S. Endlich u.a. (Hrsg.): Christenkreuz und Hakenkreuz

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Titel
Christenkreuz und Hakenkreuz. Kirchenbau und sakrale Kunst im Nationalsozialismus. Katalogbuch zur Ausstellung


Herausgeber
Endlich, Stefanie; Geyler-von Bernus, Monika; Rossié, Beate
Erschienen
Berlin 2008: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
163 S., SW-Abb.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Esther Wipfler, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Die in Berlin und München gezeigte Ausstellung „Christenkreuz und Hakenkreuz“ sowie die vorliegende Begleitpublikation verweisen im Titel auf das Monatsblatt der „Deutschen Christen“. Ausstellung und Buch lenken den Blick auf ein bislang weitgehend vernachlässigtes Phänomen, die Gestaltung der Kirchen in den Jahren der NS-Herrschaft. Während der Neu- und Umbau von Kirchen in der Zwischenkriegszeit seit etwa 1990 zunehmend Gegenstand architekturhistorischer Studien wurde, blieb die dazugehörige Ausstattung von der Forschung bislang weitgehend unbeachtet. Aufklärung ist dringend notwendig, da das Unbehagen, mit diesen Hinterlassenschaften der NS-Zeit zu leben, gelegentlich schon dazu führte, die nicht wandfesten Objekte an Gemeinden im Ausland zu verschenken.

Der Ausgangspunkt für das Projekt war der Auftrag der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zur Erstellung eines Gutachtens und eines Nutzungskonzeptes für die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf. Die Einordnung dieses Baus und seiner Ausstattung bestimmt die Anlage des Bandes: Bei der Auswahl der 19 Vergleichsobjekte, von denen drei weitere aus Berlin stammen, liegt der Schwerpunkt insgesamt in Nordost- und Westdeutschland; die evangelischen Beispiele dominieren. Die Intention, im Sinne des Auftrags die außergewöhnliche kulturhistorische Bedeutung der Mariendorfer Kirche hervorzuheben, wird damit verwirklicht. Repräsentativ für die gesamte kirchliche Kunstproduktion jener Zeit kann die Auswahl aber nicht sein, zumal es vielerorts noch an Grundlagenforschung fehlt.

Der Band umfasst einen Katalog- und einen Aufsatzteil. Zu ersterem ist kritisch anzumerken, dass die Angaben der verwendeten Quellen lückenhaft sind; man findet sie nur zum Teil in den anschließenden Beiträgen zitiert. So ist nicht nachvollziehbar, worauf sich die Aussage stützt, dass die Reformationsgedächtniskirche in Nürnberg-Maxfeld „die Wehrhaftigkeit des NS-Staates“ veranschaulichen sollte (S. 43). Aus der Urkunde zur Grundsteinlegung 1935 und der Schrift zur Einweihung der Kirche 1938 ist eine derartig staatstragende Intention nicht ersichtlich. Vielmehr lesen sich diese Dokumente als letzte Versuche kirchlicher Selbstbehauptung im Sinne des Nationalprotestantismus. Die Gemeinde wehrte sich dann auch erfolgreich gegen den Zugriff der „Deutschen Christen“, wie man im Katalogtext einräumt (S. 43). Deshalb greift die zitierte Stil-Allegorese zu kurz. Bei der Kirche und ihrer Ausstattung fehlt jede nationalsozialistische Symbolik, wie sie sonst in dem Band gut dokumentiert ist und insbesondere die Mariendorfer Martin-Luther-Gedächtniskirche kennzeichnet.

