P. Fleischmann: Rat und Patriziat in Nürnberg

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Titel
Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter in der Reichsstadt Nürnberg vom 13. bis zum 18. Jahrhundert


Autor(en)
Fleischmann, Peter
Reihe
Nürnberger Forschungen 31
Erschienen
Neustadt an der Aisch 2008: Ph.C.W. Schmidt
Anzahl Seiten
XIII, 1967 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Gut zweitausend Seiten gedruckter Text – wer kann und soll das alles lesen? Dieses Gefühl wollte zunächst auch den Rezensenten beschleichen, als er die vier voluminösen Teilbände des Werkes vor sich liegen sah. Indes trog der erste Eindruck. Ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigte rasch, dass ein großer Teil dieser Arbeit aus Ämterlisten und genealogischen Karten besteht. Vor allem ist es aber der Inhalt dieses Werkes, der dafür entschädigt, dass man sich zunächst der zeitaufwändigen Mühe des Lesens unterziehen muss.

In seiner Einleitung schreibt Fleischmann, dass die Grundzüge der oligarchischen Verfassung der Reichsstadt Nürnberg zwar bekannt seien, aber – so fährt er mit leichtem Understatement im Ton fort – "ein gewisses Ungenügen blieb, wenn von Rat und Patriziat die Rede war." (S. V) In der Tat fehlte bislang eine Untersuchung, welche die Entwicklung des Rats von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reichs verfolgt hätte. Auch sind nur wenige der Geschlechter, die die Geschicke der Reichsstadt Nürnberg maßgeblich über Jahrhunderte beeinflussten, gründlicher erforscht worden, und selbst wenn, dann zumeist bloß über relativ kurze Zeiträume oder unter Fragestellungen, die deren Stellung in der Nürnberger Ratsherrschaft nur am Rande berührt haben.1 Vorweggreifend wird man gewiss sagen dürfen, dass es Fleischmann mit dieser Studie gelungen ist, eine Forschungslücke zu schließen. Der bleibende Wert dieser Arbeit beruht insbesondere in der minutiösen und geradezu akribischen Auswertung der Nürnberger Überlieferung, auf die ihr Verfasser als langjähriger Mitarbeiter am Staatsarchiv Nürnberg vergleichsweise leicht zugreifen konnte.

Fleischmanns Opus magnum gliedert sich in drei Teilabschnitte, die in vier stattliche Bände aufgeteilt sind. Im ersten Teilband („Der Kleine Rat“) untersucht er die Entstehung und Entwicklung des Rats und der Ratsämter der Stadt Nürnberg seit ihren frühesten Anfängen (Mitte des 13. Jahrhunderts). Überzeugend bettet er diese Entwicklung bis ins ausgehende 14. Jahrhundert in die allgemeine Stadtgeschichte ein, ohne allerdings über die ältere Literatur entscheidend hinauszugehen.2 Bedauerlicherweise wird dieser unterstützende Horizont für die spätere Zeit nur noch ansatzweise mitgeliefert, was das Verständnis der Entwicklung für einen mit der Nürnberger Historie weniger vertrauten Leser deutlich erschwert; die Arbeit verkürzt sich nun weitgehend auf einen institutionengeschichtlichen Abriss der späteren Epoche. Neben der genauen Beschreibung der einzelnen Ratsämter geht Fleischmann unter anderem auf die Ratswahl ein, er beschreibt die Ratsstube, den Geschäftsgang, untersucht die Einkünfte, Titulatur und Kleidung der Ratsherren und kommt auch auf typische Konflikte und Problemlagen innerhalb dieses Systems der Ratsherrschaft und der sie tragenden Geschlechter zu sprechen.

