Einführungen in die Geschichtswissenschaft

Budde, Gunilla; Freist, Dagmar; Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichte. Studium - Wissenschaft - Beruf. Berlin 2008 : Akademie Verlag, ISBN 978-3-05-004435-4 301 S., 25 SW-Abb. € 19,80

: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. . Paderborn 2008 : UTB, ISBN 978-3-8252-3104-0 228 S., 11 SW-Abb. € 16,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Schulze, Center for Advanced Studies, Ludwig-Maximilians-Universität München

Wer heute sein Studium der Geschichtswissenschaft beginnt, kann sich aus einem sehr viel größeren und auch andersartigen Angebot an einführenden Büchern bedienen, als dies noch vor Jahren der Fall war. Zweifellos hat dazu die Entwicklung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge beigetragen, denn sie haben in den Verlagen vielfache Anstöße zu einer neuen Strukturierung der Studienliteratur gegeben. Ja, man könnte sogar sagen, dass die Verlage zuweilen schneller auf die Herausforderungen der neuen Studiengänge reagiert haben als die Historischen Seminare selber, in denen oft genug keine wirkliche inhaltliche Diskussion über eine Reform der Studiengänge stattgefunden hat. Die neuen Studienbücher hingegen versuchen insgesamt offensiv und meistens auch erfolgreich, die notwendige Verknappung und Neustrukturierung des Studiums durch ein entsprechendes Textmaterial zu erleichtern.

Bei den hier zu besprechenden Büchern handelt es sich um zwei unterschiedlich konzipierte Werke. Während das von Gunilla Budde und anderen herausgegebene Studienbuch „Geschichte“ eine sehr breit konzipierte Einführung in historisches Arbeiten darstellt – „Studium – Wissenschaft – Beruf“ werden direkt im Titel angesprochen –, geht es bei Stefan Jordans Einführung in „Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft“ um eine begrenzte Aufgabe, nämlich die Heranführung an die aktuelle Theorie- und Methodendiskussion des Historikers. Die Gemeinsamkeit beider Bücher liegt jedoch in der erkennbaren Verdichtung und Verknappung des Stoffes, mit dem der Bachelor-Student vertraut gemacht werden soll. Jordans Band ist sogar expressis verbis Teil einer „Bachelor-Bibliothek“ der utb-Verlagsgemeinschaft, die neben den üblichen Epochenbänden auch diesen Theorien- und Methodenband umfasst.

Die Herausgeberinnen des Studienbuchs – allesamt Historikerinnen an der Universität Oldenburg – haben ihr Werk als ein Kompendium für jene Gruppe von Studenten konzipiert, die etwas erfahren wollen über den eigentlichen Gegenstand ihres Studiums, die beruflichen Einsatzmöglichkeiten, die innere Strukturierung des Faches und seine theoretischen Voraussetzungen, aber auch etwas über die Kompetenzen, die für ein Geschichtsstudium notwendig sind. Dieses umfangreiche Programm wird in 14 Teilkapiteln präsentiert, die – meist 10-15 Seiten lang – anspruchsvolle Fragenkomplexe in knapper Form abhandeln. Jürgen Kocka eröffnet den Band mit einem Überblick zu „Geschichte als Wissenschaft“, der vor allen Dingen auf die ständige Veränderung der Interessen von Historikern und Gesellschaft sowie die daraus folgende Veränderung methodischer Zugriffe hinweist. Hilke Günther-Arndt schließt daran eine Übersicht der Berufsfelder an, die sich für den Historiker bzw. die Historikerin anbieten, das heißt vor allem Schule, Wissenschaft sowie museale und mediale Tätigkeiten. Der nächste Hauptteil beschäftigt sich zunächst mit den Quellen der Geschichtswissenschaft („Von der Scherbe bis zum Popsong“), den klassischen Fragen der Quellenkritik und den dazugehörigen Hilfswissenschaften, um dann in drei interessant strukturierte Kapitel einzumünden, die von Jürgen Osterhammel und Ralph Jessen verfasst wurden. Osterhammel widmet sich „Zeiten“ und „Räumen“ und differenziert damit zwei entscheidende Kategorien historischen Denkens, die selten in dieser Ausführlichkeit analysiert und in diesem einführenden Kontext erwähnt werden. Jessen ergänzt diesen Zugriff um die „Dimensionen“, womit zum einen die Bereiche von der klassischen „Politik“ bis zur modischen „Kultur“ gemeint sind, zum anderen aber auch „Struktur und Ereignis“ verhandelt werden.