Auch bei der Interpretation einzelner Details wäre zuweilen eine bessere Kenntnis christlicher Ikonographie und Liturgie notwendig gewesen. So kann bei der Skulptur des auferstandenen Christus in Strasburg in der Uckermark nicht davon die Rede sein, dass der linke angewinkelte Arm ein Verweis auf den Hitlergruß sei und als „politische Metapher verstanden werden sollte“ (S. 63). Die Haltung mit geöffneter Handfläche zitiert die Geste, die noch heute während der Erteilung des Aaronitischen Segens (Num 6,24-26) üblich ist. Zusammen mit dem Segensgestus der lateinischen Kirche, den die rechte Hand gemäß der traditionellen Darstellung des segnenden Christus zeigt, ist die Botschaft eindeutig: Es geht um die Nachfolge Christi in der und durch die Kirche. Darüber hinaus hätte man angesichts der Entscheidung für Schwarz-Weiß-Aufnahmen nicht – wie in den meisten Fällen geschehen – auf die Angaben der verwendeten Baumaterialien verzichten sollen, die auch vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Materialikonographie aufschlussreich sind.1

Die kurzen Beiträge im Aufsatzteil erhellen den Hintergrund für die exemplarisch gezeigten Formen kirchlicher Kunst aus architekturhistorischer, kunsthistorischer, zeitgeschichtlicher, kirchengeschichtlicher und theologischer Sicht. Bei zwei der fünf Aufsätze handelt es sich um Wiederabdrucke bereits erschienener Schriften (Lucia Scherzberg, Manfred Gailus).

Lucia Scherzbergs Beitrag über die katholischen pro-nationalsozialistischen Theologen ist bis auf Zusammenfassung und Einleitung sowie einige Literaturergänzungen aus dem 2005 von ihr herausgegebenen Sammelband „Theologie und Vergangenheitsbewältigung“ entnommen.2 Scherzberg zeigt exemplarisch, wie sich insbesondere solche Theologen bewusst auf „Theorie und Praxis des Nationalsozialismus“ eingelassen haben, die eine ‚moderne’ Theologie entwickeln wollten (S. 154). Allerdings war der Antisemitismus auch bei konservativen Theologen verbreitet.3 In Bezug auf das Thema des Bandes bleibt insgesamt offen, welche konkreten Auswirkungen die von Scherzberg präsentierten Denkmodelle auf die Gestaltung der Kirchen hatten. Die beiden vorgestellten katholischen Bauten, St. Petrus Canisius in Augsburg-Hochfeld und St. Engelbert in Essen, weisen keine spezifisch nationalsozialistische Ikonographie auf.

Manfred Gailus widmet sich in seinem Beitrag (der 2008 bereits an anderer Stelle erschienen war) dem Verhältnis von Nationalismus und Protestantismus. Er umreißt die Entstehungsbedingungen für die Kunst auch auf Gemeindeebene. Eine vergleichende Sicht des Verhaltens der beiden Konfessionen im NS-Staat strebt Johannes Tuchel mit seinen Reflexionen in der Einführung an. Dabei verweist er auf die Tradition des Widerstandsdenkens, die es in der katholischen Kirche im Gegensatz zur evangelischen gegeben habe (S. 12).

Holger Brülls’ Beitrag, der im Wesentlichen auf seiner 1994 veröffentlichten Dissertation zur Neoromanik und Kulturkritik in der Zwischenkriegszeit beruht, lässt an manchen Stellen die Auseinandersetzung mit der neuesten Forschung vermissen. So zeigt die 2001 erschienene Dissertation von Florian Koch über German Bestelmeyer ein differenzierteres Bild der Stilreprisen dieses Architekten nach 1933.4 Insbesondere Bestelmeyer, der im protestantischen Kirchenbau im süddeutschen Raum äußerst wirksam war sowie im Kunstleben Bayerns als Präsident der Kunstakademie und Professor für Architektur an der Technischen Hochschule München zentrale Positionen innehatte, nahm bei den Landkirchen die spätgotischen Formen der Region zum Vorbild – nicht die Romanik, die Brülls als vorherrschenden Stil für den Kirchenbau postuliert (S. 85). Der auch im Sinne nationalsozialistischer Ideologie weitergepflegte Stil der Heimatschutzbewegung, der durch die im Band abgebildeten Beispiele hinreichend dokumentiert wird, widersprach einem einheitlichen Stilkonzept.

