“ Französinnen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. 3 Diese Arbeiten, einschließlich der zu rezensierenden, scheinen einen Trend innerhalb der französischen Frauen- und Geschlechtergeschichte anzukündigen, der zwei inhaltliche Ziele verfolgt: (a) Es sollen Darstellungen sein, die sich insofern von früheren Studien unterscheiden, als sie nicht allein der Analyse einer bestimmten sozialen oder politische Gruppe von Frauen gewidmet sind, sondern alle Frauen einer Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gleichzeitig in den Blick nehmen möchten. (b) Der Zweck dieser großangelegten Synthesen, die sich auf Erkenntnisse vorangegangener Studien zu den unterschiedlichsten Lebenssituationen von Frauen gründen (S. 323), wird von Bard eingangs formuliert: „Da dieses Buch auch als Lehrbuch verwendet werden soll (...)“ (S. 5).

Das Vorhaben ist ambitiös, und dennoch dringend notwendig für die Lehre, in einer veränderten universitären Landschaft. Dabei gilt es jedoch das Format dieser Lehrbücher mit jeder weiteren Publikation weiter auszuloten.

Bard, eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Frauen- und Geschlechtergeschichte Frankreichs 4, hat mit ihrer Arbeit einen solchen Versuch unternommen, dessen Potential und Grenzen im Folgenden vor dem Hintergrund des Einsatzes im Lehrbetrieb diskutiert werden sollen.

Das einführende Kapitel ist begrüßenswerter Weise schlank gehalten. Bard führt darin ihre zentrale Fragestellung ein: „(...) wie Frauen jenseits der Identität ihres Vaters oder ihres Ehemannes eine eigene Identität ausbilden können (...)“ (S. 5). Ferner werden wichtige Aspekte und historische Bedingungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte angesprochen, wie beispielsweise die wissenschaftliche und individuelle Bedeutung der Frauengeschichte, angeführt, die in ihrer Weiterentwicklung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte fortgeführt wird. Auch die Einschränkung des Betrachtungsgegenstandes auf den nationalen Bezugsrahmen („französische Gesellschaft“) wird von Bard kurz angerissen. Sie vermeidet jedoch eine präzisiere Erläuterung über die Vor- und Nachteile dieses Vorgehens, und tut dies eher lustlos mit der Frage ab: „Sind aber die Grenzen der französischen Republik die gleichen wie die der französischen Gesellschaft?“ (S. 4). Im Kontext der Internationalisierung der Frauenbewegungen und der Globalisierung der Geschlechterverhältnisse gerade im 20. Jahrhundert hätte es einer, wenn auch kurzen, so doch anregenderen Diskussion bedurft, um die Absichten der Autorin den Studierenden eindrücklicher zu erläutern.

Die inhaltliche Darstellung erfolgt chronologisch, und gestattet Bard die langsame und schwierige Subjektwerdung der Französin im 20. Jahrhundert sehr genau zu skizzieren. Dabei teilt die Autorin das 20. Jahrhundert in zwei, durch den Zweiten Weltkrieg voneinander getrennte Hälften, und ihr Buch somit in zwei übergeordnete Themenbereiche: Die Zeit vor der Erlangung des Frauenwahlrechts, und die Zeit danach. Diese beiden übergeordneten Abschnitte sind wiederum untergliedert in je fünf Kapitel, die sich gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen oder kulturellen Aspekten widmen. Innerhalb dieser zehn Kapitel sorgt eine Vielzahl sehr kurzer Unterkapitel dafür, dass einzelne Fragestellungen nochmals gesondert reflektiert, und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Somit bleibt das gewählte chronologische Verfahren nicht in einer Auffädelung mehr oder weniger zusammenhängender geschichtlicher Ereignisse stecken, sondern wird durch eine thematische Auseinandersetzung vervollständigt – ein Vorgehen, das Studierende sehr zu schätzen wissen werden.

