Deutschland und Frankreich 1870-1944

: Nazi Paris. The History of an Occupation 1940-1944. New York 2008 : Berghahn Books, ISBN 978-1-84545-451-7 230 S. £37.50

: A Stranger in Paris. Germany`s Role in Republican France, 1870-1940. New York 2006 : Berghahn Books, ISBN 1-84545-125-2 95 S. £11.95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Schmid, ENS de Cachan / Universität Augsburg

Im Zentrum der beiden von Allan Mitchell vorgelegten Publikationen steht die Bedeutung und der Einfluss Deutschlands auf das Frankreich der Jahre 1870 bis 1944. Der erste Titel, „A Stranger in Paris. Germany’s Role in Republican France. 1870-1940” setzt sich dabei zum Ziel, auf rund 90 Seiten die besondere Bedeutung der „deutschen Frage“ als „the most vital issue of French politics“ in zehn thematischen Kapiteln in den Blick zu nehmen (S. 7). Dieser Ansatz erscheint angesichts der Bedeutung des deutschen Einflusses für die Geschichte der Dritten Republik, die mit der französischen Niederlage gegen Deutschland 1870 begann und mit der französischen Niederlage von 1940 endete, durchaus berechtigt.

Die Abtretung Elsass-Lothringens und die Reparationszahlungen nach der Niederlage 1870 sowie der zeitweise Verbleib von deutschen Besatzungstruppen stellten für das kollektive Gedächtnis „feastering wounds that would not entirely heal“ dar (S. 10). Dies führte dazu, dass in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Reformen im Bildungswesen und bei der Armee vom „siegreichen“ deutschen Vorbild inspiriert wurden mit dem Ziel, zu diesem aufzuschließen und es zu überflügeln. Diese Entwicklung ging einher mit einen weitverbreiteten Patriotismus und Konsens die abgetretenen Gebiete zurückzugewinnen. Deutlich zu Tage trat dies in den 1890er-Jahren während der Boulanger-Krise, als der populäre General Boulanger nach einem unbedeutenden Zwischenfall an der deutsch-französischen Grenze mit Revanchismusforderungen die Massen hinter sich wusste. Verstärkt wurde dieser Aspekt durch ein allgemeines Konkurrenzdenken, in dem sich Frankreich freilich schmerzlich bewusst war, dass es demographisch, aber auch hinsichtlich der Urbanisierung, der Industrialisierung und dem Anteil am Welthandel immer weiter hinter Deutschland zurückfiel. Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg ermöglichte die Rückkehr Elsass-Lothringens zu Frankreich und weckte Hoffnungen mit dem Mittel des Versailler Vertrages Deutschland als politischen und wirtschaftlichen Konkurrenten auszuschalten. Die Pläne für ein dauerhaftes Niederhalten Deutschlands scheiterten jedoch am britisch-amerikanischen Widerstand. Dazu kam, dass Frankreich − obwohl nominell Sieger – relativ mehr Soldaten verloren hatte als Deutschland, wodurch sich der demographische Rückstand noch vergrößerte. Dies trug wesentlich zu der Überzeugung bei, dass sich Frankreich keinen weiteren Waffengang mehr erlauben könne. Der daraus resultierende Pazifismus der französischen Öffentlichkeit und Politik führte 1938 schließlich zur nachgiebigen Haltung Daladiers bei den Verhandlungen zum Münchner Abkommen.

Letzten Endes erfährt der Leser bei der Lektüre nur in Stichpunkten über die besondere Bedeutung des deutschen Einflusses auf die Dritte Republik und damit kaum mehr als das, was schon in den einschlägigen Standardhandbüchern beispielsweise von Charles Bloch 1 oder Réné Rémond 2 nachzulesen ist. Dies liegt vor allem daran, dass sich der Autor in seinen Ausführungen nicht auf den deutschen Einfluss beschränkt, sondern die allgemeinen Entwicklungslinien des 70jährigen Bestehens der Republik nachzeichnet. So notwendig diese Kontextualisierung sein mag, so wenig Platz bleibt angesichts dieser Vorgehensweise in dem ohnehin schmalen Band für das eigentlich vom Autor angekündigte Thema. Zudem beschränkt sich Mitchell als Basis für seine Arbeit ausschließlich auf bereits publizierte Studien, so dass diese weitgehend über eine bloße Erwähnung des deutschen Einfluss im jeweiligen thematischen Kontext nicht hinauskommt. Damit steht eine fundierte, quellengestützte Abhandlung von Mitchells berechtigter Fragestellung weiterhin aus.

Der zweite Titel schließt zeitlich weitgehend an den ersten an. Ziel dieser Arbeit ist „uncovering the inner administrative workings of the Occupation in Paris“ (S. xiii), womit der Autor sowohl Paris als auch die Rolle der Militärverwaltung in Paris ins Zentrum rücken möchte. Die Studie ist chronologisch aufgebaut, um die Veränderung des Besatzungscharakters nachzuvollziehen. Innerhalb eines jeden Zeitabschnittes werden dabei jeweils (1) Besatzungspolitik / -rahmen, (2) Kontrolle der Öffentlichkeit, (3) Kontrolle und Ausbeutung der Wirtschaft, (4) Kultur und Propaganda sowie (5) die Judenverfolgung behandelt. Mit diesem Aufbau will Mitchell dem Leser über die horizontale Lektüre hinaus − also alle Themenfelder von Besatzungsbeginn bis Besatzungsende – auch die vertikale Nutzung − selektiv ein Themenfeld über die behandelte Zeitspanne hinweg – erleichtern. Als Grundlage dient neben neuester Forschungsliteratur eine breite Basis von Dokumenten der deutschen Militärverwaltung.