In einem weiteren Hauptkapitel widmet sich Thomas Welskopp der „Historischen Erkenntnis“ und den „Theorien in der Geschichtswissenschaft“, während Gunilla Budde und Dagmar Freist „Historische Methoden“ (historische, qualitative, quantitative Methoden, Vergleich) und eine knappe „Geschichte der Geschichtsschreibung“ angehen. Als Botschaft dieser Kapitel fällt die erfreuliche Neigung zum Methodenpluralismus, ja zum methodischen Eklektizismus auf sowie die Mahnung, sich von „Theoriejüngern“ nicht zu sehr beeindrucken zu lassen; zum anderen wird empfohlen, angesichts der vielen aktuellen „turns“ die Lektüre der Klassiker nicht gering zu schätzen. Den Rest des Bandes bilden kleine Kompetenzartikel zum Recherchieren (erfreulich internetorientiert!), zum Lesen und Schreiben und zum Präsentieren von Geschichte. Ein Serviceteil mit Hinweisen zum Studienstart, zu Sprachanforderungen, Stipendien und Auslandsstudium, zu Instituten und Verbänden rundet den Band ab, der in seiner Sammlung ganz unterschiedlicher Lerninhalte, Kompetenzen und Hinweise sicher als nützlich angesehen werden kann. Er hat zudem den Vorteil, dass der intensive Leser am Kapitelende – allerdings nur der ersten sechs Kapitel – jeweils mit Kontrollfragen zum gerade Gelesenen konfrontiert wird, was die Studienanfänger vermutlich an den Aufbau der ihnen noch vertrauten Schulbücher im Fach Geschichte erinnern soll. Allen Kapiteln sind ausgewählte Lektüreempfehlungen beigefügt, die vielleicht zur besseren Einordnung noch mit knappen Kommentierungen hätten versehen werden sollen.

An diesem Band fällt neben der unprätentiösen Schreibweise, seiner durchaus erfrischenden Tendenz zur lebensweltlichen Aktualisierung und dem Mut zur Verknappung komplexer Sachverhalte angenehm auf, dass die Hauptkapitel jeweils mit der Deutung eines Bildes (oder Fotos) beginnen und der Leser dadurch ganz nebenbei auch mit den möglichen Zusammenhängen zwischen der Textkultur des Historikers und der Bildkultur des Kunsthistorikers oder Medienwissenschaftlers vertraut gemacht wird. Kritisch muss bemerkt werden, dass der Band mit seinem Titel zwar ein umfassendes Studienbuch „Geschichte“ verspricht und gewiss auch hier und da einmal Hinweise auf Phänomene und Probleme der Alten und Mittelalterlichen Geschichte gegeben werden, aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese beiden Bereiche eigentlich keine wirkliche Rolle spielen – auch nicht in der Auswahl der Beiträger des Bandes, die alle ihren Schwerpunkt in der Neueren Geschichte haben.

Stefan Jordan kann sich im Unterschied dazu auf rund 220 Seiten allein den Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft widmen. Er tut das in acht unterschiedlich langen Kapiteln, die von „Funktion“ und „Definition“ der Geschichte, dem „Umgang mit Geschichte“ bis hin zu einem großen Schlusskapitel reichen, das die „Geschichtswissenschaft in der ‚Postmoderne’“ behandelt. Auch hier finden sich kapitelweise ergänzende Literaturhinweise, meist aus der aktuellen Produktion. Die Textaussagen werden zudem durch über 30 graphisch hervorgehobene „Definitionsboxen“ ergänzt, in denen wichtige Begriffserklärungen geliefert werden (zum Beispiel Sattelzeit, Historismus, Oral History). Auch einige Fotos von Historikern findet man. Der Typus des Schulbuchs lässt grüßen!

Jeder, der schon einmal Lehrveranstaltungen im Bereich der Theorien- und Methodendiskussion der Geschichtswissenschaft durchgeführt hat, weiß um die enormen Schwierigkeiten, die komplexen Sachverhalte einer mehrere Hundert Jahre dauernden Diskussion über die „ars legendi et scribendi historiam“ – wie man im 16. Jahrhundert formulierte – zu vermitteln. Auf der einen Seite türmen sich Berge von Spezialliteratur und Originaltexten, die eigentlich zu berücksichtigen wären, auf der anderen Seite steht man vor der Herausforderung, in einem Semester erst einmal ein bestimmtes Bewusstsein für die methodischen Probleme der Geschichtswissenschaft begründen zu müssen. Bedenken muss man dabei auch, dass es wenig sinnvoll wäre, diese Diskussion etwa erst mit der historismuskritischen Debatte der 1960er- und 1970er-Jahre beginnen zu lassen oder etwa nur die deutsche Diskussion in den Blick zu nehmen. Schließlich sind die divergierenden Positionen unterschiedlicher Historiker und methodischer Gruppierungen ebenso ins Spiel zu bringen wie die wechselnden politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen an die Arbeit der Geschichtswissenschaft. All dies in überschaubarer Form darzustellen und in der erforderlichen Weise zu verkürzen, ist eine wirkliche Herausforderung, die sowohl enormes Engagement aufseiten des Dozenten wie Arbeitsbereitschaft auf der Seite der Studentinnen und Studenten erfordert.