Geradezu spannend lesen sich die Abschnitte über Ämterbesetzung, Ämterkumulation sowie die unterschiedlichen Einnahmequellen, die einzelnen Ratsherren zur Verfügung gestanden haben. Gewaltige Differenzen werden sichtbar, was Macht und Einfluss der einzelnen Ratsherren betraf. Erst der Aufstieg in den Kreis der „Älteren Herren“, den innersten Machtzirkel Nürnberger Ratsherrschaft, machte die Ratszugehörigkeit richtig lukrativ. So wundert es nicht, dass die alten Geschlechter versuchten, diese Pfründe, solange es eben ging, zu verteidigen. Auf diesen Problemkreis geht Fleischmann dann auch ausführlich ein, wenn er sich mit der Entwicklung der herrschenden Familien hin zum Patriziat (eine Bezeichnung, die erst in der frühen Neuzeit nachzuweisen ist) beschäftigt und die Mechanismen der Abschottung aufzeigt. Es gelingt ihm anschaulich, die führende Rolle der alten Geschlechter herauszuarbeiten, die es bis weit ins 15. Jahrhundert schaffen sollten, den "neuen" Geschlechtern – zumeist aus den Kreisen der prosperierenden Kaufleute hervorgegangen – den Zutritt zumindest zu den mächtigsten Positionen im Rat zu verwehren. Keinem Mitglied der aufstrebenden Familien gelang der Aufstieg in die Reihen der älteren Herren, der engsten Führungsriege der reichsstädtischen Politik, geschweige denn dass einer von ihnen in das Amt eines Losungers oder eines Obersten Hauptmanns aufgerückt wäre. Infolge eines sorgfältig abgestimmten Verhaltens war es den "alten" Geschlechtern möglich, den Aufsteigern den Weg an die Spitze der städtischen Regierung zu verbauen. Indes verlangte der demographische Faktor zunehmend seinen Tribut: Einzelne Geschlechter starben aus, andere verloren ihre ökonomische Basis. Den entscheidenden Wandel brachte allerdings erst eine Neuerung im 16. Jahrhundert, als nun nahezu ausnahmslos die Ämterbesetzung durch das Ancienitätsprinzip geregelt wurde. Die Bedeutung der Herkunft aus den "alten" Geschlechtern nahm folglich ab, ebenso die der persönlichen Eignung und Qualität der Bewerber. Hierin zeigte sich die zunehmende Erstarrung eines Systems, welches den politischen Erfordernissen immer weniger gerecht wurde und am Ende des Alten Reiches selbst den Zeitgenossen als überlebt erscheinen musste. So nimmt Fleischmann zum Abschluss seiner Untersuchung das Ende der Ratsherrschaft und damit das Ende der reichsstädtischen Epoche Nürnbergs in den Blick.

Trotz des gewaltigen Umfangs seiner Untersuchung bleibt es nicht aus, dass der Autor nicht alle Wünsche zufrieden stellen kann. Zu kurz kommen etwa die kausale Verknüpfung der Entwicklung der Ämter und Funktionen sowie deren zunehmende Ausdifferenzierung etc. mit den politischen Ereignissen und Umbrüchen innerhalb und außerhalb der Stadt. Die Auseinandersetzungen mit den benachbarten Burg- bzw. Markgrafen von Zollern hätten durchaus stärker akzentuiert werden dürfen.

Im zweiten Teilband („Ratsherren und Ratsgeschlechter“) stellt Fleischmann die einzelnen Geschlechter in alphabetischer Folge vor. In diesem Kreis von 37 (1521 im Tanzstatut aufgezählten) Familien, die ein halbes Jahrtausend die Geschicke der Stadt leiteten, wird man den eigentlichen Kern nürnbergischer Stadtherrschaft verorten müssen. Als Kaufleute, Politiker und Gelehrte hatten ihre Namen Rang und Klang weit über die Grenzen der Stadt Nürnberg hinaus gehabt. Des Weiteren gibt der Teilband einen kursorischen Überblick über gut ein halbes Hundert weitere Geschlechter, die nur kurzzeitig von Bedeutung waren, weil sie frühzeitig erloschen oder auswanderten bzw. erst relativ spät in den Kreis der ehrbaren Geschlechter kooptiert wurden, ohne eines ihrer Mitglieder in den Rat zu bringen. Mit einem gewissen Bedauern wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass Fleischmann sich fast ausschließlich auf die Ratstätigkeit der einzelnen Familienmitglieder beschränkte, die wirtschaftliche Tätigkeit oder die politischen Aktivitäten außerhalb der Reichsstadt dagegen weitgehend ausgeblendete, obgleich diese oft genug über den mehr oder weniger schnellen Aufstieg einzelner Personen oder Familien entschieden haben. Angesichts der bestehenden Forschungslücken gelingt es ihm aber mit diesen Einzeldarstellungen, ein bestehendes Forschungsdesiderat weitgehend abzudecken. Dass hier im Einzelfall Redundanzen zum ersten Teilband auftreten, liegt wohl in der Natur der Sache; im Sinne größerer Anschaulichkeit und eines besseren Verständnisses ist dies jedoch zu akzeptieren.