Den ersten Zeitabschnitt, den Allan Mitchell von Juni 1940 bis 1941 ansetzt, sieht er von „confusion and lack of planning“ auf deutscher Seite charakterisiert (S. 20). Die militärischen Besatzungsstrukturen nahmen nur langsam Form an und sahen sich von Beginn an Einflussversuchen anderer deutscher Stellen und Persönlichkeiten ausgesetzt, was eine beständige Autoritätserosion der Militärverwaltung im deutschen Machtgefüge einleitete. Gegenüber den eigenen Truppen bemühten sich die Stellen der Militärverwaltung von „Gross-Paris“ unter General Schaumburg um die Aufrechterhaltung der Disziplin, während die Zivilbevölkerung mit einer Vielzahl von Vorschriften in ihrem Alltag konfrontiert wurde. Auf wirtschaftlichem Gebiet musste die Versorgung der allmählich zurückkehrenden geflohenen Pariser sichergestellt werden, während gleichzeitig die Ausnutzung der französischen Ressourcen für die deutsche Kriegswirtschaft in die Wege geleitet wurde. Auch die Wiederaufnahme des kulturellen Lebens wurde intensiv betrieben, wobei über Zensur und Materialzuteilung eine enge Überwachung erfolgte. Die antisemitischen Maßnahmen setzten stufenweise ein und dienten zunächst einer Ausgrenzung der Juden aus der französischen Gesellschaft.

Den zweiten Zeitabschnitt lässt Mitchell im November 1942 enden. Neben den nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion einsetzenden Anschlägen auf Angehörige der Besatzungsmacht, war diese auch mit einer Zunahme von Sabotageakten und alliierten Luftangriffen konfrontiert. Die deutsche Seite reagierte mit Geiselerschießungen und Kollektivstrafen − wie etwa vorgezogenen Ausgangssperren oder Geldbußen. Den eigenen Soldaten wurde zudem verboten sich alleine außerhalb der gesicherten Unterkünfte zu bewegen. Neben Kommunisten wurden häufig gezielt Juden als Geiseln erschossen, wodurch sich die Judenverfolgung einerseits radikalisierte und andererseits mit der Repression des Widerstands verband. Zudem ging die bisherige Ausgrenzung in groß angelegte Deportationen über. Trotz gegenteiliger Einschätzung der Militärverwaltung vor Ort zeigte sich Berlin überzeugt, dass es möglich sei, die wirtschaftliche Ausbeutung Frankreichs noch zu forcieren, indem sowohl der Ausstoß der französischen Industrieproduktion für die Kriegswirtschaft als auch die Ausfuhren an Rohstoffen und Arbeitskräften gesteigert wurde. In der Propaganda- und Kulturarbeit zeichnete sich immer stärker ab, dass „defeated people do not generally appreciate being occupied by a foreign power“ (S. 80), weshalb sie kaum mehr Wirkung entfaltete.

In den letzten beiden Zeitabschnitten von November 1942 bis Juni bzw. August 1944 wurde mit den alliierten Erfolgen in Nordafrika, Stalingrad, Italien und schließlich der Landung in der Normandie eine deutsche Niederlage zunehmend wahrscheinlicher. Während die Kulturpolitik stark an Bedeutung verlor, radikalisierte sich die deutsche Position bei der Widerstandsbekämpfung, in der Judenverfolgung und bei der wirtschaftlichen Ausbeutung. Die Autoritätserosion der Militärverwaltung erreichte indes ihren Höhepunkt: Sipo und SD war weitestgehend für die Widerstandsbekämpfung und die Judenverfolgung zuständig, die Botschaft sah sich schon länger für die politischen Fragen verantwortlich und in wirtschaftlichen Belangen waren neben dem „Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz“, Fritz Sauckel, auch Rüstungsminister Speer und die Waffenstillstandsdelegation für Wirtschaft aktiv.

Insgesamt legt Allan Mitchell eine eingängig lesbare Arbeit vor, die es dem Leser ermöglicht einen ersten, knappen Überblick über die Besatzungszeit mit Schwerpunkt auf den Besatzern zu gewinnen. Der Autor stützt sich dabei auf die neueste, einschlägige Forschungsliteratur und eine breite Quellenbasis, darunter vor allem Dokumente von und zur Militärverwaltung. Ähnlich wie beim ersten Titel fällt jedoch auf, dass Mitchell nur vage seiner eingangs gesteckten Fragestellung folgt. So beschränkt er sich nicht auf die Rolle des Besatzers in Paris, sondern beschreibt vielmehr die allgemeinen Entwicklungen in der besetzten Zone, während Paris einen blassen Hintergrund bildet auf den er gelegentlich zurückkommt. Angesichts der angeschnittenen weiten Themen sprengt der Autor ohne die geographische Einschränkung auf Paris den Rahmen dieses Buches. Damit überrascht es auch nicht, dass die Studie kaum neue Erkenntnisse zu Tage fördert und stattdessen knapp weitgehend bekannte Erkenntnisse resümiert. Der fehlende nachhaltige Bezug zur Situation in Paris ist umso bedauerlicher als die Betrachtung der Besatzungszeit aus Sicht des Besatzers beispielsweise aus alltagsgeschichtlicher Perspektive mit oder ohne lokalgeschichtlichen Fokus bisher von der Forschung weitgehend ignoriert wurde.

Anmerkungen:
1 Charles Bloch, Die Dritte Französische Republik, Entwicklung und Kampf einer Parlamentarischen Demokratie (1870-1940), Stuttgart 1972.
2 Réné Rémond, Frankreich im 20. Jahrhundert (= Erster Teil 1918-1958, Geschichte Frankreichs Bd. 6/1), Stuttgart 1994.

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