Gemessen an diesen nicht unerheblichen Schwierigkeiten muss man feststellen, dass der Verfasser hier einen nachvollziehbaren Weg gefunden hat, der – ohne die vorhistoristischen Diskussionen ganz aus dem Auge zu verlieren – das Schwergewicht auf den Beginn der modernen Geschichtswissenschaft seit den Anfängen des Historismus setzt und die wichtigen Etappen der Entwicklung im ständigen Wechsel zwischen innerfachlichen Diskussionen und politischen Herausforderungen verfolgt. Dabei werden die wichtigen Umbruchphasen (zum Beispiel der Lamprecht-Streit) ebenso hinreichend thematisiert wie die Anregungen von Theoretikern außerhalb der Geschichtswissenschaft (zum Beispiel Karl Marx und Max Weber). Auch die Diskussion außerhalb Deutschlands wird zumindest knapp erwähnt (Annales-Schule), aber insgesamt wird man ein deutliches, durchaus nachvollziehbares Übergewicht der deutschen Diskussionsstränge feststellen, wobei der Entwicklung in der DDR hinreichend Rechnung getragen wird.

Die letzte Phase der Entwicklung der Geschichtswissenschaft seit 1945 wird in zwei Kapiteln abgehandelt, wovon das erste seinen Anfang in der hinterfragten „Epochenwende“ der Geschichtswissenschaft nach 1945 nimmt. Das zweite – umfangreichere – stellt die gleiche Frage für die Wende von 1989/90 und fasst darunter die hier üblichen Subthemen von der Alltagsgeschichte bis zur „Neuen Kulturgeschichte“ zusammen. Ob dabei die Verästelungen zwischen der neuen und der alten Kulturgeschichte (bzw. neuen Sozialgeschichte), die Diskursgeschichte und die neuesten Forschungsansätze der Kulturgeschichte immer hinreichend scharf voneinander unterschieden worden sind, mag man zuweilen bezweifeln. Insgesamt scheint das letzte Kapitel ein wenig zu sehr aktualitätsbezogen zu sein, und man vermisst stellenweise den kritisch-einordnenden Blick über dieses theoretische Gewusel, das nach ein paar Jahren wieder ganz anders aussehen wird. Insgesamt hätte man sich hier eine stärkere Systematisierung und historische Verortung gewünscht. Dies hätte sicher auch zu einem besseren Verständnis der vielen einzelnen Namen und Ansätze beigetragen, die in dieser Form für den Anfänger die Unübersichtlichkeit eher vermehren als zu einem hilfreichen Durchblick beitragen werden. Gerade bei der Lektüre dieses Kapitels wird man den Eindruck nicht los, als habe der Verfasser es unbedingt vermeiden wollen, auch nur eines der modischen Stichworte der letzten Jahre nicht zu nennen. In jedem Falle hilfreich sind dagegen die eingestreuten Hinweise auf die Anlage und Argumentationsweise einzelner wichtiger Bücher, die Einblicke in die Forschungspraxis und in die reale Bedeutung von Diskussionen über Theorien und Methoden vermitteln können. Solche exemplarischen Überprüfungsmöglichkeiten der Theoriediskussion hätte man sich durchaus mehr gewünscht.

Der insgesamt klug angelegte und kenntnisreich geschriebene Band endet in einem kurzen Kapitel, das die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine moderne Geschichtswissenschaft thematisiert, indem es die notwendige „kollektive Intelligenz“ betont. Hier wird der unauflösliche Zusammenhang zwischen der historischen Forschungsarbeit des Einzelnen, der offenen Diskussion innerhalb des Faches und den erforderlichen demokratischen Strukturen herausgestellt, ohne die eine moderne Geschichtswissenschaft unmöglich erscheint. Damit relativiert Stefan Jordan auch noch einmal die gerade im vorigen Kapitel möglicherweise auftauchende Vermutung, die Geschichtswissenschaft sei mit der „Neuen Kulturgeschichte“ an einem Höhepunkt der Entwicklung angekommen. Die immer wieder feststellbare Verbindung zwischen historischem Forschen und zeitgebundenen Fragestellungen entzieht einer solchen Vermutung definitiv den Boden. Diese Botschaft wird man den Anfängern in unserem Fach gerne mitgeben wollen.

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