Die Dichte der Thematik wird durch eine präzise und schnörkellose Sprache unterstützt. Die Wahl des Präsens verleiht dem Text eine besondere Dynamik und den Studierenden eine intensive Nähe zum Geschehen. Sparsam, aber klug gewählte Originaldokumente, die für sich selbst sprechen und die Analyse geschickt ergänzen, begleiten Bards Ausführungen. Als besonders hilfreich, und das selbständige Lernen der Studierenden unterstützend, dürfte sich das angefügte Abkürzungsverzeichnis, sowie die Literaturempfehlungen zu einzelnen Themenkomplexen erweisen.

Ebenso kurz wie die Einführung sind die abschließenden Bemerkungen. Die Studierenden können darin zwar die Skepsis herauslesen, welche die Autorin bei manch einer Entwicklung in Fragen der Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft hegt, doch sie entlassen die Studierenden auch mit gedanklichen Anregungen, und der eindeutigen Aufforderung, zu eigenen Schlussfolgerungen zu gelangen.

Bedauerlicherweise verzichtet die Autorin vollständig auf eine wohl dosierte Einbeziehung von Forschungsfragen bei der Darstellung bestimmter Ereignisse. Dabei hätte dies Studierenden die analytische Bedeutung dieses Geschehens eindrücklicher vor Augen zu führen vermocht. Auch die Bearbeitung der großen gesellschaftlichen Debatten, welche die Stellung der Frau im Verlauf des 20. Jahrhunderts begleitet haben, hätten ausführlicher sein können. Die Genese aktueller soziopolitischer und soziokultureller Fragestellungen wäre für Studierende leichter zu erkennen gewesen, ihre argumentative Basis bereichert und ihre historische Tiefenschärfe geschult worden.

Ein weiterer Nachteil für Studierende unserer Zeit, von denen nicht nur erwartet wird, dass sie sich mit einem Land intensiv auseinandersetzen, sondern deren eigene Biographie bereits nationale Dimensionen sprengt, dürfte die fehlende Einbettung in einen europäischen oder internationalen Kontext sein. Das Verhältnis der Geschlechterverhältnisse zueinander erweist sich insbesondere in internationalen Krisensituationen (ökonomischer, militärischer oder ökologischer Natur) als sehr fragil. Viele innergesellschaftliche Entwicklungen sind nur schwer zu erklären, wenn nicht die Interdependenzen mit anderen Nationen und Kulturen berücksichtigt wird.

Auch ein komparatistisches Vorgehen, in dem stellenweise andere Länder zu Vergleichszwecken herangezogen werden, wäre begrüßenswert gewesen. Ein Vergleich, und sei er auch noch so rudimentär, erlaubt es vielbeschworene „Sonderfälle“, wie Frankreichs verspätetes Wahlrecht für Frauen, nicht als Sonderfälle, die von einer nicht näher definierten Norm abweichen, die es im Hinblick auf das Frauenwahlrecht nicht gibt, zu tradieren, sondern die Regel vielmehr in den Sonderfällen zu erkennen.

Wie derartige Anregungen umgesetzt werden können, müssen zukünftige Publikationen mit ähnlichen Ansprüchen und Zielen zeigen. Bards Werk jedoch ist auch ohne diese schon jetzt ein unverzichtbares Instrument in der Lehre.

Anmerkungen:
1 Christine Bard, Les filles de Marianne, Paris 1995; dies., Les Garçonnes, Paris 1998; dies. Un siècle d’antiféministe, Paris 2000.
2 Yannick Ripa, Les femmes actrices de l’Histoire. France 1789-1945, Paris 1999.
3 Dominique Godineau, Les femmes dans la société française (XVIème-XVIIIème siècle), Paris 2003.
4 Sie hat diesem wissenschaftlichen Feld bereits mehrere Studien beigesteuert. Zu den bereits erwähnten, sei hier noch verwiesen auf: Christine Bard (Hrsg.), Madeleine Pelletier, 1992; dies. / Évelyne Morin-Rotureau (Hrsg.), Combats de femmes, 2001; dies. u.a. (Hrsg.), Femmes et justice pénale, Rennes 2002; dies. u.a. (Hrsg.), Le planning familial, Rennes 2007.

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