A. Beattie: Playing Politics with History

Cover
Titel
Playing Politics with History. The Bundestag Inquiries into East Germany


Autor(en)
Beattie, Andrew H.
Reihe
Studies in Contemporary European History 4
Erschienen
New York 2008: Berghahn Books
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
$ 90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Krüger, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Aufarbeitung deutscher Vergangenheit erzielt zumeist große öffentliche Aufmerksamkeit. Dies gilt nicht nur für den Umgang mit den NS-Verbrechen; auch die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit in den „Politbüro“- und „Mauerschützen“-Prozessen sowie durch die Öffnung der Stasi-Akten erregte starkes öffentliches Interesse. Im Schatten dieser Themen verbirgt sich jedoch noch eine weitere institutionelle Ebene. Der Deutsche Bundestag setzte 1992 und 1995 zwei Enquête-Kommissionen zur „Aufarbeitung“ und „Überwindung der SED-Diktatur“ ein.1 So erstaunlich es ob der Fülle an Literatur zur Transformationsperiode nach 1989/90 klingen mag – sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der Forschung wurden die beiden Enquête-Kommissionen bisher nur am Rande wahrgenommen. In seiner Dissertation „Playing Politics with History“ hat sich Andrew H. Beattie, Germanist und Historiker an der australischen University of New South Wales, diesem Gegenstand nun erstmals umfassend angenommen.

Beatties Ziel ist es, den Arbeitsprozess der Enquête-Kommissionen zu analysieren und Abweichungen von den anfangs proklamierten Zielen nachzuvollziehen. Hierfür orientiert er sich an einer entscheidenden Frage: Wer evaluierte und historisierte die DDR-Vergangenheit zu welchem Zweck? Zwei Besonderheiten der deutschen Situation prägen dabei seine Untersuchung. Zum einen ist es die deutsch-deutsche Vereinigung. In der Ermittlung der dominierenden Akteure wendet sich Beattie gegen den oftmals vorgebrachten Vorwurf der „Siegerjustiz“. Denn an den Enquête-Kommissionen waren insbesondere ostdeutsche Bürgerrechtler beteiligt, die nun im Deutschen Bundestag saßen. Der Autor entwirft ein komplexes Bild von sowohl biografisch als auch ideologisch und machtpolitisch geprägten Konflikten und manchmal ungeahnten Allianzen über Parteigrenzen und Herkunft hinweg. Eine weitere prägende Besonderheit sieht Beattie in der NS-Vergangenheit und ihrer anfangs mangelhaften Aufarbeitung. Ob untergründig mitschwingend oder aber bewusst als Argument eingesetzt – während der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit wurde die NS-Diktatur immer mitgedacht. Dabei diente sie nicht nur als Antrieb dafür, dieses Mal „alles richtig“ zu machen. Auch der unmittelbare Vergleich des NS-Regimes mit der SED-Diktatur stand im Raum.

Beattie hat sich durch das umfangreiche Material der beiden Kommissionen gearbeitet, hat Bundestagsprotokolle und Medienberichte gesichtet und zudem Interviews mit Beteiligten geführt. Zusätzlich setzt er sich kritisch mit den Artikeln auseinander, die seit der Einsetzung der ersten Kommission von daran beteiligten Politikern, Wissenschaftlern und Experten verfasst wurden. Denn Beattie möchte in seiner Arbeit hinter die Kulissen von postulierter „Wahrheit“, „Versöhnung“ und „innerer Einheit“ schauen. Ihm geht es darum, ideologische Motive und parteipolitische Machtinteressen hinter den einzelnen Positionen herauszuarbeiten, die die geschichtspolitischen Verhandlungen um eine kollektiv geteilte und offiziell anerkannte Version der DDR-Vergangenheit entscheidend geprägt haben. Die einzelnen Kapitel sind den zentralen Konfliktpunkten gewidmet.

Beattie beginnt mit der Auseinandersetzung um die Gründung der DDR. Während sich bei der Frage nach dem diktatorischen Charakter der DDR nur die PDS als SED-Nachfolgepartei gegen die Bezeichnung „Diktatur“ wehrte und einen demokratischen Anfang behauptete, spaltete sich die anfängliche Einstimmigkeit schnell entlang der politischen Lager, als einerseits die Gründung der SED aus KPD und SPD sowie andererseits die Verantwortung der ehemaligen Blockparteien diskutiert wurden. Beattie zeigt, dass die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte auch für die westdeutschen Parteien einigen politischen Sprengstoff barg.

Die Verbindung mit Fragen der heutigen politischen Legitimität diskutiert Beattie an einem weiteren Beispiel. Indem sich die Enquête-Kommissionen mit dem Sozialismus als der ideologischen Basis des SED-Regimes auseinandersetzten, wurden sozialistische Momente in der Programmatik der vertretenen Parteien – nicht nur der PDS, sondern insbesondere auch der SPD – ebenfalls zum Verhandlungsgegenstand. Hieran knüpft Beattie die Kernthese seiner Arbeit: Beim Verhandeln der DDR-Vergangenheit ging es um die Legitimität politischer Ideen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus.