Neue Perspektiven eröffnet Beate Rossiés Versuch einer Übersicht der Ikonographie der kirchlichen Kunst dieser Zeit, gegliedert nach stilistischen Merkmalen und Motiven. Da die Autorin an einem Gesamtverzeichnis der Kirchenbauten und ihrer Ausstattung in der NS-Zeit arbeitet, sind hier weitere und umfassendere Ergebnisse zu erwarten. Zu ergänzen wäre zum Beispiel, dass nicht nur das Motiv der Bergpredigt als Rahmen für die Darstellung der „Volksgemeinschaft“ und der Gemeindemitglieder sehr verbreitet war (S. 106), sondern auch das Motiv der Anbetung des Christuskindes im Stall zu Bethlehem. Erstaunlicherweise werden bei dieser Betrachtung, die ja von der Beschäftigung mit einer Martin-Luther-Gedächtniskirche ausgeht, der Lutherverehrung selbst und seine Bildzeugen nicht umfassender beleuchtet, obgleich dieser Kult in seiner nationalprotestantischen Ausprägung seit dem späten 19. Jahrhundert bereits viele Vorlagen für den protestantischen Führerkult lieferte.5

Für die von Stefanie Endlich gestellte Frage nach der Rezeption dieser Kirchenkunst von der Nachkriegszeit bis heute (S. 112) gibt es noch keine flächendeckenden Untersuchungen, so dass die Autorin auf ihre Beobachtungen des Umgangs mit nationalsozialistischen Repräsentations- und Nutzbauten zurückgreifen muss. Diese sind jedoch nicht unbedingt übertragbar. Es bleibt zu untersuchen, ob sich das Rezeptionsverhalten ebenso wandelte wie die Bewertung der Rolle der evangelischen Kirche im „Dritten Reich“ seitens der Kirchenleitung selbst: Mit dem schon 1945 ausgesprochenen Stuttgarter Schuldbekenntnis hatte die Evangelische Kirche in Deutschland zwar durchaus einen Teil der Verantwortung für die Verbrechen übernommen, die während der NS-Diktatur begangen wurden; in der nachfolgenden Zeit wurde aber, wie Gailus zeigt (S. 129f.), erfolgreich die Selbststilisierung zum Opfer des Regimes betrieben. Ein Wechsel in der Perspektive setzte nach Gailus erst seit Ende der 1960er-Jahre ein (S. 130f.). Schließlich habe seit 1990 der „religious turn“ zu einer erweiterten, interdisziplinären Sicht der Rolle der Konfession im NS-Staat geführt (S. 131f.).

Wie schon zu Anfang angedeutet, scheint eine differenzierte Haltung zur NS-Geschichte, die den Umgang mit der Kunst dieser Zeit einschließt, auch an der kirchlichen Basis nach wie vor ein äußerst schwieriges Unterfangen zu sein. Es ist deshalb zu hoffen, dass der Band insbesondere in den Gemeinden Verbreitung findet und ein kritisches Bewusstsein für dieses kulturelle Erbe schaffen und verstärken hilft.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu: Christian Fuhrmeister, Beton, Klinker, Granit. Material Macht Politik, Berlin 2001.
2 Siehe die Rezension von Klaus Große Kracht, In: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-106>, (10.05.2009).
3 Exemplarisch demonstriert dies Udo Mischek, Antisemitismus und Antijudaismus in den Werken und Arbeiten Pater Wilhelm Schmidts S.V.D. (1868-1954), in: Horst Junginger (Hrsg.), The Study of Religion under the Impact of Fascism, Leiden 2008, S. 467-488.
4 Florian Koch, German Bestelmeyer (1874-1942), Architekt. Der süddeutsche Kirchenbau. Tradition als Illusion der Permanenz. Romantisch-retrospektiver Traditionalismus im Sakralbau der zwanziger und dreißiger Jahre, München 2001.
5 Siehe z.B. Esther Wipfler, Luther im Stummfilm. Zum Wandel protestantischer Mentalität im Spiegel der Filmgeschichte bis 1930, in: Archiv für Reformationsgeschichte 98 (2007), S. 167-198.

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