Der dritte Teilband enthält die Stammbäume der Geschlechter, bedauerlicherweise aber nur in der männlichen Linie. Dafür mögen gute Gründe sprechen, gewiss auch graphische Überlegungen: In der üblichen Zweidimensionalität von Stammtafeln lässt sich eine Verknüpfung der „ehrbaren“ Familien durch Heirat oder Geschäftsverbindungen ohne Einbußen an Übersichtlichkeit kaum darstellen. Möglicherweise wäre hier mit dem Einsatz verschiedener Farben mehr zu erreichen gewesen. Für die Charakterisierung der Machtstellung einzelner Familien im politischen Gefüge der Stadt sind aber gerade diese ehelichen Bande und die oftmals parallel laufenden wirtschaftlichen Verbindungen von besonderer Bedeutung, man denke nur an die Nachfolge im Amt des Reichsschultheißen von den Groß zu Heinrich Geuder, der mit Anna eine Tochter des Konrad Groß geehelicht hatte. Dieses Beispiel zeigt, dass die Aufnahme der weiblichen Mitglieder in die Stammtafeln manche Verständnislücke im Aufstieg einzelner Personen und Familien, aber auch generell für die Entwicklung von Ratsherrschaft hätte beseitigen können.

Der vierte Band vereint die „Ratsgänge (1318/23 bis 1806/08)“, das Basis-Quellenmaterial, auf dem die Arbeit Fleischmanns fußt; zusätzlich finden sich hier ein alphabetisches Verzeichnis der Ratsherren sowie ein Verzeichnis der Losunger, Obersten Hauptleute und der sieben Älteren Herren von 1339 bis 1806. Weiter enthält dieser Band ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 1775–1841), bevor er von einem Register zu den Personen sowie zu Orten und geographischen Namen abgerundet wird.

Das gesamte Werk ist trotz seines Umfangs durchaus attraktiv aufgemacht, was exemplarisch bereits das Umschlagbild, eine bildliche Darstellung der Ratsherrschaft, zeigt, die in Komplett- bzw. Teilansichten auf den einzelnen Bänden wiedergegeben ist. Darüber hinaus wurden die beiden ersten Teilbände mit sorgfältig ausgewählten Karten und Bildern ausgestattet, worunter sich auch Wiedergaben von archivalischen Raritäten finden. Allein die Größe der Abbildungen lässt manchmal etwas zu wünschen übrig. Nicht weniger Mühe haben Autor und Verlag darauf verwendet, sprachliche und orthographische Fehler auszumerzen, was keineswegs mehr selbstverständlich ist. Lediglich die Namenschreibung in den Listen irritiert etwas, sie dürfte aber wohl aus dem Original übernommen worden sein.

Ein nicht zu verschweigendes Ärgernis sind allerdings die Fußnoten mit ihren oftmals summarischen Literaturangaben. So ist es vielfach nahezu unmöglich, die Herkunft von Informationen und verwendeten Zitaten festzustellen oder Verweisen genauer nachgehen zu können. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Literatur ist damit kaum mehr möglich und der Leser kann auch nur schwer ermessen, inwieweit Fleischmann diese selbst geleistet hat. Man darf nur hoffen, dass dies keine Schule macht.

Von den wenigen „Schönheitsfehlern“ einmal abgesehen, die dem Gesamtwerk aber insgesamt keinen Abbruch tun, ist Fleischmanns Arbeit ein Meilenstein auf dem Weg der Erforschung der reichsstädtischen Geschichte Nürnbergs, nicht weniger eine exemplarische Studie für die politische Organisation spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Reichsstädte. Vergleichsuntersuchungen für andere Reichsstädte werden aber wohl auf sich warten lassen, zu groß dürfte der Aufwand sein und nicht überall ist das Quellenmaterial so reichhaltig überliefert wie in Nürnberg.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Gunther Friedrich (Bearb.), Bibliographie zum Patriziat der Reichstadt Nürnberg, Nürnberg 1994.
2 Den Stand der Forschung geben die entsprechenden Abschnitte in: Gerhard Pfeiffer (Hrsg.), Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, sowie in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Nürnberg – Europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit, Nürnberg 2000, wieder.

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