Anhand des in der DDR allgegenwärtig proklamierten Antifaschismus gelingt es Beattie, den ideologischen Konflikten nicht nur zwischen der PDS und den anderen Parteien, sondern auch zwischen Konservativen und westlichen Linken eine weitere Dimension hinzuzufügen. Beattie zeichnet hier ein sehr differenziertes Bild. Hatten die ostdeutschen Bürgerrechtler in der Kommission zuvor entsprechend ihrer Parteizugehörigkeit agiert, so war dies ein Thema, das nicht nur die offizielle Staatsideologie betraf, sondern auch ihre persönliche Einstellung tangierte. Die Bürgerrechtler, die die DDR in anderen Fragen komplett verurteilt hatten, widersprachen hier der konservativen Sicht, dass der Antifaschismus bloß „verordnet“ und dem westdeutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit unterlegen gewesen sei. Dadurch fanden sie sich plötzlich in einer ungewollten Allianz mit der PDS wieder.

Dem Einfluss der NS-Vergangenheit auf die DDR-Aufarbeitung widmet Beattie ein weiteres Kapitel. Zwar stellt er sich Befürchtungen entgegen, die NS-Verbrechen könnten nach 1989/90 vollkommen aus dem öffentlichen und politischen Bewusstsein gedrängt worden sein. Denn indem der Totalitarismus-Vergleich der SED- mit der NS-Diktatur zur Delegitimation der DDR heraufbeschworen wurde, behielt die nationalsozialistische Vergangenheit ihren Platz in der deutschen Erinnerungskultur. Ein „antitotalitärer Konsens“ wurde als Ergebnis verkündet. Doch zeigt sich Beattie hier skeptisch. Er sieht in diesem „Konsens“ die Gefahr einer Relativierung der NS-Verbrechen durch eine Gleichsetzung mit dem SED-Regime. Diese Tendenz verknüpft er mit der seit einigen Jahren aufgekommenen Beschäftigung der Deutschen mit ihrer eigenen Opferrolle. Die Enquête-Kommissionen diskutierten nicht die Schuld der Täter, sondern verlegten sich auf das Gedenken an die Opfer des Kommunismus, wodurch eine unmittelbare Konkurrenz zu den NS-Opfern entstanden sei.

Immer wieder setzt Beattie sich zudem mit der Kritik an den Enquête-Kommissionen auseinander, die in der „Transitional Justice“-Forschung im Vergleich mit anderen „Wahrheitskommissionen“ oftmals schlecht abschneiden.2 Beattie will die Enquête-Kommissionen jedoch an ihren eigenen Maßstäben messen. Positiv bewertet er, dass sie den Grundstein für weitere DDR-Forschung gelegt und zur Gründung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geführt hätten. Doch hätten die beiden Kommissionen durch eine fehlende anfängliche Reflexion über ihre Ziele, Zwänge und parteipolitischen Interessen an Reichweite und Bedeutung eingebüßt. Anstelle einer die Öffentlichkeit und vor allem die ostdeutsche Bevölkerung einbeziehenden Debatte sei ein ideologisch aufgeladener Elitendiskurs geführt worden.

Etwas widersprüchlich erscheint hier einzig Beatties Argumentation, es handele sich bei den Schwierigkeiten der Enquête-Kommissionen dennoch nicht um einen Geburtsfehler, sondern um das Ergebnis eines sechs Jahre andauernden Prozesses. Zwar stellt er Ideen dar, die anfangs eine stärkere Partizipation der ostdeutschen Bevölkerung vorsahen und im Verlauf der Arbeit dann verloren gingen. Doch wie er selbst aufzeigt, fehlte von Anfang an eine Verständigung über gemeinsame Ziele. Allerdings verweist er damit noch einmal ausdrücklich auf den prozesshaften Charakter beider Kommissionen. Erst im Verlauf ihrer Arbeit und ideologischen Instrumentalisierung traten machtpolitische Interessen deutlich zutage und ließen die unterschiedlichen Zielsetzungen erkennbar werden.

Sein Anliegen, den politisch aufgeladenen Versuch einer Historisierung der DDR durch die Enquête-Kommissionen in den 1990er-Jahren selbst zu historisieren, hat Beattie überzeugend umgesetzt. Mit seiner facettenreichen Untersuchung füllt er eine signifikante Lücke und stellt damit die Weichen für eine „Aufarbeitung der Aufarbeitung“.

Anmerkungen:
1 Im März 1992 wurde die „Enquête-Kommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ eingesetzt. Eine Legislaturperiode später folgte dann die „Enquête-Kommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“.
2 Vgl. hierzu Molly Andrews, Grand National Narratives and the Project of Truth Commissions: a Comparative Analysis, in: Media, Culture and Society 25 (2003) H. 1, S. 45-65, und Jennifer A. Yoder, Truth without Reconciliation: An Appraisal of the Enquete Commission on the SED Dictatorship in Germany, in: German Politics 8 (1999) H. 3, S. 59-80.

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